„Sexistische Kackscheiße mach ich nur auf Tonträgern!“—Mit MC Bomber auf der Venus

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Interview

„Sexistische Kackscheiße mach ich nur auf Tonträgern!“—Mit MC Bomber auf der Venus

Wie empfindet ein Rapper, der sich in seinen Texten explizit mit Sex beschäftigt, eine Erotikmesse? Wir waren mit MC Bomber auf der Venus, um das herauszufinden.

Fotos: Jen Krause

Auf die  „Venus" zu gehen, ist ja schon zu einer Art Tradition bei Vice geworden. Seit nun schon 20 Jahren findet die größte Erotikmesse der Welt statt und jedes Jahr scheint das Interesse daran weiter zu steigen—was sich vielleicht auch darin zeigt, dass dieser Artikel bereits der dritte von Vice ist, der zur diesjährigen Venus veröffentlicht wurde. Die Venus bietet nun mal auch Anstoß zu so vielen verschiedenen Themen. Sie ist wie eine popkulturelle, sozialpolitische Petrischale, auf der eine Unmenge an verschiedenen Bakterien, beziehungsweise Gesprächsthemen sprießen und gedeihen und nur darauf warten, entdeckt zu werden.

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So verschlug uns neben allgemeiner Neugierde auch dieses Jahr der Forscherwille auf den Berliner Dauerbrenner in Sachen Sex-Vermarktung: Wie empfindet ein Rapper, der sich in seinen Texten häufig und explizit mit Sex beschäftigt, eine Messe, wo selbiges passiert—nur eben nicht mit Reimen auf einen Beat, sondern in echt, zum Anfassen, direkt ins Gesicht? Wie viel ist dran am dauergeilen, abgebrühten Image des machomäßigen Pornorappers MC Bomber? Wie denkt er tatsächlich über Themen wie Pornos, weibliche Unterwerfung und sexuelle Befreiung und welche Erfahrungen hat er damit selbst schon gemacht?

„Sexistische Kackscheiße mach ich nur auf Tonträgern" antwortete MC Bomber, als wir ihn baten, dieses Experiment mit uns zu wagen. Also zogen wir uns Tropenhelm, Schutzbrille und Handschuhe über, um ganz forschermäßig zu überprüfen, was da dran ist.

Noisey: Warst du schon mal hier?

MC Bomber: Nein. Ich muss auch sagen, es ist mir fast unangenehm. Das ist wie damals beim Sexualkundeunterricht.

Ein Mann in seinen 40ern und einer Kamera in der Hand schmeißt sich einige Meter von uns entfernt auf den Boden, um die berühmte Tarantino-Kofferraum-Perspektive für seinen Schnappschuss zweier leicht bekleideter Damen einzunehmen. Ich bezweifele jedoch, dass er dabei an Tarantino denkt, sondern eher, wie er die Schlüpfer der Damen am effektivsten auf seinen Film bannt.

Halt dich fern von diesen Typen. Auch auf der Venus gilt: eine Armlänge Abstand und Nein heißt Nein!

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Woher die plötzliche Scheu? Du bist doch aktuell Rapdeutschlands liebster Pornorapper!
Richtig, aber da mach ich das ja auch selber und auf einem ganz natürlichem Wege. Das hier ist ja total unnatürlich. Eigentlich solltest du dir so Lumpensäcke überwerfen müssen, dass man keine falschen Schlüsse ziehen kann.

Findest du etwa, ich sehe aus, als ob ich hier her gehören würde?
Natürlich nicht. Ich möchte dich nur beschützen. Also ich finde, wir sollten hier systematisch vorgehen. Wir haben ja einen Bildungsauftrag hier, im Namen der Wissenschaft. Wir sind ja keine Voyeure.

Wollen wir dann langsam bei den Dildos anfangen oder gleich bei den Pornoshows einsteigen?
Dass du mich das noch einmal fragen würdest! [lacht] Dann lass uns doch bei den Dildos anfangen.

Wir folgen einem Trio aneinandergeketteter Bondage-Damen in den Sextoy-Bereich und entdecken dort auch gleich eine kleine Kuriosität. 

Hallo! Was ist denn das da? Oder Bomber, weißt du, was das ist?
Nö.

Fröhlich antwortet die Verkäuferin in einem holländischen Akzent: „Das ist ein Klitoris-Stimulator! Kannst du auf zwei verschiedene Stufen stellen. Magst du fühlen?"

