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Aus großem Bizeps erwächst große Verantwortung—Track by Track mit Kollegahs ‚King‘

Kollegahs ,King‘ ist nach nur drei Tagen Gold gegangen. Wir haben das Album genauer unter die Lupe genommen.

Vielleicht sollte man mal inne halten und folgende Tatsache auf sich wirken lassen: Das am letzten Wochenende international am häufigsten gestreamte Album auf Spotify war King von Kollegah. Vor Avicii, Pharrell und Katy Perry. International. Als ob es nicht schon längst klar gewesen wäre, postete er heute, drei Tage nach Release, dass King Gold gegangen ist, was übrigens einen Rekord im Deutschrap darstellt. Die „legendärsten Promophase aller Zeiten“ hat ihr Versprechen definitiv gehalten. Bosshaft TV, der zur Albumpromo entwickelte YouTube-Kanal, zählt ein halbes Jahr und 91 Videos später 43 Millionen Videoaufrufe und über eine halbe Millionen Abonnenten, von denen wohl die wenigsten das Splash-Ticket im Dauerabo buchen würden.

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Kollegah präsentiert uns seit Jahren pünktlich zur Promophase eines neuen Releases die, ich drücke es mal vorsichtig aus, neuen Alternationen seiner Interessensgebiete. Nach den zu Beginn dieses Artikels erwähnten Worten klingt das vielleicht nach Königsbeleidigung. Aber ich glaube kaum, dass Kollegah erzürnt wäre. Er selbst geht offen damit um, dass der Boss auch eine Rolle ist, die sich über die Jahre entwickelt hat. Übrigens haben das seine alten und neuen Fans akzeptiert beziehungsweise verstanden. Nicht zuletzt der kommerzielle Erfolg von JBG2 hat ihn entspannter gemacht, wie er mir im Interview verriet.

Diese daraus resultierenden komödiantischen Entertainer-Qualitäten sorgten für einige große HipHop-Momente. (Stichwort: Wat is denn los hier, Stefan? Hast du etwa die Dreistigkeit zu besitzen, dich schon wieder nicht auf deinen Gast vorzubereiten?) Kollegah hat das Rapspiel 2014 besser verstanden als so manch ein Labelboss. Doch ist er auch musikalisch gereift? Klar, Punchlines par ex­cel­lence wird es wieder zuhauf geben, aber wie sieht es mit dem Rest aus? Hatte Prinz Pi nicht letztens gesagt, dass es Zeit für ein perfektes Kollegah-Album ist? Wir wollen schauen, ob er Recht hatte.

„Alpha“

Ich kann den Song nur schwer ohne Video bewerten. Weil es zum einen das erste musikalische Ausrufezeichen von King war und zum anderen, weil es einfach so unglaublich geil ist. Der Song als Opener kommt sehr stark. Die schrillen Synths und Sirenen haben zwar keinen besonderen Überraschungsfaktor, aber es passt. Mit Punchlinesalven wird die eigene „Battlerapsaga“ rekonstruiert, aber mit offenem Visier, womit die eigenen vermeintlichen Schwächen gekonnt weggerappt werden. „Und wenn sie meinen: die Songs sind dope, aber der Typ ansonsten bloß ein zu viel Kokain ziehender, G spielender Bonzensohn. Dann zünde ich den Blunt an und lache.“ Genug gesagt.

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Viel wichtiger ist es, die Frage zu klären, wer zu Hölle dieser Typ im Video ist??

„King“

Auch zuerst das Video gesehen. Fand ich eher nicht so toll, dafür ist der Song erste Sahne. Ich glaube mittlerweile, dass Kollegah in 20 Jahren die BOSSARCHIE in Deutschland ausrufen wird.

Notiz an Selfmade: Für die Rechte des Namens verlange ich die Ernennung zum Kultusminister. Meine erste Amtshandlung wird es sein, King zum offiziellen Soundtrack für jeden Anlass zu bestimmen.

Ich freue mich schon.

