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Kommentar

"Nazis raus" - Wie aus einer nervigen Standard-Konzertansage ein notwendiges Statement wurde

Weil jemand "Nazis raus" getwittert hat, ist gerade die Hölle los. Dabei sollte es selbstverständlich sein, Neonazis und Rassisten abzulehnen. Aber 2019 ist eben nichts mehr wie früher.
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Foto: imago | Christian Mang (bearbeitet von Noisey)

Ein beliebiger Ort, ein beliebiger Tag. Man besucht das Konzert irgendeiner deutschen Band und Zack! ist man in einem "Nazis raus"-Sprechchor. Egal, ob bei den Toten Hosen, den Ärzten oder Frei.Wild (ja, tatsächlich): die Wahrscheinlichkeit, unbekannten Nazis gemeinsam mitzuteilen, dass sie draußen bleiben sollen, ist enorm hoch. Das gehört dazu wie ein "Wo sind die Hände?" auf einem Rap-Konzert oder "Ihr seid das beste Publikum" bei einem Mark-Forster-Gig.

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Der Spruch ist allgemeingültig. Er funktioniert als Demo-Parole, als Statement und als Anheizer. Manchmal nervig, weil zu selbstreferenziell unter antifaschistischen Gleichgesinnten, manchmal unglaubwürdig, weil Frei.Wild. Aber immer von allen mitgetragen, denn: Wer würde das nicht unterschreiben?

Jede Menge Menschen offenbar. Seit die ZDF-Reporterin Nicole Diekmann am 1. Januar auf ihrem persönlichen Account ein einfaches "Nazis raus" twitterte, ist der Teufel los. Auf die Frage, wer denn für sie ein Nazi sei, antwortete Diekmann ironisch mit: "Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt."

Eine ZDF-Reporterin, die Ironie kann? Das war zu viel für die rechte Twitter-Blase. Morddrohungen, Beleidigungen und Hassnachrichten überschwemmten die Journalistin. Glücklicherweise ließen andere Twitter-User Diekmann mit dieser Welle an Beschimpfungen nicht allein – "Nazis raus" ist eben auch im Netz ein Gassenhauer.

Unzählige Politikerinnen, Fußballclubs, Journalisten, Medien und eben auch Musiker und Musikerinnen solidarisierten sich, indem sie den Slogan von Diekmann übernahmen. #NazisRaus wurde innerhalb von kurzer Zeit zum Nummer-Eins-Hashtag in Deutschland. Ob Boris Becker, Dunja Hayali, Spiegel Online, Heiko Maas, Hertha BSC, die Tagesschau oder Dendemann, Heaven Shall Burn und Lady Bitch Ray, alle wollten mitmachen.

Historisch ist der Slogan sowieso ein All Time Favourite der Musikwelt. Ob verwackelte YouTube-Aufnahmen von Casper-Konzerten oder der Punk-Klassiker "Nazis Raus!" der legendären Band Slime, bisher waren solche Aussagen in der Öffentlichkeit Standard und wurden nicht in Frage gestellt. 2019 aber ist nichts mehr, wie es mal war.

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Heutzutage entschuldigt sich das ZDF öffentlich dafür, dass einer ihrer Kameramänner eine Slime-Jacke trug, dutzende Medien verbreiten das Ammenmärchen vom Kantholz-Mordanschlag auf einen AfD-Politiker, und der Innenminister von NRW spricht nach der rassistisch motivierten Amokfahrt in Bottrop von "persönlicher Betroffenheit" als Tatmotiv. In solchen Zeiten ist eben auch ein einfaches "Nazis raus" plötzlich diskutabel. Das überrascht nicht, schließlich ist der größte Erfolg der AFD die Diskursverschiebung nach Rechts.


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Ein weiteres Beispiel dafür sind diverse Schlaumeier im Netz. Nicht nur neunmalkluge und edgy Twitter-Fuzzis fragen dieser Tage gern: "Wohin sollen die Nazis denn?" Auch Medien wie etwa die Süddeutsche Zeitung probieren, aus der simplen Solidaritätsaktion eine Debatte über "Nazikeulen" loszutreten und stellen die Parole auf eine Stufe mit Sprüchen wie "Ausländer raus!". Als gäbe es keinen Unterschied zwischen der Ablehnung von Menschen aufgrund ihrer Denkweise und der Ablehnung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft. Als gäbe es da was zu diskutieren.

Genau diese Selbstverständlichkeit scheint der Gesellschaft abhanden gekommen zu sein. Selbst Medienschaffende und "Linke" scheinen zu glauben, dass man als besonders scharfer Denker durchgeht, nur weil man sich nicht in die fröhliche #WirSindMehr-Familie ziehen lässt.

Und dann gibt es da die viel zu vielen User im Netz, die aktuell versuchen, Nazis und ihre Ideologie zu verharmlosen. Sie sind ein Beweis dafür, dass man es nicht oft genug wiederholen kann: Nazis raus! Aus den Köpfen und aus den Herzen. Klingt pathetisch und vereinfacht. Ist es auch. Macht es aber nicht weniger wahr. Denn die Zeiten haben sich spürbar geändert.

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Vor einigen Jahren besuchte ich ein Konzert der Band Zugezogen Maskulin, die ein eher linkes Publikum anspricht. Der Gig fand im Kreuzberger Club SO36 statt, historisch betrachtet ein Heiligtum der linken Szene. Eine politische Blase par excellence.

Zwischen zwei Songs stimmte das Publikum die üblichen Demo-Parolen an, von "Hoch die internationale Solidarität" bis "Refugees are welcome here". Die beiden Rapper Grim104 und Testo drehten leicht genervt ab und erklärten, man solle sich so eine Selbstbeweihräucherung doch bitte sparen und den Protest lieber in Orte tragen, an denen er dringend gebraucht wird.

Damals war das vollkommen richtig, das Masturbieren auf die eigenen Positionen ist schon immer ein Problem der Linken gewesen. 2019 sieht das vollkommen anders aus: Der Protest wird überall gebraucht.

Wir sind an einem Punkt, an dem das manchmal nervig scheinende Mantra "Nazis raus" tatsächlich wieder ein Politikum ist, denn heute versuchen einige, die Selbstverständlichkeit dieser Aussage zur Debatte zu stellen. Jetzt ist es also an der Zeit, lauter denn je zu sein. Auf der Straße, im Internet und auf Konzerten.

Nazis raus!

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