"Du wirst vielleicht nicht zum Rassisten, aber du betreibst eine rassistische Türpolitik."

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Interviews

"Du wirst vielleicht nicht zum Rassisten, aber du betreibst eine rassistische Türpolitik."

Ein Wiener Türsteher erzählt aus seinem Berufsalltag.

Yasin* hat sehr viel zu erzählen. Viele Jahre arbeitet er schon als Security, in so ziemlich allen bekannten Wiener Clubs. Er spricht reflektiert über seinen Job, die Dinge, die dort falsch laufen, die er selbst falsch gemacht hat, wie sie besser werden könnten. Er möchte anonym bleiben. Die Szene ist sehr klein, man kennt sich und man spricht mit Außenstehenden nicht über die Arbeit. Oft nicht einmal mit Kollegen. "Du machst dich nicht nur unbeliebt", erzählt Yasin, "es drohen dir auch Leute. Weil du ein Verräter bist."

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Nur wenige in diesem Beruf würden über ihre Taten nachdenken. Wenige überlegen, was sie in gewissen Situationen besser machen hätten können. Und es wird viel zu wenig darüber gesprochen: "Man redet kaum über Fehler. Du solltest schauen, was nicht funktioniert und es optimieren. Aber wenn sich ein Security zu sehr aufführt, dann wechselst du ihn einfach aus. Es ist auch gang und gäbe, dass ein Türsteher, der bei einem Club schon verschrien ist, kurz danach einfach in einem anderen Club steht."

In einer Wiener Großraumdisko hätten mehrere Securitys einmal einen jungen Mann rausgetragen und vor der Tür verprügelt. Yasin war am selben Abend dort, über den Vorfall sprach vor Ort niemand, erst auf Facebook habe er davon erfahren. "Niemand hat mit mir darüber geredet. Die Securitys haben einfach jemanden rausgebracht, getreten und geschlagen. Am nächsten Tag wollt ich das ansprechen und es hieß nur: 'Über sowas reden wir nicht, das wird dann immer so groß aufgebauscht'."

Ein anderes Mal haben Securitys einem Vater, der dort mit seiner Tochter war, die Nase gebrochen. Die Tochter postete das Foto auf die Pinnwand des Clubs,ein Kellner schrieb sie privat an, veröffentlichte Teile der Unterhaltung und stellte sie als Lügnerin dar. Das Mädchen löschte das Foto, das Thema war für die Lokalbetreiber erledigt.

"Egal, was ist, du deckst deine Kollegen. Auch wenn du nicht d'accord bist mit dem, was passiert ist. Es ist deine Pflicht. Deswegen sagst du halt, er war es nicht, obwohl du weißt, dass er es war. Manchmal waren die Betroffenen auch sehr betrunken und erinnern sich nicht wirklich an den Vorfall. Dann sagt einer zum Beispiel: 'Ein blonder Security hat mich geschlagen' und wir sagen: 'Passt, wir haben keinen einzigen blonden Security' und die Sache ist für uns erledigt."

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Viele Türsteher werden einfach ins kalte Wasser geworfen, eine Ausbildung hat kaum jemand. Er selbst habe am Anfang vor lauter Angst sehr viele Fehler gemacht, erzählt Yasin. Menschen aus Überforderung grundlos angeschrien oder weggestoßen. Warum hört man nicht oft davon, dass Polizisten zuschlagen, aber von Türstehern hört man es immer wieder?  "Erstens einmal, weil der Security schlecht ausgebildet und ein primitiver Affe ist oder, weil er sich nicht zu helfen weiß und unterlegen ist von der Mannstärke. Wenn die Polizei zwei Leute festnehmen will, dann kommen die zu zehnt. Da musst du viel weniger körperliche Gewalt einsetzen. Weil du eh zu dritt auf dem drauf sitzt." Alleine sei so etwas viel schwieriger.

"Entweder du hältst das aus oder nicht. Du hast halt sehr viele stumpfe Leute in diesem Beruf oder dann welche, die gebildeter sind und den Job anders machen. Aber die bleiben dir nicht lange, weil die Bezahlung scheiße ist und du im Büro genau so viel Geld bekommen kannst." Studenten bleiben oft so lange wie ihr Studium dauert, um es sich finanzieren zu können, dann hören sie auf. Für sie gibt es Jobs mit weniger Risiko, Jobs, in denen sie nicht angepöbelt werden, aber dafür Anspruch auf Urlaub, Urlaubs- und Weihnachtsgeld haben.