„Flightmode“

Hmm, der Beat ist wunderschön atmosphärisch und auch die Piano-Loop ist überraschend gut. Genau diesen musikalischen Unterbau habe ich mir für das Album gewünscht. Die Sechzehner quillen auch hier wieder mal voller verachtender Silbenartistik. Aber ich verstehe den Song und die Hook einfach nicht. Was ist dieser Flightmode? Und warum wird der Timecode geändert? Erste Anzeichen der Überforderung. Panik!!

„R.I.P.“

Diese Track-by-Track-Geschichte ist ja echt lang. Ich glaube, ich lasse einfach mal Rapgenius erklären, worum es in „R.I.P.“ geht:

Mit dem Song „R.I.P.“ möchte Kollegah verdeutlichen, dass er der beste Rapper ist und die anderen Rapper die Karriere aufgeben sollen.

Uff. Dieser recht allgemeine Erklärungsversuch passt leider überraschend treffend auf den Song. Irgendwie kommen die Hater mit einem blauen Auge davon. Obwohl, die nervige Piano-Loop könnte noch für bleibende Schäden sorgen.

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„Cohibas, blauer Dunst“ feat. Farid Bang

Die alte Mütterfickerkombo von Boss und Banger wird wieder einmal herausgekramt. Klingt aber mehr nach Bonus-Track von Jung, brutal, gutaussehend 2, also ganz solide, aber definitiv kein Highlight des Albums. Farids Part ist absolut okay, Kollegahs sowieso, aber Mütter von Sprechgesangsartisten wurden auch schon mal härter penetriert. Nicht wundern, denn Kollegah erklärte bereits, dass er keine Lust mehr hat, Groupies zu bumsen.

„AKs im Wandschrank“

Nochmal. Video ist erste Sahne. Schwarz-Weiß, Dollar-Stacks, Porsche Carrera, das alles steht dem Boss vorzüglich. Und auch diese Trapnummer habe ich umgehend gefeiert, als der Song rauskam. Die Snarerolls passen einfach wie angegossen zum dargebotenen Silbengeballer. Trotzdem ist der Song nach fünfmal Hören auch durch, weil die schrillen Synths irgendwann nur noch nerven. Dementsprechend ist die Halbwertzeit des Songs sehr kurz. Trotzdem, beim ersten Hören top. FRRRRRR!

Kurz mal checken: [Was sagt Rapgenius?](http:// http://rapgenius.com/Kollegah-aks-im-wandschrank-lyrics)

„Morgengrauen“

Der erste wirklich schwierige Song auf dem Album. Mir gefällt das fernöstliche Sample, und auch die Hook kann sich musikalisch sehen lassen. Kollegah erzählte mir, dass der unterhaltsame Rap, den er macht, nur einen kleinen Teil seiner Persönlichkeit ausmacht. „Morgengrauen“ ist der erste Versuch sich einem ernsten Thema zu widmen. Das Problem ist, dass Kollegahs große Stärke—erhabenes Gangstagelaber—dann natürlich nicht greift. Ich habe nichts dagegen, wenn sich Kollegah reflektiert mit Missständen in unserer Gesellschaft auseinandersetzt. Im Gegensatz zu manch einem anderen Rapper hat er definitiv den Intellekt dazu. Ich bin eher etwas enttäuscht, dass es offensichtlich nur zu Motivationsplattitüden gereicht hat. „Warum wenden wir uns Gott nur zu bei Unheil und Verzweiflung statt zu danken für Gesundheit oder Reichtum, warum? (Warum?)“

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Weiß ich auch nicht. Schnell weiter skippen.

„Sanduhr“ feat. Favorite

Klingt vielleicht traurig, aber unterhaltsamen Nonsense konnte Kollegah (bis jetzt) immer noch besser. „Guck auf die Limo mit mehr Tür'n als Adventskalender, Chromfelgen reflektier'n die Straße so wie 08/15-Gangsterrapper“. Der Beat ist absolut solide. Und da ist ja noch Favorite, der zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ein Lebenszeichen von sich gibt. Dass sich in dem Nichtsnutz von früher wohl einiges aufgestaut hat, merkt man sofort. Bewusste Provokation schön und gut, aber Favs „germanische Kampflust“ gebackupt vom „jüdischen Rechtsverdreher“? Ich bezeichne das mal als mutig.

