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Ich war auf einem Rapseminar und es war anders als erwartet

Eigentlich wollte ich meine Rap-Skills verbessern. Dann fand ich mich in einem Raum voller Pädagogen wieder.

Ein Pokal für den Gewinner des Abschlussbattles. Dachte ich.

Als passionierte Rap-Hörerin und engagierte Redakteurin habe ich—im Zuge des sinnlosen Surfens—ein Seminar namens „Rap by Step—Grundlagen des Sprechgesangs“ auf Seite der Musik-Uni gefunden. Und mich auch gleich angemeldet. Meine Vorstellung? Junge, sexy Menschen, die sich kluge, aber auch witzige Rhymes zu einem freshen Beatbox-Beat an den Kopf werfen. Nun, dass die Rechnung nicht ganz aufgeht, habe ich schon geahnt. Dennoch habe ich die zwei einzigen Tracks, die ich auswendig kann, perfektioniert—„Arschficksong“ von Sido und „Goamädchen“ von Shawn the Savage Kid. Ich kann schon auch mehr, aber eben nicht auswendig und nicht ohne Musik.

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Bereit zum Coolsein ging ich nach Redaktionsschluss aufgeregt hin. Ich habe mir sogar die einzige HipHop-Jacke angezogen, die sich in meinem Besitz befindet. Commitment, Bitches. Erste Überraschung? Die Musikuni in Wien ist fetzig. Und mit fetzig meine ich, dass ich als Soziologiestudentin entsetzt bin, welch architektonische Kluft es in Wien zwischen den Instituten und Unis gibt. Ich habe mich an die neue, hochmoderne WU gewöhnt—zugegeben, dass Sachen von der Decke fliegen, hat meinen Neid etwas lindern können. Aber die Musikuni? Da sind Kronleuchter und bestoffte Wände. Und überhaupt habe ich mich wie Sissi gefühlt. Zumindest ein bisschen.

Step up, Institut für Soziologie.

Sich wie Sissi zu fühlen, schadet aber der Street-Credibility. Deshalb schnell wieder Deutschrap ins Ohr stöpseln. Der Seminarraum war klein und auch nicht so royal wie der Rest der Uni. Leider. Ich habe mich schon gefreut, in diesen Räumlichkeiten Freestyle zu lernen. Als sich langsam der Raum füllte, musste ich feststellen, dass ich mit Abstand die Jüngste im Seminar war. OK, kein Ding. Ist der Altersdurchschnitt dann eben 40, das muss ja nichts heißen. Der Seminarleiter war jung und trug Gewand im HipHop-Style. Er stellte sich als Kayo vor, ein oberösterreichischer Rapper, der sowohl Hochdeutsch als auch Mundart-Rap drauf hat. Er sagte noch etwas, als er sich vorstellte. „Ich bringe euch bei, wie ihr das euren Kids beibringen könnt.“ Kids?! Was?! Hä?! Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich war in einem Raum voller Pädagogen. Oh Mann.

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Kayo, der Vortragende. Ich starte eine Petition für mehr Unilehrende aus dem Rapbereich.

Ich versuchte durchzuatmen und fand ein Fünkchen Hoffnung in der Vorstellung, den Pädagogen „Arschficksong“ vorzurappen. Aber wir rappten nicht. Gar nicht. Dafür lernte ich viel über die Geschichte von Rap in Amerika, in Europa, in Deutschland und in Österreich. Mit Bespielvideos. Anerkennendes Nicken und verwunderte Blicke für Beispiele wie Absolute Beginner. Oh Gott. Ich lernte über den Aufbau eines Rap-Textes, samt den 16 Bars und den Aufbau eines Refrains. Mir wurde beigebracht was ein Stabreim, Schüttelreim und ein mehrsilbiger Reim ist. Alles mit musikalischen Beispielen aus Österreich belegt. Das war echt spannend. Er erwähnte, dass Kollegah technisch sehr gut ist, lyrische Stilmittel gut beherrscht und für viele unterhaltsam ist. Folgende Notiz hat sich die Pädagogin neben mir gemacht: „ Kollege—Spaßige, witzige Reime für Groß und Klein“—wow, ich kann nicht sagen was für ein Gefühl mich da übermannt hat. Eine Mischung aus Lachanfall, Mitleid und Stolz. Ich hoffe, sie recherchiert Sachen, bevor sie ihrer Klasse am Beamer Beispiele für „Sprechgesang“ vorspielt.

