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Brutalism Made Me Hardcore—Ein Interview mit Rainer Veil

Architektur, die britische Rave-Kultur und der Reiz von weißem Rauschen: Die Musik von Rainer Veil ist alle Klangfarben Grau.

Langsam, ganz langsam etabliert sich ein Hauch Industriecharme in der Clubmusik. Bei Labels wie Blackest Ever Black und Opal Tapes, bei Produzenten wie Karenn, Truss, Concrete Fence, Demdike Stare, Perc und—ja—dem unvermeidlichen Burial gehört ein zurück zum Beton längst zum guten Ton. Fast, als würden die Räume, in denen Techno gespielt wird, auf die Musikproduktion zurückwirken. Die zweite EP New Brutalism des britischen Duos Rainer Veil stellt da keine Ausnahme dar. Die Musik von Liam Morley und Dan Valentine ist alle Klangfarben Grau, aber geschult an und inspiriert von Jungle und Rave—ohne dabei Tanzflächenfiller-Material zu sein, oder sich eingängiger Rhythmik ganz zu entziehen.

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Anlässlich ihrer zweiten Veröffentlichung auf Modern Love sprachen wir mit Rainer Veil über Architektur, Mark Leckey und die britische Rave-Kultur sowie den Reiz von weißem Rauschen.

THUMP: Liam, Dan, erzählt etwas über euren persönlichen Hintergrund: Wo kommt ihr beide her, wie habt ihr euch getroffen, warum habt ihr angefangen, Musik zu machen?
Dan: Ich hab schon als Teenager angefangen, Musik zu machen. Mir hat es schon immer Spaß gemacht, mit Klängen zu spielen und sie zu verändern—ich hatte damals diesen Vierspur-Rekorder und ein Casio-Keyboard. Damit habe ich Sachen aufgenommen, die Tapes dann umgedreht und alles rückwärts abgespielt oder die Aufnahmen verlangsamt. Ich habe auch lange Gitarre gespielt. Aber ich habe dann irgendwann gemerkt, dass ich die meiste Zeit nur damit verbracht habe, da komplett andere Sounds rauszubekommen. Da war mir klar, dass ich eigentlich nur an den Klängen selber interessiert bin—also habe ich mir einen Sampler besorgt. Aufgewachsen bin ich in der Nähe von Liverpool, aber dann später nach Preston gezogen, um dort Musik und Medienkunst zu studieren. Dort gab es eine gut vernetzte Musikszene und so haben wir uns auch kennengelernt. Liam: Ich bin in Lincolnshire aufgewachsen. Das ist eine ziemlich abgelegene, trostlose Gegend und die Menschen dort können ziemlich altbacken sein. Ich glaube, ich habe angefangen Musik zu machen, um mir dort selber eine spannendere Welt zu schaffen. Ähnlich wie Dan habe ich mit der Gitarre angefangen. Aber mit 18 Jahren bekam ich Logic in die Hände. Das war dann auch der Punkt, an dem ich angefangen habe, Beats zu machen. Das war wie eine Offenbarung für mich. Plötzlich konnte ich diese ganzen interessanten Sounds erzeugen und völlig gegensätzliche Elemente miteinander zu verbinden.

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Gerade ist eure zweite EP New Brutalism auf Modern Love Records erschienen. Wie habt ihr Andy Stott kennen gelernt?
Shlom (Sviri), der Modern Love betreibt, hat ihn mir vor ein par Jahren bei einem Autechre Gig kurz vorgestellt. SND spielten gerade und waren wirklich gut, Autechre waren mir relativ egal. Ich glaube, Andy erzählte mir davon, dass er den Soundtrack zu seinem eigenen Work-Out Video machen wollte.

