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Punk war Unsinn und hat überhaupt nichts verändert – Eine Untersuchung

Punk war eine aufgebauschte Phase der Jugendkultur, die sicherlich ziemlich schön aussah, aber im Prinzip nichts von dem erreicht hat, was sie historisch beansprucht.
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Hattest du jemals das Gefühl, verarscht zu werden? Tja, um Punk scheint sich so eine nette Geschichte zu ranken, die Einzug in die Popkultur hielt. Jeder, der alles glaubt, was er liest, wird denken, dass es so ablief: Die Sex Pistols veröffentlichten aus dem Nichts die Single "Anarchy in the UK" und stürzten Großbritannien damit sofort in eine musikalische Stunde Null – dem klanglichen Äquivalent zu Picassos Les Demoiselles d’Avignon – , erklärten damit alles Vorherige für überflüssig und sorgten gleichzeitig für einen politischen Aufstand, der das Land im Sturm eroberte. Jetzt, wo die von Londons Bürgermeister Boris Johnson unterstützten Punk-Feierlichkeiten in der britischen Hauptstadt starten, um das vierzigjährige Bestehen des Genres zu würdigen, und Malcolm McLarens Sohn Joe Corré verspricht, Punk-Fanartikel im Wert von 5 Millionen Pfund zu verbrennen, um gegen die totale Aneignung durch den Mainstream zu protestieren, ist vielleicht die Zeit gekommen, sich ein paar Gedanken über das tatsächliche Erbe von Punk zu machen. Und darüber, welche Aspekte davon schon vor vielen Jahren besser im Feuer gelandet wären.

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Lustigerweise ist es gar nicht so einfach, im Internet Meinungen aufzuspüren, die sagen, dass Punk scheiße ist. Ich habe tatsächlich nur einen Artikel gefunden, der diese Meinung vertritt. Er erschien 2002 im Guardian und wurde von Nigel Williamson geschrieben. Ich habe Williamson nicht erreichen können. Wahrscheinlich versteckt er sich seitdem irgendwo vor den ganzen angepissten Punks, die ihm ins Gesicht rotzen wollen. Für meinen eigenen Artikel habe ich mir jedenfalls einen Regencape und eine Schwimmbrille zugelegt.

Falls du dich an 1977 erinnerst – ich erinnere mich nur schwammig – dann weißt du, dass im britischen Radio nicht gerade die Sex Pistols und Siouxie and the Banshees rauf und runter liefen. Meine Eltern hörten ständig Radio1 und alles, was dort lief, war Boney M und David Soul. Als Punk in Großbritannien das erste Mal auf den Plan trat, sorgte das tatsächlich für eine gewisse Aufregung und vielleicht wurde auch das Zepter zögernd von den Alten an die Jungen weitergegeben. Diese Periode als eine Art nationales Erwachen zu beschreiben, das jede andere Musik, die 1976 und 1977 produziert wurde, überflüssig machte, ist aber einfach lächerlich. Lou Reed, Bowie, Queen, ELO und Dylan haben 1976 allesamt gute Platten rausgebracht und 1977 produzierten Kraftwerk, Giorgio Moroder und Donna Summer einige der bahnbrechendsten und innovativsten Alben, die je gemacht wurden.

Der andere große Mythos, der das Konzept von Punk umgibt, ist die Behauptung, dass Punk gut war, auch wenn das in vielerlei Hinsicht nicht stimmt. Die Sex Pistols und die Banshees waren ganz gut. Aber ehrlich gesagt waren erstere im Grunde eine Glamrock-Boyband, die Malcolm McLaren zusammengecastet hatte, und letztere ein Haufen Goths. Wen gab es denn noch? The Clash? Ein bisschen prollig. The Damned? Die waren OK, aber wurden erst viel später richtig gut. Adam and the Ants? Waren viel besser, als sie bei Top of the Pops als sexy Pop-Piraten aufgetreten sind. The Buzzcocks? Hätte ein vernünftiger Producer nicht geschadet. The Stranglers? Ein Haufen Frauenfeinde. Und dann gab es da noch Bands wie Sham 69, Generation X und X-Ray Spex, die alle nicht so wirklich gut gealtert sind.

