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Rudis Brille

Rudis Brille: Vom Lighthouse in die blaue Realität—Das böse Erwachen

Ein schöner Traum endete mit der Frage, ob ich den Ausgang der Wahlen schon kannte.

Letztes Wochenende begab sich die Wiener „Szene“ zum Großteil ins befreundete Ausland, um dort dem—von den Pratersauna-Machern mitiniziierten—Lighthouse Festival nahe Porec beizuwohnen. Und diesmal passte vieles zusammen: Das Wetter war top, die Locations sowieso und die Musik war zumeist eine nette Nebensache. Egal ob bei der legendären Afterhour im Wald, wo sich auch Sonnenscheue hintrauten, oder auf den Strandschauplätzen, wo man schon herzeigen konnte, was man hat (oder auch nicht hat, aber es gerne hätte). Es war ein kollektives, nie enden wollendes Vergnügen, ein schöner Traum quasi, der je nach Mithilfe von außen drei bis fünf Tage dauern konnte und den die meisten gerne noch bis heute ausgedehnt hätten. Ich wohl auch, doch ich gab Sonntag Abend auf und versank ins Koma. Als ich kopfwehgeplagt irgendwann erwachte und aufs Handy schaute, sah ich Nachrichten von den (unglücklich) Daheimgebliebenen, ob ich den Ausgang der Wahlen schon wüsste: „Wahlen, welche Wahlen? Achja, die Steiermark und das Burgenland.“ Und dann sah ich die blauen Balken. Schweißgebadet erwachte ich aus dem schönen Traum einer heilen Welt, in der man mit Menschen aller Nationalitäten und Kulturen gemeinsam feiern konnte, in der Musik die Sprache zur Völkerverständigung war. Was ich da katergeplagt am Display meines Handys sah, war Grund, das WC aufzusuchen.

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Nun, wiedergekehrt im Hitzestau Wiens—in die Realität Kakaniens quasi—haben sich in den sozialen Plattformen derweilen die Emotionen entleert. In meiner, von mir ausgesuchten, Welt gab es natürlich nur Empörte, die den Untergang des freien Abendlandes kommen sahen, die an der Gesamtintelligenz des mündigen Bürgers zweifelten und die das Fluchen über soviel versteckten Hass, den ein Grossteil der Bevölkerung wohl in sich tragen muss, wenn er einer Partei wie der FPÖ seine Stimme gibt, nicht lassen konnten. Das alles mag stimmen und auch meine Meinung sein. Das Hauptproblem ist jedoch, dass die Jetzt-nicht-mehr-Großparteien wie erstarrt diesem Treiben zusehen, ohne Gegenstrategien zu entwickeln. Die Österreicher sind seit jeher ein Volk, das Angst hat und aus Angst dem Populismus zugetan ist. Schon in der Monarchie gab es Schönerer und Lueger („Wer a Jud is, bestimm ich“), dann folgten Dollfuss mit seinem Versuch des Austrofaschismus und schließlich Hitler, der für viele die Erlösung brachte: Was das Resultat war, wissen wir: Erlöschung. Danach herrschte geduckte Ruhe, Aufbau, Sozialpartnerschaft forever, Große Koalition forever, nie wieder Krieg forever, Marktwirtschaft forever und selbst wenn man früher mal dem Populismus nachlief—man war geheilt.

Das Einzige, was alle einte, war die Angst vor dem stalinistisch geprägten Kommunismus, der uns in Österreich zu einem Randstaat der westlichen Industriewelt am Eisernen Vorhang machte. Irgendwann aber, 1956, durften sich dann die Ehemaligen zur VDU und später zur FPÖ neu erfinden und ein bisschen im Nationalrat mitdiskutieren, regieren durften sie freilich nicht. Man durfte aber ruhig noch sagen, dass „Unterm Hitler nicht alles schlecht war“, weil „Jeder hatte Arbeit“ und „Es herrschte Ordnung“, für die Nachkriegsgeneration, die gar nicht mehr viel vom großen Krieg wissen wollte, war das ebenso OK, wie die Verwendung der Worte „Neger“ oder „Zigeuner“, ansonsten hieß es im spießigen Österreich: Nach vorne schauen, was damals war, interessiert keinen: Das alles ging gut, bis in die späte Kreisky Ära—bis Jörg Haider und seine FPÖ den österreichischen Politmarkt durcheinander wirbelten. Zuerst ging es gegen die Korruption, gegen die Parteibuchwirtschaft der Großparteien (vor allem in Kärnten), doch alsbald war der Hauptschuldige gefunden: Der Ausländer!

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Warum tun wir uns in Österreich so schwer, mit Gegenbeheiten umzugehen, die wir selbst gar nicht beeinflussen können? Als 1956 die Ungarn oder 1968 die Tschechoslowaken (damals waren sie es noch gemeinsam) von den Panzern ihrer Revolutionen beraubt wurden, haben wir die Flüchtlinge aus diesen Ländern mit offenen Armen aufgenommen, auch die Polen im Jahre 1981. Als aber der Eiserne Vorhang aufbrach und in den frühen Neunziger Jahren die erste grosse Migrationswelle eintraf (nicht die Gastarbeiterwelle, die gab es schon in den Sechzigern), war es um unsere Freundlichkeit geschehen. Der Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ war geboren, jeder der zu uns kommt, will eigentlich nur unser Geld und unsere Sozialleistungen, er will uns unsere Jobs wegnehmen—vor allem jene, im Niedriglohnsegment, die wir sowieso alle gerne machen würden.

