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Das ‚kleine Geheimnis‘ Ghost Producing ist keine so große Sache

In Wahrheit machen nur sehr wenige Künstler ihre Tracks komplett alleine. Die öffentliche Vorverurteilung muss ein Ende haben.

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Worüber sprechen wir, wenn wie über Ghostproducer oder Auftragsproduzenten sprechen? Den jüngsten Fällen von Auftragsproduktionsskandalen nach zu urteilen, scheint es ein grundlegendes Missverständnis darüber zu geben, wie die Produktion eines Dance Music-Tracks von Anfang bis Ende aussieht—ob bei den kleinen oder Großen der Szene.

Nichts ruft aufgebrachtere Reaktionen hervor, als neue Anschuldigungen, ein DJ nutze Auftragsproduzenten. David Guetta, Steve Aoki und Paul Oakenfold müssen sich schon länger mit entsprechenden Anschuldigungen herumschlagen, während Martin Garrix und Porter Robinson vor kurzem sagten, dass sie für andere Künstler Songs produziert haben, ohne dafür erwähnt zu werden. Benny Benassi und Tiësto haben diese Anschuldigung versucht zu umgehen, indem sie die Produzenten, die ihre größten Hits schrieben, öffentlich nannten. Trotzdem ist das Ergebnis immer das Gleiche: Sofort wird eimerweise Hass über jeden DJ ausgeschüttet, der zugibt—oder unter dem Verdacht steht—Hilfe engagiert zu haben.

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Vor kurzem wurde ein zehnjähriger Produzent namens Aiden Jude zum neuesten Ziel des anhaltenden Kriegs gegen dieses angebliche Tabu. Aiden hat diesen Gerüchten widersprochen und gesagt, dass „jeder Hilfe hat. Niemand produziert, mixt und mastert komplett alleine.“ So sehr sich manche auch dagegen wehren, dies zuzugeben: Der Junge hat nicht ganz Unrecht.

Es gibt kein Regelwerk, wie viele Leute im Allgemeinen an einem einzelnen Track mitwirken dürfen und es ist eine Tatsache, dass es oft mehrere Köche gibt—deshalb macht es keinen Sinn, sich auf einen einzelnen Teil eines mehrstufigen Arbeitsablaufs zu stürzen. Manchmal werden ganze Teams von Produzenten, Melodienschreibern, Sängern und Mastering-Technikern an Board geholt, um einen Song fertigzustellen. Die Konditionen unterscheiden sich natürlich von Vertrag zu Vertrag, aber diese sogenannten „Ghost“-Writer werden für gewöhnlich an Copyright- und Lizenzeinnahmen beteiligt.

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Natürlich gibt es Ausnahmen. Einige DJs wie Deadmau5 oder Wolfgang Gartner sind auch gute Produzenten und stolz darauf, alleine zu arbeiten. Trotzdem hatte sogar Wolfgang seine Probleme damit, vor großem Publikum zu spielen. „Ich wurde so nervös, dass meine Hand zu sehr gezittert hat, um die Nadel auf die Platte zu setzen“, sagte er letztes Jahr im Interview. „Durch jahrelange Übung und ein paar unangenehme Erfahrungen, musste ich lernen, im Mittelpunkt stehen zu können.“

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Ob es dir gefällt oder nicht: Es ist Zeit anzuerkennen, dass Ghostwriting und Auftragsproduktionen seit jeher Teil elektronischer Tanzmusik sind—ganz zu schweigen von der Tatsache, dass DJs im Grunde sowieso nur die Musik anderer Leute spielen. Es gibt mehrere Gründe, warum DJs Assistenten mitbringen, meistens hat das jedoch mit der Tatsache zu tun, dass sogar die größten Produzenten-/DJ-Superstars keine technischen Meister sind. „Ich kann es ihnen nicht übel nehmen“, sagte Benno de Goeij, der Tracks mit Armin Van Buuren und Tiesto produziert hat, „weil ich auch nicht beanspruche, Künstler oder DJ zu sein.“

Die Praxis wird sich nur noch weiter verbreiten, da elektronische Musik immer mehr Einzug in Mainstream-Charts hält und DJs—traditionell mit der Aufgabe betreut, den Dancefloor zu unterhalten—immer mehr dem Druck ausgesetzt sind, wie am Fließband eigene potenzielle Hits zu schreiben. Man könnte also argumentieren, dass diese Verschmelzung von DJ und Produzent die Ursache des Problems ist.

