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Berlin ist definitiv nicht Elektro

Die DJs Strip Steve und Djedjotronic wollen nicht nur auf Play drücken. Aber was sollen sie sonst machen?

Foto: Grey Hutton

Schwaben, Praktikanten, französische DJs. So in etwa sieht das Triumvirat der aktuellen Besatzungstruppen in Berlin aus. Auch die bei Boys Noize gesignten DJs Strip Steve und Djedjotronic gehören dazu. Ein Glück für sie, dass sie zu der einzigen der drei Spezies gehören, die in der Stadt noch willkommen ist. Drei Mal dürft ihr raten, welche gemeint ist. Beide kommen aus dem beschaulichen Bordeaux und leben jetzt in Berlin. Wir haben uns mit Theo Pozoga aka Strip Steve und Jeremy Cottereau aka Djedjotronic getroffen und mit ihnen über den Ruf Berlins, die elektronische Szene und die gute alte Playbutton-Problematik im DJ-Geschäft gesprochen.

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Noisey: Ihr seid beide ungefähr gleichzeitig nach Berlin gezogen.
Djedjotronic: Ich bin vor einem Jahr hergezogen und habe seine Wohnung übernommen. Und er lebt schon seit vier Jahren hier, oder?
Strip Steve: Ja. Wir kommen beide aus der gleichen Stadt, aus Bordeaux, und sind auch beim gleichen Label. Aber wir haben uns vorher noch nicht gekannt.

Eine Invasion französischer DJs in Berlin …
Djedjotronic: Ja, so klingt es. Ehrlich gesagt, habe ich schon lange darüber nachgedacht, hierher zu ziehen. Aber am Anfang dachte ich mir, es ist ein bisschen zu klischeehaft, dass ein französischer DJ nach Berlin zieht. Aber im Endeffekt ist es schon gut. Es ist eine schöne Stadt und es war eine gute Wahl.

Hattest du auch Angst, dass es zu klischeehaft für dich ist, nach Berlin zu ziehen?
Strip Steve: Nein, Ich weiß gar nicht, was du hast.
Djedjotronic: Es ist so. Ich habe darüber nachgedacht und ich habe mir selber gesagt, dass es vielleicht ein bisschen zu einfach ist. „Geh lieber in eine andere Stadt und suche etwas anderes“, hab ich mir gesagt.
Strip Steve: Das ist witzig, denn als ich hierher gezogen bin, fanden es alle komisch. Keiner hat es wirklich verstanden und niemand war der Meinung, dass es zu einfach ist. Ich hab das mit dem Klischee noch nie gehört. Aber es werden jetzt wirklich immer mehr. In den letzten vier Jahren sind wirklich viele hierher gezogen.

War die elektronische Szene ein Grund für euch, nach Berlin zu ziehen?
Djedjotronic: Nicht wirklich. Ich hätte auch in jede andere Stadt ziehen können.
Strip Steve: Vielleicht ist die Szene in Paris sogar ein bisschen größer, aber ich mag Paris nicht. Ich finde allerdings, Berlin ist definitiv nicht die Stadt für Elektro. Ich denke nicht, dass irgendeiner von uns wegen der Elektroszene nach Berlin gezogen ist. Die ist hier nämlich ziemlich klein, wenn man das mit Techno oder House vergleicht. Das kann also nicht der Grund sein.

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Was seht ihr denn für Unterschiede zwischen Paris und Berlin?
Strip Steve: In Paris gibt es ja gerade diesen Berlin-Trend. Es werden Partys veranstaltet, auf denen Berliner DJs auflegen, zum Beispiel die Residents vom Berghain. Und es funktioniert ziemlich gut. Aber hier in Berlin gibt es viel mehr diesen Techno-Spirit. Und generell gibt es in Paris einfach nicht so viele Clubs. Alle Clubs schließen, weil die Stadt so voll ist. Wenn man einen Club im Zentrum hat, sind einfach zehntausend Nachbarn drum herum, die sich über die Musik beschweren.

Das ist ja auch hier nichts ungewöhnliches.
Strip Steve: Ja, aber hier ist es nichts im Vergleich zu Paris. Vielleicht wird es in 20 Jahren so sein, wie in Paris, aber vorher nicht. Vor eineinhalb Jahren hat man gesehen, wie die ganzen Clubs geschlossen wurden, wie die Bar 25, Villa und so weiter. Aber wenn man sich dann das letzte Jahr anschaut, wurden auch wieder fünf neue Clubs eröffnet. Und jetzt scheint es so, als ob es normal ist, aber es gibt einen konstanten Fluss an neuen Dingen. Das passiert in anderen Städten nicht. In Paris gibt es irgendwie drei Clubs und man geht dort seit 10 Jahren hin.

