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Leonard Cohen ist eine coole Sau und das schon seit 80 Jahren

Der Sänger hat 700.000 Menschen davon abgehalten, eine Insel zu zerlegen, ausufernde Drogenexperimente durchgeführt und mit Scientology und Zen Buddhismus geliebäugelt.

Leonard Cohen ist kürzlich nicht nur 80 Jahre alt geworden, was natürlich für sich schon ein Grund zum Feiern ist—es gibt wenige Künstler, die derartig beständig, einflussreich und ausdauernd sind wie Leonard—sondern er veröffentlichte auch noch sein dreizehntes Studioalbum, Popular Problems.

Anstatt sich an dieser Stelle irgendein Geschwafel darüber aus den Fingern zu saugen, inwiefern Leonard Cohen auch heute noch relevant ist—und dass „Chelsea Hotel #2“ für immer der beste Song über Fellatio bleiben wird—sollten wir hier lieber seine Lebenskraft würdigen. Der Typ ist 80 Jahre alt und kleidet sich besser als die Stylehansel bei den GQ Awards, hat sich an so ziemlich jeder Droge versucht („die entspannenden, die aufputschenden und die medizinischen“) und veröffentlicht—ungeachtet der Tatsache, dass den meisten Menschen in seinem Alter schon die Luft ausgeht, wenn sie zum Kühlschrank laufen—unablässig Studioalben.

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Cohen würde sich nie selbst beweihräuchern, aber dafür sind wir ja da. Lass uns also einen Blick zurück auf die interessanten Ereignisse und Randnotizen der letzten acht Dekaden werfen.

Er hat einen Haufen Drogen genommen und den abstoßendsten Roman in der Geschichte Kanadas geschrieben

Heutzutage ist so gut wie jeder ein „Universalgelehrter“: Sänger, Schauspieler, Produzenten, Dreamweaver-Kreative. Allerdings ist dieser Umstand der reinen Notwendigkeit geschuldet. Es ist heute fast unmöglich, sich regelmäßiges Abendessen und Wochenendbesäufnisse mit nur einem kreativen Job zu leisten. Leonard Cohen andererseits war Dichter und Schriftsteller, bevor er überhaupt anfing, sich mit Musik und Songwriting auseinanderzusetzen. Er hatte schon drei Gedichtsammlungen (eine davon trägt den Namen Flowers for Hitler) und seinen Debütroman veröffentlicht, bevor es ihn nach Griechenland auf die Insel Hydra zog, wo er dann mit Amphetaminen und dem literarischen Schreiben experimentierte. Im Zuge seiner zwei, jeweils acht Monate andauernden Aufenthalte an der Ägäis und der Kombination von Drogen mit spirituellem Fasten, begann Cohen zu halluzinieren. Nachdem er dann aber durch einen Sonnenstich einen Zusammenbruch erlitten hatte, gab Cohen seine künstlerischen Ambitionen erst mal wieder auf. Da er zehn Tage lang nichts gegessen hatte, war er auf 58 Kilogramm abgemagert.

Beautiful Loosers, sein Roman, der in dieser Periode entstand, wurde 1966 veröffentlicht—noch ein Jahr vor Cohens Debütalbum. Er wurde als „das abstoßendste Buch, das jemals in Kanada geschrieben wurde“, und das „interessanteste kanadische Buch des Jahres“ betitelt—wohlgemerkt von ein und demselben Kritiker. Das muss man erst mal schaffen.

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1970 stoppte er Unruhen beim Isle of Wight Festival

Die Isle of Wight ist heutzutage vielleicht ein Paradies für Sportlehrer und Dorfpolizisten: Ein sicherer, abgesteckter Rückzugsort, in dem die extrem Durchschnittlichen dieser Welt mal „so richtig“ zu Olly Murs „abgehen können.“ Bevor Olly Murs aber überhaupt geboren worden war, war das Isle of Wight Festival eins der besten Musikfestivals der Welt. Jimi Hendrix, Dylan und alle anderen haben dort gespielt. 1970 strömten dann fast 700.000 (größtenteils ticketlose) erlebnishungrige Menschen auf die karge Insel. Wenn man bedenkt, dass das Glastonbury heutzutage ‚nur’ 135.000 Besucher beherbergt und die damalige Einwohnerzahl der Insel gerade an der 100.000 Marke kratzte, kann man sich vorstellen, was für chaotische Zustände dort geherrscht haben müssen.