Bombi, magst du mal fühlen?
[Wir fühlen] Ui, das ist aber eine hohe Frequenz!

Die Verkäuferin versucht uns das Ding mit den Worten „Wie ein Kopfhörer für die Klitoris" zu erklären was aber mehr auf die Form, als die Funktionsweise bezogen zu sein scheint. Ein weiteres Sextoy, das wie ein ausgehöhlter Dildo aussieht erweckt unser Interesse. Was wir für eine Art futuristische Taschenmuschi halten, entpuppt sich als multifunktionales Spielzeug für sie und ihn. Bomber und die holländische Verkäuferin unterhalten sich angeregt über den G- und P-Spot (was das maskuline Äquivalent zum G-Punkt ist). Bomber lobt die Firmenphilosophie, genderfreies Sexspielzeug herzustellen. Kaufen möchten wir beide trotz des 50 Euro-Rabatts aber nicht und schlendern weiter.

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Das war gerade tatsächlich wie im Sexualkundeunterricht damals. Ich glaube sie meint mit P-Spot einfach die Prostata oder?
Ich glaube, sie meint die Sacknaht.

Hast du schon schon mal Sextoys gekauft?
Nö. Ich find 99 Euro auch ganz schön teuer. Da kann man sich halt auch einfach Mühe geben.

Wir gelangen an eine Reihe bunter Wühltische, die Bomber als „Asia Markt der Venus" betitelt. Hier gibt es harmlose Onkel-Späßchen wie penisförmige Eiswürfel, aber auch ausgefallenere Gadgets wie perlenbesetzte Penis-Accessoires (jedenfalls wissen wir nicht, was es sonst sein soll), Penispumpen oder „Ball Spreader" (Bomber vermutet, dass das benutzt wird, um den Orgasmus hinauszuzögern). Besonders angetan hat es ihm aber der 100er-Pack Kondome. 

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Boah, das ist auf jeden Fall 'ne Vorteilspackung! 25 Euro, für die Menge ist das echt OK. Könnte man 'nen kleinen Hamsterkauf vornehmen.

War es dir als du jünger warst auch immer peinlich, Kondome zu kaufen?
Nee. Es ist mir peinlicher, kein Kondom zu benutzen, als welche zu kaufen. Dann outet man sich nämlich als richtiger Dummkopf.

Es gibt ja auch Typen, die sich weigern Kondome zu benutzen, weil sie das Gefühl nicht mögen.
Ja, klar ist es ohne besser. Aber Typen, die sich weigern Kondome zu benutzen, sind auf jeden Fall Pfeifen. Ein Kondom ist doch jetzt kein Sex- oder Lustkiller.

Mir war das immer voll peinlich.
Ja, aber das liegt eigentlich nur daran, dass wir in einer sexistischen Gesellschaft leben, in der Frauen als schlampig gelten, wenn sie Sex haben und Männer nicht. Deswegen ist es mir oder Männern vielleicht allgemein nicht peinlich, Kondome zu kaufen und dir schon.

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Ja immer dieses Slutshaming. Wenn man sich Texte wie „Die meisten Frauen, die ich kenne sind nicht verklemmt in unserem schönen Land" anhört, ist Slutshaming auf jeden Fall nichts, was man deinen Texten vorwerfen könnte. 
Ja, im Gegenteil! Ich unterstütze alle Frauen, die sich offen und natürlich ihrer Sexualität hingeben. Es ist eher ein Lob der „Slut".

Kann das aber nicht schnell in Objektivierung umschwenken? Dass die Frau eben nur für ihre Slut-Qualitäten gelobt wird? 
Nein, also bei mir nicht, weil ich objektiviere mich selbst ja auch in meinen Texten und reduziere mich auf mein Geschlechtsteil. Ich bezeichne mich selbst als fickendes Schwein. Das ist Fairplay.

