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Interviews

Blink-182 sind laut einer Spotify-Studie punkiger als die Ramones

Wir haben mit dem Mann gesprochen, der die Daten tausender Punk-Playlisten ausgewertet hat, um herauszufinden, was Leute als Punk definieren.

Irgendwann um 1974 wurde das Genre Punkrock geboren. Kurz danach hatte dieser Begriff—mit dem lose kurze, einfache und aggressive Rocksongs bezeichnet wurden, die eine Reaktion auf den übertriebenen und populären Rockstil der Ära darstellten—jedoch bereits keine Bedeutung mehr, da die meisten Leute sofort anfingen, über dessen Definition zu streiten. Das ist ein bekanntes Muster, das sich in den folgenden Jahrzehnten in allen Aspekten der Populärmusik und der Popkultur im Allgemeinen bis zum Erbrechen wiederholen sollte, sobald sich eine vormals konkrete Form weiterentwickelte und in verschiedene Teile aufspaltete. Im Punk geschah dies durch die dutzenden Subgenres, die zehntausende an Bands und Millionen an aufgebrachten Vorträgen und Ablehnung seitens der Wächter künstlerischer Reinheit hervorgebracht haben, die sich zu den ewigen Gebietern über Genre-Authentizität geweiht haben. Für ein noch frustrierenderes Beispiel davon solltest du dir mal Metal anschauen, ein Genre, dessen interne Zankereien sowohl Punk als auch die Politik im mittleren Osten vernünftig aussehen lassen.

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Diese Herangehensweise an die Definition von Genres hat Matt Daniels—einen Musikfan und Datenanalyst, der die Seite Polygraph betreibt—schon lange fasziniert. Für ein Projekt, das von Converse in Auftrag gegeben wurde, wollte Daniels herausfinden, in welcher Weise wir heute tatsächlich über Genres reden, verglichen mit den traditionellen, weitergegebenen Definitionen. Als Grundlage dienten Playlisten bei Spotify und YouTube und als Ausgangspunkt nahm er sich Punk vor. Im Prinzip war es ein Versuch, die Definition eines Genres per Crowdsourcing herauszufinden.

Die Ergebnisse gefallen dir vielleicht nicht, besonders wenn du einer etwas älteren Generation angehörst. Anhand tausender Datenpunkte hat er die beliebtesten Künstler der Playlisten untersucht, am zweitbeliebtesten waren Blink-182, knapp hinter Green Day. Abgerundet wurde die Liste von Bands wie The Offspring, Sum 41, Rise Against und Fall Out Boy. Ein Clash oder Ramone war nicht in Sicht. Das reicht, um einen gealterten Dad-Punk dazu zu bringen, seinen SUV in den Straßengraben zu setzen.

„Abgesehen von Green Day ist keine Band so weit verbreitet wie Blink-182“, schreibt er. „Von den tausenden Playlisten, die ich unter dem Titel „Punk“ bei Spotify gefunden habe, waren Blink-182 in der Hälfte vertreten. In der Mehrzahl der Fälle sind Blink-182 mit Punk synonym.“

Mit einer Reihe—besonders für Musiknerds—visuell aussagekräftiger und ungemein interessanter Grafiken hat Daniels eine Vielzahl an Subgenres von Punk wie Emo, Hardcore, Poppunk, Metalcore und andere untersucht. Als Typ, der viele Emo-Playlists macht, ist mir besonders die Liste der nicht sonderlich traditionellen Emo-Pioniere aufgefallen, wie My Chemical Romance, Fall Out Boy, Panic! at the Disco, All Time Low und Black Veil Brides. Aber wie Daniels mir erzählte, bin ich wahrscheinlich einfach nur alt, wenn diese Art von Ergebnis mich aufregt. Damit hat er sicherlich nicht unrecht, es gibt aber eine interessante Überschneidung zwischen dem Argument, das er versucht anzubringen, und der Art, wie wir über die Entwicklung von Sprache sprechen. Denk nur an die Definition des Wortes „buchstäblich“, das—buchstäblich—nicht mehr das bedeutet, was es eigentlich bedeutet. Ein Präskriptivist, auch bekannt als Grammatik-Nerd, wird sich über die Art, wie sich die Bedeutung von Worten mit der Zeit verändert, sicherlich aufregen, ein Deskriptivist wie Daniels schlägt stattdessen jedoch vor, dass Worte und Genres wie Punk nicht bedeuten, was sie bedeuten, sondern eher dadurch definiert werden, wie wir sie tatsächlich benutzen.

