Ufo361 bringt Entspannung in mein gestresstes Zürcher Wochenende

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Ufo361 bringt Entspannung in mein gestresstes Zürcher Wochenende

Ein Ufo361-Konzert ist ein Mikrokosmos für sich. Ich bin am Sonntagabend in ebendiese Welt eingetaucht.

Das ehemalige Hoodrich- und Bellini-Boys-Mitglied Ufo361 ist definitiv auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Innerhalb kürzester Zeit hat er sich zum angesagtesten Szeneprodukt der Berliner Hauptstadtexporte verwandelt. Nach einem mittelschweren Absturz am Samstag und Rudertraining am Sonntagnachmittag war ein wenig sinnfreie Zerstreuung mein goldener Weg in die neue Woche. Also auf zu Ufos einzigem Tourstop in der Schweiz. Ich entscheide mich gegen einen Abend vor dem Fernseher und für einen Trapfilm mit Ufo361. Tatort: Komplex Club, Zürich.

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Als grosser Fanboy von Fler werfe ich natürlich generell ein Auge auf die Berliner Rapszene. Ufo361 habe ich dabei schon seit längerem auf dem Schirm. Zum einen, weil er mit den Broke Boys ein starkes Produzententrio im Rücken hat, und zum andern, weil er dem Trap auch dadurch würdigt, indem er in Videos und Interviews nicht auf seine Grills verzichtet – ein Schmuckstück, das eigentlich zur visuellen Umsetzung dieser Musik dazugehört, sich bei uns aber nie wirklich durchgesetzt hat. Wahrscheinlich pflegen wir Europäer durch unsere stark monarchisch geprägte Vergangenheit ein schwierigeres Verhältnis zu Schmucksachen aus Gold und Silber. Ufos Grills sind daher nicht nur eine Zurschaustellung seines kommerziellen Erfolgs, sondern auch ein emanzipatorischer Akt zur Überwindung des europäischen Adelssystems. Vielleicht überinterpretiere ich aber auch einfach.

Nein, nicht die Bronx, sondern Zürich Altstetten.

Ufo ist inzwischen eine grosse Nummer.

Seine Musik dreht sich im Grossen und Ganzen darum, uns zu veranschaulichen, wie verballert er und seine Jungs sind. Sein aktueller Hit "Für die Gang" zusammen mit Gzuz von der 187 Strassenbande setzt diesen Leitgedanken weiter konsequent um – Ufo lallt dabei über ein hypnotisches Instrumental und scheint damit den Nerv der Zeit zu treffen. Innerhalb kürzester Zeit verzeichnet das Video mehrere Millionen YouTube-Klicks und hat das Potenzial, eine der Strassenrap-Hymnen 2017 zu werden.

Heute keine Hausaufgaben? Nein, denn es ist Sonntag. Lan.

Auf diesem Bild ist leider keine einzige Frau zu sehen.

Wie schon am Money Boy-Konzert, das wir besucht haben, ist der Frauenanteil auch an diesem Konzert extrem tief. An diesem Sonntagabend im Komplex Club liegt er bei geschätzten zehn Prozent als ich eintreffe und dabei wird er auch bleiben. Die, die ihren Weg hierher gefunden haben, könnten alle aus demselben Modeblog gefallen sein, denn der Post-Soviet Fashiontrend schlägt vor allem in der Altersgruppe der 13- bis 17-Jährigen voll durch – Gosha lässt grüssen und hätte seine Freude. Wer also noch voller Scham alte Bestände an Fila und Champion im Keller versteckt, sollte diesen Sommer unbedingt zwei Standmeter auf dem Flohmarkt anmieten, dezent Yung Hurn aufdrehen und seinem Geld beim Arbeiten zusehen. Ich steige kurz hinab in den Club und verschaffe mir zu Beginn des Warm-ups einen Überblick. Zählt man Ufo himself, seine Crew, den Tourmanager und den Verkäufer am Merchandise-Stand zur Crowd, bin ich nicht mal der Älteste. Ansonsten schon. Abgesehen von zwei Herren jenseits der 40, die entweder unauffällig ihre Kinder begleiten oder als Polizisten in zivil da sind. Jedenfalls nehmen sie das mit dem Warm-up wörtlich: Die Mischung aus Hände in die Luft und Becken vor und zurück bringt sie so arg ins Schwitzen, dass sie sich nach kurzer Zeit ihrer Pullover entledigen und beide nur noch im Hemd unterwegs sind. Die Pullis haben sie sich nun mehr oder weniger lässig um die Hüfte gebunden und sehen aus wie Wanderer. Ich brauche frische Luft. Wieder draussen, komme ich mit dem Veranstalter ins Gespräch. Der freut sich über einen ausverkauften Club, für die grosse Konzerthalle oben im Komplex hätte es aber noch nicht ganz gereicht – ist ja aber auch Ufos erste Solotour. Ufos Tourmanager muss ausserdem erst entscheiden, was mit unserer Kamera passiert, und darum bleiben wir noch eine Weile draussen und warten auf den Fotopass, der uns erlaubt, den Abend für die Nachwelt festzuhalten. Ich erfahre, dass Sonntags im oberen Saal im Komplex die australische Hillsong Church ihren Gottesdienst abhält. Als der Tour-DJ sein Warm-up-Set lauter dreht, beginnt das Gebäude zu vibrieren und neugierige Augen öffnen die Tür im ersten Stock – möglicherweise hatte mancher Besucher dort gerade das Gefühl, Jesus würde zu ihm sprechen und ist jetzt bitter enttäuscht, denn es ist nur ein Ufo, das im Keller landen wird.