Andererseits sagst du auch „Die Frau muss unterdrückt werden, damit sie weiß, was Freiheit ist". Ich verstehe, dass du damit den Sexismus humorvoll auf die Spitze treibst. Aber viele raffen ja subtilen Humor nicht. Über die Zeile könnte auch ein tatsächlicher Sexist lachen und sich bestätigt fühlen. 
Ja, stimmt. Aber ich als Künstler habe mich nicht dafür zu rechtfertigen, dass gewisse Leute meine Kunst nicht verstehen oder falsch interpretieren. Ich sage andererseits nämlich auch—und das ohne Ironie: „Ich liebe Tanten und ich liebe es, sie zu bangen, das ist kein Sexismus sondern real, ihr Verklemmten." Ich rede über natürliche, schöne, einvernehmliche Fickerei und selbst wenn ich humorvoll sexistische Dinge wie das Zitat, das du gesagt hast sage, ist das nun mal Kunst. MC Bomber hat keine soziale Verantwortung, Max schon.

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Und eine sexuelle auch. Du praktizierst also immer safe Sex?
Nein, eben nicht. Deswegen sag ich das ja mit dem Dummkopf.

Hast du keine Angst vor Aids?
Nee, davor hab ich gar keine Angst. Es gibt 30.000 Menschen, die aktuell Aids haben in Deutschland. Von 80 Millionen. [Anmerkung: Da liegt Bomber nicht ganz richtig. Laut Robert Koch Institut waren 2015 83.400 Menschen an HIV und Aids erkrankt.] Außerdem haben die Art Frauen, mit denen ich Sex habe kein Aids, das sind ja Premiumtorten und ja, ich bin mir der Schwachsinnigkeit dieser Aussage bewusst. Vielleicht habe ich ja Syphilis und rede deswegen so viel Schwachsinn.

Was ist eine Premiumtorte?
Einfach eine tolle Uschi. Eine Frau, die einen Kopf hat, aber auch schön ist, die gut reden kann, die Humor hat. Mit der man über ein Gleisbett laufen kann, ohne dass sie sich ihr Schienbein staucht und die sich nicht wundert, wenn der Onkel auch mal betrunken nachhause kommt [lacht].

Du hast gesagt, Kondome seien kein Lustkiller. Was ist denn beispielsweise ein Lustkiller?
Furzen. Meinst du einen … wie soll ich das ausdrücken. Einen richtigen Pups oder einen Sexpups, wenn so Luft … du weißt schon.
Ein Muschifurz [Lacht]? Nein das ist kein Lustkiller. Alle Mädels machen sich da immer den mega Kopf, aber da kann ich echt jeden beruhigen, das ist überhaupt nicht schlimm—in meiner Wahrnehmung zumindest. Da lacht man kurz und egal. Nein, ich meine richtige Furze. Und zwar beidseitig, bei der Frau als auch beim Mann. Das ist ganz unangenehm, wenn man dabei furzen muss und das dann wieder in den Magen zurückpressen muss.

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Glücklicherweise werden wir von einer Gleitgelverkäuferin unterbrochen, die uns zu einem Gleitgeltest einlädt. Bomber probiert und leckt sich interessiert durch die verschiedenen Gels durch, während ich Kleenex suche. >

Wir finden Kleenex und außerdem auch zum ersten Mal ein Gadget, das sowohl Bomber, als auch ich schon mal ausprobiert haben … 

Oh mein Gott, das ist das ultimative Sextoy: die Kraule!

Oh ja, möchtest du, dass ich das mache? Es ist immer besser, wenn es jemand anderes macht.

Ja, OK. 
Aber ab dem dritten Mal ist es langweilig. Ich hab das auch zu Hause. Oh, da drüben gibt es Schamhaartoupets. Das ist ekelhaft, Alter. Ich finde, wir sollten jetzt einen Cocktail trinken. Nach den Toupets brauch ich das. Da vorne ist das Verpflegungszelt für die fleißigen Onanierer, damit die wieder zu Kräften kommen.

Wir kommen an eine kleine Tiki Bar und ich bestelle zwei Sex on the Beach und zwinkere dem Barkeeper zu. Der reagiert unbeeindruckt (vielleicht bin ich nicht die erste, die heute diesen Witz bringt). Immerhin Bomber lacht, aber vielleicht freut der sich auch einfach nur so auf den Drink, dass er über alles lacht. 

Die erste Halle haben wir jetzt durch. Wie findest du es bis jetzt?
Natürlich ist es lustig, aber ich sehe das schon auch kritisch. Wenn man so die Pornos zu Hause guckt, dann hat man ja so ein voll unpersönliches Verhältnis zu dem Geschehen. Wenn man sich dann aber hier so die Gesichter der Pornokonsumenten ansieht, dann hinterfragt man irgendwie seinen eigenen Pornokonsum.

