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Interviews

Ester Poly bringen den Punk zurück in den Schweizer Feminismus

Zwei Frauen, zwei Generationen, zwei Instrumente: Ester Poly sprengen mit ihrem Debütalbum jedes Klischee.
Foto: Ralph Kuehne | Pressebild

Punk steht schon immer dafür, alles anders zu machen: Hauptsache nicht Mainstream, eine Stimme für die Revolution und wie Jack Black in School of Rock sagte, es den Bossen zeigen. All dies verkörpern gerade zwei Schweizer Musikerinnen aus zwei unterschiedlichen Ecken. Da haben wir Martina Berther, 33, Bassistin aus Chur, Wurzeln im Rap und in Bands wie Ursina oder True tätig. Auf der anderen Seite sitzt Béatrice Graf hinter dem Schlagzeug, 20 Jahre älter, aus Genf, mit Punk- aber auch Jazz-Bands schon auf der ganzen Welt gespielt. Zusammen bilden sie das Duo Ester Poly.

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Und Ester Poly könnten mit ihrem Debutalbum Pique Dame einen Volltreffer im politisch und feministisch aktiven Teil der Gesellschaft landen. Ihr neuestes Werk erinnert musikalisch wie inhaltlich an die Riot-Grrrl-Bewegung. Die feministische Punk-Abspaltung hatte definitiv eine Fuck-off-Attitüde gegenüber dem Patriarchat und diese Kraft geben Ester Poly wieder. Mit wenigen aber bestimmten Lyrics und konsequenter Musik liefern Ester Poly ihr Statement ab. Musikalisch schafft es das Duo dabei, jede Schublade aus dem Schrank zu reissen – so dass man sie am Schluss in keine davon Stecken kann. Das ist Punk.

Im Moment befindet sich das Duo auf seiner Pique Dame-Release-Tour. Ich habe sie zwischen zwei Stopps getroffen, um mit ihnen über ihre Musik, den Feminismus von heute und das Leben als Frau in der Berufsmusik zu reden.

Béatrice und Martina. Foto von der Autorin

Noisey: Viele werden zum ersten Mal von Ester Poly hören. Stellt euch doch kurz vor.
Martina: Wir sind ein Duo bestehend aus Schlagzeug, Bass und Gesang und spielen Experimental-Psychedelic-Punk-Clash. Anfangs waren wir ein Improvisationsduo. Irgendwann haben wir angefangen aus Improvisationen Songs zu kreieren. Aus gegebenem Anlass hat es sich so entwickelt, dass unsere Stücke vor allem politische und feministische Inhalte haben.
Béatrice: Martina spielte 2013 ein Konzert in Genf, welches ich besuchte. Mir fiel sofort ihr Bassspiel auf und ich hatte das Gefühl, dass mit uns zwei ein neues Projekt entstehen könnte. Darum habe ich sie zu einer Jam-Session eingeladen und seitdem spielen wir zusammen.

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Ihr kommt aus zwei verschiedenen Generationen. Könnt ihr daraus Vorteile ziehen oder ist es eher ein Reibungspunkt?
Martina: Ich finde, obwohl wir unterschiedlich sind, ist es eine gute, inspirierende und interessante Ergänzung in allen Bereichen. Die Generation von Béatrice tickt definitiv anders als meine Generation. Ich bin mir sicher, dass man diesen Generationenunterschied auch in unserer Musik hört. Ich sehe darin also nur Vorteile. Klar gibt es deswegen auch Reibungspunkte, aber selbst diese sind ein guter Nährboden.
Béatrice: Dass man den Generationenunterschied in der Musik hört, liegt auf der Hand. Martina ist mit HipHop und Soul aufgewachsen und ich eher mit Free-Jazz, Punk-Rock und später mit New Wave. Wir probieren, unsere eigene Nische zu erschaffen. Klingt es zu bekannt, ist es vielleicht zu wenig interessant. Nicht, dass wir komplizierte Strukturen bauen wollen, aber es muss irgendwo anders rüberkommen als alle Sachen, die schon vor Jahren entstanden sind.
Martina: Das Schöne ist, dass wir nicht direkt probieren, anders zu klingen, sondern dass es einfach passiert. Da wir beide Musikerinnen sind, die sich tagein tagaus mit unseren Instrumenten beschäftigen, in die Tiefe gehen und weiterkommen wollen, erschaffen wir, wenn wir aufeinandertreffen, automatisch – zumindest für uns – etwas Neues.