Viele der „Ghost“-Produzenten, mit denen ich sprach, verstehen nicht, warum ihre Arbeit so verunglimpft wird. „Ich werde oft beschuldigt, als Ghostproducer zu arbeiten, obwohl ich immer in den Credits erwähnt werde“, sagt Goeij. „Es ist merkwürdig, wenn dir diese Art der Negativität entgegengebracht wird—und das obwohl ich nur Sachen mache, die ich mag.“

Lopazz, selbst Musik-Veteran und Mixing- und Mastering-Techniker sowie Produzent einiger wichtiger Tracks für Heidi und M.A.N.D.Y., hat es geschafft, sich durch seine lukrative, 20-jährige Karriere zwei voll ausgestattete Studios voll analoger Instrumente und anderem Equipment zu finanzieren. „Ich habe nie verstanden, warum Leute sich über Auftragsproduktionen beschweren. Das ist ein ziemlich alter Bestandteil dieses ganzen Geschäfts“, sagt er. „So lange die Komponisten bezahlt werden, glaube ich, dass es fair und professionell ist.“

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Diese Kultur der Hetze und Panikmache hat viele Ghostproducer dazu gebracht, sehr vorsichtig zu sein und öffentlich in Erscheinung zu treten. Jimm M, der Gründer von GhostProducing.com, einer Serviceseite für Produzenten-Aufträge in der elektronischen Musik, zögerte ein Interview zu geben und behauptet, dass jedes Magazin, das über sein Start-Up berichtet hat, dies nur tat, um auf ihm rumzuhacken. Trotzdem berichtet er, dass sie ungefähr fünf Tracks pro Woche für ihre Kunden produzieren und dass 70% der Gewinne direkt an die Ghostproducer gehen.

Jimm verdeutlicht, dass viele seiner Angestellten selbst Musiker sind und die Arbeit als Auftragsproduzenten für sie ein praktischer Weg ist, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. „Unglücklicherweise laden die Leute die Tracks, in die eine Menge Zeit und Geld geflossen sind, dann umsonst runter“, sagt er uns. „Sie machen Auftragsarbeiten, weil sie Geld zum Leben brauchen.“

Was ein einfaches Abkommen zwischen einem Künstler und seinen Angestellten sein könnte, wird problematisch, wenn DJs die gesamte Anerkennung für Songs, die sie nicht alleine produziert haben, verlangen. So lange die Verwendung von Ghostproducern das dreckigste aller kleinen Geheimnisse in der Clubmusik bleibt, werden DJs jedoch wenig Interesse daran haben, ihre geheimen Kollaborationen auszuplaudern. Das wiederum schadet jungen Auftragsproduzenten, die sich ausnutzen lassen.

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Der Dance Music-Produzent Figure, der zusammen mit Tommie Sunshine einige Hits produzierte, drückt es so aus: „Ghostproduktionen sind verdammt schwach. Es ist als würdest du herausfinden, dass die Mona Lisa nur durch Malen nach Zahlen entstanden ist.“

„Ich habe verrückte Geschichten über Auftragsproduzenten gehört“, sagt er. „All die Produzenten für die großen House-Leute bekommen hunderttausende von Dollar und ich kenne Leute, die fast gar nichts dafür bekommen—denen versprochen wird, dass es ihnen ‚Türen öffnen’ würde.“

Die Wahrheit ist, dass nur sehr wenige Künstler ihre Tracks wirklich komplett alleine machen. Es gibt eine ganze Branche von Leuten, die im Hintergrund arbeiten. Der einzige Weg, große Künstler dazu zu ermutigen, die Leute, die es verdienen, anständig zu würdigen, ist, die öffentliche Vorverurteilung dieser Kollaborationen zu beenden. Das heißt, wenn die Künstler dazu bereit sind.

„Es ist nur fair, anderen Anerkennung zukommen zu lassen, wenn sie das wollen“, sagt de Goeij. „Aber wenn das unerwünscht ist, wer bin ich zu urteilen, dass das falsch ist?“

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