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Der Autor ist noch skeptisch, denn der Veranstalter zeigt die ganze Zeit auf ihn telefoniert.

Nach dem Intermezzo am Einlass erhalten wir endlich unseren Pass und begeben uns zurück in den Club, der während des gesamten Warm-ups nur halb gefüllt bleibt. Doch das wird sich im Laufe des Abends noch ändern. Gespielt wird von Migos bis Yung Hurn alles, was im Video Supreme trägt. Die Menge feiert es hart und ich auch. Jetzt ist es an der Zeit, meinen Bucket Hat aufzusetzen, um der Sache zu huldigen.
Ein Teenager bricht neben mir kurz zusammen, seine Freunde stehen aber schon gekonnt hinter ihm und fangen ihn auf. Ist wahrscheinlich das Codein, das grade reinkickt, denke ich mir – LGoony redet ja auch ständig von diesem Purple Stuff. Habe ja auch schon vieles ausprobiert, aber für Drogen tatsächlich in die Apotheke zu rennen, war mir dann doch zu blöd. Die Jungs haben jedenfalls ihren Spass und es wird das nächste Getränk gereicht— derartige Nebenwirkungen scheinen also normal zu sein.

Anschliessend besuche ich den Merchandise-Stand und komme mit dem Verkäufer ins Gespräch, der auf der ganzen Tour dabei ist. Grills gibt es vorerst leider nicht im Angebot, dafür eine Kette mit den Lettern "UFO" aus Gold goldfarbenem Metall, die seiner Meinung nach "erstaunlich gut läuft". Ich sehe ihm an, dass er den Grund dafür selber nicht versteht und nicht ganz von dem Schmuckstück überzeugt ist. Hatte mir vor diesem Satz eigentlich überlegt, ein Exemplar als Souvenir zu erwerben, sehe jetzt aber davon ab und zische wieder los in die Menge. Den Kauf hat er mir schon ein wenig madig gemacht, schade. Der DJ spielt derweil den vierten Track von Yung Hurn.

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Für die Gang.

Teig zubereiten für Ufo361.

Nach einer knappen Stunde Warm-up-Musik vom Band ist es dann soweit und die Show geht los. Den Konzertauftakt liefert gekonnt Tiffany, ein glatzköpfiger – aber geschminkter – Puppenkopf, der von Ufo schon in etlichen YouTube- und Snapchat-Videos besungen wird, um sein neues Album "IB3B" zu teasern. Seine Crew platziert den Kopf auf einer Säule aus Gips auf der Bühne und mit einer Roboterstimme bereitet Tiffany sogleich die Menge auf den Berliner vor. Sätze à la "Seid ihr bereit" werden wirklich nie aussterben und passen von Schlager über Scooter bis Trap in jede Situation. Die Jungs und Mädels vor der Bühne lassen sich prima animieren und auch die etwas grösseren Jungs auf der Bühne, die zu Ufos Entourage gehören, sind alle gut drauf. Nach dem kurzen Intro kommt dann neue Musik vom Band, diesmal aber mit Ufo361 auf der Bühne, der seine eigene Tonspur doppelt Ufo wird flankiert von zwei Crew-Mitgliedern, die manchmal einen Satz einwerfen, um ihn zu decken oder den Sound auszugleichen, wenn Ufo mal aussetzt. Einer von beiden trägt die ganze Zeit einen Baseballschläger spazieren und sieht in seinem Bademantel ein wenig aus wie Xatar. Mit rhythmischen Schlägerbewegungen sorgt er aber für gute Vibes. Vielleicht war er auf eine gefährlichere Gegend vorbereitet.