Tschetschenen dürfen hier nicht rein.

Überrascht habe ihn die Türpolitik jener Clubs, die eher linksgerichtet sind, eher Studenten ansprechen oder Jugendliche. "Du hast teilweise sehr linke Clubchefs, was auch supercool ist manchmal, sie geben sich offen und machen zum Beispiel Aktionen für Flüchtlinge, aber die machen dann trotzdem so ansagen wie: 'Tschetschenen dürfen hier nicht rein'. Also lässt du keine Tschetschenen rein." Welche Menschengruppen das seien, die oft nicht in Clubs kommen, frage ich. "Meistens sind es Tschetschenen, Schwarze, Araber, Türken und Jugoslawen", antwortet Yasin.

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"Ich hatte einen Chef, der hat sich selbst als linksradikal bezeichnet, wollte Ausländergruppen aber nicht im Club haben. Jeder hat halt Angst, dass er zu viele Dealer im Club hat, und prophylaktisch lassen sie dann niemanden rein, von dem sie glauben, dass er einer sein könnte. Und die Türsteher sind dann halt die Rassisten." Schuld seien am Ende sowieso immer die Securitys: "Wenn die falschen Leute im Club sind, dann ist dein Chef wütend. Lässt du die Leute draußen stehen, sind die wütend. Und im schlimmsten Fall kommen irgendwelche Leute und werfen dir Rassismus vor." Wenn er nun zum Beispiel am Gürtel entlang geht, sieht er in Menschen oft Dealer, obwohl sie vielleicht einfach nur Kaffee trinken waren. "Wird man rassistisch durch so eine Türpolitik? Wenn du plötzlich in jedem Schwarzen einen Dealer siehst?", möchte ich wissen. "Ich glaub, wenn du halbwegs klug bist, dann lernst du zu differenzieren. An der Tür wirst du nicht zum Rassisten, aber du betreibst auf jeden Fall eine rassistische Türpolitik."

Es gäbe da ein paar Standardsprüche, die man sagt, damit man eben nicht sagen muss, dass jemand aufgrund seiner Hautfarbe oder Herkunft nicht in einen Club kommt: "Wenn du zum Beispiel eine Gruppe von männlichen Ausländern hast, dann sagst du, dass es dir leid tut, ihr heute aber nur Paare reinlasst oder prinzipiell keine größeren Männergruppen. Natürlich bringt das noch immer manchmal Stress, aber du nimmst schon viel Potenzial raus. Du versuchst halt, das halbwegs neutral zu verkaufen."

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Dabei sei das mit den Dealern längst nicht mehr so einfach und pauschal zu lösen. In manchen Clubs wissen viele Dealer schon lange, dass sie nicht reinkommen. Deswegen greifen sie auf österreichische Jugendliche zurück, die nicht auffallen und so beinahe ungestört im Club dealen können. "Da hast du dann einen 16-jährigen süßen Blondschopf stehen, der versucht, E zu verkaufen. Die wissen, sie kommen selbst nicht rein, dann suchen sie halt einen anderen Weg."

Beinahe jeder Clubbesucher, -besitzer und -mitarbeiter würde zwar Drogen konsumieren, so Yasin. Dealer wolle aber trotzdem niemand im Club haben. Zumindest nicht so, dass man es mitbekommt. Bei Gras ist man da noch sehr tolerant, aber auch hier gebe es genug Securitys, die den Besuchern das Zeug wegnehmen würden—teilweise, um es dann einfach selbst zu konsumieren.

Wenn du jemanden durch einen Hintereingang rauszahn kannst, zah ihn dort raus. Hauptsache die Gäste sehen nicht, dass da was passiert.

Eigentlich nerve der Job vom ersten Arbeitstag an, erzählt Yasin. Wann habe man bei dieser Arbeit schon mit angenehmen Leuten zu tun? "Du hast natürlich deine Stammgäste, mit denen quatschst du ein bisschen, aber im Regelfall stehst du neun Stunden in einem dunklen Raum mit lauter Musik oder du stehst neun Stunden an der Tür und kontrollierst Ausweise und wirst permanent angepöbelt. Die Leute, die angenehm sind, schleust du schnell durch, die stehen dann auf der Tanzfläche oder trinken. Menschliche Interaktion hast du nur dann, wenn du jemanden rausbringst, wenn sich irgendwelche Leute anschreien oder Chaos ausbricht."

