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Laibach interessieren sich mehr für deine Freiheit als du selbst

Und nein, sie sind keine Nazis, du Idiot.

Du weißt vielleicht nicht, wer Laibach ist, und das ist okay—wie alles, was deinen bequemen Hintern darauf aufmerksam machen soll, was für verrückter Mist auf der Welt passiert, sind sie vor dir verborgen geblieben. Diese armen slowenischen Typen haben schon wie Rammstein geklungen, bevor jemand überhaupt im Entferntesten daran gedacht hat, dass so ein Sound kommerziell erfolgreich sein kann. Ihre schallenden Texte wurden auf Deutsch herausgebellt und aufwändige Bühnenshows mit abgefahrenen Lichtern und Tieren zu harten Industrial-Rhythmen haben für eine Menge beleidigter Leute im Publikum gesorgt. Der Unterschied zu Rammstein ist, dass sie keine Millionen Platten verkauft haben, obwohl sie in den 90ern amerikanische Bands wie Morbid Angel und Type O Negative beeinflusst haben, die jedem von ihnen erzählt haben, der es hören wollte. Im Jahr 1987 wurde Mute auf sie aufmerksam und obwohl sie seither durchgehend über das Label veröffentlicht haben, sind sie der kultischste aller Kult-Acts geblieben, eine Band über die dieses eine Arschloch im Plattenladen es geliebt hat, zu sagen, dass du sie nie verstehen wirst.

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Das war allerdings auch ihre Absicht. Laibach hätten die Dinge ein bisschen deutlicher und so schon seit einer Weile deutlich mehr Kohle machen können. Ihr größtes Verbrechen? Nicht alles zu erklären. Sie entstammen der David Lynch-Schule, die die Kunst für sich sprechen lässt, und wurden deswegen seit Jahrzehnten angefeindet, am meisten für ein Bild von vier Äxten, die in Form einer Swastika angeordnet waren, und das vom Anti-Nazi Künstler John Heartfield für das 1987er Album Opus Dei erschaffen wurde (ja, es gibt sie schon eine Weile). Das, in Kombination mit den gurgelnden Texten (oft auf Deutsch) über industrielle Beats, und, naja, ja… beim ersten Blick dachten viele Leute: „Meine Fresse, NAZIS!“

Aber sie sind keine Neonazis oder Faschisten oder sonst etwas anderes als Artsy-Fartsy-Liberale mit viel Herzblut, die Opern und Musicals mögen und die dich daran erinnern wollen, dass du immer noch tagtäglich von deiner Regierung angelogen wirst. Egal wie viele hippe Tweets jeden Tag aus dem Weißen Haus kommen. Aber hier ist die Sache: Sie haben nicht gesagt: „Sorry dafür. Wir hassen Hitler. WIR HASSEN IHN.“ Das hätte sie zu leicht vom Haken gelassen. Ihre Ergründung und die Parodie faschistischer Ideen vermittelt so deutlich, dass die Bemühungen der Idioten der Achsenmächte (und ihrer subtileren Erben) nicht das sind, was sie abfeiern, dass sie dachten, jeder der clever genug ist, würde das verstehen.

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Ihr neues Album Spectre ist auf den ersten Blick ideologisch weitaus nutzerfreundlicher; gut für alle von uns, die denken, dass mehr Leute als der Arsch im Plattenladen (RIP) Laibach hören sollten. Es ist ein brillanter und vielschichtiger Kommentar auf die Lage der westlichen Welt im Zeitalter der Überwachung und des wirtschaftlichen Kollapses und ist passenderweise zugleich inspirierend und deprimierend. Die erste Single „The Whistleblowers“, eine Hommage an Chelsea Manning und Edward Snowden, beginnt mit Pfeifen, ziemlich eingängigem Pfeifen, um genau zu sein. Der einzigartige, tiefe Laibach-Gesang wird zusätzlich vom himmlischen Gesang einer Frau, Mina Špiler, unterstützt. Spectre ist definitiv das poppigste, tanzbarste und eingängigste Laibach-Album überhaupt. Außerdem kommen sie einer direkten Unterstützung am nächsten, indem sie ihren Zynismus über die weltweite Maschinerie der Unterdrückung offen zeigen, während sie für die Auslöschung von Religion eintreten. Plötzlich hat es nie eine bessere Zeit für eine Popgruppe, die sich für intellektuelle Freiheit einsetzt, gegeben. Wir haben mit Ivo Saliger, dem Pseudonym von Laibachs ältestem aktiven Mitglied und Gegenstand des Interviews, darüber gesprochen, wo zur Hölle sie waren, was im Moment beschissen ist und wie es ist, auf Drogen Beatles-Songs zu covern.