Ein Mitglied der Crew in Bademantel auf der Suche nach seinem Ball.

Ufo selbst trägt eine Skibrille von Gucci und schafft es tatsächlich bis kurz vor Schluss, in einem dicken Pulli auf der Bühne zu stehen – dafür von meiner Seite am meisten Props und Shoutouts, denn der Laden gleicht einer Sauna, in der der Ofen mit Gras statt Wasser gefüttert wird. Nach den ersten drei Tracks verrät er uns, dass ihm sein Arzt eine Kehlkopfentzündung diagnostiziert habe – da er aber tendenziell einen Fick gebe und es seine erste Tour sei, müsse er das nun halt einfach so durchziehen. Die Teenager rasten aus bei so viel Hingabe, denn vor ihnen steht ein kompromissloser Showmaster, der die Tricks kennt. Perfekt für einen Sonntagabend. Von der Stimmung lasse ich mich fortan mittragen.

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Ufo361 mit Joint, Skibrille und Kette auf einer Symmetrieachse.

 
Zigaretten und Joints gönnt sich Ufo dann während des Auftritts dennoch, er gibt ja schliesslich 100 Prozent. Viele Besucher aus der Menge, die ihrem Idol nacheifern wollen, landen allerdings schnell in den Armen der Security und danach draussen. Verbote für den Pöbel, Narrenfreiheit für den Berliner MC – ein Abgesang aufs Leben. Einzig seinen Gin rührt Ufo nicht an, sondern leert ihn auf der Bühne aus als der Track "Bombay Gin" ertönt. Womöglich nimmt er Antibiotika wegen seiner Kehlkopfentzündung oder er und seine Entourage teilen sich die Fahrerschichten im Tourbus. Vielleicht ist die Geste aber auch vergleichbar mit dem Teilen des Brotes durch Jesus und wir sind alle Zeugen einer priesterlichen Weihe und die Hillsong Church ist uns gerade näher als gedacht. Aber wahrscheinlich ist mir einfach zu warm und mein Kopf funktioniert nicht mehr richtig.

Nachher bloss nicht ausrutschen!

Nach einer guten Stunde neigt sich der Zauber dann dem Ende entgegen und die ersten Kids rennen auf den Bus ohne die Zugabe abzuwarten. Selber schuld, denn was ausser seinem aktuellen Hit "Für die Gang" könnte das wohl sein? Nichts. Von den Vocals höre ich nichts mehr, der ganze Club besteht nur noch aus einer einzigen Basswolke und wir gehen darin unter. Der DJ dreht nach Ufos Part den Sound ab, doch der erkennt den Ernst der Lage und befiehlt vor einer johlenden Menge einen Repeat. Diesmal mit dem Part von Gzuz. Jetzt gibt es kein Halten mehr und alle Verbliebenen rasten aus und springen in Ekstase.

Nach der zweiten Wiederholung geht das Bühnenlicht aus, Ufo verschwindet Backstage und wir auf die Treppe nach oben. Draussen kommen alle wieder zu frischer Luft, die manchen wohl direkt zu Kopf steigt. Ein kleiner Kämpfer mit entblösstem Oberkörper fühlt sich um ein Shirt betrogen, das Ufo erst signiert und dann von der Bühne geworfen hat – schlussendlich ist es aber in den Händen seines Kumpels gelandet. Testosteron mischt sich mit Gangsterattitüde, ein wenig Purple Stuff zum Entspannen wäre jetzt nicht schlecht und ich denke an mein Teenagerdasein zurück. Damals war ich erst sauer, wenn mir jemand ein Mädchen weggeschnappt hat – vor allem vor der Nase oder meinen Fingern – heute reicht offenbar ein Shirt. Aber vielleicht rede ich mir das auch schön.

Auch Gangster warten auf den Bus.

Als wir uns verabschieden, ist gerade der Tatort aus und eine bessere
Unterhaltungssendung hätte es für mich nicht geben können. Wo andere passiv vor dem Fernseher sitzen, bin ich für zwei Stunden Teil des Trapfilms geworden und war vor Ort in einem Mitmach-Theater. Zuhause begutachte ich nochmals die "UFO"-Kette im Onlineshop, aber jetzt müsste ich noch den Versand bezahlen. Dann gehe ich eben wieder mal zu Ufo – vielleicht gibt es dann ja auch Grills.

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Alle Fotos von Jojo Schulmeister. Noisey Schweiz auf Facebook