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Rap oder eher Rape: Ist Kanye Wests "Famous" Video vergleichbar mit Vergewaltigung?

Lena Dunham vergleicht in einem öffentlichen Brief Kanye Wests „Famous“ Video mit Vergewaltigung. Sie mag da einen Punkt haben—jedoch in einem völlig anderen Zusammenhang.

Wenn man ein Video veröffentlicht, in dem man eine Reihe der bekanntesten und skandalösesten Promis gemeinsam nackt in einem Bett zeigt, dann wird man sich vermutlich auf den Fall eingestellt haben, dass sich Leute darüber aufregen werden. Viel mehr noch: Wir unterstellen Kanye West rigoros, mit seinem Video zu "Famous" Streit gesucht zu haben. Und den hat er jetzt auch. Unter anderem mit Lena Dunham.

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Lena Dunham, die neben ihren diversen Talenten als Schauspielerin, Regisseurin und Autorin außerdem für ihr Engagement für Body Positivity und Feminismus gefeiert wird, hat gestern einen langen Post auf Facebook veröffentlicht, in dem sie Kanye Wests Wunsch nach Streit nun entgegenkam. Wer Sturm sät, wird Lena Dunham ernten, sozusagen. In ihrem ausführlichen Brief erklärt sie, warum sie die visuelle Umsetzung von "Famous" für eine "mehr als beunruhigungende künstlerische Anstrengung der jüngsten Geschichte" hält.

So erklärt Lena, unter der Anmerkung, sehr wohl zu verstehen, dass "es der Auftrag von Kunst ist, Gedanken in uns zu erwecken, die nicht immer nett und angenehm sind", dass es sich jedoch in Kanyes Fall "anders anfühle". Dies begründet sie wie folgt:

"In Zeiten, in denen Brock Turner, nachdem er eine bewusstlose Frau vergewaltigt und ihre nackten Brüste für ein Gruppenchat fotografiert hat, mit einem leichten Klaps auf die Finger davon kommt … in denen Übergriffe live via Periscope im Netz verbreitet werden und Mädchen Selbstmord begehen, nachdem sie so bloßgestellt wurden, wie sie es sich niemals hätten vorstellen können … Während Bill Cosbys Verbechen immer noch unaufgedeckt bleiben und als Traumata für die von ihm angegriffenen Frauen, aber auch für unser Nationalbewusstsein verstanden werden … Da muss ich mir jetzt die hingestreckten, bewusstlosen, wächsernen Körper berühmter Frauen ansehen, verkrümmt als stünden sie unter Drogen und lägen am Rande eines Saufgelages herum? Das verleiht mir ein Gefühl von Unbehagen, bei dem mir schlecht wird."

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Lena Dunham hat in mehreren Punkten Recht: Ja, Kanyes Video zeigt Frauen schutzlos, entblößt, angreifbar und das auf sehr voryeuristische Art und Weise. Von der Kameraführung bis zur Night-Vision-Optik wird dem Zuschauer das Gefühl suggeriert, live dabei zu sein, als ob er mit unter den Laken stecken würde, den Weltstars so nah, dass er sie schon atmen hören kann. Der Zuschauer wird zum creepy Stalker, der in die Privatsphäre der schutzlosen Personen eindringt und sich an ihnen bedient.

Das mag problematische Gefühle in vielen Menschen hervorrufen, so wie es Lena Dunham auch erging und das wollte Kanye bestimmt auch. Der Denkfehler—oder zumindest der Perspektivenfehler—ist jedoch, dass es hier nicht um den weiblichen Körper als solchen geht, sondern den des Stars. Die Berühmtheit als öffentliches Eigentum, im ständigen Status der Bloßgestelltheit—das ist das größere Thema dieses Videos.

Es ist unangenehm, Taylor Swift so zu sehen, weil wir so viel über sie wissen. Über ihre Person, über ihre vergangenen Beziehungen und über ihr Verhältnis zu Kanye West. Es ist unangenhem, Rihanna neben Chris Brown schlummern zu sehen, weil wir alles über deren Vergangenheit wissen. Es ist unangenehm Kim Kardashian neben Ray Jay im Bett liegen zu sehen, weil uns dieses Bild nur allzu bekannt vorkommt. Würde man die Einstellung am Schluss, in der alle Personen nebeneinander gereiht schlafen einem Menschen zeigen, der keine Ahnung hat, wer die Personen sind, wäre die Reaktion vermutlich eine andere. Ebenso wie beim Betrachten des Bildes "Sleep", welches als Vorlage für das Video diente. Dennoch sind die Leute geschockt—ja angeekelt—von Kanyes Video. Der Grund dafür ist nicht, weil hier nackte Menschen, vor allem Frauen dargestellt werden, sondern weil wir zu viel über diese Menschen wissen.

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Vincent Desiderio's "Sleep" x Kanye West's "Famous"

A photo posted by badgalriri rihanna (@rihannanews) on Jun 25, 2016 at 8:03am PDT

Es scheint paradox: Obwohl die Menschen in "Famous" im unbedrohlichsten Zustand überhaupt gezeigt werden (friedlich schlafend), herrscht eine unglaublich bedrohliche Stimmung. Denn einen Menschen nackt neben sich schlafen, atmen oder sogar träumen zu sehen, ist wohl eine der intimsten Situationen, die zwischen zwei Menschen enstehen kann. Eine Nähe, die viele vielleicht zu ihren Idolen und berühmten Vorbildern suchen. Man will ALLES über sie wissen. Ist die Situation plötzlich gegeben, ist das Gefühl jedoch alles andere als befriedigend. Man fühlt sich fehl Platz. Was da passiert, fühlt sich falsch an.

Durch die physische Enthüllung des Stars bewirkt Kanye eine psychische Enthüllung unser Selbst vor uns selbst. Dieses Gefühl ist nicht schön, das hat Lena Dunham gut erkannt—nur eben nicht ganz, aus welchen Gründen.

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