Magst du Paris deswegen nicht?
Strip Steve: Ich mag die Stadt überhaupt nicht. Sie ist überfüllt und die Leute sind alles Arschlöcher.
Djedjotronic: Stimmt nicht.
Strip Steve: Hör auf, Paris zu verteidigen.
Djedjotronic: Ich verteidige Paris doch überhaupt nicht, aber du kannst auch zugeben, dass es eine wunderschöne Stadt ist. Tolle Architektur…
Strip Steve: Ich sage nicht, dass die Stadt hässlich ist. Ich sage nur, dass ich mich wirklich nicht wohl fühle in dieser Stadt. Sie ist sehr feindselig. Es wurde ein bisschen besser. Aber ich steige aus dem Flugzeug aus und bin sofort grantig. Es ist einfach so ein komischer Vibe dort. Die Leute sind alle aggressiv. Ich steige aus dem Flugzeug aus, kaufe mir Zigaretten und du hast Glück, wenn der Verkäufer dir die Schachtel nicht ins Gesicht schmeißt. In Berlin hat man seine Freiheiten. Es ist friedlich. Und das brauche ich für meine Musik. Man hat mehr Freiraum, etwas zu kreieren. Außerdem bin ich auch oft inspiriert, wenn ich in einen Club gehe. Wenn ein neuer DJ spielt oder so. Man hat mehr Möglichkeiten, jemanden spielen zu sehen.

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Hat man nicht fast schon zu viele Möglichkeiten?
Djedjotronic: Es gibt überall zu viele DJs, nicht nur in Berlin. Jeder ist einfach ein DJ. Mein kleiner Neffe ist sogar ein DJ und der ist zwölf Jahre alt.
Strip Steve: Nein, also ich finde es cool, die Auswahl zu haben. Wenn man am Wochenende auf das Line-Up schaut, ist es verrückt. Man hat die Möglichkeit Legenden aus Detroit zu sehen. Das kann nichts Schlechtes sein, vor allem wenn man in Bordeaux aufgewachsen ist.

Habt ihr von dem Blogpost von Deadmau5 gehört?
Djedjotronic: Ich habe auf Twitter was von dem Knöpfedrücken gelesen, aber ich bin nicht so drin im Thema.
Strip Steve: Er hat einen Blogpost verfasst, in dem er DJs und Künstler in der elektronischen Musikszene dafür kritisiert, so wenig zu machen und kein Risiko bei Liveshows einzugehen, weil alles vorher schon aufgenommen wurde. Er sagte allerdings, dass er ehrlich ist und dasselbe tut.

Er kritisiert vor allem die Leute, die behaupten, so viel auf ihrer Liveshow zu tun, wo doch eigentlich jeder nur auf Play drückt.
Djedjotronic: Ich habe David Guetta letztes Wochenende das erste Mal live gesehen und ich war sehr überrascht, dass er noch nicht einmal Play drückt. Jemand anderes geht auf die Bühne und drückt für ihn auf den Knopf. Erst dann kommt David Guetta auf die Bühne, ungefähr fünf Minuten später.
Strip Steve: Was? Um einen guten Auftritt zu haben, wenn er kommt, oder was?
Djedjotronic: Ich habe keine Ahnung. Aber so ein Typ kam auf die Bühne–und ich wusste, dass da ein CD-Player stand–er drückte auf Play und fünf Minuten später tauchte David Guetta auf. Aber ich werde ihn dafür nicht verurteilen, ich verurteile die Leute, die 40 Euro zahlen, um David Guetta zu sehen.
Strip Steve: Es gibt wirklich viele Künstler, die richtige Liveshows machen, mit sehr komplizierten Techniken und wirklich riskanten Parts. Meine Meinung ist, dass man beim Bekanntheitsgrad von David Guetta, Deadmau5 oder Daft Punk und Shows vor fünfzigtausend Leuten nicht das Risiko eingehen kann, es zu verkacken. Ehrlich gesagt, wenn ich in ihrer Situation wäre, würde ich nichts riskieren. Ich würde natürlich vorher etwas aufnehmen und dann darüber spielen. Und ich denke, dass sie genau das machen und das ist vollkommen in Ordnung für mich. Ob man dafür 40 Euro zahlen sollte, ist wieder eine andere Sache. Da geht es nicht darum, was er auf der Bühne macht.