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Diese Menschen bringst du dann vor die Tür, Job erledigt. Manchmal wirke es unfair, vier Männer prügeln auf einen ein und der eine wird rausgeworfen. "Zu seinem eigenen Schutz", so Yasin. Würde er die vier rauswerfen, wären sie noch wütender und würden im schlimmsten Fall vor der Türe warten. Wütend sind die Beteiligten in jedem Fall—auf den Türsteher.

Manchmal gäbe es auch Leute, die wie tot im Club liegen: "Das will man nicht. Im Normalfall ist es so, dass du sie einmal aufweckst und ihnen sagst, sie sollen wach bleiben. Manche werfen die Leute aber auch gleich raus. Wenn sie nochmal einschlafen, dann schaust du, dass du sie irgendwie rausziehst, sodass es möglichst niemand mitbekommt und dann legst du sie weg, sodass sie nicht im Clubumfeld zu sehen sind. Du bist ja angewiesen, ja nicht deinen Posten zu verlassen. Also bring ihn schnell weg und der Rest hat dir scheißegal zu sein."

Eine Policy gäbe es in jedem Club, erzählt Yasin: "Wenn du jemanden durch einen Hintereingang rauszahn kannst, zah ihn dort raus. Das sagen sie in jedem Club. Hauptsache die Gäste sehen nicht, dass da was passiert."

Wie Securitys in gewissen Situationen handeln, liegt natürlich—neben den Vorgaben des Clubchefs—auch sehr viel an ihnen selbst, ihrer Einschätzung und Stimmung: "Manche hassen ihre Arbeit schon oder wollen einfach jemanden rauswerfen, damit sie was erlebt haben an dem Abend. Bei vielen Türstehern ist es auch wie Abenteuerurlaub. Die wollen Action erleben, gerade, wenn sie neu sind. Wenn du noch nicht viel erlebt hast oder wenn du vorher kein Selbstbewusstsein hattest, und jetzt auf einmal bekommst du es durch die Arbeit und musst es rauslassen."

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Für 8 Euro oder 8,50 findest du keine Leute, die auf einem gewissen Niveau arbeiten. Die bekommen einen Bürojob für 8,50 auch und müssen sich da nicht die ganze Zeit anschreien lassen.

Viele Clubbetreiber würden auch gerne Hooligans einstellen, erzählt Yasin. Die würden viele aggressive Leute kennen, Betreiber denken oft, dass so Gewaltpotential verringert wird." Sie denken, da wo die arbeiten, werden sich ihre Freunde gescheit aufführen. Ist eh nicht der Fall, die zucken auch dort aus."

Natürlich habe er auch selbst schon viel Blödsinn gemacht. Einmal habe ihn ein Besucher dumm genannt und er habe einfach zugeschlagen. Beim Gespräch mit seinem Chef sei ihm das im Nachhinein so unangenehm gewesen, dass er das nie wieder getan habe. "Am Anfang hab ich jeden rausgezerrt, statt mit ihm zu reden, hab ihn irgendwie festgehalten und vor die Tür gezogen und mich dann gewundert, dass die draußen superaggressiv waren und nicht mehr normal reden wollten mit mir. Aber das ist ja klar, du hast sie grad vor ihren Freunden oder ihrer Freundin auf die brutalst mögliche Weise rausgezerrt und gedemütigt."

Was passieren muss, damit die Situation besser wird, frage ich. Zum einen müsse intern mehr an Optimierung gearbeitet werden. Es genüge nicht, aggressive Mitarbeiter einfach auszutauschen. Man müsse Vorfälle besprechen und aufarbeiten. Zum anderen müsse auch die Bezahlung angepasst werden:

"Für 8 Euro oder 8,50 findest du keine Leute, die auf einem gewissen Niveau arbeiten. Die bekommen einen Bürojob für 8,50 auch und müssen sich da nicht die ganze Zeit anschreien lassen." Außerdem solle es verpflichtende Ausbildungen geben. Es sei schon einmal ein Fortschritt, dass Leute mit Vorstrafen den Job nicht mehr machen dürften. Aber es gibt auch heute noch Leute an der Tür, die bereits im Gefängnis waren. Solange niemand nachsieht, geht das durch. Und das scheint ein großes Problem in der Branche zu sein: Es wird viel zu viel weggesehen.

*Name von der Redaktion geändert.

Hanna auf Twitter: @hhumorlos

Header: Originalfotos via Flickr | John LooGerwin SturmCC BY 2.0

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