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Noisey Blog

Die Zukunft der Musik ist postfaktisch

Am Samstag zeige ich im Dynamo meine Idee der Musik der Zukunft. Ich zweifle allerdings daran, wie viel Inhalt diese noch haben wird.
Foto: Wikimedia | CC BY-SA 4.0

Am Samstag, 19. November verwandelt sich das Jugendkulturhaus Dynamo in ein Multiplex-Kino und zu einer Spielwiese für futuristische Kunst. In drei Räumen werden verschiedenste kinematografische Arbeiten zum Thema "Maximum Future" gespielt. VICE zeigt in einem dieser Räume futuristische Dokus, und auf der Noisey Stage werden Pablo Nouvelle, ich (aka Dave Eleanor) und Maloon TheBoom in je genau 15 Minuten unsere Vorstellungen des Sounds der Zukunft präsentieren.

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Bloss: Jetzt, ein paar Tage nach den US-Wahlen, in einem Jahr, in dem schon AfD, NPÖ und Brexit Erfolge verbucht haben und ich mir wieder einmal unsicher bin, ob sich die Menschheit nicht gerade selbst in die neu gebauten Mauern fährt, fühlt es sich noch schwerer an, über den Soundtrack der Zukunft nachzudenken und diese Zeilen niederzuschreiben. Schaut man sich die Historie an, kann festgehalten werden, dass sich Musik immer den gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst hat—sei dies konträr oder parallel. Der Zweite Weltkrieg hat mit der freien Improvisation in Jazz und Klassik sowie mit der abstrakten Musik politische Wünsche manifestiert. In industriellen Städten entsteht industrielle Musik, im weiten Island entstehen weite Flächen. Die digitale Revolution hat sich logischerweise in der Instrumentenwahl und dem Klangbild niedergeschlagen. Ich muss mich also auf der Suche nach der Zukunftsmusik erst mal umschauen, wo wir denn gerade stehen. Und hat man kein Geschichtsbuch, das schön auf die Eckpunkte reduziert, ist das nicht sehr einfach. Wer aber voraussehbar seinen festen Platz in den Geschichtsbüchern der Zukunft hat, sind Donald Trump und das damit einhergehende postfaktische Zeitalter—gerade von Oxford Dictionaries zum Wort des Jahres gekürt. Wir können also von einer musikalischen Entwicklung in dieselbe Richtung ausgehen. Doch was bedeutet das genau? Und vor allem: Wie klingt das?

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Sich mit dem Sound der postfaktischen Musik auseinanderzusetzen, steht hierbei nicht im Vordergrund. Denn um Inhalte geht es logischerweise nicht mehr. Zuerst stehen die Konzepte, die Ideologien, die Lautstärke. Man muss gehört werden—was man allerdings schreit, ist nebensächlich. Und widerspricht sich auch gerne. Was mich zu meiner ersten der neun Regeln der postfaktischen Musik bringt.

Postfaktische Musik widerspricht sich
Zum einen setzt postfaktische Musik auf alte Werte, kramt längst Überlebtes wieder hervor, zum anderen schlägt sie radikal um und setzt neue Punkte. Bedeuten könnte dies: Ich nehme einen Roland TR-808 (alte Werte), nutze aber weder Effekte noch einen guten Mix (Fortschritt wird übergangen), schreie darüber und nenne das "Cloud 80s".

Postfaktische Musik übergeht Entwicklungen
Ganz im Sinne vom Widerrufen von Obamacare ist das Motto "Back To The Roots" aktuell wie eh und je. Autotune wird nicht mehr fein zur Verstärkung im Hintergrund, sondern exponiert und direkt an der Front eingesetzt. Es ist gut vorstellbar, dass auch Instrumente bald wieder radikal auf die einzelnen Seiten eines Stereokanals aufgeteilt werden. Hauptsache rough und alles, was mit Correctness zu tun hat, gehört sofort verbannt.

Postfaktische Musik setzt auf Empfindung
Scheiss auf Technik: Während sich gerade die elektronische Musik jahrelang vom roughen hin zu einem ausgeklügelten, organischen Sound entwickelt hat, ist die neue Devise: Tasten drücken, kurz regeln, fertig. Hauptsache, die Promo stimmt. Konzepten kann man monatelang, Musik wird dann in einem Nachmittag gemacht. So fühlt es sich gut an. Und daran ist auch nicht viel zu bemängeln. Spontanität kommt oft Improvisation nahe. Es ist vielleicht eine andere Disziplin, aber kommt meiner Meinung nach einem klaren Zeitdokument einiges näher. Und mir kommt's zum Vorteil: Bedenkt man, dass der 19. November schon diese Woche ist, hab ich ja eine gute Rechtfertigung, das am Freitagnachmittag noch zu erdribbeln.

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Postfaktische Musik baut Mauern
Abgrenzungen sind wichtig. Schnell werden neue Genres entwickelt, deren "Parteiprogramm" noch gar nicht geschrieben ist, aber das spielt nicht die grosse Rolle, Inhalt ist im postfaktischen Zeitalter kein Parameter mehr. Abgrenzung schon. Dazu gehört auch die Szene-Auflösung. War "Realness" im Hip-Hop bis 2016 noch ein Begriff, scheint die alte Garde inzwischen bemerkt zu haben, dass die neuen, jungen, hippen Acts gerade die Szene aufräumen. Also stellt man sich schön auf deren Seite. Körperkult und Autos sind passé.

Dies weist schon darauf hin, aber um es noch genauer zu fassen:

Postfaktische Musik ist radikal und Punk
Yung Hurn ist vielleicht gar kein schlechtes Beispiel. Kaum hat er einen Hype, bricht er alles ab, erschafft ein neues Alter Ego und schreibt "Wo ist das Koks?" über irgendwelche industriellen roughen Techno-Beats, anstatt sein halbjähriges Baby zu füttern. Find ich irgendwie ganz geil. Man wird öfters überrascht, der Boden ist kein Boden mehr, wir sind den Wellen der Gemüter ausgesetzt.

Postfaktische Musik verspricht, was sie nicht halten kann
Da steht Trap drauf, ich höre aber Pop, aber Trap ist hip, deshalb steht Trap drauf.

Postfaktische Musik verbreitet sich wie Waldbrände
Die Beschleunigung ist aktueller denn je. Springt man auf einen Zug auf, kann man sich sicher sein, dass der ganz schnell wieder auf dem Abstellgleis ist. Schnelllebigkeit ist in der Musik bemerkbar, genauso wie die hochgezeichnete Beziehungsunfähigkeit der Generation Y.

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Postfaktische Musik ist auf die Sensationsgeilheit der Medien angewiesen
Geht Hand in Hand mit der Verbreitung. Instagram, Facebook und Snapchat machen die Stars. Will man der postfaktischen Szene angehören, muss man nicht mehr auf die Strasse (ausser in den Videos bitte—siehe Punkt "verspricht, was sie nicht halten kann"), sondern eher in die Cloud. Und die Cloud kommt ins Feuilleton.

Postfaktische Musik sträubt sich dem Weltgeschehen
Die Entwicklung spricht dafür. Sind Slow-Mo-Beats und Halftime-Lines inzwischen Standard, wird die Welt draussen immer schneller.

Ich werde an meiner Show am 19. November versuchen, diesen Aspekten gerecht zu werden. Vielleicht. Denn Regeln gerecht werden ist ja nicht gerade postfaktisch.

Alle Infos zur Veranstaltung findest du hier.

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Teaserbild: Wikimedia, Annika Laas, License: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International