Ich habe das Gefühl, dass Spectre eine visuelle Komponente hätte haben sollen, wie ein Theaterstück oder einen Film. Gibt es Pläne für so etwas?
Ivo Saliger: Na ja, das erste Video wurde gerade veröffentlicht, wir bereiten das zweite vor („Eurovision“) und es folgen hoffentlich weitere. Wir wären außerdem sehr erfreut, wenn das Album zu einer Inspiration für einen Film oder ein Stück werden würde. Aber um genau zu sein ist Spectre bereits ein Soundtrack für das Leben, das immer noch größer ist als ein Film.

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Der Trailer für Spectre deutet mehrere mögliche Erzählweisen an. Erzähl mir etwas über den Entstehungsprozess.
Wir sind einfach unseren Instinkten und unserer Intuition gefolgt. Wir wurden direkt von den Ereignissen der letzten paar Jahre beeinflusst, dem ökonomischen Zusammenbruch, den sozialen und politischen Unruhen in Europa und im Rest der Welt und—soweit es die Musik betrifft—von dem desaströsen Zustand, in dem sich die Musikindustrie und Popkultur allgemein befinden.

Das Album entstand relativ schnell, wir haben nur zwischen April und August 2013 daran gearbeitet und im September wurde es abgemischt. Unglücklicherweise wurde das Veröffentlichungsdatum zweimal nach hinten verschoben, aufgrund von Marketingstrategien, die immer schwer zu verstehen sind, also wurde das Album erst jetzt, am 3.März 2014, veröffentlicht.

Ich hab das Gefühl, dass auf Spectre ein gewisser Schwermut zu hören ist, als wärt ihr am Trauern oder so etwas. Lese ich das richtig heraus?
Das ist eine interessante Beobachtung, denn in vielen Reviews wird das generelle Gefühl des Albums als optimistisch wahrgenommen. Wir würden sagen, dass es beides ist, es hat etwas von Buster Keaton oder Jacques Tatí, beide sind eine große Inspiration.

Könnt ihr die Spuren, die die Filme von Keaton oder Tatí in der Arbeit von Laibach hinterlassen haben, genauer beschreiben?
Nein, das können wir nicht, aber du hast es bereits gesagt, es gibt einen gewissen Schwermut auf Spectre, egal wie optimistisch wir versuchen zu klingen. Das ist die Art von Gefühl, die man auch bei Keatons oder Tatís Hauptcharakteren finden kann.

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Ihr bezieht ganz offensichtlich Einflüsse aus verschiedenen Quellen, aber es klingt immer nach Laibach. Was waren eure Einflüsse bei Spectre?
Das ist bei Laibach wirklich unmöglich zu sagen, denn wir werden von allem möglichen beeinflusst, nicht nur Musik. Soweit es die Musik selbst betrifft, werden wir von allem, was wir hören, beeinflusst, angefangen bei gregorianischem Gesang.

Wie sieht der kreative Prozess bei Laibach aus? Gibt es eine Person allein, die den anderen Mitgliedern dann die Ideen vorsetzt oder ist es eher die ganze Band, die im Studio experimentiert?
Es ist viel Gespräch und Diskussion involviert, wir kreieren die grundlegenden Konzepte und Ideen zusammen und dann macht jeder seinen Teil, bevor wir wieder zusammenkommen. Wir sprechen dann über die Demos, tauschen uns aus und erschaffen die Songs dann so gut es geht zusammen, in wirklich kollektiver Manier.

