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Ist schlechter EDM die Einstiegsdroge für guten Techno?

Wir haben Ben Klock, Tiga, The Black Madonna, A-Trak und mehr Leute gefragt, was sie von EDM als Einstiegsdroge halten.

Illustrationen von Joel Benjamin

Wir leben inmitten einer EDM-Invasion, die schneller auf uns zurollt als der Felsbrocken bei Indiana Jones. Elektronische Musik ist heutzutage Pop-Musik, mitsamt dem Müll und den Juwelen—und den direkten Gegnern. Wie es Seth Troxler, stellvertretend für Underground-Producer in einem Interview gesagt hat: „Unser Teil der Dance-Kultur will, dass die Musik authentisch bleibt, während die anderen Musik machen, um Profit zu generieren." Die EDM-Bewegung allerdings als „Sonic Ear Rape" zu bezeichnen, wie er es auf Tomorrowland gemacht hat, wirkt schon ziemlich verallgemeinernd und nicht besonders aufgeschlossen. In einem aktuellen Interview mit der New York Times hat Nick Sabine von Resident Advisor eine alternative Interpretation gefunden und die Behauptung aufgestellt, dass sogenannte „Mainstream-Musik" als Einstiegsdroge in aufregendere Sounds fungieren könnte. „Schau dir die Masse aus Leuten an, die EDM als etwas sehen, das ihnen Spaß macht," sagt er. „Du brauchst nur fünf Prozent dieser Abermillionen, die etwas tiefer graben, um komplexere elektronische Musik zu entdecken."

Kann es Leute zu guter Musik führen, wenn sie sich Schlechte anhören? Ist Mainstream-EDM ein einziger großer Müllberg? Gibt es überhaupt so etwas wie gute und schlechte Musik? Während live gespielte elektronische Musik sich von Nischenpartys in dunklen Kellern zu Multi-Millionen-Dollar-Spektakeln entwickelt, kommen diese Fragen in der Dance-Community immer häufiger auf. Wir haben unsere Lieblingskünstler, inklusive Ben Klock, Tiga, The Black Madonna und A-Trak um ihre Meinung gebeten. Hier sind die Antworten der Leute, die cool genug waren, um zu antworten.

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Wie ist dein Standpunkt zur Einstiegsdrogen-Musik-Theorie?
Ich denke nicht, dass diese Theorie eine Theorie ist. Wir wissen, dass es passiert, wir wissen, dass es jetzt passiert. EDM bedient ein sehr junges Publikum und bei den meisten Leuten entwickelt sich der Musikgeschmack zwischen ihren Teenager-Jahren und der Zeit als junger Erwachsener. Bei meinem College-Radiosender gab es Leute, die mit DJing angefangen haben, weil sie Dance Dance Revolution gespielt haben oder die elektronische Musik in Animes mochten. Und das ist schon immer passiert. Jemand, der den Song „Kung Fu Fighting" geliebt hat, hat zu The Warehouse gefunden ist dort geblieben.

1991 stand ich wirklich auf „James Brown Is Dead," also bin ich ein Beweis für die Theorie. „Sesame's Treet" and dieser Alpha Team „Speed Racer"-Track waren Songs, die ich einfach geliebt habe und das ist definitiv nicht, wo ich jetzt stehe! Aber im Großen und Ganzen war die Crossover-Dance-Musik der späten 80er und 90er besser als der Festival-Quatsch, der jetzt herumgeistert. Mehr als gute Tracks; meine „Einstiegsdroge" war einfach gute Pop-Musik. New Order, CeCe Peniston, Crystal Waters, Deee-Lite, Depeche Mode—sie alle sind wunderschön gealtert. Ich denke nicht, dass EDM gut altert, denn er ist nicht nur oft beschissene Tanzmusik, sondern auch beschissene Popmusik. Aber ich bin mir sicher, dass jede Menge Menschen durch das Tor des EDM hereinkommen und einen Weg zu allen möglichen geilen Plätzen finden.

