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Thump

Feiern gehen mit Depressionen ist anders, als du denkst

Das Nachtleben kann dir ungeahnte Glücksgefühle verschaffen, doch die Routine lauert bereits um die Ecke.

Wohl jeder, der hart feiern geht, kennt das Gefühl vom Tag danach, diese dumpfe Traurigkeit. Post-Party-Depression nennen das die einen, die vergehe schon wieder. "Reiß dich halt zusammen oder geh weniger feiern!", sagen andere. Nur was, wenn dieses Gefühl der Traurigkeit bleibt? Wenn du über die Traurigkeit aber gar nicht mehr sprechen kannst, weil es nichts Ersichtliches gibt, das zu betrauern wäre? Wenn du Depressionen hast und immer wieder die Flucht in den Club suchst?

Viele Depressive warten jahrelang auf eine Diagnose. Meine lautet in der Fachsprache: Dysthymie. Dazu Wikipedia: "Dysthymie ist eine affektive Störung, die aus den gleichen kognitiven und physischen Mustern besteht wie die Depression." Die Symptome sind weniger ernst, halten jedoch länger an.

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Viele Betroffene leiden nicht so sehr wie bei einer klassischen Depression. Deshalb ertragen sie ihre Erkrankung über Jahre hinweg, bevor sie sich Hilfe suchen. Bis dahin glauben sie, die Schwermütigkeit sei ein Teil ihrer Persönlichkeit. Freunde und Familie verstärken diese Einschätzung oft. Der Comedian Oliver Polak, der selbst an Depressionen leidet, beschreibt das gegenüber DIE ZEIT so: "Für meine Mutter gibt es Depression nicht. Das ist eine Erfindung der Ärzte." Sensibel, überempfindsam, negativ, pessimistisch – so nannte mich mein Umfeld. Aber nie depressiv.

"Ab einem gewissen Pegel begann ich, entweder herumzupöbeln oder stundenlang zu weinen"

In der Schule wollten meine Freunde mich aufmuntern, sagten mir, dass ich mich doch für dieses oder jenes interessieren würde, dass ich doch dies und das könne. Allein, es half nicht. Und auch wenn dahinter keine böse Absicht steckte, Allgemeinplätze wie "Jeden geht es mal so" verfestigten nur einen Gedanken: dass es an mir liegt; dass ich nicht so rumheulen sollte; dass es ganz normal wäre, mal down zu sein. Ich wollte aber endlich vorankommen, also machte ich mir selbst Druck. In mir ist so ein innerer Kritiker herangewachsen, der mir gnadenlos alle Unzulänglichkeiten meines Handelns und Denken vorhält.

Im Studium konnte ich diesen Kritiker nie zufrieden stellen, selbst mit den besten Noten nicht. Bereits in dieser Zeit habe ich immer wieder die Flucht in den Alkohol gesucht. Ab einem gewissen Pegel begann ich, entweder herumzupöbeln oder stundenlang zu weinen. Am nächsten Tag schämte ich mich über mein Verhalten, hasste mich selbst und kritisierte mich dafür in einem fort. Während dieser Phase studierte ich in einer Kleinstadt. Die Studentenpartys vermied ich weitestgehend, hier ging es zu wie auf dem Dorf und alle redeten nur über ihr Studium.

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Ich wechselte schließlich mein Studium und landete so in Berlin, dem Zentrum der Clubkultur. Hier fand mein Hang zum destruktiven Eskapismus neue Möglichkeiten. Und das tagelang. Ich konnte meine Schlafstörungen verdrängen und fing an, Drogen zu nehmen. Mit ihnen war ich außer mir und zugleich doch ganz bei mir. In diesen Stunden belastete mich meine Psyche einmal nicht.

Am Morgen nach meinem ersten Mal MDMA lag ich wie gelähmt da. Freunde führten dieses Gefühl auf den Drogenkonsum zurück, der oft zu einem niedrigen Serotonin-Spiegel führe. Mir leuchtete das ein. Wird schon wieder, dachte ich. Es dauerte mehrere Tage, bis alles wieder wie vorher war, aber die Erfahrung des Wochenendes lebte in mir fort. Toll, dachte ich mir, mit Drogen kannst du deinen Zustand wirklich verbessern. Und anders als bei Alkohol würde ich mich nicht selbst in Gefahr bringen.

Ich fing an, regelmäßig zu konsumieren, suchte schon montags die passende Party für das kommende Wochenende raus. Das MDMA wirkte noch besser, wenn ich die Musik kannte und mochte. Immer wieder stellte sich das neue Glücksgefühl ein, immer wieder kam ich danach tagelang nicht aus dem Bett. Meine Seminare und Vorlesungen legte ich daher auf donnerstags und freitags. Ich nahm die immer wiederkehrende Lethargie in Kauf, um mich regelmäßig in den Zustand versetzen zu können, der mir als Glück erschien. In einer Nacht blieb eine junge Frau auf der Tanzfläche stehen. "You look so happy, I never saw someone being so happy", rief sie mir über die laute Musik hinweg entgegen. Ich tanzte einfach weiter und sie stand noch eine Weile da, sah mir zu, während ihr Freund immer wieder an ihrem Arm zog.

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Mit der Zeit wurde der positive Effekt der Nacht immer geringer, es häuften sich die Beinahe-Abstürze. Zu den emotionalen Hochs kamen die Tiefs: Meine Gefühlsausbrüche riefen mir verdrängte Kindheitserlebnisse wieder ins Bewusstsein. Ich hörte dennoch nicht auf auszugehen, im Gegenteil: Die Angst vor dem Tag machte es mir noch schwerer, nach Hause zu gehen.