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Punks haben versucht, Rock’n’Roll entgegenzuwirken, indem sie selbst Rock’n’Roll spielten – nur in schlecht. Sie haben sich auch das Hakenkreuz angeeignet, was zu der Zeit vielleicht clever erschien, aber eigentlich ziemlich dämlich war, egal wie du es heutzutage versuchst zu rechtfertigen. Punk hatte offensichtlich Energie – die hat Mark Forster leider auch. Selbst die Slits – bei denen ich so gerne hätte, dass sie gut sind, besonders nachdem ich Viv Albertines exzellentes Buch Clothes, Music, Boys gelesen habe – erscheinen recht durchschnittlich, mit gelegentlichen Momenten der Brillanz. Aber vertrau hier nicht nur auf mich. Ich habe beschlossen, die Meinungen einiger echter Punk-Experten unter die Lupe zu nehmen, um dieser ganzen Sache zumindest ein wenig Authentizität zu verleihen.

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Crass im Jahr 1984. Foto: [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

"Ich bin nicht sicher, ob ich dir wirklich viel bei deinem Artikel helfen kann", schrieb Penny Rimbaud, Mitbegründer der einflussreichen Anarcho-Punkband Crass, der ein Interview ablehnte, nachdem ich ihm von der Richtung meines Artikels erzählt hatte. Seine Begründung war allerdings ziemlich aufschlussreich. "Ja, ich war und bin kritisch gegenüber Vielem, was Punk war und geworden ist, aber vieles von dieser Kritik war, glaube ich, konstruktiv – Versuche, die Vorstellung und Kreativität innerhalb einer Bewegung zu befeuern, die einmal großes Potential für sozialen Wandel hatte. Tatsächlich sind die meisten Punks, die ich von früher kenne oder seither getroffen habe, immer noch sehr aktiv, sowohl kreativ als auch politisch. Sicherlich war die erste Welle des Punk (Pistols, The Clash etc.) wenig mehr als eine Erweiterung der Musikindustrie-Kultur, aber was darauf folgte (angeführt von Crass, denke ich), war eine radikale und lebensverändernde Bewegung, die das Leben von vielen verändert hat und tiefgreifende Auswirkungen auf die Mainstream-Kultur hatte."

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Dann fügte er hinzu: "Als ich deine Nachricht las, hatte ich den Eindruck, dass deine Kritik stark auf dem frühen Punk aus London basiert, der, wie ich oben sagte, wenig mehr war als ein Hype der Musikindustrie. Was danach passierte war lebendig und hat tausende von Menschen auf der Welt inspiriert und ich habe kein Bedürfnis, dies zu kritisieren. Kurz gesagt, wir haben den Taten Worte folgen lassen und haben auf unsere Weise die Welt verändert."

Was Penny sagt, ist interessant und ich würde ihm zustimmen, dass es in diesem Artikel nur um die erste Welle des britischen Punk geht (denn seien wir ehrlich, die amerikanischen Bands, die davor kamen, wie die New York Dolls, die Stooges oder die Ramones, waren ziemlich cool). Es ist nicht so, als hätte ich ein riesiges Problem mit den Sex Pistols – ich mochte Never Mind The Bollocks als Album – , aber mit dem ganzen Schrott, der sich selbst an das klammerte, was sie repräsentieren sollten: die Adverts, ATV, die Cockney Rejects, die Mekons und so weiter. Es gibt die Meinung, dass Punk als Teil einer missbilligenden Gegenkultur Dinge verändert hat, aber diese Meinung fühlt sich falsch informiert an.

Sicher, es hat Plattenfirmen vielleicht klar gemacht, dass ein paar miese Emporkömmlinge mit Klebstift und Buttonmaschine ihre Sache selbst machen, aber in der Welt der Erwachsenen hat sich nichts verändert. Die Tories wurden 1979 trotzdem gewählt, die Babyboomer wurden trotzdem reich und fett und es gab in den 80ern immer noch drei Millionen Arbeitslose, auch wenn einige von ihnen "No Future" sangen. Heutzutage musst du dich nur noch in David Camerons apathischem Großbritannien umsehen, um zu realisieren, dass der politische Einfluss von Punk ziemlich gering war.