„Du bist Boss“

Ich habe das Schlimmste befürchtet, als ich den Titel dieses Songs zum ersten Mal las. Und es ist alles eingetroffen. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, so sehr ärgert mich dieses Lied. Ich kann absolut verstehen, dass Kollegah sich verantwortlich für seine vielen jungen Fans fühlt. Und klar darf er Teenagern gerne ein paar wertvolle Lebenstipps mitgeben, aber bitte nicht mitten im Album. Ein Freetrack hätte es auch getan. Und warum mussten die Synthies dafür so käsig sein?

„Universalgenie“

„Wor-wor-wor-word. A lot of women hate me, but that's only cause they used to love me“.

Mir erschließt sich der Zusammenhang zwischen diesen Scratches und den von Kollegah höchstwahrscheinlich im posttraumatischen Delirium zwischen dionysischen Reueschwuren und Angriffen mechitaristischer Ordensbrüder geschriebenen bedeutungschweren Texten nicht so ganz. Für diesen Satz habe ich gerade zehn Minuten gebraucht. Und ich habe keine Ahnung, was ich da geschrieben habe. Deswegen beeindruckt mich ein Song wie „“ oder eben „Universalgenie“ noch mal mehr. Dieses Illuminatengequatsche aus dem Telefonhörer unterhält mich einfach in höchstem Maße. Wer weiß, vielleicht hat das große Auge schon einen Blick auf mich geworfen.

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„Lamborghini Kickdown“

Alleine die Zeile zum Schluss „Aus großem Bizeps erwächst große Verantwortung“ macht den Song zu einem Highlight des Albums. Starker Uptempo-Beat, super Hook, gewohnt überragende Punchlines. So muss das.

„Karate“ feat. Casper

Auf dieses Feature war ich am meisten gespannt. Ich erwartete eine Manifestation zweier Rap-Superstars, die nach Jahren unter völlig anderen Vorzeichen zusammengekommen sind. Leider ist daraus nichts geworden. Das liegt nicht an Kollegah und Casper, die mit ihren Parts abliefern. Aber der Trapbeat hört sich leider nach gewollt und nicht gekonnt an. Sehr schade. Schönste Casper-Zeile trotzdem: „Komm mir nicht mit Emogelaber bitte, XOXO hat euch Wichsern alle den Arsch gerettet.“

„Schwarzer Benz“

Als Entschädigung für die Verschiebung des Albumreleases wurde „Schwarzer Benz“ veröffentlicht, und damit meiner Meinung nach eine der stärksten Nummern auf diesem Album. Die atmosphärischen Streicher, die trappigen Drums, die unangestrengten Beleidigungen. Alles passt, bis auf das Patriotismus-Gequatsche in der Hook.

„Rolex Daytona“ feat. Game

Hätte ich mir aussuchen können, welchen Ami-Rapper ich mir auf mein Album holen würde, ich glaube, Game wäre wohl einer meiner Favoriten. Nicht, weil er einen motivierten Sechzehner schreiben würde, sondern weil er immer noch durch seine Stimme und seine Präsenz unterhalten kann. Leider ist der Part dermaßen uninspiriert, dass ich diese Aussage schon wieder zurücknehmen will. Am meisten regt es mich auf, wenn amerikanische Rapper irgendwelche Begriffe im Zusammenhang mit Deutschland aufzählen, um zu zeigen, dass man sich seiner Feature-Verantwortung bewusst ist. Lieber Herr Game, wenn du dich nicht in Stuttgart aufhältst, dann musst du es auch nicht auf einem deutschen Rapsong erwähnen. Ansonsten Kollegah wie immer souverän.

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„Warum hasst du mich?“

Das ganz klar bessere „R.I.P.“. Man möchte sich nicht vorstellen, wie Kollegah jemanden auseinandernehmen würde, wenn der Gegner nicht nur imaginär wäre. Wahrscheinlich ist das der Song auf dem Album mit den technisch ausgeklügelsten Rapstakkatos.

