"Leben macht Lärm"—MC Anlikers Echo wird lange nachhallen
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"Leben macht Lärm"—MC Anlikers Echo wird lange nachhallen

Am Dienstag ist mit Pädu Anliker einer der wichtigsten Kulturschaffenden der Schweiz von uns gegangen. Ein Nachruf.

Über 30 Jahre führte Pädu Anliker in Thun das Café Bar Mokka und hatte das ehemalige Jugendhaus zu einer Kulturinstitution mit nationaler Ausstrahlung gemacht. Dienstagnacht ist er im Alter von 59 Jahren gestorben. Sein Tod löste unter den Kulturschaffenden des Landes grosse Anteilnahme und Trauer aus. Sein Lebenswerk, das Café Bar Mokka, war eine Insel in der schweizerischen Clublandschaft, die Raum für Experimente bot, auf der aber auch aufstrebende oder bereits etablierte nationale und internationale Künstler gern zu Gast waren. Er veranstaltete Musik, und verzichtete darauf dabei bloss Events zu organisieren. Der Ort wurde von Anliker beseelt und zu einer einzigartigen Oase inmitten der öden Beamtenstadt Thun. Wegen seiner väterlichen Aura und seinem Engagement für die Jugend der Region wurde er auch als "Babysitter der Stadt" bezeichnet.

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Anliker war ein eigenwilliges Original, das sich gerne auch selbst exzentrisch in Szene setzte. Er plädierte stets für Echtheit und aufrichtige Individualität. Einer Ideologie des narzisstischen Individualismus stand er hingegen sehr skeptisch gegenüber und kritisierte "die Gier nach sofortiger Befriedigung" und das Fehlen politischen Bewusstseins. Sein ausgefallener Kleidungsstil, sein Make-up, die detailverliebte und einzigartige Innenausstattung des "Planet Mokka" waren die Manifestation genau dieser Haltung. Legendär und unvergessen bleiben neben seinen Kochkünsten—er bekochte die Bands, die er gebucht hatte jeweils gleich selbst—seine Ansagen vor den Auftritten der Künstler. Anliker liess es sich nicht nehmen, vor jedem Konzert die anwesenden Gäste und Musiker mit einer persönlichen Ansprache zu begrüssen. Er wirkte dabei nie gestellt oder gar gierig nach Aufmerksamkeit. Er strahlte eine natürliche Autorität aus, die nicht auf seinem Status, sondern auf seiner Arbeit und seinem Engagement beruhte. Er war ein Macher und ein Kämpfer, stritt und diskutierte gerne, konnte auch mal laut werden, wenn ihm etwas nicht gefiel, galt als stur und unnachgiebig, wenn es um seine Prinzipien ging, nahm selten ein Blatt vor den Mund und sprach die Dinge direkt und ohne Umwege an. Damit eckte er nicht zuletzt bei bei den Behörden an. Doch auch diese wussten um den Wert Anlikers und zeichneten ihn im September dieses Jahres mit dem "Thunpreis 2016" aus. Die Stadt Thun zollte ihm damit Respekt und Anerkennung "für sein unermüdliches Engagement und seine wichtige Kulturarbeit, die er über viele Jahre für die Stadt Thun leistet".

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Mit Pädu Anlikers Tod verliert die Schweiz nicht nur einen ihrer mutigsten und aktivsten Booker und Konzertveranstalter, sondern eine Figur, die zur Sozialisation ganz vieler junger Menschen einen erheblichen Beitrag geleistet hat. Das Café Bar Mokka, wie es Anliker hinterlässt, ist mehr als nur ein Ort, an dem Kultur stattfindet. Es ist eines der wichtigsten Begegnungszentren der Region, in dem Menschen aus den verschiedensten Schichten und Hintergründen aufeinandertreffen. Er hatte es sich auf die Fahne geschrieben, den "Betrieb ohne Sexismus, ohne Sponsoring und ohne Securitys" zu führen. Anliker gab stets junger und freier Kunst eine Plattform und lebte mit jeder Faser vor, dass nicht nur eigenständige Clubkonzepte, sondern auch alternative Lebensentwürfe möglich und realisierbar sind. Auch fernab der grossen kulturellen Zentren der Schweiz und jenseits des alles für sich vereinnahmenden Mainstreams.

