T-Ser nutzt seine Musik, um Wiens Schwarzer Jugend eine Stimme zu geben

FYI.

This story is over 5 years old.

Shortie

T-Ser nutzt seine Musik, um Wiens Schwarzer Jugend eine Stimme zu geben

"Ich glaub halt nicht, dass sie bei einer Gruppe von blonden Schuhplattlern die Cops gerufen hätten."

Ich hab mich ziemlich lange erfolgreich darum gedrückt, eine Doku mit meinem Bruder zu drehen. Aber nachdem seine Marihuana-Version von Miami Yacines "Kokaina" vor ein paar Monaten in Deutschland viral gegangen ist, die großen Rap-Medien ihn jetzt alle auf ihrem Radar haben und er sich sehr bald in den sehr kleinen Club von österreichischen Rappern mit einem millionenfach geklickten Musikvideo verabschieden wird, hatte ich jetzt irgendwie keine Ausreden mehr, den Verwandtschafts-Vorteil nicht auszunutzen.

Anzeige

Am liebsten hätte ich mich in der Doku inhaltlich ja zu 100 Prozent darauf konzentriert, dass mein kleiner Bruder ganz einfach ein scheißguter Rapper ist, der dabei jede Gelegenheit nutzt, um seine Identität und Wiens Schwarze Community zu zelebrieren. Ich hatte eigentlich nicht vor, auch nur mit einem Wort Rassismus zu erwähnen. Mein Bruder hat mir erst vor ein paar Tagen über seine Musik erklärt: "Ich setz mich ja nicht hin und denk mir: So, ich schreib jetzt einen Track über Rassismus."Aber irgendwie kommt das Thema dann doch immer wieder auf den Tisch. So auch bei dieser Doku – es dauerte nämlich nicht viel länger als eine Stunde, bis beim Dreh zum ersten Mal die Polizei gerufen wurde.

Sicher, die Szenerie, die sich mein Bruder für den Musikvideodreh überlegt hatte, den wir mitfilmten, sollte mit diesem Angstbild von einer dunkel gekleideten Gruppe großteils Schwarzer jungen Männer spielen. Irgendwie rechneten alle deshalb schon im Vorhinein damit, dass in einer Wohngegend irgendjemand beim Anblick dieser Gruppe Panik bekommen würde. Dass es dann wirklich so kurz dauerte, bis sich einige Passanten und Anrainer offensichtlich ernsthaft bedroht fühlten, war aber doch erstaunlich.

Als erstes fielen mir ein paar Leute auf, die auf den Balkonen standen und filmten. Einer von ihnen stellte sich später einfach als Hobby-Fotograf aus, der angesichts der auffälligen Gruppe da unten einfach mal sein Objektiv auszuprobieren wollte. Die nächste Person drohte etwas später aber auch schon damit, dass "alles an die Polizei" gehen würde (was auch immer die Polizei mit Videomaterial von einer Gruppe anfangen soll, die einfach auf einem öffentlichen Platz herumsteht und mit einem Pocket-Lautsprecher Musik hört). Einige Anrainer redeten völlig entspannt mit uns, andere wirkten seltsam panisch – auch, wenn man versuchte, sie zu beschwichtigen und ihnen versicherte, dass hier niemand Ärger machen wolle.

Anzeige

Während der erste Besuch der Polizei völlig unproblematisch verlief, weil die Beamten sehr schnell erkannten, dass hier eh nichts unrechtmäßiges passierte und sie der Gruppe lediglich empfahlen, möglichst leise zu sein, um nicht noch mehr Beobachter zu verärgern, wurde das Ganze ein paar Stunden später an einer anderen Location – diesmal bewusst in keiner Wohngegend –schon wesentlich ungemütlicher. Gleich mehrere Streifenwägen, ein Polizeibus mit Blaulicht und ein knappes Dutzend Beamte blockierten die Straße und umstellten die Gruppe von ungefähr gleich vielen Musikvideo-Protagonisten, die noch für die letzten Szenen geblieben waren.

Der Versuch, die Situation irgendwie zu entschärfen und freundlich zu erklären, dass hier lediglich ein paar letzte Aufnahmen für ein Musikvideo und eine dazugehörige Doku passierten, blieb diesmal ziemlich erfolglos. Eine gute halbe Stunde standen wir umkreist von Polizisten irgendwo im 22. Bezirk. Keiner von ihnen wechselte ein Wort mit uns, nur einzelne Beamte ließen ab und zu einige ziemlich respektlose Meldungen los. Einer der Polizisten versicherte mir, dass ich eine Anzeige bekommen würde, wenn das Videomaterial veröffentlicht würde, das ich während der Polizeikontrolle gefilmt hatte.

Die gesamte Gruppe musste ihre Ausweise aushändigen, letztendlich ließen sie uns ohne Scheiß auch noch mit FPÖ-Kugelschreibern unterschreiben, bevor sie uns eh wieder gehen ließen. Der Beobachter, der die Polizei gerufen hatte, traute sich erst auf die Straße, nachdem die Einsatzkräfte eingetroffen waren, hielt aber ein paar Meter Abstand. Er hatte wegen der rosa (!) Rauchgranate (wobei der Begriff Granate bei dem kleinen Ding mehr als übertrieben scheint), die für eine Szene verwendet wurde, wohl geglaubt, dass hier etwas Übles im Schilde geführt wurde – wobei sowas ja selten mit einer riesengroßen Kamera und zwei Lichttechnikern dokumentiert wird.

Anzeige

Nachdem diese Doku nicht meine erste ist und ich nicht ganz neu im Internet bin, war mir schon im Vorhinein bewusst, dass sich einige Leute über die Darstellung der Ereignisse in der Doku beschweren würden: Das wäre sicher jeder anderen Gruppe auch passiert und habe sicher nichts mit der Herkunft der Leute zu tun – etwas in die Richtung. Und ganz ehrlich, ich persönlich bin der Letzte, der Lust hat, irgendwie paranoid zu wirken. Aber blauäugig will ich eben auch nicht sein.


Hier könnt ihr euch unser Video ansehen:


Ich weiß, wie man behandelt wird, wenn man mit einer Gruppe von Leuten unterwegs ist, die ausschauen, als wären sie österreichischer Abstammung. Und ich weiß aus Erfahrung, wie anders man teilweise behandelt wird, wenn man mit einer Gruppe unterwegs ist, die nicht-österreichisch aussieht – und wie unverhältnismäßig oft es dann für notwendig erachtet wird, die Polizei zu alarmieren.

Die Tatsache, dass keiner aus der Gruppe überhaupt noch wirklich über die Reaktionen der Beobachter verwundert war, sagt eigentlich schon alles. Um es in den Worten meines Bruders auf den Punkt zu bringen: "Ich glaub halt nicht, dass sie bei einer Gruppe von blonden Schuhplattlern die Cops gerufen hätten." Und vergessen wir mal nicht: 18 Prozent der Österreicher wollen dezidiert keinen Schwarzen Menschen als Nachbarn – mehr als in fast jedem anderen westeuropäischen Land.

Letztendlich war in unserer Doku aber hoffentlich immer noch genug Raum, um klar zu machen, dass mein kleiner Bruder nicht nur gegen Rassismus einsteht, sondern in erster Linie eben ein scheißguter Rapper ist, der dabei jede Gelegenheit nutzt, um seine Identität und Wiens Schwarze Community zu zelebrieren.

**
Folgt Noisey bei Facebook, Instagram und Twitter.