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Findest du, dass es objektiv schlechte und gute Musik gibt, oder liegt das jeweils im Auge des Betrachters?
Kann es nicht beides sein? Es ist ein Paradox. Intellektuell gesehen weiß ich, dass Musik Ansichtssache ist, aber vom Bauchgefühl her weiß ich, dass manche Sachen einfach nur schlecht sind. Viel eher würde ich sagen, dass Musik entweder funktioniert oder nicht, als sie in „gut" und „schlecht" einzuteilen. Ich genieße und spiele viel angeblich anspruchsloses Zeug. Viele Leute würden sagen, dass es „schlechte Musik" ist, aber ich hoffe, dass ich eine klare Grenze zwischen dem anspruchslosen Zeug und den Sachen, die als „gut" gelten, ziehen kann. Wenn sich deine Füße bewegen und du etwas mehr Zuneigung für die Person neben dir spürst, dann funktioniert es und es ist „gute Musik". Andererseits ist EDM einfach nur schlecht, oder?

Wie ist dein Standpunkt zur Einstiegsdrogen-Musik-Theorie?
Ich bin um 2005 zur elektronischen Musik gekommen, als ich mich mit ein paar Franzosen, wie den Leuten von Ed Banger und Institubes anfreundete. Ich mochte das saubere Zeug nicht—ich mochte verzerrte, dreckige, ungleiche Beats, den verrückten Swing von UK Fidget House und die Distortion von Mr. Oizo, SebastiAn und Justice. Produzenten wie Laidback Luke und Angello & Ingrosso haben mein Ohr auf das eingestellt, was wir „Big Room" nennen. Ihre Tracks waren geil. Danach habe ich mehr von den großen Tracks angenommen. Es kam darauf an, ob es gut war oder nicht.

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Ich glaube an diese Theorie, weil ich sie aus erster Hand erfahren habe. Jemand hört durch kommerzielle Chartmusik oder durch Dubstep das erste Mal von EDM. Im Jahr darauf redet er von Gesaffelstein oder Art Department oder fährt im Sommer nach Kroatien, um sich „echten" House anzuhören bis die Sonne aufgeht.

Findest du, dass es objektiv schlechte und gute Musik gibt, oder liegt das jeweils im Auge des Betrachters?
Ich denke, dass Musik, wie jede andere Kunstform objektiv als gut oder schlecht beurteilt werden sollte. Du kannst Vorlieben haben und dazwischen gibt es Grauzonen, aber etwas das gut ist, ist immer gut. Es gibt Fans da draussen, die denken, dass der Kommerz und Underground inkompatibel sind, während in Wahrheit ihre Underground-Helden die guten Hits wahrscheinlich auch schätzen. Viele kommerzielle Songs sind Einheitsbrei. Das Witzige dabei ist, dass es genau so viele Nachahmer in der Underground-Szene gibt. Ich habe nie auf solche Kategorien geachtet. Wenn wir Künstler bei Fool's Gold unter Vertrag nehmen, geht es nicht darum, in welche Schublade sie passen. Es geht nur um die Frage: Ist es geil?

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Wie ist dein Standpunkt zur Einstiegsdrogen-Musik-Theorie?
Ich denke es gibt eine höhere Chance, „guter" Musik durch Kanäle schlechter Musik zu begegnen, als wenn es gar keine dieser Kanäle gäbe. All das hängt sehr viel vom Individuum ab, also finde ich es schwierig, ein allgemeines Statement dazu abzugeben. Die erste Musik, die ich bewusst hörte, war Mainstream-Pop-Musik im Radio. Wenn du ein Kind bist, fängst du an einen Musikgeschmack zu entwickeln und du musst eine Menge Müll hören, um herauszufinden, was du wirklich magst. Nach einer Weile habe ich nur noch elektronischen Mainstream-Pop gehört, weil es besser zu mir passte als andere Sachen. Meinen Musikgeschmack immer weiter verfeinernd bin ich bei elektronischer Underground-Musik angekommen und habe den Mainstream verlassen. Wenn man es so sieht, bin ich von Pop-Musik zu sehr spezieller Musik und bestimmten Musikstilen gekommen. Aber ich kann nicht wirklich sagen, warum das der Fall war. Wenn ich zurückblicke, wirkt es wie eine Entwicklung, auf die ich keinen Einfluss hatte.

