FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Ich war im Gasometer auf einer YouTube-Blogger-Show

Ich habe viel getrunken und ich habe mich nachher lange geduscht.

Ich weiß das erste Mal nicht, wo ich genau anfangen soll. Ich habe live beim Weltuntergang zugesehen und gleichzeitig war ich mitten im 21. Jahrhundert. Wer sich ähnlich wie ich bislang gedacht hat, dank gewalttätiger Action-Zeichentrick-Sendungen und Anime wäre unsere Jugend im Arsch gewesen, den kann ich jetzt beruhigen. Wir sind toll. Schon alleine deshalb, weil weder Pokémon noch die Teletubbies eine Show im Gasometer geschmissen haben. Und weil diese Sendungen irgendwo noch eine Message hatten. Bevor ich aber auf die Menschen schimpfe, die jünger sind als ich—so wie es irgendwie alle tun—versuche ich chronologisch, das skurrilste Event zu beschreiben, auf dem ich je war. Und ich war schon auf Kanalisations-Raves.

Anzeige

Auf Facebook hatte die Veranstaltung 222 Zusagen—etwas wenig für das Wort „ausverkauft". Was ich nicht bedacht habe: Die Fans dürfen wahrscheinlich noch kein Facebook haben. Angekündigt waren Stars mit ihrem YouTube Namen. „Dagibee", „lifewithmelina" und so weiter. Bei den meisten, die angekündigt waren, wusste ich nicht, was sie eigentlich genau machen. Meine Neugierde war dementsprechend groß, was diese zwanzig Menschen in meinem Alter vor einer ausverkauften Halle präsentieren würden.

Ich kam wie immer zu spät. Schon von weitem hörte ich kreischende Kinder im Alter von 6 bis 12 und das verzweifelte Schweigen ihrer Eltern. Als ich in die Halle reingekommen bin, war die Show schon in vollem Gange. Simon Desue hat aufgeregt alle drei Sekunden gefragt „ob Wien noch Lust hat"—hier ein Video von der Soundkulisse, die sich eine Stunde lang durchgezogen hat.

Dieses Video beschreibt ganz gut, was eine Stunde lang passiert ist: Es wurden Sachen in die Menge geschmissen, Sachen verlost und die Kinder wurden im Abstand von einer Minute immer wieder zum Kreischen gebracht. Nachdem Simon Desue unterschriebene Leiberl in die Menge geschmissen hat und die Kinder aufgehört haben, Tinitus-erzeugendes Geschrei loszulassen, hat Simon Desue Dagibee angekündigt, und das Gekreische und Prozedere ging von vorne los. Also genau das war die einstündige Show. Ich habe mich also relativ schnell auf die Suche nach dem Alkoholausschank gemacht. Auf der Seite standen gebrochene Eltern mit einem Bier in der Hand und Ohropax in den Ohren. Ich war fasziniert und angewidert gleichzeitig, wie wenig man heutzutage können muss um sehr viel Geld zu verdienen. Ich habe noch heute eine Mischung aus Eifersucht und Wut in mir. Ein YouTube-Blogger hat es glaube ich sogar geschafft, Playback zu Sprechen. Also nicht singen, sprechen. Dagibee ist mit einem Honiglächeln immer wieder rausgehüpft um die nächsten Stars anzukündigen. Sie hat mich sehr an eine teuflische Version von den Teletubbies erinnert. Nach dem dritten Spritzer war ich mir auch relativ sicher, dass sie eine Verwandte von Heidi Klum ist. Als endlich Musik angekündigt wurde, ist Dagibees Schatzi (das weiß ich, weil sie das so gesagt hat) rausgekommen und hat einen Song über das Doppelkinn gesungen. Das war in den iTune-Charts. Was ist das für ein eiskaltes, unmoralisches Paar? Warum machen sie das? Ist ihnen unsere Zukunft nichts wert? Ist ihnen das Geld wichtig? Was ist eigentlich genau ihr Talent? Solche und ähnliche Fragen schossen mir durch den Kopf, aber leider habe ich um kein Interview angefragt.

Anzeige

Gebrochene, taube Eltern auf der Seite.

Circa zu der Zeit fingen ein paar Kinder an zu kollabieren und wurden von der Rettung weggebracht. Oh Gott, Tokio Hotel hat zumindest noch Musik gemacht. Ich habe mich mit Eltern unterhalten, der Vater schon angesoffen, die Mutter hat die Fahr-Arschkarte gezogen. Sie schauten mich nur resigniert an, als ich sie gefragt habe, wie sie das 21. Jahrhundert so finden. Der Vater meinte auch bedrückt: „Najo, zumindest sans kinderfreundlich und schimpfen ned." Hat Pokémon auch nie. Ich konnte auch sehr viele verkaufte Colas zählen, ich glaube die Bardame hat pro Minute fünf Flaschen verkauft. Außer, dass die ganze Zeit wirklich, wirklich laut geschrien worden ist, hatte auch jedes Kind sein Smartphone draußen. Es wurde sogar zum Smartphone-Gebrauch aufgerufen. Ab irgendeinen Punkt hieß es, man soll den Blitz anmachen. Ich weiß nicht mal, wie das geht, also habe ich ganz Oldschool mein Feuerzeug hoch gehalten. Es war übrigens die erste Show auf der ich war, wo es nicht nach Gras gerochen hat.

Smartphonegebrauch.

Ich hab mich zwischenzeitlich wie eine Enthüllungs-Journalistin gefühlt. Ich meine, niemand der keine Kinder hat, weiß von dem Wahnsinn, der da mit den heutigen Kindern abgeht. Ich habe mich schon gefragt, was die Kinder von heute schauen. Schauen sie wirklich Menschen dabei zu, wie sie sich mit Marken-Produkten schminken? Wo soll das noch enden? Ich starte übrigens im Juni den Selbstversuch, ein großer YouTube-Blogger zu werden. Ich werde mich schminken und dabei rappen. Aber nichts mit Schimpfwörtern. Wenn ich dann reich bin, lade ich jeden Follower, der mich in einer Wiener-Disco vorfindet, auf ein Spritzer ein. Weil ich bin auch volksnah.

Als letzte Aktion haben Dagibee und der andere gesagt: „Die Stadt, die am lautesten abgeht, kommt in unsere Tour-DVD, also jetzt geht bald Musik los und ihr müsst springen. Versteht ihr?" Sogar das ist für's Video gefaket. Noch bevor es hieß, dass man jetzt seine Stars treffen kann, habe ich panisch den Ausgang gesucht. Ich fragte den Security wo der Raucherbereich ist, aber es gab keinen. Ein paar Kinder sind ganz schnell zum Merchandise-Stand gelaufen und haben sich Pullis mit einer Dagibee-Aufschrift gekauft. Ich weiß gerade nicht, ob das die beste oder die schlimmste Show war, auf der ich je im Gasometer war. Die Stimmung, der Verkauf und alles bekommt 10 von 10 Punkten. Trotzdem musste ich mich zuhause eine Stunde duschen um das zu verarbeiten. Außerdem habe ich verschiedenste Verhütungsmethoden nachrecherchiert. Jeez.

**

Fredis YouTube-Blogger-Name wird genau wie der Twitter-Name sein: @schla_wienerin.

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.