"Für eine Therapie müsste ich allerdings auf alle Drogen verzichten – das konnte ich nicht"

Einmal kam ich nach einer langen Nacht aus dem Club der Visionäre und ging von dort ins Berghain. Dort warteten die Türsteher, die alle so fürchten. Zu mir sagten sie aber nur: "Schlaf ein paar Stunden, dann kommst du auch rein." Ich willigte ein und setzte mich dann mit ein paar Bieren auf eine Couch in der Nähe, auf der bereits ein Obdachloser saß. Wir teilten das Bier und er erzählte mir, wie er zu dem Menschen geworden sei, der nun neben mir saß. Wie sehr er seine Tochter vermissen würde, die er seit fünf Jahren nicht mehr gehört oder gesehen hätte. In solchen Situationen denkst du dir: Was ist mein Gejammere gegen dieses Leben? Ich gab ihm zehn Euro und sagte, eine Hälfte für Alkohol, eine für eine Telefonkarte. Er nickte.

"Jetzt siehst du schon besser aus", sagte der Berghain-Türsteher Minuten später. Doch drinnen fühlte ich mich entfremdet, von allen anderen Menschen und von mir selbst. Als ich ging, es war 15 Uhr, lief ich zur East Side Gallery an die Spree. Dort sank ich ins Gras und begann zu weinen, ein Lied von Austra auf den Kopfhörern und umgeben von glücklichen Menschen. Jemand fragte: "Kann man dir irgendwie helfen?" Ich schüttelte nur den Kopf.

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Obwohl ich nach dieser Nacht noch tiefer und tiefer in meiner Spirale aus Selbstvorwürfen versank, ging ich weiter feiern. Von außen merkte mir niemand meinen Zustand an. Ich wirkte – und wirke – auf meine Mitmenschen wie ein lustiger Zeitgenosse, der um keinen Witz verlegen ist. Doch dieser Humor hat mein Innerstes oft nur verdeckt.

Meine Freunde rieten mir, eine Therapie zu machen. Nach wochenlangen Versuchen, endlich zum Hörer zu greifen, hatte ich einen Termin bei einem Therapeuten, der tiefenpsychologisch arbeitete. Nach dem ersten Gespräch erkannte wir, dass ich eine Behandlung benötige. Allerdings müsste ich auf alle legalen und illegalen Drogen verzichten – das konnte ich nicht.

Ich entschied mich weiter zu machen wie bisher, suchte weiter nach etwas, das ich nicht finden konnte. Mein Studium litt darunter, ebenso meine Beziehung. So sehr dein Partner oder deine Partnerin es auch versucht: Nachempfinden können sie deine Gefühle nicht. Es ist nicht einfach nur so, als sei man permanent traurig oder geknickt. Oder "depri", wie manche sagen. Es ist das Gefühl eines deterministischen Verlaufs des Lebens und der Welt, der durch nichts aufzuhalten ist. Oder mit einem Wort: Ohnmacht. Alles, was du spürst, ist Ohnmacht.

Meinen Abschluss habe ich dennoch geschafft – mit letzter Kraft und auch nur, weil es mir ständig an Kohle mangelte. Nach der Uni fällst du erstmal in ein großes Loch, zumindest sagen das immer alle. Nur befand ich mich bereits vorher darin. Nach der Verteidigung meiner Abschlussarbeit ging ich wieder aus, nicht weil ich mich freute, sondern weil es Routine war. So machte ich auch in den Monaten danach weiter. Mein psychischer Zustand verschlimmerte sich.

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"Vielleicht ist der Depressive nicht die Person, die traurig am Rand sitzt, sondern die, die mit einem Grinsen neben dir tanzt"

Dass ich heute, ein paar Jahre später, erstmals glaube, dass es mir dauerhaft besser gehen könnte, liegt an meiner neuen Freundin. Sie gab mir das Telefon und die Nummer einer Beratungsstelle. "Ich gehe nicht weg, bevor du da angerufen hast", sagte sie und hat richtig gehandelt. Ich fand einen Therapeuten und bekam eine Diagnose, das allein war schon erleichternd. Ich wusste nun, dass mich doch einiges unterscheidet von den vielen anderen Menschen, denen es auch mal schlecht geht. Das nahm Verantwortung von mir und die wöchentlichen Sitzungen haben mir eine Perspektive gegeben.

Feiern gehe ich heute immer noch. Aber ohne MDMA oder ähnliche Substanzen. Die vielversprechenden Ergebnisse zu MDMA und Ketamin in der Psychotherapie kenne ich zwar, ich weiß aber auch, dass die Comedowns nach einer exzessiven Party-Nacht mit Ecstasy für Depressive wie mich kaum zu bewältigen sind. Praktisch jeder Therapeut rät daher zurecht davon ab, während einer Therapie oder danach Drogen zu nehmen. Da meine Behandlung mein Leben lang andauern wird, muss ich darauf für immer verzichten.

Wenn die meisten Menschen an einen Depressiven denken, sehen einen Menschen, der traurig in der Ecke sitzt, der keinen Spaß haben kann. Wenn du aber selbst nicht depressiv bist, dann lass dir gesagt sein: Vielleicht ist der Depressive nicht die Person, die so trist daher guckt und am Rand sitzt, sondern die, die mit einem Grinsen neben dir tanzt.

Der Autor möchte anonym bleiben.

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