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Die Abgründe meines CD-Koffers

Seit Jahren steht auf meinem Kasten ein Koffer mit CDs, die ich in den Jahren 2000-2006 gekauft habe. Es war Zeit, meine Angst vor diesem Koffer zu überwinden.

Vor geraumer Zeit hat meine Kollegin Isabella mal die Abgründe ihrer iTunes-Mediathek erforscht. Vor einigen Tagen ist mir der Artikel wieder in die Hände gefallen. Also digital, versteht sich. Und dann erinnerte ich mich an ein großes, sperriges Etwas, das seit knapp sieben Jahren relativ unberührt auf meinem Kasten steht. Ein Koffer, in dem sich meine mittelgroße Sammlung CDs aus den Jahren 2000-2006 befindet. Also bin ich nach Hause gegangen und habe den staubigen Koffer geöffnet.

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In dem Koffer fanden sich dann tatsächlich etwa 200 CDs und ein Teil meiner mittleren Vergangenheit. Viel Gutes, viel Fruchtbares und einiges wirklich Unerklärliches. Sehr viel Indie, was zwei Gründe hat: Erstens habe ich in meinen Teenager-Jahren wirklich noch viel mehr Indie gehört als heute. Und zweitens hatte ich damals schon ein seltsam ungebundenes Verhältnis zum Trägermedium: Ich besitze noch recht viel Vinyl aus den späten 90ern—…But Alive, Tocotronic, Eins, Zwo etc—und den eher früheren Nullerjahren: Köln, Kompakt, Speicher, ihr wisst eh. Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ich damals die Entscheidung getroffen habe, welches Album ich auf Vinyl und welches ich auf CD kaufen wollte. Andererseits: Wenn schon die Musikindustrie das Rätsel um das Medium nicht lösen kann, warum soll ich das dann können?

Hier also ein winziger, zufällig ausgewählter Ritt durch meine Entscheidungen und Peinlichkeiten der Jahre 2000-2006.

Beginner—Blast Action Heroes (2003)

Puh. Schwierig. Als Bambule herauskam, war ich hochpubertär, und dementsprechend sehr anfällig für sowas. Ich mag die Beginner auch heute noch, trotz aller schwachen Soloalben und den rosa Anzügen von Jan Delay. Aber Blast Action Heroes ist, wenn man es mal ehrlich betrachtet, ein eher mittelmäßiges Album. Der Opener „Back In Town“ ist OK, ebenso wie die Singles. Aber es auch wirklich viel Füllmaterial drauf. Verspüre sicher nicht mehr das Bedürfnis, das Ding am Stück durchzuhören.

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The Football Factory O.S.T. (2004)

Ich hab wirklich kaum noch Erinnerungen, wie es dazu gekommen ist. Ich hasse normalerweise Soundtracks wie die Pest. Ich glaub ich hatte damals eine Phase, in der ich alles gut fand, was von der Insel kam. Die Premier League, The Streets und Partydrogen zum Beispiel. Der Film Football Factory vereinte alles. Und hey—so schlecht ist der Soundtrack mit den Libertines, The Jam, Primal Scream etc eh nicht.

Seeed—New Dubby Conquerors (2001)

Man kann alles gegen Seeed sagen, was man will, aber New Dubby Conquerors ist eine super und in sich runde Scheibe. Vor allem, wenn man jung ist, seine Zeit gerne mit Marijuana verbringt und aus jugendlichen Geschmacksverwirrungen Frauen mit Dreadlocks beeindrucken will. Es hat nicht funktioniert, aber das muss ja nicht unbedingt an Seeed liegen.

Phoenix—Alphabetical (2004)

Ich hatte damals schon ein Problem mit Alphabetical und habe es bis heute. Es ist ein bisschen dasselbe, das ich auch mit Hot Fuzz von den Killers habe. Die starken Nummern pressen sich alle an den Anfang, danach fällt das Album leider stark ab. Insgesamt ist das aber natürlich schon OK, und „Everything is Everything“ bleibt ein Überhit. United ist aber in Summe die bessere Platte.

Bar Lounge Classics /// Latin Edition (???)

WTF?! Was zum Teufel hab ich mir dabei gedacht? Ich kann es mir wirklich nicht erklären. Muss mit einer Frau zu tun gehabt haben.

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The Libertines—Up The Bracket (2002)

Braucht man eigentlich nicht allzu viel sagen. Zweifelsfrei eines der besten Alben, das in den Nullerjahren in GB gemacht wurde. Und ja, ich hab mir damals in manch einem Indie-Club die Matte dazu vollgeschwitzt.

The Robocop Kraus—They Think They Are The Robocop Kraus (2005)

Es ist ein bisschen schade um The Robocop Kraus. Sie waren eigentlich nie wirklich schlechter als The Notwist (ich werfe die beiden Bands gerne in einen Topf, weil sie beide aus Süddeutschland kommen und auch irgendwie sehr deutsch sind), sind aber immer eine Stufe drunter geblieben und haben sich dann irgendwann still aufgelöst. Trotzdem eine großartige Band. Wer sie nicht kennt, sollte sich mal Living With Other People anhören. Währenddessen erinnere ich mich an den legendären nächtlichen Gig im Jahr 2005 in der alten Bahndirektion. Ein Konzert von einer Band, die es nicht mehr gibt, in einer Location, die es nicht mehr gibt. Ich bin wirklich alt geworden.