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Ich habe mit Daniels über seine Studie gesprochen und darüber, warum alles, wofür Musikkritiker in ihrer ganzen Laufbahn gearbeitet haben, im Prinzip bedeutungslos ist.

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Noisey: Was war der Antrieb hinter diesem Projekt?
Matt Daniels: Ich habe in der Vergangenheit eine Menge Musikprojekte durchgeführt. Wenn du dir die Seite poly-graph.co ansiehst, findest du dort ein paar Projekte, die mit HipHop und Spotify- sowie Lyric-Daten zu tun haben. Ich habe in der Vergangenheit also ein paar Sachen in diesem Bereich gemacht und eines der Dinge, das ich mir immer ansehen wollte, waren Genres. Genres gehören zu den schlimmsten Arten, Leute in einer Unterhaltung über Musik auf die Palme zu bringen, da alle unterschiedlicher Meinung sind, was nun was ist. Es ist schon immer eine amorphe Sache, ob etwas jetzt ein Subgenre einer anderen Sache ist. Es ist eine recht bedeutungslose Diskussion, da es keine echte Definition gibt und es sich immer weiterentwickelt.

Das ist eine Sache, die mir schon bewusst war: dass es schwer ist, ein Genre festzumachen und dass oft sogar die Künstler selbst widersprechen. Mit diesem Projekt wollte ich mir also ansehen, wie Leute Künstler anhand von Genres kategorisieren.

Eine Art, mit der wir dies unbewusst machen, ist mit Playlisten. Vor Spotify wussten wir nicht, wie Leute Künstler innerhalb von Genres kategorisiert haben. Spotify ist interessant, da die Leute die ganze Zeit Playlists kreieren. Du machst vielleicht eine Emo-Playlist, das ist dann ein Datenpunkt, der Bedeutung hat, egal, ob du richtig liegst oder nicht. In 20 Jahren wird sich das vielleicht ändern, aber 2015 ist das ein interessanter Datenpunkt. Ich habe also alle Playlists angesehen, die beispielsweise „Emo“ im Titel haben, und habe ein Ranking erstellt. Das Ergebnis davon ist, wer 2015 laut den Kids in die Kategorie Emo fällt.

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Warum gerade Punk? Und wie viele Playlists hast du dir insgesamt angesehen?
Punk, weil es eines der polarisierendsten Genres ist. Ich denke, im HipHop herrscht viel mehr Einigkeit, ob ein Künstler Rapper ist oder nicht. Das Genre ist viel eindeutiger: Wenn du rappst und es einen Beat gibt, dann ist es wahrscheinlich HipHop. Punk ist als zu untersuchendes Genre interessant. Im Bezug auf die Playlists: es waren ungefähr vier Millionen Songs in 100.000 Playlists. Aber ich musste diese nach bestimmten Playlists filtern. Von diesen 100.000 brauchte ich zum Beispiel nur ungefähr 2.000 Emo-Playlists, um es statistisch signifikant zu machen. Ich habe einen Bruchteil dieser Playlists genommen, damit wir für jedes Subgenre von Punk eine ähnliche Stichprobe haben—ein paar tausend für Emo, ein paar tausend für Hardcore, Pop-Punk und Post-Punk. Und das bezieht sich auf Spotify und Youtube. Die meisten Kids sind nicht bei Spotify, das ist teuer.