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Guckst du Pornos?
Aber ja, selbstverständlich. Zurzeit nicht, tatsächlich, weil ich kein Internet zu Hause habe. Aber dadurch fick ich auch mehr.

Weil du kein Internet hast?
Ist wirklich so! Aber ich bin trotzdem stinksauer, dass der Router immer noch nicht da ist!

Du hast mal in einem Interview gesagt: „Im Vergleich zur Bild Zeitung oder der Pornoindustrie bin ich ein Karnevalssexist." 
Ja, ist auch so. Was ich mache, ist ja wohl harmlos, Fantasie. Ich verkaufe keine Frauen, fotografiere keine nackten Frauen, die das nicht wollen. Sex ist so wichtig und schön und gesund. Es ist das beste, was der Mensch machen kann, außer lecker essen und nett sein. Und selbst wenn ich mal übers Ziel hinausschieße in meinen Texten und es räudig wird, ist das doch auf einer humorvollen Ebene. Wer das nicht versteht, ist ein blöder Spießer. Ich bin ja kein Ausbeuter der Sexindustrie. Das ist so, wie wenn man einen Sportjournalisten zum Fußballer erklären würde. Nur weil ich über Sex rede und wie ich gerne Sex habe oder haben würde, bin ich kein Sexist. Ich bin Feminist. Und nach unserem Ausflug hierher heute werde ich vielleicht sogar ein brennender Feminist sein und nie mehr böse Wörter sagen!

Was bedeutet denn für dich, Feminist zu sein?
Dass ich der Frau die gleichen Freiheiten einräume, die ich mir als Mann einräume. Und der Fakt, dass mir der offene Sexismus und die Objektivierung der Frau hier auf dieser Messe so sauer aufstößt, zeigt doch perfekt den Unterschied: Das eine ist Kunst, Fiktion und das andere hier ist die Realität und die lehne ich ab.

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Deinem Labelpapa Frauenarzt wurde ja auch immer vorgeworfen, Sexist zu sein. Er meinte dazu zu mir, er wurde einerseits wegen sexistischer Texte indiziert, andererseits besteht seine Crew fast nur aus Frauen und er lebt Feminismus mehr als die meisten im tatsächlichen Leben.
Total. Ich halte auch grundsätzlich nichts von Indizierung. Das verbessert die gesellschaftlichen Umstände nicht. Man kann keine Texte zensieren und erwarten, dass dadurch die Gesellschaft weniger sexistisch wird. Es ist genau andersrum. Eine Gesellschaft, die kein Sexismusproblem hat, kann jeden Text der Welt verkraften. Wären Männlein und Weiblein tatsächlich gleichgestellt, würde ein sexistischer Raptext einfach als dummes Gerede abgetan werden, ohne dass sich jemand angegriffen fühlt. Die Tatsache, dass sich Leute angegriffen fühlen zeigt, dass das eben ein realistisches Problem darstellt. Rap hält der Gesellschaft nur einen Spiegel vor. Und was sie da sieht, passt ihr dann häufig nicht.

Wir werden von zwei Männern mit Glatze und Thor Steinar-Jacken mit gefühlt 20 Einkaufstüten abgelenkt. 

Da siehst du's: Nazis können keinen guten Sex haben.

Was die wohl kaufen … Vermutlich das Schamhaartoupet mit der Deutschlandflagge.

Eine Gruppe in Leder gekleideter, älterer Menschen kreuzt unseren Weg wie eine friedliche kleine Entenfamilie, die die Straße überquert. 

Oh, schau mal, Ledermenschen!
Die sehen cool aus! Wie so Oldschool-Swinger, die sich auf dem Laufenden halten, was die aktuelle Sexszene so hergibt.

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Warst du schon mal in einem Swinger Club?
Noch nie. Wär auch nicht mein Ding. Ich hab keine Lust, dass jemand, den ich liebe von jemand anderem gebumst wird.

Woher kommt denn dann diese ewige Gruppensex-Thematik in Raptexten? Ich denk mir da jedes Mal: Gut, du fickst mit drei Homies eine Frau—das ist doch nicht geil! Was soll daran playermäßig sein?
Ja nee, mir wären drei Frauen auch lieber als drei Homies. Ist wie ein Hunnenangriff. Vier Hyänen, die eine Gazelle reißen.