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Deadmou5 sagte allerdings auch, dass man das Talent auf der Bühne überhaupt nicht zeigen kann und es nur darum geht, im Studio seine Leistung zu zeigen.
Strip Steve: Das stimmt nicht.
Djedjotronic: Das stimmt wirklich nicht. Ich habe so viele gute elektronische Liveshow in Berlin gesehen. Mir fallen so viele ein. Die letzte Liveshow, die mich wirklich beeindruckt hat, war Midnight Operator. Das ist Matthew Johnson und sein Bruder Nathan. Sie haben richtig live gespielt. Man kann es schon machen. Man kann auf jeden Fall etwas machen. Man ist nicht dazu gezwungen Playback zu spielen. Niemand zwingt dich. Sie wollen nur das Risiko nicht eingehen.

A-Trak fühlte sich ja von dem Blogpost als DJ angegriffen.
Strip Steve: Ich kann mich gar nicht mehr an seine Meinung erinnern. Sein Artikel ging irgendwie in alle Richtungen.
Djedjotronic: Es ist so seltsam. Manchmal, wenn man ein DJ-Set spielt, erwarten die Leute so viel. Aber man spielt nur CDs. Ich hab das mal gemerkt, dass die Leute etwas von mir erwartet haben. Sie wollten, dass etwas passiert. Aber es gab nur mich auf dieser riesigen Bühne und ich habe auf Play gedrückt. Und am Ende ist es doch so: ich bin keine Band. Ich könnte auf den Tisch springen und meine Arme hochreißen, aber das war es dann auch schon.

Er hat auch angesprochen, dass man als DJ auf die Menge reagieren muss und er findet es sehr bedenklich, dass DJs die gleiche Show immer wieder spielen.
Strip Steve: Ja klar, aber ganz ehrlich, ich persönlich kenne niemanden, der das macht. Das verstehe ich nicht. Ich kenne niemanden, der nur ein Set hat und das jeden Abend spielt. Und wenn das jemand so macht, dann ist er bestimmt ziemlich gelangweilt. Und er muss die Leute, die zuschauen, auch ziemlich langweilen. Wer macht das? Das ist verrückt. Ich bereite meine Sets nicht so vor. Ich habe ein paar Lieder, von denen ich weiß, dass ich sie spielen werde. Dann stehe ich im Club und gucke mir an, wie die Leute drauf sind. Und so machst du das auch, oder?
Djedjotronic: Ja, das wäre sonst ziemlich langweilig.
Strip Steve: Ich meine, sogar Alex [Ridha aka Boys Noize], der auf riesigen Festivals spielt, macht das so. Er spielt nicht einmal das gleiche Set. Er kann das gar nicht. Er ist ein DJ, er hätte sonst keinen Spaß, er möchte ja auch herausgefordert werden.
Djedjotronic: Aber das wird bei der Liveshow wahrscheinlich anders sein.

Du hast gerade dein neues Album Micro Mega herausgebracht. Und es beginnt mit „Micro“ und endet mit „Mega“. Kannst du mir sagen, was zwischendrin passiert?
Strip Steve: Dazwischen ist Chaos. Das kann ich dir sagen. Das ist die Hauptsache. Es ist ganz absurd. Das Micro und das Mega ist ein bisschen wie ein Trick. Was dazwischen ist, ist Ordnung und Chaos. Es ist nicht wirklich logisch. In meinem Kopf gibt es schon eine Logik, aber ich denke, das kommt ganz natürlich. Ich weiß nicht, ob das Sinn macht, was ich sage, aber im Prinzip vertraue ich mir selber in dem Sinne, dass das, was auch immer ich tue, auf seine eigene Weise Sinn ergeben wird. Das ist die Idee dahinter.

Wer ist euer Lieblings-DJ aus Berlin?
Strip Steve: Im Moment Marcel Dettmann.
Djedjotronic: Ach komm.
Strip Steve: Ich liebe Marcel Dettmann, tut mir Leid. Wer ist es für dich?
Djedjotronic: Ich habe keinen Lieblings-DJ, aber ich habe Lieblingsproducer. Ich mag Modeselektor und das, was sie mit ihrem Label Monkeytown machen. Mir gefällt fast alles, was sie releasen. Ich verfolge sie seit ich 14 bin, kaufe alle CDs. Ich liebe sie sehr, weil sie ein bisschen Humor in den Techno bringen. Sie nehmen das nicht zu ernst. Es ist nicht wie die ganze andere Musik aus Berlin. Das ist oft zu ernst und geradlinig für mich, so wie die Autobahn. Dann werde ich manchmal gelangweilt.

Findest du Berliner Techno auch zu ernst und zu geradlinig?
Strip Steve: Ich mag diesen geradlinigen Techno. Ich sage nicht, dass ich mit diesen Leute abhängen will. Ich glaube, viele von denen sind nicht so cool, aber musikalisch finde ich es gut. Das gefällt mir.