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Thump

Poppers sind nicht so harmlos, wie du denkst

Ein Arzt hat uns über die kaum bekannten Risiken der Sex- und Party-Droge aufgeklärt.

Foto via Flickr | Paul Wilkinson | CC BY 2.0

Es gibt harte Drogen und es gibt weiche Drogen, die als harmlos angesehen werden. Die Schnüffeldroge Poppers gehört zu Letzteren und verspricht ein entspanntes Highsein sowie eine als angenehm empfundene Sensibilisierung. Die meisten Konsumenten nehmen sie deshalb zum Sex. Vor allem gelten Poppers deshalb als "Schwulen-Droge". Über problematische Nebenwirkungen ist wenig bekannt. Dabei können die es in sich haben.

Der Name "Poppers" ist ein Sammelbegriff für alle möglichen Mischungen von Nitriten. Amylnitrit ist die älteste Form der Poppers. Es wurde einst eine Zeit lang als Herzmedikament bei Durchblutungsstörungen und zur Senkung des Blutdrucks verschrieben. In den 1980er Jahren wurden Poppers vermutlich das erste Mal als Droge in der Schwulenszene verwendet, ab den 2000er Jahren dann auch in der Techno-Szene allgemein. Sie waren lange Zeit in allen möglichen Variationen legal erhältlich, bestimmte Mischformen wurden in verschiedenen Ländern jedoch verboten. Zuletzt diskutierte man in Großbritannien eine Kriminalisierung von Poppers. Während der Debatte gestand der konservative Abgeordnete Crispin Blunt, selbst Konsument der Substanz zu sein. In Österreich ist der Konsum erlaubt, der Verkauf hingegen illegal.

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Aber was ist das Gefährliche an Poppers?

Eine zunehmende Belastung des Herzkreislaufsystems—gerade in Verbindung mit anderen Drogen, Stimuli oder Medikamenten—ist bereits weitestgehend bekannt. In jüngster Zeit gab es allerdings auch einzelne Berichte über Beeinträchtigungen der Sehkraft durch Poppers. Konsumenten fiel es, laut eigenen Aussagen, schwer, sich auf bestimmte Gegenstände zu fokussieren. Nach längerer Recherche fanden wir mit Dr. Dr. Peter Kaulen in Berlin einen Augen-Arzt, der seit mittlerweile acht Jahren Patienten behandelt, die regelmäßig Poppers riechen und ebenfalls über Probleme mit der Sehkraft klagen. Er arbeitet im Augenzentrum Lichterfelde-West in Berlin. Die von ihm betreuten Konsumenten sind ausschließlich männlich, allerdings nicht alle homosexuell.

Wir sprachen mit ihm über die Risiken von Poppers, die Veränderung der Droge in den letzten Jahren und die Grenzen der Aufklärung.

Noisey: Dr. Kaulen, Sie haben in Ihrer Praxis seit Jahren Berufserfahrung mit Popperskonsumenten. Wann haben sie zum ersten Mal von Poppers induzierten Sehproblemen, der sogenannten Makulapathie, gehört oder Sie selbst diagnostiziert?
Das ist sicherlich acht bis neun Jahre her, das ich die ersten Fälle hier hatte.

In welchem Stadium kommen Patienten zu Ihnen?
Die meisten Leute haben erst mal leichte Probleme. Ausgeprägte Behinderungen der Sehkraft gibt es nur in 10 bis 20 Prozent der Fälle. Der Großteil hat nur eine leichte Einschränkung ihrer Sehstärke und geht dann zum Augenarzt. Der sieht dann in der Regel nichts, weil der Befund ausgesprochen diskret ist. Das sieht man nur, wenn man ganz genau hinschaut und bereits Erfahrungen mit dieser Symptomatik hatte.

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Wie muss man sich das als Laie vorstellen, wie verursachen Poppers Sehprobleme?
Wahrscheinlich über eine Reaktion im Stoffwechsel der Foto-Rezeptoren. Das sind die Zellen, die das Licht wahrnehmen. Poppers zerstören diese. Wie das genau passiert, ist bisher noch nicht bekannt.

Können Poppers auch blind machen?
Das gibt es in Einzelfällen. Aber soweit muss man ja gar nicht gehen. Ich habe Patienten, die nicht mehr arbeiten können, weil sie so schlecht sehen. Die hatten einen Bildschirm-Job und konnten einfach vieles nicht mehr fokussieren. Wobei das Raritäten sind.