Ich meine:

„Nur weil ich mit Gunshots mein Dobermann anfeuer', bis er Tödliche Bisse verteilt wie Kobraschlangenmäuler? Weil du struggl'n musst als Flohmarktstandverkäufer und meine Wohnappartements Monatsraten teurer sind als 'ne Oberklassenkreuzfahrt? Nur weil ich zwanzig Nobelwagen steuer, die Flügeltüren haben so wie Großstadtkrankenhäuser?“

„Königsaura“

Kollegah ist der beste Rapper Deutschlands. Wer das immer noch nicht akzeptieren will, sollte sich „Königsaura“ zu Gemüte führen. Der Song ist ein einziges 7-Minuten langes Punchline-Gewitter ohne Hook oder Bridges oder sonstigen Quatsch. Einfach nur Rap, Rap, Rap auf einem großartigen Uptempo-Brett von KD Beatz Auch hier erfindet Kollegah das Rad nicht neu (zumal er es ja längst erfunden hat), aber er hat es nach zehn Jahren Raperfahrung bis ins letzte perfektioniert.

„Hate nicht, Talent plus Disziplin ergibt Erfolg, du Bastard“—Kollegah 2014 in einem Satz.

„Es ist Rap" feat. Genetikk

Das letzte Feature kommt zwar mit einem sehr guten Rap-Beat von Sikk um die Ecke, doch leider funktioniert der Song nicht. Karuzo und Kollegah sind beide unglaublich gute Rapper, aber wenn es um das Hochhalten der HipHop-Fahne geht, dann haben beide etwas andere Vorstellungen. Karuzo ist, obwohl er jünger ist, der Rap-Konservative von beiden, der mit Rap eben noch Afrika Bambata und Biggie verbindet. Für Kollegah dient Rap allerdings dazu, die eigene Großartigkeit zu untermauern: „HipHop ist Mercedes und Beamer fahren. Es ist plötzlich fragen Idole, die mich stets inspiriert hab'n wegen 'nem Feature an.“ Alte Deutschrap-Gangstaschule möchte man meinen. Vielleicht sollten mit dem Song die verschiedenen Facetten der Selfmade-Künstler untermauert werden. Leider funktioniert das nicht, weil der Boss nur selten Feature-Parts toleriert.

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„Click Click“

„Du willst in den Backstage Baby, zieh ne Nummer. Kid, ich mach aus standfesten Kampflesben Emochicks mit Liebeskummer“

Wow. Weder musikalisch noch thematisch gibt es hier Überraschungen. Gott sei Dank gibt es immer noch eine Punchline mehr.

„Regen“

Der dritte „deepe“ Track auf dem Album, auf dem die eigene Geschichte samt RBA-Battles, Seperate-Disses und Splash-Auftritten verarbeitet wird. Dieses Mal finde ich den Vortrag absolut überzeugend, weil Kollegah sich auch hier selber auf die Schippe nimmt und die eigenen Schwächen benennt. Leider ist es mal wieder der recht peinliche Piano-Loop, der die Sache versaut.

„Omega“

„Ist schon wieder Outro oder was“. Mir geht das Herz auf, wenn ich diese Hommage an das legendäre Outro vom zweiten Studioalbum Kollegah höre. Eine wunderbare Verabschiedung, in der noch einmal die eigene Glorifizierung bis ins Letzte ausgeschlachtet wird. Aber ganz entspannt versteht sich.

Nun, ich kann nicht sagen, dass ich enttäuscht bin. Dafür hat Kollegah alleine, was die Reimstrukturen und Technik angeht, nochmal eine Schippe draufgelegt und seinen Status als bester Rapper dieses Landes zementiert. Leider zeigt auch dieses Album, dass es bis zum größten Musiker dieser Rapszene noch ein weiter Weg ist. Denn die Beatauswahl ist an manchen Stellen wieder mal fraglich und auch die ernsteren Themen funktionieren kaum. Dafür sind die Punchlines eben zu zerberstend, als das Realtalk wirklich Platz finden könnte. Kollegah hat immer wieder angedeutet, dass ihn auch noch andere Dinge interessieren, als Rapper dem Erdboden gleichzumachen. Man darf gespannt sein, ob er es schafft, diese auf dem nächsten Release überzeugend vorzutragen.

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