Was fasziniert euch so am Brutalismus? Der Londoner Autor und Journalist Owen Hatherley bezeichnet ihn auch als die einzige originäre britische Kunstströmung und taufte sie entsprechend ‚Britialism’.
Dan: Eine Sache, die ich an diesem Architekturstil wirklich interessant finde, ist der ursprüngliche Zweck für den die Gebäude damals gebaut wurden. Und das, was am Ende dann aus ihnen wurde. Nach dem Krieg wimmelte es nur so von progressiven, utopischen Ideen für den sozialen Wohnungsbau, die dann auch im Norden des Landes und in London verwirklicht wurden. Viele dieser Projekte stellten sich dann aber als nicht sehr praktisch heraus, als geradezu menschenfeindlich. Mich interessierte daran vor allem dieser Aspekt einer missglückten Utopie. In einer Menge britischer Clubmusik, vor allem bei Jungle, finde ich eine Atmosphäre, die genau das wiederspiegelt. Ein Grund dafür ist bestimmt auch, dass ein Großteil solcher Musik gerade an diesen Orten entstanden ist, über die ich gerade gesprochen habe.

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Mir gefällt der—vielleicht auch zufällige—visuelle Verweis eures Covers auf Kosheens „Hide U”-Video, dem Artwork von The Streets’ Orirginal Pirate Material und Distances Repercussions. Warum habt ihr euch den Preston Busbahnhof in Lancashire für das Cover von New Brutalism ausgesucht? Was verbindet euch mit dem Gebäude?
Keinen dieser Verweise haben wir bewusst gemacht, aber mir hat das Artwork von Original Pirate Material schon immer gut gefallen. Als wir anfingen uns Gedanken über das Cover zu machen, kam uns sofort der Preston Busbahnhof in den Sinn. Es ist so ein tolles Gebäude und mir gefiel die Möglichkeit, es abstrakt abzubilden—mit stärkerem Fokus auf Formen und Strukturen als bei einem direkt erkennbaren Hochhaus. Ich habe etwas mehr als ein Jahr hinter diesem Busterminal gewohnt—in so einem Partyhaus in einer ziemlich heruntergekommenen Gegend. Das war eine recht schwierige Phase meines Lebens, weswegen ich auch sehr gemischte Erinnerungen und Gefühle an diese Zeit und diesen Ort habe. Das hat mich auf jeden Fall nachhaltig geprägt.

Hat Thomas Valentine wieder das Design für das Cover gestaltet?
Thom ist schon immer der zentrale Anlaufpunkt gewesen, wenn es um die visuelle Umsetzung unserer Arbeit geht. Wir arbeiten eng zusammen und es gibt einen regen Austausch zwischen uns. Thom hat für das Artwork einen abgelaufenen Hochempfindlichkeitsfilm benutzt und die Bilder selbst entwickelt. Damit hat er den Bildern diese abgründige Beschaffenheit gegeben, die wir haben wollten.

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Welche Gemeinsamkeiten seht ihr zwischen nacktem Beton und eurer Musik?
Liam: Viel Architektur des Brutalismus ist aus Waschbeton gebaut, der roh und unbehandelt belassen wurde. Man kann noch die Abdrücke der Holzverschalung erkennen. Es geht darum, die Materialien als das zu sehen, was sie sind—und nichts zu beschönigen. Wir versuchen die unerwünschten Eigenheiten der Soundquellen oder der Hardware, die wir verwenden, mit einzubringen. Wir sehen solche Dinge nicht als Makel, sondern als Möglichkeit.

In was für einem Kontext steht so ein Track-Titel wie „UK Will Not Survive”? Hat das etwas mit der Musikszene an sich zu tun, oder geht das in eine allgemeine Richtung?
Ich würde sagen, es gibt da verschiedene mögliche Interpretationsansätze. Es kommt darauf an, wie du die Musik wahrnimmst. Für mich persönlich ist es ein Kommentar zur Korrumpierung unserer freiheitlichen Gesellschaft. Das Internet gibt dir einen falschen Eindruck von Freiheit, in der Realität sieht das Ganze nämlich ziemlich fragil aus. Wenn die zum Beispiel unsere Informationsquellen im Internet abschalten, sehen wir ganz schön alt aus. Ich befürchte wirklich, dass in ein paar Jahren die Menschen aufwachen und sich dann wundern, wo plötzlich ihre ganzen Rechte abgeblieben sind. Ich empfehle euch Naomi Kleins Die Schock-Strategie zu lesen. Da wird sehr gut erklärt, was in den letzten Jahren abgelaufen ist.