Eure Musik befindet sich eher im experimentellen Bereich. Gibt es für euch irgendwelche Grenzen?
Béatrice: Für den Pop- oder Rock-Bereich wirken wir bestimmt experimentell, aber für die experimentelle Szene sind wir Pop. Unsere Instrumentierung – nur Bass, Schlagzeug und Stimme – ist in sich selbst schon ein Experiment.
Martina: Da wir im weitesten Sinne Improvisatorinnen sind, ist das Experimentelle automatisch dabei. Grenzen gibt es bei uns keine – nur dass unsere Musik konsequent bleibt. Sind Songs nicht kräftig oder bedeutend, bleiben sie nicht im Repertoire. Auch die improvisierten Momente in unserer Musik sollen nicht beiläufig oder suchend klingen. Das experimentieren findet also mehr im Proberaum statt.

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Mit welchen Themen habt ihr euch auf diesem Album auseinandergesetzt?
Martina: Das Album ist politisch und sozialkritisch. Über weite Strecken ist es auch eine Widmung an die Frau. So geht es unter anderem um die weibliche Lust und die Frauenrechte. Im Lied "Slutwalk" etwa behandeln wir das Thema, dass eine Frau nie mitschuldig ist an einem sexuellen Missbrauch, egal was sie anhat. Wenn sie "Ja" sagt, ist es ein "Ja" – und wenn sie "Nein" sagt, ist es ein "Nein".
Béatrice: Die Inspiration für den Song war ein Kleber in Genf auf dem stand: "Si je veux, je suis une pute, si je ne veux pas, je suis une pute." In einem Satz hast du schon alles gesagt: "Wenn ich gerne Sex habe, bin ich eine Schlampe und wenn ich keinen Sex will, bin ich ebenfalls eine Schlampe."
Martina: Wir haben auch noch zwei Lieder auf dem Album, die mehr politischer Natur sind.
Béatrice: Ja, in "La Vie En Rose" etwa geht es darum, dass die Leute das Leben durch eine rosa Brille sehen. Kurz: virtuell leben, aber trotzdem alleine sein. Ja, das Zeug ist schlussendlich ziemlich politisch.
Martina: Wir haben uns aber auch viele Gedanken über unsere Instrumentierung, Noise und Sound gemacht.

Wie steht ihr zum heutigen Feminismus in der Schweiz? Ist dieser überhaupt noch nötig?
Martina: Er ist auf jeden Fall nötig. Wir leben in einem modernen Land, hinken aber, was einige Themen betrifft ziemlich hinterher. Wie zum Beispiel im Thema Gleichstellung.
Béatrice: Ich glaube, wir machen wenig Fortschritte bei den Frauenrechten. Die Veränderungen findet vor allem an der Oberfläche statt. Schaust du aber genauer hin, wird sichtbar, welche Probleme eigentlich schon immer da war.
Martina: Gerade wenn du in einem genderatypischen Beruf unterwegs bist, bekommst du das immer wieder zu spüren. Seit jeher geht es um die gleichen Themen. Das sehen wir auch in unserem Leben als Musikerinnen. Anfänglich musste ich lernen, mich in dieser Branche durchzusetzen und meine Kommunikationsart zu ändern. Mit der freundlichen Art kommst du nicht immer weit. Heutzutage sehe ich an den Reaktionen der Zuhörer, dass sie wie vor den Kopf gestossen sind, dass ich als Frau gut Bass spielen kann. Ich finde aber, dass man den Leuten diesen unterschwelligen Sexismus nicht wirklich vorwerfen kann: Es gibt so wenige Musikerinnen, dass ich mich selber auch immer freue, wenn ich eine Frau auf der Bühne spielen sehe.
Béatrice: Als Musikerin musst du dir immer wieder komische Bemerkungen anhören. Vor kurzem habe ich mit einem jungen Schlagzeuger Musik gemacht. Wir spielten einen Groove und waren aus dem Rhythmus geraten. Er meinte daraufhin, dass ich sein Spiel nicht verstanden hätte obwohl ich zwanzig Jahre mehr Spielerfahrung mitbringe. Es sind kleine Macho-Attitüden, die eigentlich zum Lachen wären.
Martina: Ich glaube, ich habe ganz viele ähnliche Situationen in den letzten Jahren ausgeblendet. Als junge Musikerin darfst du in solchen Momenten den Kopf nicht in den Sand stecken, dann musst du einfach "Fuck You" denken. Das braucht Selbstvertrauen. Ich hatte glücklicherweise auch ein gutes Umfeld von Musikern – leider haben die weiblichen Vorbilder bis zum Treffen mit Béatrice nahezu komplett gefehlt – die auch sensibilisiert sind und mich immer unterstützt haben. Ohne sie wäre es sicher viel schwieriger gewesen.