Als 2012 sein Betrieb und seine Person wegen Lärmklagen unter Beschuss standen, konterte Anliker zusammen mit seinen Supportern mit der Aktion "Leben macht Lärm". Er sollte Recht behalten: Das Echo seines Lebens wird noch lange nachhallen. Dafür hat er mit grösstem Herzblut und Engagement höchstpersönlich gesorgt und das beweisen jetzt die vielen Musikschaffenden der Schweiz, die ihre Trauer auf Social Media ausdrücken.

Bubi Rufener—Sänger Bubi Eifach
"Ich bin fassungslos und tief traurig. Oder einfach gesagt: Es hudlet mi düre!!! MC Anliker war ein Mann mit Ecken und Kanten im geschliffenen Mittelmass, ein Mann mit einem riesigen Herz, ein Mann mit viel Gespür für Musik, der voller Leidenschaft den besten Club der Welt geführt hat—one love MC Anliker. Mein Lieblings-MC, mein Freund Pädu ist gestorben. RIP MC Anliker!!"

Gimma
"RIP MC Anliker.
Musik ist Scheisse.
You said it, i got it."

Dino Dragic-Dubois—Kapitel Bollwerk
"Pädu MC Anliker war eine schillernde Persönlichkeit in der Schweizer Kulturwelt. Bereits mein Vater gelangte damals, vor weit über 20 Jahren, zwecks Anfrage für einen Konzertauftritt seiner Band, an den schrägen Mokka-Chef mit gekraustem Haar und aussergewöhnlicher Augenfarbe. Viele Jahre später erfreute ich mich selbst regelmässig im einzigen wahren Ausgehort Thuns, zu dem das Mokka nach der Schliessung des Selve-Areals mutierte. Das Programm war stets ausgewogen, es hatte für jeden etwas dabei. Das Mokka mit seinem stadtbekannten Vater war eines der wenigen Lokale, die mich unabhängig vom gerade gespielten Musikstil auf ein Bierchen anlockten. Ich selbst hatte vor schätzungsweise drei Jahren das Vergnügen, das Thuner Stadtoriginal im Rahmen einer Eventreihe, die wir im Mokka veranstalteten, persönlich kennenzulernen. Geschätzt habe ich ihn und seinen grossen Effort für das kulturtote Thun schon immer. Pädu war nach der Schliessung der Selve ein einsamer Kämpfer für Nachtleben und deren Kultur und ist mit dem Mokka bis heute die einzig ernstzunehmende, kulturell wertvolle Konzert- und Partylocation in der Hauptstadt des Berner Oberlands. Pädu ist eine Legende—und das lag nicht nur an seinem audiovisuellen Auftritt, mit dem er polarisierte und auch bei Fremden sofort in Erinnerung blieb. Was er auf die Beine stellte, wie er lebte und sich gab, was er aus dem Mokka geschaffen und für Thun geleistet hat… All das macht ihn zur Legende! Pädu hinterlässt eine grosse Lücke in der Thuner Kulturwelt, die nicht einfach zu schliessen sein wird. Für mich persönlich ist Thun verloren ohne seinen Pädu! Doch möge seine Seele für immer in seinem wunderbaren Mokka weiterleben und dieses hoffentlich für ewig das verschlafene Oberländer-Kaff vom Ableben sämtlicher Kultur bewahren. Ich danke dir aus tiefstem Herzen für deine Taten. Ich danke dir aus tiefstem Herzen für deine Taten. Ruhe in Frieden und wach weiterhin über deine Stadt, lieber MC Anliker!"