Wie sehen eure Berührungspunkte mit der Rave-Szene aus? Wenn man in Manchester lebt kommt man vermutlich nicht darum herum, sich mit den Stone Roses, der Partyreihe Life at Bowlers und den Happy Mondays auseinanderzusetzen …
Dan: Ich erinnere mich noch, wie ich damals mit ein paar Freunden zu diesem verlassenen Pub in Bolton gefahren bin. Am Ende hatte die Polizei dort die Party dichtgemacht und wir hingen plötzlich alle bei Wind und Wetter mitten in der Pampa fest. Das war eine extrem surreale Situation. Das war das erste mal, dass ich Jungle gehört hatte und war ein richtiger Wendepunkt für mich—bis dahin bestand mein einziger Kontakt zu Clubmusik in Asi-House, der immer aus den tiefergelegten Prollkarren wummert. Es ist natürlich fast unmöglich, sich nicht mit Manchesters Geschichte auseinanderzusetzen—aber davon sprechen mich natürlich einige Sachen mehr an als andere. Die größte Bedeutung haben für mich Joy Division oder A Guy Called Gerald, mit diesem Madchester-Ding konnte ich nie etwas anfangen.

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Liam: Für diese ganzen exzessiven Geschichten bin ich wohl etwas zu spät hergezogen. Ich bin über diese Massenraves wie Helter Skelter und Sidewinder bei Dance-Musik gelandet. Meine Freunde und ich sind auch öfter zu den Partys nach Milton Keynes oder einfach so durch die Gegend gefahren und haben uns Mixtapes angehört. Am Ende lässt sich meine Erfahrung darauf runterbrechen, dass ich alles verpasst habe, was zwischen 1992 und '94 passiert ist, und fern von jeder Großstadt lebte. So sahen sie aus: die Möglichkeiten, die ich damals hatte.

Wie seid ihr auf Marck Leckeyss Videokunst-Projekt „Fiorucci Made Me Hardcore” gestoßen? Was hat euch daran gefallen? Die kon­zep­tu­elle Annäherung an die Rave-Szene oder einfach die Tatsache, dass es sich um alte Rave-Aufnahmen handelte?
Das war Conor (Thomas), der auch das Death of Rave-Label betreibt. Der hat mich auf Mark Leckey aufmerksam gemacht. Ich hatte nur nebenbei etwas von ihm mitbekommen, damals als er den Turner-Preis gewann. Ich sah dieses Interview mit ihm, das ein Reporter des Guardian kurz nach der Preisverleihung mit ihm führte. Da konfrontiert er den Typen damit, dass dieser seine Arbeit vorher immer auseinandergenommen habe, ihn jetzt nach der Preisverleihung aber plötzlich lobte. Es ist wirklich zu lustig anzusehen. Er konfrontiert den Journalisten mit seinen eigenen Aussagen und sie fangen an, ein viel tiefgründigeres Gespräch über Leckeys Arbeiten zu führen, als es wohl zustande gekommen wäre, wenn sie sich einfach einig gewesen wären. ‚Ohne Hitze kein Licht’, oder wie das auch immer heißt. Das ist auch das Ding am Internet, jeder kann alles kritisieren und immer wenn du irgendetwas hochlädst, kannst du dich schnell wie ein Versager fühlen.

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Habt ihr euch das Vinyl besorgt?
Wir haben die „Fiorucci…“-Platte nicht. Auf eine gewisse Weise ist es ja fast noch psychedelischer ohne die Videokomponente—da hast du nichts mehr, an dem du dich orientieren kannst. Ein gutes Beispiel dafür, wie Dinge abgefahrener werden, wenn du nach und nach einzelne Elemente abträgst.

Dan: Ich bin erst etwas später auf dieses Release gestoßen und hatte deswegen keine Chance mehr, die 12" abzugreifen. Das ist wirklich schade, weil es ziemlich Spaß macht, sie in einen Mix einzubauen. Mir geht es bei Leckey vor allem um seine Herangehensweise: Er erforscht diesen Teil der Geschichte richtig und nimmt ihn auseinander, Schicht für Schicht. Gerade diese fragmentarische Narrative finde ich interessant. So ein großer Teil unserer Kultur besteht nur daraus, in die Vergangenheit zu schauen und diese in einen neuen Kontext zu setzen. Ich finde, dass dieses Durcheinander von Zeit und Raum sehr aufrüttelnd und in einer gewissen Weise beängstigend sein kann.