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"Diejenigen von uns, die in der Punkbewegung involviert waren, haben die politische Bedeutung von dem, was wir taten, enorm überschätzt", sagt Joseph Heath, ein kanadischer Professor der Philosophie, Autor und Dozent, der das Buch Filthy Lucre: Economics for People Who Hate Capitalism und zusammen mit Andrew Potter das Buch The Rebel Sell geschrieben hat. Darin vertreten sie die Meinung, dass die Gegenkultur ein großer Misserfolg war, trotz der irrtümlichen Auffassung, dass sie erfolgreich war. "Das Problem war, dass wir die Lektion, die wir aus dem Scheitern der Gegenkultur der 60er hätten lernen sollen, nicht wirklich gelernt hatten. Wir hassten alle die Hippies – wir dachten im Prinzip, dass sie es nicht geschafft hatten, etwas zu verändern und sich dann verkauften."

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The Clash im Jahr 1980. Foto: Helge Øverås, [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

Er fährt fort: "Wir dachten, unsere Lösung wäre, in jeder Hinsicht härter und kompromissloser zu sein, sowohl was Politik, als auch was Musik angeht. Das Problem war, dass wir trotzdem noch an dieselbe Vorstellung von Gegenkultur glaubten, die Vorstellung, dass du das System nur durch nonkonformistische Taten aufbrechen könntest. In anderen Worten: Punks hatten im Prinzip dieselbe Theorie bezüglich Revolution wie Hippies, wir dachten nur, dass sie keinen wirklich guten Job damit gemacht hatten und dass wir ihnen zeigen, wie es richtig geht. Unglücklicherweise war die ganze Sache fehlgeleitet. In gewisser Weise waren wir den Hippies und den 60ern gegenüber unzureichend kritisch. Nicht nur ihre Rebellion scheiterte, auch die ganze Analyse, die zu ihrem Ansatz der Rebellion führte, war total falsch."

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Die gegenkulturelle Bewegung scheiterte sowohl in den späten 60ern als auch in den späten 70ern daran, die Dinge politisch zu ändern. Selbst die 68er der Sorbonne – die Frankreich zum Stillstand brachten – waren schnell vergessen, als die Räder des Kapitalismus sie unausweichlich aufwühlten (zumindest jetzt sieht es unausweichlich aus). Aber wenn es so viele Leute gab, die gewillt waren, warum hat nichts von diesem Aufstand wirklich etwas bewirkt?

"Die gegenkulturelle Analyse stellte sich unglücklicherweise als falsch heraus", sagt Heath. "Es gibt keine andere Art, dies auszudrücken. Es wurde gemeinhin angenommen, dass gegenkulturelle Rebellion ‚das System‘ untergraben und zerstören würde. Aber letztendlich stellte sich heraus, dass ‚das System‘ keine Massenkonformität brauchte. All die ‚Rebellion‘ wurde also einfach eine neue Quelle des konkurrierenden Konsums."

Selbst das Buch Lipstick Traces von Greil Marcus, das eine Verbindung zwischen der Punkbewegung und der Situationistischen Internationale in den 1960ern in Frankreich und den Dadaisten in den 1920ern herstellt, macht die Vorstellung zunichte, dass sich etwas aufgrund von Punk verändert hat. "Nimmt man Kriege und Revolutionen als Maßstab", schreibt Marcus, "hat sich die Welt nicht verändert; wir schauen aus einer Zeit zurück, über die Dwight D. Eisenhower einmal sagte: ‚Mehr als jemals zuvor sind die Dinge so, wie sie im Moment sind.‘ Verglichen mit den bedingungslosen Forderungen, die von den Sex Pistols so knapp gestellt wurden, hat sich nichts verändert. Aus der Erschütterung, die von den Forderungen der Musik kommuniziert wird, wird eine Erschütterung, dass etwas so scheinbar Vollständiges im Weltgeschehen letztendlich beinahe unbeachtet vorübergeht."

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John Robb ist Sänger und Bassist bei der wiedervereinigten Punkband The Membranes sowie Gold Blade, einer weiteren lärmenden Punkband. Er ist auch Musikjournalist, TV-Persönlichkeit und Autor von Punk Rock: An Oral History. Er ist die Person, mit der wahrscheinlich geredet wird, wenn es in den Nachrichten um Punk gehen soll. Er ist Punker, seit er 1976 zum ersten Mal darauf aufmerksam wurde und hat bereits Farbe bekannt, bevor er überhaupt eine Note gehört hatte.