Urlaub in Polen—Parsec (2002)

Ich erinnere mich wirklich null an dieses Album. Ich glaube, ich habe es mir gekauft, weil es in der Visions so euphorisch besprochen wurde. Ja, ich hatte mal ein Visions-Abo.

The Streets—Original Pirate Material (2002)

Yo. Auch 14 Jahre später immer noch der Wahnsinn. Damals hat ein Bekannter zu den Beats gesagt „Da kann ich mir auch Craig David anhören“. Eh. Sollte man ja auch.

The Game—Doctor's Advocate (2006)

Es könnte wirklich sein, dass das eine der letzten physischen CDs ist, die ich mir je gekauft habe. Der Preis von Eur 15,99 und die Tatsache, dass da außer der Club-Hymne „Let's Ride“ kein einziger guter Track drauf ist, könnte damit zu tun haben.

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Super Furry Animals—Rings Around The World (2001)

Sehr gute Scheibe der pelzigen Waliser, die eigentlich viel bekannter hätten sein müssen. Den Titeltrack kennt man eh, manche auch noch „Juxtepozed With U“ und „It's Not the End of The World?“. Mein persönlicher Favorit ist aber „Run, Christian, Run“, vor allem wegen dem Video. Bitte bis ganz zum Schluss anschauen.

The Strokes—Is This It (2001)

Die Strokes. Ein Album, das Anfang der Nullerjahre sehr viel veränderte. Nu Metal hatte sich tot gelaufen, mit Is This It kehrten dann ein Gitarrensound (bzw. eine Abmischung) zurück, der bis heute allgegenwärtig ist. Die rich kids von den Strokes transportierten auch keinerlei Botschaft, man konnte problemlos auf ein Konzert der Band gehen, ein Desperados trinken und FDP wählen. Das war OK. Und irgendwie auch traurig.

Timid Tiger & The Electric Treasure Box (2004)

Grauenhaft. Mich schüttelt es noch heute. Aber es waren Kölner, und da ist wohl ein bisschen der Lokalpatriotismus mit mir durchgegangen.

Rival Schools—United By Fate (2001)

Walter Schreifels wird wohl nie ein ganz schlechtes Album herausbringen. So auch nicht United By Fate, das für 10 Jahre das einzige von Rival Schools bleiben sollte. OK, es ist auch nicht ganz grandios. Aber „Everything Has Its Point“ und die Single „Used For Glue“ sind immer noch gute Nummern.

Peter Licht—Lieder Vom Ende Des Kapitalimus (2006)

Ach, Peter. Was haben nicht alle Hoffnungen in dich gesetzt. Ich glaube kein Album wurde damals gefühlt so sehr erwartet wie Lieder vom Ende des Kapitalismus. Menschen sprachen bereits davon, dass es die Blaupause der Nullerjahre sein sollte und rückten es in einer Reihe mit Monarchie und Alltag. Leider blieb davon nicht allzu viel. Ein nettes Album, zwei, drei Auftritte in der Harald Schmidt Show, bei denen man das Gesicht nicht sehen durfte, und mit „Wettentspannen“ ein zugegebenermaßen phantastischer Song über die menschliche Angewohnheit, in allem der Beste sein zu müssen. Auch in Dingen, die gar nicht das Beste sind. Leider ein Album, das an seinen Ansprüchen scheitern musste. Und Peter? Wenn er nicht hier ist, ist er auf dem Sonnendeck.

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Mylo—Destroy Rock & Roll (2004)

Auch hier wiederum: Es ist Pop, man muss das nicht mögen. Aber Destroy Rock&Roll ist ein glänzend produziertes, sleezy Paket von einem Album. War in der Pitchfork-Liste der besten Alben der Nullerjahre dann glaub ich auch auf 20 oder so.

Hell Hath, No Fury (2006)

Ich weiß nicht mehr genau, warum meine Aufmerksamkeit damals auf dieses—eigentlich ziemlich gute—Album fiel. Ich weiß noch, dass ich die Neptunes-Produktion ziemlich super fand, auch wenn die Zeit, als ungefähr jeder Song von Neptunes produziert war, da bereits vorbei war.

Bloc Party—Silent Alarm (2005)

OK, ein würdiger Abschluss dieses kleinen, zufälligen Überblicks. Silent Alarm ist definitiv eines meiner Alben der Nullerjahre. Große Singles, ein fantastischer Opener, wahsinnige Gitarren. Egal wieviel selbstverwirklichenden Blödsinn Bloc Party später gemacht haben—für Silent Alarm werden sie bei mir immer einen Stein im Brett haben. Ich bekomm sofort wieder Lust, die Scheibe zu hören.

Jonas ist auch auf Twitter manchmal nostalgisch: @L4ndvogt

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