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Habt ihr das Gefühl, eure Musik kann ausserhalb vom Feminismus stattfinden?
Béatrice: Die Musik lebt von sich selbst. Die Lyrics sind wie die Kirsche auf dem Kuchen. Im Moment behandeln wir solche Themen, aber in den nächsten Stücken werden wir uns vielleicht anderen wichtigen Themen widmen.
Martina: Unsere Musik kann nicht auf den Feminismus reduziert werden. Sie ist sehr facettenreich und soll vor allem Inhalt haben, soll kraft-, humorvoll und herausfordernd und darf auch mal provokant sein. Das kann mit oder ohne feministische Text passieren. Sie ist nicht nur für ein Label oder eine Gruppierung gedacht. Wir nehmen unsere Musik auf der einen Seite seriös, trotzdem ist vieles auch ironisch gemeint. Es ist halt einfach total unverkrampft.
Béatrice: Beim Titelsong "Pique Dame" zum Beispiel singe ich und spiele gleichzeitig Schlagzeug und das kann live schon lustig aussehen: Ich meine, eine 50-jährige Frau, die auf der Bühne schreit und am Schluss einen Orgasmus vorspielt. Es weiss ja auch jeder, dass die Mutter keinen Sex mehr hat.
Martina: Was noch interessant ist: Wir haben festgestellt, dass dieser Song für viele Männer das provokanteste Stück darstellt, während Frauen ihn vor allem lustig finden. Nicht wegen dem Text – den verstehen viele sowieso nicht – sondern wegen dem Orgasmus. Es braucht nicht immer Text, um zu provozieren.

Wurdet ihr schon öfter wegen euren Provokationen angesprochen oder kritisiert?
Martina: In der Schweiz können die Leute gut mit unserer Musik umgehen. Wir haben aber zum Beispiel in der Türkei und in Benin gespielt und dort gemerkt, dass einige Songs schwere Kost sind.
Béatrice: Wenn sie die Texte sprachlich verstehen, wie in Benin, kratzen wir schon oft an einer Grenze.
Martina: Die Leute in der Schweiz sind sich solche Sachen schon viel mehr gewohnt. Gerade in Benin war es nur schon eine Provokation, dass zwei Frauen auf der Bühne stehen und spielen. Mehr hätten wir gar nicht machen müssen
Béatrice: Das oberste Kompliment, das wir dort eghört haben: "Du spielst wie ein Mann."
Martina: Mein Ziel ist es allerdings, dass wir wie wir spielen. So wie wir uns fühlen, mit Themen die uns beschäftigen. Losgelöst von unseren männlichen Vorbildern. Das wäre eigentlich eine musikalische Emanzipation. Ich glaube wirklich daran, dass es dann ganz viele neue gute Musik geben wird.

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Habt ihr das Gefühl, jetzt ist die Zeit für eine Revolution in der Musik- und richtigen Welt gekommen?
Béatrice: Aktivistinnen und Aktivisten wird es immer geben. Aber dass dieser Teil der Gesellschaft eine Minderheit ist, ist mir auch klar. Ich würde sagen, der Konsum hat gewonnen, da die meisten Leute diese Mainstream-Art vom Leben übernommen haben. Das siehst du auch in der Musik.
Martina: Ich glaube, speziell meine Generation hat in manchen Belangen ein wenig gepennt. Es hat immer alles funktioniert und war gut, wir mussten für nichts kämpfen oder uns einsetzten. Vielleicht gehst du abstimmen und wenn nicht, ist das auch OK. Es kommt immer in Wellen und dann merkst du plötzlich, dass du dranbleiben musst, weil sich das Rad sonst zurückdreht. Ich glaube, im Moment wachen viele auf und merken, dass sie etwas unternehmen müssen.

Ester Poly auf Tour: 18.10.2017 | L'Entre-Deux | Jaquet-Droz 27 | La Chaux-de-Fonds
20.10.2017 | KAFF | Grabenstrasse 57 | Frauenfeld
22.10.2017 | L'Ecurie | Montbrillant 14 | Genève 20:30
28.10.2017 | Reitschulefest | Frauenraum | Bern 22:30
16.11.2017 | Rhiz | U-Bahnbogen 37 | Wien (AUT)
25.11.2017 Palace | St. Gallen | with Schnipo Schranke
28.11.2017 | Urgence Disk | Usine 4 volontaires | Genève
29.11.2017 | Punto | Thunstrasse 104 | Bern



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