Am letzten Tag des Festivals waren auf dem Gelände im Zuge des Versuchs der Organisatoren, einen weiteren Zaun zu errichten, um Neuankömmlinge vor dem Betreten des Geländes abzuhalten, mehrere Unruhen ausgebrochen. Die Künstler wurden das ganze Festival hindurch angefeindet: Bevor Cohen dann gegen 4 Uhr morgens die Bühne betrat, war schon während Jimi Hendrix Auftritt um Mitternacht ein Feuer ausgebrochen und sowohl Joni Mitchell als auch Kris Kristofferson waren von der Bühne gebuht worden.

Cohen, der kurz zuvor erst in seinem Trailer erwacht war, ging auf die Bühne und forderte, immer noch schlaftrunken, die Menschen dazu auf, Streichhölzer anzuzünden, damit die Leute im Publikum sich gegenseitig anschauen können. „Ich weiß, dass ihr wisst, warum ihr sie anzündet“, fügte er beinahe philosophisch hinzu, bevor er dann mit „Bird On The Wire“ loslegte. Danach war das Publikum Cohens Charme vollkommen erlegen und man sagt, dass dieser Vorfall die Feindseligkeiten auf dem Gelände für den Rest des Festivals beendete.

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Mit Phil Spector setzte er seine Karriere aufs Spiel

1977, nachdem er seit seinem Debüt vier Studioalben mit unterschiedlichem Erfolg veröffentlicht hatte, sah sich Cohen an einem künstlerischen Scheideweg. Er war bislang kaum einen Zentimeter von seinem persönlichen Kurs abgewichen. Den Labelbossen, die ihm sagten, dass seine Musik zu traurig sei, um sich gut zu verkaufen, schenkte er keinerlei Beachtung. Dennoch war klar, dass sich etwas ändern musste. Er willigte ein, sich für ein Album mit Phil Spector zusammenzutun, der sich seinerseits ebenfalls in einer Krise befand und mit dem er sich einen Manager teilte. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeitet war dann Death Of A Ladies’ Man. Spector war tatsächlich von Cohens „Mystik und Technik“ angetan, wohingegen Cohen—nicht ganz so schmeichelnd—fand, dass Spector kein „großartiger“, sondern „frecher“ Songwriter sei. Für Leonard war Spector jemand, der es schaffte, „die langweiligsten Melodien zu verwenden und sie unglaublich erfolgreich zu machen.“

Ihr erstes Zusammentreffen—ein Abendessen in Spectors Haus—endete auf eine Art, die charakteristisch für den Großteil der Aufnahmesessions werden sollte. Verärgert davon, dass seine Gäste das Abendessen frühzeitig verlassen wollten, schloss Spector Cohen und seine Frau bis in die frühen Morgenstunden in seinem Haus ein. Wie man sich vorstellen kann, war die Zeit im Studio mit einem launischen Typen vom Schlage Spectors ähnlich chaotisch. Zu diesem Zeitpunkt, es waren mittlerweile drei Jahre seit Spectors schwerem, beinahe tödlichen Autounfall vergangen, stand der Produzent unter dem Einfluss starker Medikamente, trug ständig eine Waffe bei sich und bewegte sich keinen Schritt ohne seine Bodyguards-Schrägstrich-Dealer. Darüber hinaus quetschte Spector, als der Maximalist, der er nun mal war, mehr als 40 Künstler in das Studio—darunter auch Bob Dylan und Allen Ginsberg, die beide die Backing-Vocals für einen einzigen Track beisteuerten. Eine Anekdote besagt, dass Spector Cohen mit einer Armbrust (ja, sogar bei der Wahl seiner Waffen war er exzentrisch) bedrohte, während in einer anderen, etwas lustigeren Geschichte, Spector den Sänger mit einer Flasche koscheren Weins in einer Hand und einem Revolver in der anderen begrüßt. Mit dem Arm um Cohens Schulter und der Pistole in seinem Nacken sagte Spector, „Leonard, ich liebe dich“, woraufhin Cohen nur antwortete, „Das hoffe ich, Phil“.

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Das Album klingt dann genauso zerrissen, wie es die Macher während des Schaffensprozesses ohne Zweifel auch waren. Zwei Autokraten zusammenzuführen, geht selten gut. Wenn aber einer von ihnen ein Extrovertierter mit Waffe und der andere ein Introvertierter mit Stift ist, dann trägt das nicht gerade zur Entschärfung der Situation bei. Das macht aber letztendlich auch den Reiz dieser Zusammenarbeit aus. Death Of A Ladies’ Man ist auch heute noch ein befremdlich-aufregendes Hörerlebnis.