Wenn du von „Kids“ sprichst, meinst du dann wirklich Kinder oder meinst du damit Musikfans?
Ich meine wirklich Kinder. Wenn du 12 Jahre alt bist, dann sitzt du wahrscheinlich an einem Laptop, du hast noch kein eigenes Handy, du kannst dir Spotify nicht leisten und du hörst dir Musik bei YouTube oder über irgendeinen anderen kostenlosen Service an. Kinder sind wirklich interessant, da sie diejenigen sind, die die Entwicklung von Musik und die Kategorisierung von dem, was angesagt ist, bestimmen. Wenn ein paar 14-Jährige denken, dass Fall Out Boy Punk ist, dann werden sie älter und die Definition dieser Generation wird sich verbreiten. Deswegen sind jüngere Generationen interessant, wenn du über die Definition eines Genres nachdenkst. 13-Jährige sind wirklich wichtig, wenn es um den Versuch geht, die Zukunft vorherzusagen.

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Gab es ein paar Trolls, als du das zusammengestellt hast? Du wusstest wahrscheinlich, dass es Leute verärgern würde, wenn sie, sagen wir, Fall Out Boy als Inbegriff von Punk sehen.
Naja, das kommt darauf an wer, richtig? Wenn du 13 bist, dann sagst du: „Ja, Fall Out Boy ist Punk, was willst du mir sonst noch erzählen? Dass der Himmel blau ist?“ Dasselbe ist vor 20 Jahren passiert. Als Green Day groß wurden, haben alle gesagt: „Das ist kein Punk, das ist Pop von Leuten mit spitzen Haaren.“ Was du gesagt hast, ist alles relativ. Jede Generation denkt, dass jede andere Generation falsch liegt, was zurück zu dem eigentlichen Punkt des Artikels führt: Genres verändern sich stetig. Wenn Leute verärgert sind, dann weil eine neue Generation sich eine neue Definition von „Punk“ oder „Metal“ oder „HipHop“ aneignet.

Es gibt ein großartiges Zitat, ich glaube es ist von Vic Mensa, das besagt: „Ich interessiere mich einen Scheiß für 90er-HipHop.“ [Anmerkung der Redaktion: Es war Vince Staples.] Alle waren wütend. [Anmerkung der Redaktion: Ja, das waren sie.] Aber weil er so jung ist, sind Künstler aus den frühen 2000ern das, woraus er seine Inspiration bezieht. Ob sich ein 13-jähriges Mädchen für eine Band aus den 80ern interessiert? Das ist eine Ewigkeit her. Zu sagen, dass Fall Out Boy Punk ist, statt die Ramones oder Sex Pistols, ist eine Generationsdynamik.

So etwas Ähnliches haben wir auch diese Woche gesehen, als Leute versucht haben, junge Leute schlecht zu machen, weil sie nicht wussten, wer David Bowie ist.
Ja. Ich bin 30, sagen wir also ich würde nicht wissen, wer irgendein Künstler aus den 1940ern ist. Ich bin 1985 geboren. Sagen wir nun, du bist ein 12-jähriges Kind, du wurdest 2004 geboren. Geh 30 Jahre zurück, das sind dann die 1970er, also die Zeit von David Bowie; das ist so, wie wenn ich in die 50er zurückgehe. Ich könnte dir vielleicht vier Künstler aus den 1950ern nennen. Wenn wir eine Liste mit Künstlern aus den 1950ern machen müssten, dann würden wir Schwierigkeiten haben. Das passiert hier. Du musst auf dich selbst schauen. Wer ist das Äquivalent zu David Bowie aus den 1940ern? Er war ein großartiger Künstler, aber nicht die Nummer Eins in einer Top-Ten-Liste der kulturell bekanntesten Vertreter der Kunst der 70er.