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Findest du, dass es objektiv schlechte und gute Musik gibt, oder liegt das jeweils im Auge des Betrachters?
In den letzten 15 Jahren bin ich von einem „Relativisten" zu einem „Objektivisten" konvertiert. Ich glaube, dass „Dinge"—Gebilde oder immaterielle Ergüsse—eine objektiv „gute" oder „richtige" Form haben. Sagen wir, dass man beim Studium des physikalischen und mathematischen Hintergrundes der Musik endgültig zu dem Schluss gekommen ist, dass es gute und schlechte musikalische Ergüsse gibt. Man kann jetzt behaupten, dass der kulturelle, historische und persönliche Hintergrund jedes einzelnen Menschen in subjektive „Meinungen" oder „Geschmäcker" resultiert, aber ich würde wirklich lieber an den inneren menschlichen Kern in uns allen appellieren, der sich, wie ich glaube, wenn er von all diesen Hintergründen getrennt wird, mit dem verbindet, was universell „gut" ist. Schließlich kommt es auf Frequenzen und Resonanzen an und diese enthalten eine auffallend inhaltsschwere Objektivität.

Wie ist dein Standpunkt zur Einstiegsdrogen-Musik-Theorie?
Ich hatte das Glück, mit einer kompletten Plattenkollektion aufzuwachsen, also war so ziemlich alles verfügbar, aber die Beatles waren meine erste Hardcore-Leidenschaft. Wenn du einmal etwas tot hörst, bist du bereit neue Sachen zu entdecken. Von den Beatles kam ich zu Vanilla Ice zu Kraftwerk zu Syd Barrett zu Rare Bird zu Jimi Hendrix zu Manu Dibango zu Fela Kuti zu Mulato Astatke zu Miles zu Joao Gilberto zu Serge Gainsbourg zu Paolo Conte zu Loonie Listen Smith zu The J.B.s zu Aphex und zurück zu den Beatles … Und ja, manches davon war nicht so cool. Aber man will es wissen und steckt seine Nase überall hinein, oder?

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Findest du, dass es objektiv schlechte und gute Musik gibt, oder liegt das jeweils im Auge des Betrachters?
Es gibt objektive Kriterien, Musik zu charakterisieren und alle sind gültig. Allerdings kann man nicht die Gleichung aufstellen: je mehr (oder weniger) komplex, um so besser. Die Respiration der Musik und was sie für dich tut, ist total subjektiv. Musik, die die Herzen der Menschen erreicht, überschreitet pure Analyse und Definition. Außerdem kann Musik nostalgisch, up-to-date oder ihrer Zeit voraus sein—alle Arten haben ihre Daseinsberechtigung. Es ist wie bei einem guten Essen oder einem vollkommenen Sexualleben: Variation und Veredelung des immer und immer Gleichen machen letztendlich den Unterschied.

Wie ist dein Standpunkt zur Einstiegsdrogen-Musik-Theorie?
Ich denke, Leute hören sich Pop-Musik an, um getröstet zu werden und diese Leute hoffen, nie von neuen Ideen herausgefordert zu werden oder neue Erfahrungen zu erleben. Wenn überhaupt, dann war meine Musik die Einstiegsdroge zu weniger provokanter Musik—ein gülden gepflasterter Weg zu bekannteren Künstlern, die gegenkulturelle Ästhetik nutzen, um bekannte Dance- und Hip-Hop-Musik als etwas Besseres getarnt zu verkaufen.

Findest du, dass es objektiv schlechte und gute Musik gibt, oder liegt das jeweils im Auge des Betrachters?
Auch wenn es wissenschaftliche Beweise gibt, schaffen wir es, alle Aspekte unseres Lebens subjektiv zu machen. Die Frage ist nicht, ob es gute oder schlechte Musik ist; die Frage ist, ob sich Leute dafür interessieren, die Wichtigkeit des Könnens, des Handwerks, des Einflusses und der Innovation aufrecht zu erhalten, die Musik bekannt macht.