Eines der ersten Mundart-Rap-Tracks. Auch hier rappt Kayo.

Außerdem teilte er uns einige Fun-Facts mit. Der Grund warum es diese Fanboxen mit T-Shirt, Häferl und so weiter zu kaufen gibt? Für Chartplatzierungen werden nicht die verkauften Alben gezählt, nein, es zählt der Umsatz. So kommt es, dass ein Rapper in Deutschland vielleicht 500 Fanboxen verkauft und in der Top 10 chartet. Weil Fanboxen teuer sind. Erkenntnisse solcher Art wurden geboten, samt einer idiotensicheren Einleitung zum Texte schreiben und Rappen. Ich fand’s super. Noch mehr super waren allerdings die Fragen, die von Jugendarbeitern, Musiklehrern und Volksschullehrern gekommen sind. Hier mein Best of:

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Ist Attwenger Rap?

Gibt es Leute, die nicht nachdenken wenn sie rappen?

Ist rappen sowie Poetry Slam, nur ohne Beat?

Ich habe nur Instrumentals in Moll gefunden, gibt es auch welche in Dur?

Für ein Projekt lasse ich 10-Jährige Rappen—was mache ich wenn sie den Rhythmus nicht halten können?

Was halten sie von Nazar? Ich finde den so reflektiert.

Ich finde es toll wenn Rap tatsächlich alle Gesellschaftsschichten erreicht und Pädagogen versuchen sich in das Thema einzulesen. Für ihre „Kids“. Ehrlich, ich komme aus einer Familie voller Pädagogen, in der Schule hatte ich Pädagogen—ich finde alle, die da drin gesessen sind, toll. Ich verstehe halt nur nicht, wie man gerne mit Kindern arbeiten kann. Menschen die diese Vorstellung nicht gruslig finden, sind mir ein bisschen suspekt. Liebe Grüße an meine Oma und Tante.

Der nicht ganz so royale Seminarraum

Trotzdem hätte ich am liebsten auf alle Fragen ironisch reagiert. Aber Kayo wirkte souverän, beantworte alles mit einer kompletten Ernsthaftigkeit und grinste mich ab und zu an, wenn über „Gangsta-Rap“ diskutiert worden ist. Gut, dass ein Rap aus 16 Zeilen besteht, das wusste ich. Das „Advanced Chemistry“ die Vorreiter im deutschsprachigen Polit-Rap sind, das wusste ich nicht wirklich. Was er mir wirklich beigebracht hat: Österreichischen HipHop näher zu betrachten. Dass es hier mehr gibt als Nazar, Raf Camora und Chakuza—und das Mundart-Rap, kreativer als Hochdeutsch-Rap sein kann. Er zeigte uns Österreicher die Doublespitten, Österreicher die Schüttelreimen, Österreicher die Stabreimen—also eigentlich zeigte er uns, dass es Österreich genauso drauf hat und beherrscht, wie die deutschen Nachbarn.

Die Pädagogen haben übrigens auch etwas mitnehmen können: Nämlich das Rap tatsächlich Musik ist, es nicht so kinderleicht ist zweimal 16 Zeilen zu schreiben und dass es Instrumentals in allen Molls und Durs gibt. Und zum krönenden Abschluss, hier ein österreichischer Rapper der double- und trippletimed, es auf Englisch auch kann und ihm alleine deshalb viel mehr mediale Aufmerksamkeit gebührt. Ahja, und Kayo sollte man sich auch auschecken. Sympathischer, kluger Typ.

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