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Gab es irgendwelche Bands, bei denen es dich überrascht hat, wo sie eingeordnet wurden?
Eine der Sachen, die ich verrückt fand, waren No Doubt. Sie haben Ska-Punk in den 90ern quasi definiert, aber dafür sind sie nicht mehr bekannt, sie haben sich einfach zu einer Popband entwickelt. Als ich mir Ska-Punk und No Doubt angesehen habe, war es interessant, zu sehen, dass sie nicht einmal annähernd oben gelandet sind. Es war interessant für mich, ob die Leute, wenn sie an No Doubt denken, sie als eine Genre-prägende Band für Ska-Punk in Erinnerung haben. Anscheinend nicht.

Eine weitere Sache war, dass Joy Division immer noch synonym mit Post-Punk sind. Wenn es darum geht, wofür Post-Punk steht, dann ist es immer noch Joy Division, die einige Jahrzehnte alt sind. Es gibt also noch einige Genrebezeichnungen, die sich überhaupt nicht verändert haben. Wir sind immer noch damit einverstanden, dass Joy Division Post-Punk ist, wenn es aber um Pop-Punk geht, dann entwickelt sich unsere Auffassung dessen, was damit bezeichnet wird. Es ist Fall Out Boy, nicht Green Day. Wir haben verändert, wo der Schwerpunkt dieses Genres liegt.

Es gleicht der Herangehensweise an die Veränderung von Sprache, es gibt Deskriptivisten und Präskriptivisten.
Ja, du bist total in der gleichen Welt wie ich, Etymologie und Semantiken. Und ich denke ein wenig anders darüber. Ich halte die ganze Genredebatte wirklich nur für ein Initiationsritual. In der Lage zu sein, über Genres zu reden, bedeutet, dass du ein Nerdwissen über diese Welt der Musik hast. Wenn du über zehn Subgenres von Metal reden kannst, dann weißt du, worüber du redest, also denke ich, dass es alles darauf zurückgeht. Es ist wie ein Initiationsritual und du lernst über eine Welt der Musik und Subkultur und Community. Ich werde dir sagen, was ich denke, was dies bedeutet, da ich eine andere Perspektive auf diese Community habe. Du weißt viel über Emo, du bist Ende 30 und du hast mehr Bezug zu dem, was in den 80ern abging und wie Emo entstanden ist. Daher stammt deine Definition. Vielleicht hast du etwas den Kontakt zu dem verloren, was bei neueren Bands abgeht. So denke ich darüber, wie wir uns der Subkultur der Musik nähern. Das macht diese ganze Genre-Sache überhaupt erst interessant. Dass es total in Ordnung ist und dass es OK ist, dass die Definition sich verändert.

Ich stimme dir in gewisser Weise zu, aber ich widerspreche dir auch. Es gibt Regeln! Aber einige dieser Bands, die du gefunden hast, werden überall eingeordnet, oder?
Ja. Ich denke, das passiert bei aktuellen Bands. Sie tauchen überall auf, weil sie beliebt sind und Teil der Kultur. Wenn Bring Me the Horizon überall auftauchen, weil sie gerade eine angesagte Band sind, dann ist das interessant. Wenn es eine neue Band gibt, die anders klingt, dann ist sie schwer einzuordnen, weil wir noch nicht wissen, wo wir sie reinstecken sollen. Diese Bands sind interessant, sie entziehen sich den typischen Einteilungsmustern, die Leute haben: „OK, das Tempo ist schnell, aber sie sehen nicht nach dem Genre aus, nach dem sie klingen, also ordne ich sie hier ein.“ Ich wollte das mit Death Grips machen. Sie sehen irgendwie aus wie eine HipHop-Band und es gibt einen Typen, der rappt, aber wenn du zu einem Death Grips-Konzert gehst, dann gehst du nicht zu einem HipHop-Konzert, du bist auf einem Punk-Konzert. Wenn du dir ihre Genre-Einordnung bei Spotify ansiehst, dann sind sie nicht beliebt genug, um genug signifikante Statistiken aufzuweisen, aber du siehst oft experimentellen HipHop. Sie tauchen in Punk- und HipHop-Playlists auf, es wird viel zusammengefasst.

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