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Gedünstetes Gemüse, gedünstete Menschen—Popfest, Tag 1

Das Popfest ist wieder gestartet. Wir sind für euch jeden Tag dabei.

Alle Fotos: Sebastian Rossböck

Seit Donnerstag läuft in Wien wieder das Popfest. Noisey ist für euch jeden Tag dabei.

Wer Menschen hasst, die über die Hitze sudern, sollte an dieser Stelle mit diesem Text aufhören. Ich mach das nicht gerne. Aber die Hitze hält Wien nun mal in ihrem eisernen Griff, ist allgegenwärtig, und man kommt in jedem Gespräch nach kurzer Zeit stöhnend auf dieses Thema zu sprechen, während man verzweifelt versucht nicht an Überhitzung zu Grunde zu gehen. Gestern startete die sechste Ausgabe des Popfests—das man wahlweise als ein Zeichen für Wien als Popstadt, als größtmögliche Ausdehnung der Blase oder eine Fleischbeschau der Musikszene sehen mag—damit also nicht unbedingt unter den besten Bedingungen. Wobei ein bisschen auch schon, weil es die Leute eh nicht in ihren schlecht durchlüfteten Dachgeschoss-Wohnungen aushalten.

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Kurzum: Es ist heiß am und um den Karlsplatz. Also richtig heiß. Leute ölen ihre T-Shirts voll und reiben in der Menge versehentlich (davon gehe ich zumindest aus) ihren Schweiß an Außenstehende. An der Wasserausgabestelle bilden sich lange Schlangen wie in einem… jetzt könnte hier nur ein unangebrachter Vergleich kommen. OK, ich hör schon auf.

Das Popfest beginnt offiziell auf der Seebühne mit dem Vegetable Orchestra, was genau das tut, wonach es klingt. Das ist recht freaky und lustig. Nach dem Gig will das Orchester seine Instrumente an das Publikum verteilen, was mit Recht erstmal skeptisch ist. Man würde es ja auch nicht cool finden, wenn einem auf der Straße jemand einfach so einen angesabberte Stange Sellerie anbieten würde. Aber nachdem diese spezielle angesabberte Stange Sellerie einen kulturellen Wert hat, überwinden die Hippies auf dem Karlsplatz schnell ihre Scheu und reißen dem Orchester das Gemüse aus der Hand als wäre morgen nuklearer Holocaust und man müsste noch schnell was einlagern.

Später kommen 5/8erl in Ehr'n auf die Bühne, mit Recht ein wichtiger Teil einer postulierten Bewegung, die wahlweise als neuer Wiener Soul, Wiener Blues oder neues Wienerlied bezeichnet wird. Ist aber eigentlich ziemlich wurscht. Die Achterln sind eine fantastische Live-Band, aber das weiß man ja eh. Und zwar nicht nur bei den verhältnismäßigen Gassenhauern der neuen Yes We Does-Platte wie „Alaba, How Do You Do?" oder „Akademikerball“. Es gibt auch ein paar eher leisere Tracks, die live einfach viel, viel besser sind als auf Platte—„Für Emil“ zum Beispiel. Dass die politische Message der Band, die sie gelegentlich in Zwischenansagen mitteilt, am Karlsplatz ein bisschen mehr irritiert als bei ihren Solo-Shows im Brut, ist dabei übrigens Teil des Konzepts. Die Band ist ja quasi ein trojanisches Pferd, wie sie uns mal erzählt haben.

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Trotzdem ist zumindest die Seebühne—was sich auch schon in den Jahren davor gezeigt hat—für die leiseren Töne und Bands eher suboptimal geeignet. Es ist ein öffentlicher Raum, demenstsprechend ist die mögliche Lautstärke begrenzt. Wenn man ein bisschen von der Bühne weg ist, verlieren sich Bands wie 5/8erl in Ehr'n oder Schmieds Puls letztes Jahr einfach in einem Gewirr aus Stimmen, Dosenbier und „WO SEID IHR?“-Anrufen. Aber das ist irgendwie auch OK. Es ist nicht die Aufgabe des Popfestes, die Stadt zu erobern und einzunehmen, sondern sich organisch einzufügen. Das mag für Musiknazis manchmal schwierig sein. Aber die bleiben großen Umsonst-Festivals ohnehin besser fern.

Nach den Achterln versammelt sich die Wiener Beat-Szene vor dem Red Bull Brandwagen, um zwei ihrer Mitglieder und ihr Projekt zu feiern, das eigentlich viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Brenk Sinatra und Fid Mella führen ihr „Chop Shop 2—Singende, klingende Unterwelt“ auf, bei dem sie alte Wienerlieder in neue Gewänder einkleiden. Ich bin ehrlich: Ich hätte nie gedacht, dass das live funktioniert. Aber Oida—es knallt trotz technischer Probleme und der limitierten Möglichkeiten des Musikmarketings-Busses richtig gut. Ein bisschen reduzierter als auf dem Album, mit grandiosen Zwischenansagen und Shout Outs an Protagonisten einer Bundeshauptstadt, die es so nicht mehr gibt. Das ist zu kurz, macht aber zweifellos Spaß.

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Der Autor ist mittlerweile bei seinem dritten Bier und seinem dritten Liter Schweiß. Aber langsam ist die Sonne untergangen und die Temperaturen „fallen“ auf unangenehme 63 Grad, als Dorian Concept und seine Mitstreiter Cid Rim und The cloniOUs die Bühne betreten und beginnen, vor allem die neuen Sachen von Joined Ends, dem 2014 erschienenden und lang erwarteten Dorian Concept-Album zu spielen. Und es ist ehrlich gesagt immer wieder ein Wahsinn, was die drei da live am Schlagzeug, Keyboard, Midi-Bass und Synthie abziehen. Es wirkt völlig verspielt und gleichzeitig fehlerlos. Ich sage das zu einem Freund von mir, der die drei recht gut kennt und sie im letzten Jahr noch öfter gesehen hat als ich. Er stellt eine Gegenthese auf: Sie hätten mittlerweile viel weniger Angst Fehler zu machen und würden das wahrscheinlich auch tun. Weil es ihnen aber immer egaler sei, würden sie viel mehr ausprobieren und dabei auch viel mehr Spaß haben. Auf jeden Fall ist der Auftritt als solcher sicher ein Sück besser, als der mittlerweile ein bisschen legendäre Gig im brut im Dezember—auch wenn es da natürlich familiärer war.

Nach Dorian muss die Seebühne abbrechen. Die Menschen gehen nachhause, trocknen und/oder holen sich noch ein Bier. Man redet ein bisschen über die Auftritte. Der Platz leert sich, die Bier- und Wodka(neu!)verkäufer belagern die weniger werdenden Gäste. Es wird mit jeder Minute angenehmer. Im Prechtlsaal der TU wird es währenddessen experimenteller. Kompost 3 werfen der schwülen, stickigen Luft ihren Jazz-Entwurf entgegen, und danach wird es mit Aiko Aiko (Drums, Geige, Elektronik) noch abstrakter. Das ist eigentlich alles ur schön, aber die Menschen zieht es nach 2,3 Nummern dann doch immer wieder in den Innenhof. Fies, aber verständlich. Danach wäre Kimyan Law eigentlich ein Pflichttermin, aber die Programmierung macht mir einen Strich durch die Rechnung. Halb zwei an einem Donnerstag mit heute arbeiten und noch zwei Tagen Popfest vor mir—no way. Das nehme ich den Kuratoren ein bisschen übel. Aber sie haben ja noch ein bisschen Zeit, mich wieder umzustimmen.

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