"Es war die Vorstellung (von Punk) und auch die Art, wie es aussah", sagt Robb, als er mir mitten in der Nacht aus seinem Tourbus schreibt. "Das war 1976. Es gab kein Internet. Du konntest dieses Zeug nicht hören. Es wurden nicht einmal Platten veröffentlicht und wir waren in Blackpool, nicht in London. Wir waren in Blackpool von der Außenwelt abgeschnitten. Du sahst die Bilder der frühen Punks von ’76 und sie sahen großartig aus! Als ich die Punkbands endlich hörte, waren sie das, was ich mir aufgrund ihres Aussehens vorgestellt hatte. Zugegeben, wir waren naiv, aber wir wollten, dass die Ästhetik wahr ist. Wir waren auch jung und wollten einfach etwas Spannendes und Gefährliches machen. Und glaub mir, in den späten 1970ern Punk zu sein, konnte recht gefährlich sein."

Ich habe Robb mit seinen Bands The Membranes und Goldblade spielen sehen und ich habe gesehen, wie er aufgrund der erlösenden Kraft des Rock’n’Roll auf der Bühne verträumte Augen hatte und in diesen Momenten wollte ich ihm glauben. Aber andererseits haben seit dem Optimismus des Fin de Siècle in Europa Künstler in vielen verschiedenen Bereichen entdeckt, dass sie das System nicht ändern können, als die Maschinen der Liebe und Güte zu Kriegsmaschinen wurden, die eine ganze Generation zerstörten. Hätte eine Kunstform wie Punk als solche wirklich jemals etwas ändern können?

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Punk Zines. Foto: Jake from Manchester, UK (1970s fanzines) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Robb denkt, dass Punk das kann. "Er macht es und dadurch sickert er durch", erklärt er. "Der Einfluss, den er hat, ist schwer wahrzunehmen, weil er überall ist. Er bedeutet, dass Akademiker Bücher darüber schreiben können, dass er keine Bedrohung für das System ist. Freunde in Russland, die etwas älter sind als ich, erzählen mir, dass die Beatles ihnen früher Hoffnung gaben, weil sie nach Freiheit aussahen und klangen, und dieses Gefühl stürzte letztendlich das System."

Punk hat die Exzesse von Progrock und Adult Oriented Rock vielleicht überwunden, aber denk dran, dass Muse und Coldplay das nächste Glastonbury headlinen. Und was soll das ganze Gerede darüber, dass Punk in den späten 1970ern omnipräsent war, wenn das Radio tatsächlich voll mit den Barron Knights und prä-orgiastischen Discoklängen war?

"Niemand, der in Punk involviert war, hat dies jemals behauptet", sagt Robb. "Das ist eine der vielen Geschichten, die nicht hinterfragt werden. Waren Velvet Underground einflussreicher als die Beatles? Sind The Fall wichtiger als die Sex Pistols?"

Diese Bands bedeuten den Kids heute wahrscheinlich weniger als Slaves oder, ich wage es kaum zu sagen, Royal Blood. Punkrock ist mittlerweile sicherlich eine Nostalgieindustrie, die früheren Ruhm als rotziges Scheinbild recycelt. Ein Genre, das genau wie Mozart und Beethoven reif fürs Museum ist. "Jede großartige Idee bleibt für immer in der Kultur. Aber warum nicht weiterkommen, nur weil man sich um all das kümmert? Gibt es etwas, das weniger Punk ist, als sich darum zu kümmern, ob Punk ein Fall fürs Museum geworden ist? Wenn das ausgeräumt ist, sind wir bereits woanders. Es gibt nichts, das weniger Punk ist, als sich darum zu kümmern, was andere Leute über Punk denken!"

Das mag vielleicht stimmen, aber um es mit den Worten des großen Johnny Rotten zu sagen: "Question everything!" Was der Grund ist, warum wir die anerkannte Weisheit, dass Punk großartig war, in Frage gestellt haben und zum durchdachten Fazit gekommen sind, dass die erste Welle des Punk eine aufgebauschte Phase der Jugendkultur war, die sicherlich ziemlich schön aussah, aber im Prinzip nichts von dem erreicht hat, was sie historisch beansprucht. Punk hat nichts verändert, egal was die Medien und alle anderen versuchen, dir zu erzählen.

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