FYI.

This story is over 5 years old.

Reviews

Ein schiacher Hundling wie Columbo

Christian Schachinger hat für uns die Reviews zu Wandas 'Niente' von The Gap, FM4, Standard und anderen reviewt.
Screenshots via Falter|The Gap|FM4, Foto von VICE Media

Christian Schachinger kann man ruhigen Gewissens als einen der bekanntesten, wenn nicht als den bekanntesten Musikjournalisten und -kritiker Österreichs bezeichnen. Für den Standard schreibt er sich regelmäßig in die Empörung diverser Die-Hard-Fans. Heute hat er uns sein kritisches Auge geliehen und für uns die wichtigsten Wanda-Reviews reviewt.

Kein Schwein hört heutzutage noch Musik. Sie läuft ja ohnehin dauernd. Die Wiener Band Wanda ist damit und mit ihren nach Hundegebell und Sodbrand klingenden Junggesellenliedern erfolgreich geworden. Warum also das neue Album Niente langwierig selbst durchstehen? Darüber lesen reicht auch. Aktuelle Pressetexte über Wanda machen mindestens genauso besoffen. Ein altes mesopotamisches Sprichwort sagt: "Vergnügen ist Bier. Unbehagen ist ein Feldzug." Also dann.

Anzeige

Falter

"Marco Michael Wanda zählt definitiv zu den ungewöhnlicheren Sexsymbolen des Landes. Der Sänger der Wiener Rockband Wanda ist bei Licht betrachtet ein schiacher Hundling. Seinen Qualitäten als Massenverführer tut das aber keinen Abbruch. Zum Interview vormittags um elf erscheint er gewohnt nachlässig gekleidet und ziemlich verschnupft. Was ausnahmsweise keine Drogenanspielung sein soll, der beginnende Herbst hat dem 30-Jährigen einfach eine veritable Erkältung beschert. Er trinkt Zitronenwasser statt Alkohol, von den Zigaretten lässt er aber nicht." (Gerhard Stöger, Falter)

Gerhard Stöger ist das moralische Gewissen der heimischen Musikszene und macht sich schon seit 20 Jahren Sorgen um Bubenbands, die lieber diszipliniert arbeiten sollten, als beim Rocken Spaß zu haben. Das führt im großen Interview mit der Wiener Stadtzeitung Falter zu Fragen wie dieser:

"Wie oft waren Sie in diesen drei Jahren bei der Gesundenuntersuchung?" Worauf dem armen Marco nur die trotzige Lemmy-Kilmister-Antwort bleibt: "Nie. Aber das Herz schlägt und das Hirn arbeitet – es geht sich aus."

Musikexpress (Interview)

Ähnlich besorgt, aber vor dem Interview im noblen Bristol-Hotel an der Wiener Ringstraße mit Käsekrainer gestärkt – und einer bei deutschen Kollegen im Zusammenhang mit Austropop obligatorischen Mozartsichtung im Text – beginnt auch der deutsche Kollege Oliver Götz vom Alternative-Mainstream-Männermagazin Musikexpress erst einmal mit dem Gesundheitszustand unseres Wiener Shane MacGowans. Der ist übrigens mittlerweile von Zitronenwasser auf ein richtiges Getränk umgestiegen:

"Fahren wir also mit der Eisenbahn nach Wien. Ein Montagnachmittag im August. Die Stadt hat sich „Wir machen Urlaub"-Schilder in ihre Fenster gehängt. Doch der 1. Bezirk zwischen Hofburg und Donaukanal macht keinen Urlaub. Er muss sich der Touristen-Landungsgruppen erwehren, die es mit ihren Selfie-Bajonetten ausfechten wollen. Die Käsekrainer an der Würstelbude schmecken milder als gedacht. Die Ticketverkäufer der Staatsoper kratzen sich heimlich unter ihren Mozart-Perücken. Wir warten vor dem Portal zum "Bristol", einer mit irritierend geschmackvollem Pomp ausgeschlagenen Hotel-Schatulle von 1892. In der Opern Suite wollen wir Marco später fotografieren. Aber wo bleibt er? Er wird uns wohl erst in einer halben Stunde aus einem Taxi vor die Füße kugeln. Der macht bestimmt auch keinen Urlaub vom Exzess. Da ruft die Managerin an: "Der Marco sitzt schon in der Bar." Die öffnet eigentlich erst in einer Stunde. Dem in spätestens drei Jahren berühmtesten Sohn der Stadt haben sie trotzdem schon aufgesperrt. Er hinkt gerade zurück zu seinem Sessel, hat sich das Knie verdreht. Außerdem ist er uns ein halbes Bier voraus …" (Oliver Götz, Musikexpress)

Anzeige

Ein halbes Bier voraus, am helllichten Tag! Immerhin öffnet die Bristolbar täglich erst ab 16 Uhr. Es ist schon so, wie Peter von Matt einst über Günter Grass meinte: "Große Kunst kommt aus der Wildnis. Dort leben keine Schafe."

Immerhin aber scheinen die Synergieeffekte, die entstehen, wenn man die Produkte der österreichischen Brauunion zu den großen Gefühlen der Wandakunst destilliert, auch analytischere und sprachlich feiner formulierende Geister wie den Feuilletonredakteur Daniel Gerhardt anzusprechen, der in der Hamburger Wochenzeitschrift Zeit meint:

Die Zeit

"Das Versprechen von Wanda lautet: Wir machen die Drecksarbeit. Der Hörer kann sich schmutzig bei ihnen fühlen, ohne sich selbst schmutzig zu machen. Die Band spielt ultraeingängigen, stets rückwärts gerichteten Poprock, der anstiftet zu Unvernunft und Dämlichkeit – aber nie zu sehr. Sie empfiehlt einen Lebensstil der Selbstverschwendung und lässt doch genug von einem übrig, damit man am nächsten Morgen halbwegs unversehrt ins Bett kriechen kann. Wandas Grenzüberschreitungen finden dort statt, wo der Zaun nicht besonders hoch ist. (…) Wiener Schmäh und großer Schmu, Sauflieder, Katerlieder, Lebenslieder, Sterbenslieder, Nichts-dazwischen-Lieder. Dann aber auch: mehr Akustikgitarren und Klavierbetonung, die eingangs erwähnten Streicher, sentimentale Kindheitserinnerungen, sogar Träume von häuslicher Zähmung. Wo früher binge drinking war, besingt Columbo nun die gesundheitsschonende Netflix-Alternative. Typischer Drittes-Album-Stoff. Der Blues des gefeierten Rockstars." (Daniel Gerhardt, Die Zeit)

Mit einem halben Bier voraus kann man der Zeit zwar kurz entfliehen. Einholen tut sie einen aber trotz eines Vorsprungs von einem halben Bier bei diesem Lebensstil aber doch, wie wir der Studie "Alkohol im Straßenverkehr" von Dr. Karl C. Mayer entnehmen: "Wie schnell Alkohol ins Blut aufgenommen wird, hängt von der Art und Menge des konsumierten Alkohols (Hochprozentiges wird schneller aufgenommen), vom Geschlecht, vom Füllungszustand des Magens ab. Alkohol diffundiert in der Regel rasch durch die Magenwand, die Resorption beginnt deshalb sofort nach Trinkbeginn. Wenn zur Alkoholaufnahme gleichzeitig gegessen wird, wird eine geringe Menge (10-15 %) nicht aufgenommen. Der Alkohol wird dann auch langsamer aufgenommen. Schon nach 1-2 Stunden nach dem letzten Konsum ist der gesamte Alkohol aufgenommen. Füllungsstands des Magens und vom Körpergewicht. Der Alkohlabbau erfolgt relativ konstant, bei den meisten Männer mit 0,15 Promille pro Stunde, bei Frauen 0,1 Promille pro Stunde, bei Trinker bis zu 0,35 Promille pro Stunde. Neben der Gewöhnung spielen auch genetische Faktoren eine Rolle."