Wir schlendern weiter in die nächste Halle. Ich breche in kreischende Jubelschreie aus, als ich die Silikon-Sexpuppen entdecke. 

Oh, die wollte ich schon immer mal sehen! Ich hab da mal 'ne Doku drüber geschaut. Meinst du, wir dürfen uns dazu setzen?
Ich will mich nicht dazu setzen!

Ähnlich wie Katzen, die in YouTube-Videos misstrauisch ihr Spiegelbild umkreisen und anfauchen, beäugt Bomber die Sexpuppen. Vorsichtig streichele und drücke ich die Brust einer der Puppen. Bomber hält sich im Hintergrund und fragt aus dem Off: „Wie fühlt es sich an?" Stellt sich ganz schön an, der Junge. Mir fällt es schwer, das Gefühl zu umschreiben. Schon echt, aber so weich ist kein Mensch. Es fühlt sich an, wie sich vielleicht ein Mensch anfühlen muss, der sehr straffes Bindegewebe, gleichzeitig aber keinerlei Muskeln hat. Offensichtlich ist das wohl die ideale Frau. Bomber pirscht sich nun doch an und drückt an der Puppe rum, woraufhin er direkt Anschiss vom Standbesitzer bekommt („Heeeeeeey! Anfassen dürfen se, bewegen tu aber nur ich!")

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Schau mal, man kann auch in den Mund fassen. Das geht richtig rein!
Aber nicht ins Ohr, oder?

Der Standbesitzer erkundigt sich angeekelt, ob „wir" denn sonst auch auf Ohrensex stehen. Auf der Venus ge-sexshamed werden—das muss man auch erstmal hinkriegen. Ich frage den Standbesitzer, ob wir ein Foto mit den Puppen machen dürfen, worauf Bomber nochmal lauter „Ich will nicht!" ruft, doch zu spät. Ich sitze bereits auf der Lehne, alle starren uns an, Fotografin Jenny stellt die Linse ein. Er muss sich widerwillig beugen. So ist das nun mal. 

Für 2000 Euro kann man also so eine japanische Halb-Kind-halb-Manga-Puppe erstehen. „Das ist weniger, als ich für meine letzte Freundin mit Essen gehen und so ausgegeben habe", merkt Bomber an. Der Standbesitzer freut sich über diese Bemerkung und erwidert: „Ja, die braucht keinen Blumenstrauß und lächelt trotzdem zufrieden." Im Gegensatz zu Bomber scheint er seine Aussage ernst zu meinen. 

Ich bin fasziniert, wenn auch irritiert, da die Puppen (vor allem die männliche) auf mich eher den Eindruck machen, als würden sie die Bedürfnisse von tendenziell eher pädophil veranlagten Menschen befriedigen, anstatt von jenen, die einfach Probleme haben, „einen echten Menschen" kennenzulernen. Der Standbesitzer antwortet auf meine Bemerkung: „Von so etwas wollen wir uns strikt distanzieren. Aber nun ja, es ist durchaus sehr special, was wir hier machen. Das ist schon eine Innovation auf dem Sexmarkt."

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Lass mal weitergehen. Ich will zu dem Virtual Reality Stand!
Ja, mir wird das auch zu creepy hier. Das drückt irgendwie die Stimmung.

Allerhand Gewusel und Fotografiererei am Virtual Reality Stand. Die Standdamen verteilen Brillen an die geiernde Menge oder lassen selbige Fotos von ihren Brüsten machen. Bomber setzt die Brille auf, kriegt's aber irgendwie nicht hin. Die Dame schlägt vor, er solle sich weniger „hektisch" bewegen. Endlich bin ich dran. Ich setze die Brille auf und plötzlich begatte ich eine Dame von hinten. Ich finde es super, Bomber findet's „nicht so dolle" Der ältere Herr, der mich beim Ausprobieren anstarrt, scheint es ebenfalls großartig zu finden.

Also, das macht für mich keinen Unterschied zum normalen Wichsen. Die erste Stufe von Masturbation ist ja, dass man ohne Bilder und Hilfsmittel einfach die Augen schließt und seine Fantasie benutzt. Find ich die schönste Form. Die zweite ist, dass man unbewegte Bilder benutzt. Die dritte Stufe ist dann bewegte Pornografie auf 2D, die aber vielleicht noch mehr sexuell verblödet, als sich auf Fantasie einen zu keulen. Und die Endstufe davon ist dann diese Brille. Das ist für den unkreativsten, unfantasievollsten Wanker überhaupt.

