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Wie es wirklich im Backstage ist

Es wird Zeit, mit einem Mythos aufzuräumen.

Der Backstage: ein mythischer Ort, an dem sich sich die Angesagten und die Auserwählten zwischen berühmten und weniger berühmten Künstlern tummeln. Wo Rockstars ihre Groupies vernaschen, wo unendliche Lines Koks gezogen werden, wo der Schnaps umsonst ist und wo die Afterparty nie aufhört. Wo Courtney Love halbnackt Heroin gespritzt hat, während Kurt auf der Bühne vom Paradiso seine Gitarre zerschmettert hat. So stellen wir es uns zumindest vor. Aber was passiert eigentlich wirklich im Backstage?

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Der Mythos rund um den Backstage ist in den 60er- und 70er-Jahren entstanden, in der Blütezeit des Rock’n’Roll. Langhaarige Rocker in engen Hosen waren noch aufregend, die sexuelle Revolution wälzte einiges um und es wurde gierig an Briefmarken mit LSD geleckt. Auch in den 80er- und 90er-Jahren, als mit dem Verkauf von CDs noch Geld verdient wurde, war die Party weiter in vollem Gange. Wir, die zu der Zeit noch nicht geboren waren, müssen uns heute mit den Geschichten von Pamela des Barres, Filmen wie Almost Famous oder Büchern wie The Dirt begnügen.

Ich arbeite seit Langem für verschiedene Musik-Events und als Presse-Promoterin, also ist es für mich "nur" ein Job, mich im Backstage-Bereich rumzutreiben. Ich werde mir mit diesem Job zwar nie einen Audi T9 leisten können, dafür kann ich aber zu einer Menge von Konzerten und Festivals gehen und damit auch dorthin, wo die Künstler das machen, was das Publikum nicht sehen kann.

In all den Jahren habe ich so wenig Drogen gesehen, dass man meinen könnte, die Musikindustrie würde größtenteils aus gläubigen Abstinenzlern bestehen. Zum Glück gibt es Ausnahmen. Trotzdem sind die Zeiten, in denen Koks-Lines von Spiegeln gezogen wurden, wohl vorbei. Manchmal kommt zwar jemand von der Toilette wieder und hat plötzlich neue Energie, aber zu so richtig nennenswerten Auschschweifungen kommt es nicht. Musiker – vor allem aus dem Ausland – kiffen meistens. Und sie trinken natürlich. In jeder vernünftigen Garderobe gibt es einen Kühlschrank mit Getränken. Der Inhalt ist ganz davon abhängig, wie wichtig der Künstler ist, von seinem Rider und dem Wohlwollen des Veranstalters. In den meisten Fällen findet sich dort ziemlich viel Bier und ein oder zwei Flaschen Hochprozentiges. Nicht genug, um sich zu Tode zu saufen, aber genug, um in den Tourbus zu kotzen. Auffällig ist, dass es nicht immer die Musiker sind, die sich übermütig den Drogen oder dem Alkohol zuwenden – auch die Crews und Vertreter der "Industrie" geben Gas. Und selbst ich muss da die Hand heben, zumindest halbherzig.

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Sex gibt es wenig. Zu wenig. Das liegt zu einem großen Teil an den oft schlecht beleuchteten Backstage-Räumen. Wie will man sich im Licht dieser Leuchtstoffröhren auch ausziehen? Die meisten Musiker sind außerdem verheiratet oder anderweitig vergeben und Groupies sehen im echten Leben meistens nicht so aus wie Kate Hudson in Almost Famous. Und auf den zahlreich vorhandenen Macbooks läuft eher die neueste Folge von Game of Thrones als YouPorn.

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Bild via Noisey UK

Als ich mich letztes Jahr beim Lowlands um die Briten von Sleaford Mods gekümmert habe, war ich ein bisschen nervös. Beatmaker Andrew stand die ganze Show über hinter seinem Macbook und hat Bier getrunken, als wäre es Limonade, während Sänger Jason seine bösen Texte voller "Fucks" und "Cunts" ins Mikro gespuckt hat. Nach der Show bin ich in den Backstage-Raum gegangen, um die Jungs für eine Presserunde abzuholen. Ich hatte zornige und schimpfende Hooligans erwartet, traf allerdings extrem freundliche und geradezu galante Herren an. Wir sprachen über Feminismus und Monogamie in der Homosexuellen-Community – sie waren brillante Gäste und nicht halb so Rock’n’Roll wie befürchtet.

Der Backstage hat weniger mit Magie und mehr mit Komfort zu tun; du musst dich dort nicht für ein stinkendes Dixie-Klo in eine Schlange stellen und es gibt immer kaltes Bier. Also ja, zu versuchen, in den Backstage einzubrechen, ist immer eine gute Idee – allerdings besteht die Gefahr, dass die Schalen mit Erdnüssen, die Leuchtstoffröhren und Musiker, die auf ihre Handybildschirme starren, dir deine Illusion ein wenig zerstören.

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