Sowohl euch als auch den Melvins haftet seit Jahrzehnten das Etikett „Spaßband“ an. Was ist eure Reaktion darauf?
Das ist alles eine Frage der Perspektive; die ganze vorherrschende Popmusik-Szene ist im Grunde ein erbärmlicher Witz und versucht, so viel Geld wie möglich zu verdienen. Die sogenannte „Independent“-Musikszene ist im Grunde auch ein Witz und verdient kein oder nur ganz wenig Geld. Es gibt keine großen Bands oder Künstler mehr und wenn es sie gibt, sind es nur wenige—oder sie sind gut versteckt. Ob wir uns selbst als Teil einer Musikszene sehen? Nein, tun wir nicht. Vielleicht einer Popkultur im weiteren Sinne. Ist Laibach deswegen eine Spaßband? Nein, sind wir nicht; wir machen nur die Art von todernstem Humor, die keinen Spaß versteht.

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Rammstein: Imitat oder legitime musikalische Einheit, die zufällig in eine ähnliche musikalische Richtung wie ihr gegangen sind?
Rammstein sind all das, was wir nie sein wollten und wir wissen, dass wir ohne Mühe zu dem hätten werden können, was sie sind, wenn wir in Deutschland oder den USA und nicht in Slowenien leben würden. Sie haben offen zugegeben, dass Laibach ihre ursprüngliche Quelle der Inspiration waren und dass sie das, was wir gemacht haben, in etwas verwandelt haben, das massenkompatibler ist. Das können wir ihnen nicht verübeln.

Ihr habt nicht nur Bach und Andrew Lloyd Webber gecovert, sondern auch das ganze Let It Be-Album der Beatles, inklusive Cover-Artwork, bei dem ihr die Fotos der Beatles durch gemalte Portraits der damaligen Laibach-Mitglieder ersetzt habt. Ich habe das Gefühl, dass das Album ein Statement zum Verhältnis von Popmusik und Faschismus ist, aber ich kann nicht wirklich sagen warum. Kannst du das vielleicht?
Popmusik hat natürlich eine Menge faschistischer Elemente, aber darauf haben wir sicherlich nicht abgezielt, als wir beschlossen, an Let It Be zu arbeiten. Wir haben dieses Album insbesondere gemacht, da jeder uns gewarnt hat: Lasst die Finger von den Beatles. Also haben wir genau das nicht getan. Warum es so wurde, wie es ist, ist schwer zu erklären. Der Entstehungs- und Aufnahmeprozess war überhaupt nicht rational. Wir haben bewusst harte Drogen genommen, während wir an den Songs gearbeitet haben, und wir haben uns komplett von dem Mythos dieses letzten Beatles-Albums mitreißen lassen. Als unsere Version veröffentlicht wurde, hat das Wired-Magazin es zerrissen und zur „Microwave of the Month“ gewählt [es gibt keine digitale Version dieser Ausgabe, aber offenbar kam der 1995er Platte NATO die gleiche Ehre zuteil]. Ein paar Jahre später wurde die Platte vom New Yorker wiederentdeckt und in dem Artikel wurde unsere Methode im Prinzip als ein sehr brillantes und innovatives Beispiel für eine (Re-) Interpretation beschrieben und gelobt. Selbst für uns ist das heute immer noch ein sehr provokantes Album und Musik steht dabei definitiv nicht im Vordergrund.

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Was ist das Hauptthema bei Let It Be, wenn nicht die Musik?
Sein oder nicht sein.

Können wir irgendwelche Live-Konzerte zu Spectre erwarten? Vielleicht sogar eine US-Tour?
Ja, wir gehen in zwei Tagen auf Europa-Tour und wir planen eine US-Tour für den Herbst dieses Jahres.

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