Er wurde Scientologe, lange bevor es Mode war

Lange bevor Tom Cruise, John Travolta und Charles Manson dem suspekten Verein einen noch suspekteren Anstrich gaben, hatte Cohen seinen kurzen Flirt mit Scientology schon hinter sich gebracht. In seinem Song „Famous Blue Raincoat“ tauchen Referenzen über die Church auf. „going clear“ bezieht sich hier auf eins der Schlüsselkonzepte von Scientology, bei dem die Anhänger sich von „unterbewussten Erinnerungen vergangener Traumata“ befreien. „Ich habe mir viele Sachen angeschaut“ sagte Cohen über diese Zeit. „Scientology war eine davon … Ich habe mir das und andere Dinge angeschaut: von der kommunistischen Partei bis hin zu den Republikanern, von Scientology bis hin zu meinen Wahnvorstellungen als Hohepriester, der den Tempel Ezechiels wieder errichtet.“ Probieren geht noch immer über studieren.

Er suchte einen Rückzugsort für Buddhisten auf, um seine Karriere wiederzubeleben

Cohen zog zwischen 1994 und 1999 in das Mt. Baldy Zen Center in der Nähe von Los Angeles. Das klingt jetzt nicht gerade nach dem typischen Aussteigerjahr in Thailand, aber Leonard wollte mehr über Zen Buddhismus lernen. Er ordinierte dort unter dem Dharma-Namen „Jika“ (das bedeutet in etwa „der Stille“ oder die Stille „im Zentrum der Dinge“) und diente als Gehilfe für den japanischen Rinzai-Lehrmeister Kyozan Joshu Sasaki Roshi. Cohen saß dort „Stunden über Stunden mit verschränkten Beinen“, während ihm „obskure Sexfantasien und Songideen durch den Kopf gingen“. Dort gelang es ihm, seinen Kopf frei zu bekommen und seinen inneren Frieden zu finden, wie auch seine andauernden Depressionen zu vertreiben. Der Sänger kehrte dann 2001 mit seinem bescheiden betitelten Album Ten New Songs auf die Bildfläche zurück. Es sollte eins der erfolgreichsten Werke seiner Karriere werden. Danach folgte das gleichermaßen hochgelobte Dear Heather. Kein schlechtes Ergebnis für eine Zeit, in der du eigentlich deinen Kopf von Gedanken befreien, anstatt ihn damit füllen sollst.

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Er ist den Konflikt zwischen Israel und Palästina sehr eigen angegangen

Im Vorfeld seines Konzerts in Tel Aviv 2009 sah sich Cohen massivem Druck von Menschrechtsorganisationen ausgesetzt, die ihn dazu anhielten, das Land zu boykottieren und sein geplantes Konzert dort abzusagen. Als Antwort darauf, entschied sich der Sänger dafür, die ganzen Einnahmen des Konzerts einer Gaza Friedensorganisation zukommen zu lassen und kündigte außerdem einen Auftritt in der palästinensischen Stadt Ramallah an. Leider sagten die Veranstalter in der West Bank am Ende die Show ab. Man kann aber wenigstens sagen, dass der Wille vorhanden war.

Er hat sein eigenes Erbe mit Würde überstanden

Es ist schon komisch, wenn man sich vor Augen hält, dass Leonard Cohen jetzt mit 80 Jahren beliebter und respektierter ist denn je. Diese unglaubliche Leistung ist fast beispiellos. Nicht vergessen, Johnny Cash ging gerade erst auf die 70 zu, als er die legendären American Recordings aufnahm. Was aber noch viel erstaunlicher ist, ist die Tatsache, dass sich Cohen in seiner ganzen Karriere keinen Fehltritt erlaubt oder irgendwelche Peinlichkeiten zu verschulden hat. Es ist kein Leichtes, eine derartige Laufbahn mit einer solchen Würde zu meisten. Auch den tollsten Menschen ist ihr Dasein als Idol schon zu Kopf gestiegen. Stand irgendwann mal zur Debatte, dass Cohen mit Metallica zusammenarbeitet? Garantiert nicht. Hätte er jemals ein Self-Portrait oder Dylan & The Dead gemacht? Nein. Er ist einfach viel zu pedantisch für so etwas. Selbst in einer Welt, in der „Hallelujah“ zum Stammrepertoire von Talentshows verkommen ist, hat sich Cohen zu keinem blöden Publicity-Stunt hinreißen lassen—im Gegensatz zu Dylan, der schon in mehreren Werbefilmchen für Autos und Parfüms zu sehen war. Nein, er wird garantiert nicht bei X-Factor ein Duett zum Besten geben.

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