Was gefällt euch an Noise, langsamen Tempi, Verzerrung—den unangenehmen Seiten von Musik?
Dan: Ich mag Musik, die sehr vage ist. Musik, in der die einzelnen Elemente abstrahiert oder unkenntlich gemacht wurden. Bei dem, was wir machen, geht es vor allem um Dekonstruktion und Abstraktion. Dadurch, dass man Sounds auseinandernimmt und sie bearbeitet, kannst man sie komplett entfremden und in etwas Neues verwandeln. Was du eben angesprochen hast ist oft Teil von diesem Prozess. Für mich ist das wichtigste an Musik: dass sie in mir ein Gefühl hervorruft, dass sie mich in irgendeiner Weise berührt. Das muss für mich nicht unbedingt etwas angenehmes sein. Wenn ich von Abstraktion oder die Entfremdung von einzelnen Elementen spreche, meine ich zugleich die Emotion oder das Gefühl, das damit kommuniziert werden kann. Als ich das erste mal My Bloody Valentine gehört habe, hat mich vor allem ihre Ambivalenz gepackt. Dieses drückende Gefühl in der Magengegend. Ich würde sagen, das ist auch das Gefühl, das du oft bei Jungle hast—und das du definitiv bekommst, wenn du auf einen Rave gehst und dir Pillen einwirfst.

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Liam: Ich versuche eigentlich nur Musik zu machen, die in irgendeiner Art unter die Haut geht. Musik die nur fröhlich und makellos ist, interessiert mich nicht. Mir gefällt es, wenn du ein Stück wirklich liebst und gleichzeitig das Gefühl hast, dass du der Einzige bist, der es überhaupt versteht. Manchmal musst du etwas härter daran arbeiten, dich bei bestimmten Sachen reinzuhören—aber du wächst daran auch persönlich.

Ihr seid letztens bei der Veranstaltungsserie Stop Making Sense des Grafikdesigners und Künstlers Steve Hockett aufgetreten. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Dan: Über gemeinsame Freunde. Er ist ein wirklich talentierter und liebenswerter Mensch—so wie auch Seb und Ben, mit denen er die Party macht. SMS ist eine regelmäßige Veranstaltung im Common, einem wirklich tollen Laden—denen geht es wirklich darum, neue Musik und Kunst zu fördern und es herrscht dort einfach eine kreative Atmosphäre. Fast alle, die dort arbeiten, sind in irgendeinem kreativen Projekt involviert und es ist einfach ein anregender Kreis von Menschen, an dem man dort teilhaben kann.

Wie sehen denn eure Live-Setups aus? Welche Hardware benutzt ihr?
Als wir anfingen hatten wir nur ein par Sampler, einen Synth und einige Gitarreneffekte. Mit der Zeit haben wir dann einen Laptop hinzugefügt, um die MPC etwas zu entlasten und flüssigeres Spielen zu ermöglichen.

Liam: Wir hoffen, dass wir das Vierspur-Kassettendeck, das wir im Studio benutzt haben, auch noch in das Live-Set einbauen können. Die Idee ist dabei, das Ganze etwas weniger vorhersehbar zu machen. Du hast zwar immer noch die Kontrolle über alles, aber mit jedem weiteren Element, das du der Performance hinzufügst, steigt auch das Risiko, dass etwas schief läuft. Heutzutage sind die meisten Sets einfach viel zu sehr abgesichert. Alles klingt exakt wie auf der Platte und man könnte genauso gut einfach die Tracks auflegen—anstatt sie wirklich zu spielen.

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Ich glaube, das mit den Dunst- und Nebel-Anspielungen in eurem Namen verstanden zu haben. Aber als Deutscher bin ich schon etwas neugierig: wofür steht der Name Rainer bei euch?
Liam: Der Name ist vor allem eine phonetische Spielerei. Du musst ihn schon in seine eigenen Bestandteile aufbrechen, um überhaupt einen Sinn daraus ziehen zu können. Ich weiß wirklich nicht mehr, wie wir auf den Namen gekommen sind, aber er klingt einfach sehr rhythmisch—und es hat definitiv nichts damit zu tun, woran du als Deutscher denkst.

Rainer Veil, New Brutalism EP, Modern Love, 10. Februar 2014, Vinyl / MP3

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