Berichte über Sehprobleme durch den Konsum von Poppers haben zuletzt zugenommen. Würden Sie sagen, dass es in der jüngeren Vergangenheit zu mehr Fällen mit dieser Symptomatik gekommen ist?
Nein, das würde ich nicht sagen. Das ist in den letzten vier bis fünf Jahren gleich geblieben. Aber es spricht sich langsam rum, dass es so was gibt. Die Patienten gehen dann auch aufmerksamer zum Augenarzt, der wiederum mittlerweile auch schon mehr davon mitbekommen hat. Dennoch bleibt es unter Augenärzten ein relativ unbekanntes Krankheitsbild.

Steigt also das Risikobewusstsein unter den Konsumenten?
Nein. Bei allen medizinischen Fragen, die mit Drogen und Sex in Verbindung stehen, können sie noch so einsichtig sein, da werden sie keine Verhaltensänderung herbeiführen können.

Was kann man dann machen, wenn die Symptome auftreten?
Es gibt keine rationale Therapie dafür, weil der Mechanismus, wie gesagt, letztendlich noch nicht nachgewiesen ist. Es gibt bisher so wenig Fälle, da gibt es dann natürlich auch keine wissenschaftliche Studie dazu. Nach Möglichkeit kann man nur auf Poppers verzichten, da hab ich bei meinen Patienten nach einer gewissen Zeit meistens eine Besserung gesehen.
Aber es gibt 50 verschiedene Sorten von Poppers, mit ganz unterschiedlichen Mischungen. Wenn man sie doch nimmt, dann sollte man nach Möglichkeit Präparate nehmen, die nicht so irrsinnig stark sind—also nicht die neuen Substanzen, die gerade im Umlauf sind und zum Beispiel blaue Lippen und blaue Finger machen. Diese Substanzen werden in irgendwelchen Kellerlaboren hergestellt. Das sind ja keine nach DIN-ISO zertifizierten Produktionsvorgänge. Niemand weiß, was da genau drin ist.

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Welche Mischung gehört denn zu den gefährlichsten?
Aus meiner Erfahrung, die natürlich auch ein Fehlschluss sein kann, ist es der sogenannte Jungle Juice, der am häufigsten diese Symptome verursacht. Allerdings ist das auch eines der am häufigsten benutzten Präparate. Es gibt dafür keine Beweise, sondern nur Thesen und Vermutungen.
Poppers gibt es seit 50 Jahren in der Medizin, nämlich als Amylnitrit. Ich bin seit 30 Jahren in der Augenmedizin tätig und Poppers haben sich in ihrer Zusammensetzung noch nie so stark verändert, wie in den letzten sechs bis acht Jahren.

Gibt es bei ihren Patienten noch andere Faktoren, die bei der Erklärung der Ursache für die Sehprobleme eine Rolle spielen könnten?
Ein Großteil meiner betroffenen Patienten ist älter und alle haben eine gut eingestellte antiretrovirale Therapie—wegen ihrer HIV-Infektion. Dass es da Kreuzreaktionen geben mag, die eine andere Wirkung von Poppers hervorrufen, wird für möglich gehalten. Ich hab versucht, eine Korrelation aufzustellen, das ist jedoch nicht so eindeutig, dass man sagen kann: Dieses Medikament plus Poppers schafft das Problem.

Welche anderen Risiken gibt es beim Konsum von Poppers noch?
In Verbindung mit Viagra kann es einen massiven Blutdruckabfall geben, bishin zu einem Herzanfall. Denn Viagra blockiert das Enzym im Körper, welches die Popper abbaut. Allerdings sind das Raritäten. Wir müssen davon ausgehen, dass 30 bis 50 Prozent aller schwulen Männer in Berlin Poppers benutzen. Wäre das so gefährlich, hätten wir viel mehr Todesfälle. Aber wie gesagt, das kommt selten vor, man sollte den Leuten jetzt auch nicht Angst machen.

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Darum geht es mir auf jeden Fall nicht, eher um Aufklärung, da viele von dieser Symptomatik des Sehverlusts nichts wissen.
Ja, viele in der Szene kümmern sich um inhaltliche Sachen sowieso nicht. Es gibt Patienten, die kennen die Werte ihrer HIV-Therapie nicht, wissen nicht welche Medikamente sie nehmen. Der Unkenntnis ist dahingehend keine Grenze gesetzt.

Sollten die Drogenberatungsstellen mehr Aufklärung betreiben?
Ja. Allerdings kriegen Sie die meisten Popperskonsumenten nicht zu solch einer Beratungsstelle, weil sie sich nicht als Drogenkonsumenten sehen.

Dieser Artikel ist vorab auf THUMP erschienen.

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