FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Algorave ist die Zukunft der Dance Music (wenn du ein Nerd bist)

Bei Algorave, auch algorithmischer Rave, wird die Musik live am Computer codiert. Wir fanden das lächerlich, aber es ist neu und es existiert tatsächlich—also machten wir mit.

Algorave-Programmierer beim Live-Codieren

Für die meisten ist der einzige Code, der im Nachtleben zählt, der Dresscode. Es gibt jedoch eine ganze Subkultur, für die ganz andere Codes zählen. „Algorave“—auch algorithmischer Rave—ist eine Szene und eine Clubveranstaltung, in der Computerliebhaber anderen Computerliebhabern dabei zusehen, wie sie Musik durch Live-Codierung erschaffen.

Jetzt mal ehrlich, die wollen mich doch für dumm verkaufen. Es können sich doch nicht besonders viele Leute vor den Nachtclubs in London angestellt haben, nur weil ihnen jemand repetitive Codierungen versprochen hat. Andererseits wäre es aber auch zu einfach, sich nur darüber lustig zu machen. Aus diesem Grund, und weil es neu ist und tatsächlich existiert, habe ich beschlossen, mir das mal persönlich anzuschauen. Abgesehen davon, will ich in dreißig Jahren nicht auf mein Leben zurückblicken und erkennen, dass ich der Typ war, der die Nerds verarscht hat, weil sie computerfixiert waren und die Ramones hörten.

Anzeige

Ein Algorave-Set, das in Barcelona aufgenommen wurde

Die Promoter der Algorave-Clubnacht reisen mit ihren Tastatur-Partys gerade um die ganze Welt und haben vor kurzem an Orten in Canada, Slowenien, Mexiko und London gespielt. Heute Abend sind sie in Sheffield zu Gast—eine Stadt, die stolz auf ihre Tradition innovativer elektronischer Musik ist. Die Namen auf dem Line Up lesen sich wie Bildunterschriften: Glitch Cellular Automata, Algokraut und Ambient Gabber sind meine liebsten.

Bevor es losgeht, spreche ich mit einem der Gründer, Alex McLean, der Solo als Yaxu auftritt und auch Teil des Laptop-Trios Slub ist, über die Ursprünge der Bewegung. „Live Coding existierte nicht wirklich“, erzählt er mir. „Also mussten wir es erfinden“, fügt sein Bandmitglied Nick Collins hinzu.

„Ich bin ein Live-Codierer und in den letzten zehn Jahren wollte ich einen Code schreiben, der die Leute zum Tanzen bringt. Das ist mein Ziel.“ Einen Code zu schreiben, mit dem man Musik machen kann, war zwar ein Jahrzehnt lang das Ziel von Alex und Nick, aber die Idee, das direkt in einer Clubumgebung zu tun, kam ihnen erst vor ein paar Jahren. „Nick und ich fuhren gerade nach Nottingham für ein Event und hörten ein Piratensender namens RougeFM,“ erzählt Alex. „DJ Jigsaw spielte Happy Hardcore, und das hatte irgendwie Einfluss auf unser Set an diesem Abend. An diesem Punkt entstand Algorave.“

So beschreiben sie es mit ihren eigenen Worten: „Algorave fasst die fremden Sounds der Raves der Vergangenheit, und die fremden, futuristischen Rhythmen und Beats der Zukunft zusammen, indem sie durch einen komischen, auf Algorithmen basierenden Prozess gefiltert werden.“ Alex versucht die Funktionen des Live-Codierens mit einfachen Worten auszudrücken: „Es ist ein bisschen wie Strickmuster zu entwerfen. Du fängst mit etwas einfachem, das ein Muster beschreibt, an, und—so mache ich das—benutzt das dann als Sprache für deine Musik.“

Anzeige

So sieht Algorave aus.

„Weil da ein Computer ist, der diesem Muster folgt, während du schreibst, ist das Programmieren des Musters die eigentliche Musik. Du schreibst kein Muster als komplettes Stück, sondern nur ein Fragment, das einen Loop beschreibt und dann veränderst du diesen Loop, um Musik zu machen. Es funktioniert zyklisch. Du schreibst einen Text, bei mir läuft das ziemlich simpel ab, wirklich. Andere wie Alex setzen sich mit Synthies auseinander und beschreiben so Graphen, andere arbeiten in großen Netzwerken zusammen, um Live-Sounds zu erzeugen. Ich bewege mich auf dem Niveau, auf dem man mit Mustern arbeitet, aber viele, die heute Abend spielen werden, sind viel tiefer drin.“

Es geht darum, das Programmieren in den Vordergrund zu stellen, den Akt des Programmierens als eigene Kunstform zu zeigen.

Ich komme später zur Veranstaltung zurück, um zu sehen, wie es aussieht, wenn das Programmieren zur Kunstform erhoben wird. Brillen, Laufschuhe und Rucksäcke formen den universellen Dresscode und quasi jede Unterhaltung, die ich mitbekomme, hat irgendwie mit Technologie zu tun. Es ist keine Atmosphäre, die nach Ärger riecht, und es sieht auch nicht so aus, als ob hier irgendwo Körpersäfte ausgetauscht werden könnten.