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Wie ist dein Standpunkt zur Einstiegsdrogen-Musik-Theorie?
Diese Frage stelle ich mir selbst schon lange. Ich bin mir sicher, dass es Leute gibt, die durch den Einstieg mit kommerzieller, einfach-zu-findender (oder auch nicht-so-einfach-zu-findender, je nachdem) Musik zu komplexerer Musik finden. Bei mir war das nicht ganz so, aber man könnte sagen, dass ich alle Josh-Wink-Tracks begreifen konnte, lange bevor ich die aufregenden Jeff-Mills-Produktionen verstand. Versteh mich nicht falsch, ich vergleiche Wink nicht im Ansatz mit EDM, es ist nur so, dass Josh Wink einfacher zugänglich war, bevor ich zu komplizierterer, „künstlerischer" Musik kam. Aber grundsätzlich denke ich, der Großteil der Leute wird auf der anderen Seite der Dance-Musik bleiben und einfach mit dem nächsten Hype gehen, statt sich zu Qualitäts-Zeug vorzuarbeiten.

Findest du, dass es objektiv schlechte und gute Musik gibt, oder liegt das jeweils im Auge des Betrachters?
Auf meine sozialistische und zen-mäßige jeder-ist-gleich-Art möchte ich sagen, dass alles nur subjektiv ist. Dennoch ist ein Ausblick aufs Meer offensichtlich schöner als ein Ausblick auf einen Mülleimer oder eine graue Betonwand an einem grauen Tag. Es gibt Dinge, die einfach schöner sind als andere. Auch in einem Genre, in dem du dich nicht so gut auskennst, kannst du noch hören, ob es gut produziert ist, mit Hingabe und guten Ideen gefüllt ist und keine schlechte Kopie von etwas darstellt, das jeder schon gehört hat.

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Wie ist dein Standpunkt zur Einstiegsdrogen-Musik-Theorie?
Ich stimme dem Ganzen nicht zu. Wenn du auf EDM stehst, bist du ein anderer Schlag Mensch mit einer anderen Lebensphilosophie. Damals, als weiße Kids von Grunge zu House kamen, war das noch ein echtes Crossover; aber EDM scheint seine Fans zu behalten. Wenn sie noch am entdecken und erkunden sind, ist das sicher möglich. Aber Hardcore-EDM-Fans? Nee. Wenn es ihren Lifestyle widerspiegelt und sie nichts Neues suchen wollen, dann ist es das, wer sie sind.

Ich bin in Detroit groß geworden, zu einer Zeit, als diese Musik dich dazu gebracht hat, deinen eigenen Beitrag zur Szene zu leisten. Das ist der Unterschied zwischen mir und EDM: EDM ist ein hirnloses Marketing-Phänomen, das für den Mainstream funktioniert. In der Minute, in der du etwas spielst, das so ehrlich zu seinen Wurzeln und zu Techno steht, rennt jemand weg, der auf EDM steht. Es ist wirklich sehr weit weg von echtem Techno und echtem House.

Findest du, dass es objektiv schlechte und gute Musik gibt, oder liegt das jeweils im Auge des Betrachters?
Wenn du sagen willst, dass EDM Scheiße ist, ist das Ansichtssache. Wenn ich sage, dass Trap Scheiße ist (was es ist), ist das Ansichtssache. Ich meine, vielleicht liegt es einfach daran, dass ich nicht denke, dass Trap und EDM spirituell sind. Du findest nichts in Trap, das dich auf einer tieferen Ebene anspricht. Manche Leute tun das, aber ich würde bestimmt nicht dort nach dieser Erfahrung suchen. Trap und EDM sind der größte Scheiß aller Zeiten.

Wie ist dein Standpunkt zur Einstiegsdrogen-Musik-Theorie?
Ich glaube zu 100 Prozent daran. Durch 90er UK-Rave kam ich zu Techno—eine Musikrichtung, die zu dieser Zeit zwar neu und aufregend war, aber sicherlich nicht als „kultiviert" angesehen wurde. Als ich dann endlich „Strings Of Life" hörte, dachte ich, dass Derrick May Altern8 gesamplet hatte, was mehr oder weniger zusammenfasst, wie Kinder Musik verarbeiten und dass daran nichts falsch ist. Kinder können also einen Hit schon einen Kilometer im Voraus riechen. Kinder haben fast gar keine Toleranz für Angeberei und Bullshit.

Joel ist der Herausgeber von THUMP und hatte mal eine Vengaboys-CD: @freemagic

Dieser Artikel ist vorab auf THUMP erschienen.

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