Anzeige

Passend zum Thema:


Hochprozentiges wird also schneller aufgenommen. Obwohl Marco Wanda schon mit einem halben Bier in Führung liegt (das mit dem Zitronenwasser glaubt ihm eh keiner), schlägt auch Kollege Karl Fluch vom Standard neben Reparaturseidl und Fluchtachterl eine weitere Flucht nach vorn, deren früheren Start am Vormittag sowie eine Erhöhung der Dosis vor. Slibowitz drückt schließlich weniger auf die Blase:

Der Standard

"Die Songs des Michael Marco Fitzthum alias Marco Wanda treffen ein Lebensgefühl. Die eingängig-schunkelnden Songs von Niente bewiesen die Souveränität der Band in ihrem Fach. Ihre Musik war auch noch nie so Espresso-tauglich. Zwar liebäugelten Wanda von Anbeginn an mit dem grindigen Charme dieser Kaffeehäuser für die C-Schicht, doch noch nie hat Wanda diese Vorgabe so sehr eingelöst. Niente ist die perfekte Jukebox-Musik für diese aussterbende Lokalgattung. Und mit einem Song wie Lascia mi fare schreiben Wanda den dafür unentbehrlichen Italo-Rumpler gleich selbst. Mit Niente gelingt der Band die Punktlandung zwischen vollen Aschenbechern und leeren Herzen, zwischen Reparaturseidl und Fluchtachterl. Lieder wie Columbo, 0043 oder Lieb sein sind zukünftige Evergreens am Tor zur Schlagerhölle. Darauf einen Slibowitz. Es ist eh schon bald Mittag." (Karl Fluch, Der Standard)

FM4 und Noisey Austria

Auch die Chef-Influencer von FM4 sind ganz und gar in Feierlaune, halten sich allerdings schriftlich betont zurück. Wanda sind mittlerweile so bekannt, dass man sich Betrachtungen über ihre Musik offensichtlich ersparen kann. Sie klingt jedenfalls komisch, falcoesk nach Innenstadt-Hipsterding – und sie geht "am Oasch":

"Wanda machen komische Musik für komische Menschen, dieses Falcoeske geht mir schon seit immer am Oasch, auch Colombu [sic!] ist so ein typisches Innenbezirk-Hipsterding. Ich kriege Aggressionen, wenn ich es höre. Mehr Meinung hab ich nicht, außer: Geht ma am Oasch." (Frederika Ferkova, Noisey Austria)

Anzeige

Rolling Stone

Auch im deutschen Rolling Stone ist man sich in Sachen der Musik von Wanda ein wenig unsicher. Man gibt sich meinungsschwach, führt das Thema der Trinkfreude allerdings konsequent fort:

"Im fortlaufenden Geraune um den Austropop-Boom legt die Besoffski-Fraktion nach, mit der um 2014 herum die Erfolgswelle losrollte. Der erste Song gibt das Motto vor: „Weiter, weiter". Eisern durchhalten gegen die Kritiker, die Sänger Marco M. Wanda für eine Wiedergeburt von Hans Hartz halten. Die Band hält dagegen mit Gianna-Nannini-haften Italobrechern wie „Lascia mifare", Lokalkolorit à la „Schottenring" oder „Ein letztes Wienerlied". Der Powerrock in Lederwesten wird natürlich nicht abgelegt, sie bleiben uncool mit Ausrufezeichen. Dabei stets variantenreich, ob mit Ska-Anklängen bei „Columbo" oder eben dem durchgeknallten „Wienerlied". Das allein wird für allerlei Krawall sorgen, so pathetisch, wie Wanda das schmettern. Schade, aber toll!" (Ralf Niemzcyk, Rolling Stone)

Musikexpress (Review)