Meinst du, die Leute verrohen durch sowas noch mehr?
Nee, glaub ich nicht. Ich glaube, der dicke Junge, der Counterstrike spielt, ist genauso verwundert, wenn er mal 'ne echte Knarre vorm Gesicht hat, so wie der Typ, der hier eine nicht vorhandene Frau fickt sich wundert oder freut, wenn er echten Sex hat. Aber lass uns uns nicht in der Soziologie verlieren, sondern weitergucken. Es ist komisch. Ich finde den „härteren" Teil, also den Liveshow-Teil, viel langweiliger als den harmlosen vorher.

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Ja, vielleicht, weil du verroht bist.
Nee! Es ist diese Verkuhmarktung von Fickerei. Ich muss zugeben, dass ich heute noch kein einziges Mal erregt war. Außer natürlich angenehm, als ich euch gesehen habe. Von Herzen her. Nein, aber so muss sich Jesus gefühlt haben, als er in den Tempel reingekommen ist und gesehen hat, dass da Tauben rumfliegen und Handel getrieben wird. Du bist also der Jesus von der Venus.
Sozusagen. Oh Mann, die Alte kenn ich tatsächlich! Zu der hab ich mir schon ein paar Mal einen gekeult. Ich glaube jetzt muss ich doch mal ein Foto machen.

Bomber steuert auf eine Pornodarstellerin zu und macht ein Foto mit ihr. Ich stehe etwas abseits und kann aufgrund der ohrenbetäubenden Technomusik nur von seinen Lippen ablesen, dass er sowas sagt wie „You make very good porn!"

Fandest du das komisch, jemandem, den du nur von Pornos kennst, so in echt zu begegnen?
Das fand ich nicht komisch. Ich war nur interessiert, sie mal vom Nahen zu sehen. Ich habe ja tatsächlich eine persönliche Beziehung zu der Person irgendwie.  Auch wenn die nur einseitig ist. Vielleicht bin ich doch schon verroht inzwischen.

Wir kommen an einen Fetisch-Stand mit allerhand SM-Kram. Ich begutachte eine paar Choker. Ähnlich wie schon bei den Puppen ist Bomber wieder misstrauisch, man könnte schon beinahe sagen, hat gewisse Berührungsängste. Er  flieht an den Nachbarstand, wo es milchig aussehende Schnäpse in penisförmigen Fläschchen gibt, während ich eine von den Würgeketten anprobiere. 

Wie findest du diese Choker? Sind ja jetzt in Mode.
Ich finde das ist ein ekelhaftes Unterwerfungssymbol! Außerdem glaube ich, das kann gefährlich werden in der Disco. Ist vielleicht was fürs nächste Ritterfestival. Auch diese ganze Schmerz-Nummer mit Peitschen und so ist nicht mein Ding. Ich hab auch schon mal zu 'ner Ollen gesagt, wenn sie mich noch einmal so doll in den Rücken kratzt, kriegt sie 'ne Schelle—also natürlich nicht wirklich ne Schelle, aber ich werd da echt sauer.

Nachdem wir hier nun offiziell auf einer Erotikmesse waren, Leute sich gegenseitig Nacktselfies schicken und überall über Sex gesprochen werden kann: Hast du das Gefühl, wir sind heute eine sexbefreite Gesellschaft?
Nee, weil es ist ja vorgegeben, wie Sex zu sein hat. Schau dich doch mal um! Was ist das für eine Frage? Schau dich doch einfach mal um! Für mich ist das die Quintessenz, die ich aus dem Erlebten hier ziehe: Sex ist so individuell, dass es absolut schwachsinnig ist, sich zu vergleichen und einreden zu lassen, „was geil ist"—weder von einem MC Bomber, noch von der Pornoindustrie. Ich wüsste aber auch nicht, wie ich das ändern könnte. Auf den Trümmern das Paradies!

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P-Berg Battletape 4 von MC Bomber ist ab sofort erhältlich. Du kannst es hier oder hier kaufen oder hier streamen.

Noisey präsentiert MC Bomber & Shacke One auf Predigt 2016 Tour.

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