Nach der Ost-West Wanderung in den Neunzigern, trat und tritt nun die globale Migration ein. Jene, die uns nun offenbar gänzlich in die Arme der FPÖ treibt, die unter HC Strache nach Jörg Haiders Tod—man konnte es kaum glauben—offenbar noch stärker zu werden scheint, trotz der gigantischen innenpolitsichen Verfehlungen und Skandale der letzten Jahre (HYPO etc). Es reichen plumpe Parolen aus der tiefsten Schublade, um der Bevölkerung Angst einzuflössen gepaart mit äußerst unglücklichen Perfomances der Regierenden.

Nun, wenn also so viele im Internet dazu aufrufen, man müsse was dagegen tun—was sollen wir, die wir ohnehin nicht so denken, dagegen tun? Was können wir dagegen tun? Ein Festival der Toleranz? Wäre eine gute Idee, aber kochen wir damit nicht in der eigenen Suppe? Es existiert eine gigantische Grundangst vor „Fremden“, jedes Verbrechen, das von Ausländern in Österreich begangen wird, wird vom Billigboulevard genüsslich hochgekocht.

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Es gäbe da und dort ja keine Österreicher mehr, heißt es andauernd. Ja, ich stelle die provokante These auf, dass, wenn wir niemanden mehr in unser schönes Land ließen, wir bald aussterben würden. Wir wachsen nur, weil wir Zuwanderung haben, wir prosperierten nur (jetzt tun wir das ja laut neuesten Studien nicht mehr), weil wir ausländisches Know How hereingeholt haben, wir würden aussterben, gäbe es nur uns selbst. Klar darf man nicht wegleugnen, dass es unzumutbare Zustände gibt, wie jene in Traiskirchen—doch zieren sich die Länder seit Jahren, die EU-Quote zu erfüllen. Sie wollen es einfach nicht. Wenn dann notdürftige Zeltstädte aufgebaut werden, ist der Aufschrei groß.

Österreich hat eines der strengsten Asylgesetze der ganzen EU. Flüchtlinge, wie jetzt jene aus den IS-Kriegsgebieten, landen gemäß dem Abkommen von Dublin automatisch an der EU-Außengrenze. Also etwa Italien oder Griechenland. Zu uns kann und darf nur ein kleiner Prozentsatz kommen, selbst der ist der FPÖ und auch den ängstlichen Länderregierungen zu viel. Das Einzige, was also bei uns zur Zeit zieht, ist die Angstmache: Die Angst vor Dschihadisten, Salafisten, organisierten Räuberbanden, Wirtschafstkriminellen, Drogendealern und am besten allen anderen auch. Dagegen hilft nur ein pauschalisiertes „Nein“. Aber hat man denn erkannt, dass die FPÖ keine Strategie hat, wie sie Herr dieses Problems werden könnte, wenn sie mitregieren dürfte? Dann würde ein kollektives „Nein“ nicht mehr reichen, denn man muss ja auch einen Plan, eine Idee, einen Lösungsansatz haben.

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Könnte nun die provokante These angebracht werden, man sollte die FPÖ wieder mitregieren lassen, denn sie würde ohnehin in einem Chaos versinken, wie nach dem letzten Versuch 2000, als es noch hieß: „Die Schande Europas“ (Profil Cover des Jahrhunderts). Ich behaupte „Nein“. Das Klima würde noch vergifteter, die jeweiligen Koalitionspartner würden von der FPÖ einzig und allein beim Ausländer und Flüchtlingsthema so unter Druck gesetzt werden, dass es zu keinem Lösungs-, eher zu einem Eskalierungsmodell käme.

Darum finde ich es auch gut, dass darüber nun so viel diskutiert wird. Ist das, was im Burgenland nun passiert (SP-FP Koalition) ein Tabubruch, wenn ja, warum? Sollen und müssen wir auf Gedeih und Verderb mit Großen Koalitionen leben? Warum werden die Grünen nicht stärker? Brauchen wir endlich das Mehrheitswahlrecht? Warum regt sich die SP-Parteibasis nicht mehr, warum gibt es nicht endlich wirksame Strategien gegen den Facebook-Populismus der Strache-Burschen?

In Wien droht uns der schmutzigste und dreckigste Wahlkampf aller Zeiten. 30% aller in Wien lebenden haben Migrationshintergrund, eigentlich sollten sich alle von dem untergriffigen mit Nazisymbolik und Zitaten gespickten Wahlkampf der FPÖ distanzieren, doch tun sie das auch? Oder heißt es dann nicht doch: „Naja, eigentlich hat er ja recht…“ Aber was tut er dann dagegen? Was können wir tun? Die Offenheit predigen wie einst Jesus die Liebe? Hilft das noch? Sind nicht die meisten taub am guten Ohr? Wir DJs, Veranstalter, Clubbetreiber und sonstige „open minded people“ haben eine Verantwortung, nämlich die, nach außen zu tragen, dass Wien „anders“ ist, so anders wie es alle Hauptstädte Europas sind: Ein friedliches Miteinander—eine heile Welt gibt es nirgendwo—aber eine von Hass geprägte blaubaune Welt darf es bei uns nicht geben. Man sollte potentielle Strachewähler zumindest davon überzeugen, und nicht dem Methusalix in Asterix glauben, wenn er sagt: „Ich habe nichts gegen Fremde, aber die, die ich kenne, sind nicht von hier“.

Den Anfang macht wieder einmal die Grelle Forelle am 3.Juli mit einer Veranstaltung. Wie viele noch folgen werden ist offen. Ich hoffe noch einige—ob es jemals noch für ein Lichtermeer reichen wird, wage ich zu bezweifeln, wünschen würde ich es mir! Ich bin jedenfalls für alle guten „Schandtaten“ bereit!

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