Der Musikgeschmack eines Teenagers ist genauso eigenartig, wie sein Verhalten an sich. Auch ich war da keine Ausnahme. Deswegen verkünde ich auch—fast ohne Scham—, dass mein 15-jähriges Ich eine gewisse Neigung zu EDM hatte. Also zu Künstlern des EDM, mit denen man das Genre heute verbindet.Ich habe David Guetta, Skrillex, Avicii und Calvin Harris zelebriert—und das teilweise sehr lautstark. Aber entgegen einer meiner absolut liebsten EDM-Songs damals—"No Getting Over You"—bin ich über all die großen DJs, die die Charts und Festivals bevölkern und Teenieherzen höherschlagen lassen, hinweggekommen.
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Bis zu dem Zeitpunkt, als ich mir sehr wohl bekannte Songs in einem neuen EDM-Gewand anhörte und auch sah. Die Freude hielt sich—wie bei so vielen Covern des eigenen Lieblingssongs—in Grenzen. Ich sah diverse Topmodel-Anwärterinnen singend und schauspielernd Lieder interpretieren, die dem EDM-Genre eigentlich hätten fernbleiben müssen. Es geht in diesem Fall nämlich um Balladen. Und eine Ballade, die als "Taschentuch-Schneuz-Ich-ertränke-mich-in-Selbstmitleid"-Hymne bekannt geworden ist, darf meiner Meinung nach höchstens mit einer noch schnulzigeren Gitarreninterpretation oder einer MTV-Unplugged-Version gecovert werden. Aber nein, EDM muss alles tanzbar machen.Es ist fast so, als hätte jeder Song, der schon einmal erfolgreich war, für die meisten DJs ein unvorstellbares Hitpotenzial. Im Fall von Felix Jaehns "Ain't Nobody" mag sich das vielleicht ausgezahlt haben. Aber wer hat diesen zahlreichen EDM-DJs deshalb das Recht erteilt, gefühlt jedem halbwegs passablen Song der Vergangenheit diesen merkwürdigen EDM-Anstrich zu verpassen?Nach dem Motto: Nehmen wir doch einen x-beliebigen Klassiker, hauen ein paar Beats rein, damit es nach Tropen und Sommer klingt und hoffen, dass die jungen Menschen das abfeiern werden. Aus ökonomischen Gründen ist das irgendwie verständlich, schließlich spart man sich den Songwriter und den großen Aufwand um die neuen Ideen.Oder will man Teenies in ihrer hochpubertären Phase auch noch zu ihren liebsten Liebeskummer-Liedern (beziehungsweise meinen, weil wahrscheinlich keiner von ihnen noch das Original kennt) im Club zum kompletten Absturz bewegen? Wenn man bei der Lieblingsballade schon Zuhause in sein Weinglas weint (und das nur halb-rauschig), dann möchte ich nicht wissen, welche Fluten an Tränen erst in den Wodka-Energy fließen. Doch da der Trend sowieso schon sämtliche Clubs und Radiostationen erobert hat, bleibt mir an dieser Stelle nur noch Zeit, um diesen EDM-DJs ein großes Dankeschön für Nichts zu widmen.
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Max + Johann—"Und wenn ein Lied (feat. Joel Brandenstein)"
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Banks & Rawdriguez feat. Anna Maria Damm—"Too Lost in You"
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Gestört aber GeiL
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Das hat man aber nicht wirklich gehört, denn die große tanzende Masse vor der Stage schrie weiterhin begeisterte Jubelrufe aus. Da wurde mir bewusst, dass wir unsere Abneigung gegen Gestört aber GeiL möglicherweise nicht mit dem Publikum dort teilen können. Während wir zum weit entferntesten Cocktail-Stand flüchteten, wurde Gestört aber GeiL bis zum letzten Beat abgefeiert, wie als würde David Guetta höchstpersönlich die Knöpfe drücken. Sowohl "Unter meiner Haut", als auch "Pocahontas" waren für mich wirklich höchst hilfreiche Liebeskummerlieder aus meiner Studienzeit, zu denen ich meinen Schmerz eben heraussingen und -weinen konnte. Das hat mir Gestört aber GeiL genommen.Genauso wie die Illusion, dass solche Lieder mal irgendwann zu Evergreens werden und ich sie noch in fünfzig Jahren im Radio hören kann. Sollten diese Lieder aber immer noch in fünfzig Jahren gespielt werden, muss ich das Radio wahrscheinlich abschalten. Diese Bilder von gröhlenden Halbpubertierenden und anderen verlorenen Seelen in den Clubs, die komplett unrhythmisch zu den Liedern abtorkeln, sind die einzigen, die mir bis dahin noch im Gedächtnis bleiben werden. Und das ist irgendwie schade. Ich habe nichts gegen EDM-DJs oder deren Musik. Also zumindest nicht mehr, als ich gegen Schlager oder Oktoberfest-Veranstaltungen habe.Aber nicht jedes Lied muss man plötzlich als Remix in einem Club wiederfinden. Schließlich würden die Sugababes jetzt auch nicht unbedingt auf die Idee kommen, eine Akustik-Version zu Skrillex' "Scary Monsters und Nice Sprites" aufzunehmen. Ich habe auch nichts gegen EDM-Lieder mit traurigen Botschaften—solange sie in dieser Form eben noch nicht als Ballade existiert haben. Es hat nämlich seinen berechtigten Sinn, dass Balladen existieren. Sie sind der musikalische Rückzugsort einer jeden verletzten Seele. Und deswegen braucht man zu ihnen auch nicht in Clubs zu tanzen—entweder verlieren sie dadurch nämlich ihre Bedeutung oder wecken alkoholdurchflutete Gefühle.Autorin: Johanna Siegemund | Aus technischen Gründen ist es uns zurzeit nicht möglich, Autoren an vorgesehener Stelle zu erwähnen. Life sucks sometimes. Header: Screenshot via YouTube "Banks & Rawdriguez feat. Anna Maria Damm – Too Lost in You"**Folgt Noisey bei Facebook, Instagram und Twitter.