Paula Irmschler vom Musikexpress bleiben im Gegensatz zu ihrem Kollegen Oliver Götz die Käsekrainer und Mozartperücken in Wien erspart. Sie muss auch nicht ein halbes Bier Vorsprung aufholen und umschifft daheim in Deutschland in ihrer Rezension den Vollsuff, ergänzend zum Interview des Kollegen, mit vornehmen Andeutungen. Männlichkeit, Lebensgefühl einer Generation, leichtfüßiges Leben. Scheitern, Krankheit, Tod:

"Diese verdammten Wanda. Dieses Phänomen von 2014, das alles sein sollte. Neues Wien, altes Wien, neue Männlichkeit, alte Männlichkeit, die Hoffnung und das Lebensgefühl einer Generation und irgendwas mit AMORE. Ja, wie geil das alles war. Doch dann kam BUSSI und das Geile war nun peinlich, durch, abgeklatscht. Was sollte also Album Nummer drei noch bringen? Schlager, Ballern, Kirmes? … NIENTE ist trotzdem kein Bruch. Es geht wieder um Jahreszeiten, Zweisamkeit, irgendeine Schwester, Scheitern, Krankheit, Tod und den Versuch eines leichtfüßigen Lebens. Vor allem aber geht es diesmal um Kindheit und Erinnerungen – und das ungewöhnlich klischeebefreit. Wanda ist vielleicht die einzige Band, die man genauso hart lieben wie hassen kann, beides gleichzeitig, beides zu Recht." (Paula Irmschler, Musikexpress)

Anzeige

Die Berichterstattung über Wanda scheint schließlich überhaupt einer gewissen Gefühligkeit verpflichtet. Lebensgefühl als Gesamtkonzept statt Chorus. Nur das mit der Nostalgiemelancholie als Zeichen des Erwachsenwerdens müsste wahrscheinlich noch einmal vertiefend durchdacht werden:

The Gap

"Nicht die Lederjacken, nicht die Austropop-Masche, nicht die Bühnenshow und auch nicht ihre klischeehafte Überheblichkeit haben Wanda groß gemacht, sondern die fast schon unerträgliche Eingängigkeit des Refrains. Wanda haben Hymne, so wie Böhmermann Polizei; Amore wurde zum Lebensgefühl, Bussi zur Parole und selbst unscheinbare Zahlen waren auf einmal in Pathos getränkt. Auch auf »Niente« wird wieder fleißig gezählt, doch statt »1, 2, 3, 4« heißt es nun »0043«. Wer sich schon den Reim drauf gemacht hat – Adabei, letzter Schrei, oder zumindest Frühstücksei – muss jetzt ganz stark sein. Die erste Single kommt ganz ohne aus, »Traurig-schöne Kindheit in 0043« ist mehr Gesamtkonzept als Chorus, die Struktur des Songs, die hohen Vocals, die Stimmung – alles äußerst untypisch für Wanda. Die Wiener Bubenband hat auf »Niente« ihr aufreizendes Hüftkreisen größtenteils gegen Kontemplationen über die Kindheit und Nostalgiemelancholie als Zeichen des Erwachsenwerdens eingetauscht." (Amira Ben Saoud, The Gap)

Lassen wir zum Abschluss noch einmal Gerhard Stöger im Falter zu Wort kommen. Immerhin bewahrt er als einziger in dieser Presserunde bei Zitronenwasser den Überblick:

"Niente schreit weniger offenkundig 'Hit, Hit, Hit' als seine Vorgänger. Es ist aber nicht nur ein mutiger und für die Zukunft dieser Band wichtiger Schritt, es ist vor allem auch eine exzellente Platte mit langer Halbwertszeit."

Darauf einen Slibowitz. Es ist eh schon bald Mittag. Bei drei Promille Alk im Blut, hat man als Alki eine diesbezügliche Halbwertszeit von fünf Stunden zu erwarten.

** Folgt Noisey Austria bei Facebook,InstagramundTwitter. Noisey Schweiz auf Facebook,;InstagramSpotify