Alex, AKA Yaxu

Erst performt Alex als Yaxu. Er sitzt strumpfsockig im Schneidersitz auf dem Boden, hat seine Tastatur auf dem Schoß und starrt auf den riesigen Bildschirm, der sich mit langen Codes füllt. Seine Finger gleiten über die Tasten, als wäre er eines von diesen taiwanesischen Klavier-Wunderkindern von YouTube. Das Publikum starrt wie gebannt auf den Bildschirm, als Yaxu irgendwelche Nummern und Punkte in eine Fusion aus Dub, Bass und Techno verwandelt. Die Köpfe nicken und lächeln, nicht unbedingt im Takt mit der—oder als Reaktion auf die—Musik, aber immer dann, wenn der Code, der gerade auf dem Bildschirm läuft, verstanden wurde. Manche der Performer maskieren ihre Codes mit Grafiken, ein Versuch, die Aufmerksamkeit auf das Ergebnis, anstatt auf den Prozess zu fokussieren.

Anzeige

Curious Machine ist ein gutes Beispiel dafür. Sie zeigen ein zersplittertes, Autechre-mäßiges Gewühl aus Ambient, hinter einer Menge Visuals, die die Codes verbergen sollen. Section_9 aus Leeds tippen ihre Codes so schnell, dass jeder—sogar jemand wie ich, der keine Ahnung hat, was hier gerade vor sich geht—nicht umherkommt, total beeindruckt zu sein. Junge Studenten zeigen auf den Code und versuchen ihn zu sezieren, um zu verstehen, welcher Loop und welcher Beat, den Schirm füllt.

Die Leute sind in der Matrix eingesperrt, aber es gibt nicht genügend blaue Pillen. Es gibt keinen Hedonismus auf diesem Event, zumindest nicht heute. Das Publikum steht eher auf echtes Bier und zustimmendes Nicken, als auf Malibu und MDMA. Irgendwann schreit jemand ironisch: „ Hat hier irgendjemand Ketamin?“, aber näher kommt man diese Nacht nicht an die sonst übliche Verderbnis. Ein andere Sache, die mir aufgefallen ist, ist die Spontanität. Die Codes werden von der Pike auf geschrieben und können leicht unbeständig oder instabil werden, weil sie ohne Back-Up funktionieren, die sie unterstützen oder wiederaufbauen könnte.

„Der Code ist ziemlich komplex und man kann ihn verändern, aber niemand weiß, was passiert, wenn man ihn verändert. Man spielt damit.“, sagt Alex. Bei Sektion_9s Performance wurden die Zeilen auf dem Screen nach und nach rot, und mit jeder Zeile, die Rot wurde, starb ein Beat oder ein Loop. Der Sound fiel langsam in sich zusammen und starb letztlich endgültig.

Anzeige

„Er ist kaputt“ sagte er in die Menge. Aber nur wenige Sekunden später ist er zurück und der Beat auch. Auch wenn man bei Gefahr nicht unbedingt ans Kodieren denken muss, die Resultate bei diesen Live-Sets wandern durchgehend auf einem schmalen Grat zwischen bühnenreif und dem absoluten Desaster. Dieses Gefühl wird auch noch dadurch bestärkt (zumindest für mich und mein Halbwissen), dass der Bildschirm die ganze Zeit wie eine riesige Fehlermeldung aussieht. Als Folge variieren die Sounds jedes einzelnen Künstlers immens. Manchmal sind sie widersprüchlich, klobig und unzusammenhängend und dann wieder spannend, unvorhersehbar und vereinnahmend.

Luuma versteckt die Codes hinter Visuals.

Man sagt über Algorave, dass es eine Mischung aus Hacker Philosophy, Geek Kultur und Clubbing ist, aber was hier stattfindet, hat nichts mit dem zu tun, was die meisten Leute als Clubbing bezeichnen würden. Ein paar Leute verfallen in eine Art Bewegung, die über das reine Stehen hinausgeht, aber immer noch ziemlich lasch ist.

Es geht nicht unbedingt um die Musik—Codes schreiben oder nicht, Künstler wie Luuma würden viele Tanzflächen füllen—aber im Moment fehlt dem Algorave noch die Verbindung zwischen der Isolation im Schlafzimmer und der Euphorie der allgemeinen Clubkultur. Solange es allerdings mehr als nur ein Computerclub mit Strobolichtern ist, ist das okay für Alex. Für ihn bleibt der Code der größte Anreiz und er und seine kleine Band aus Sheffield haben kein Problem damit, sich da alleine reinzustürzen.

Anzeige

Folgt Daniel bei Twitter: @DanielDylanWray

**

Folgt Noisey bei Twitter und Facebook.


MEHR VON NOISEY

The Noisey Guide To Konzertgänger

Karaoke-Roboter, uneheliche Hunde, ein nicht zu unterdrückender Rede- und Kippenschnorrfluss und sabbernde Zwerge—ein Who is Who der Konzertbesucher.

R.I.P. Indie - Big Night Out - Episode 6

Was ist nur mit der Indie-Szene passiert? Wir hatten sie irgendwie anders in Erinnerung.

Diese Band hat einen Porno vor der Kirche der Westboro Baptisten gedreht

Um herauszufinden, was es bringt, auf dem Eigentum der Baptisten abzuspritzen, haben wir den den Frontmann von Get Shot! angerufen.