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Interviews

"Frauen haben damals nur über 'Frauenthemen' wie Mode berichtet" – Die FM4-Senderchefin im Interview

Wir haben Monika Eigensperger im Radiokulturhaus besucht und mit ihr über Herausforderungen als Frau in den Medien, Veränderungen und fulminante Abfackelpartys geredet.

Wenn ich an FM4 denke, dann denke ich an Sonntage mit Blumenau, MiniDiscs, Notizblöcke und heimlich Zigaretten aus dem Fenster rauchen. Immer wieder sonntags ist dann auch meine Mutter ins mit Brian Molko-Postern zugeklebte und zugegeben sonderbar eingerichtete "Jugendzimmer" gestürzt und ein Referat über das Thema "Gemeinsames Wohnen verlangt nach einer Lautstärkenregelung" gehalten. Dieses Referat wurde dann meist mit einem enttäuschten Blick meinerseits, einem Mahnen mutterseits und Unverständnis im Teenager-Kopf beendet.

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Die erste MiniDisc, die ich damals bespielte, bestand beinahe ausschließlich aus Songs, die ich von FM4 aufnahm. JJ72s "October Swimmer", Sophias "Oh My Love", Placebos "Black Eyed", irgendwas von Pearl Jam, den White Stripes und hundert (gelogen, aber es klingt besser als "69") anderen. Ich bin mit FM4 aufgestanden und gefallen (ins Bett). Kurz: FM4 hat nicht nur für mich den Grundstein für einiges gelegt. Das habe ich (beziehungsweise wir) zu einem großen Teil Monika Eigensperger zu verdanken. Seit 1996 hat sie daran gearbeitet, FM4 als Zuhause für die Leute zu machen, die dem Pop-Mainstream nichts abgewinnen können.

Seit 1999 ist sie FM4-Senderchefin und hat rund um sich ein Team aufgestellt, das FM4 zu dem Radiosender macht, den die Menschen aufs Erasmus-Jahr mitnehmen. Wir haben sie im Radiokulturhaus getroffen und mit ihr über Radio, Veränderungen und Herausforderungen in den Medien und fulminante Abfackelpartys geredet.

Noisey: Du bist seit ungefähr 35 Jahren im Radio tätig. Was waren die großen Veränderungen für dich?
Monika Eigensperger: Die gesamte Medienlandschaft ist eine komplett andere. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da gab es nichts Digitales. Man hat analog geschnitten und wirklich noch mit seinen Händen Dinge gebastelt. Die gesamte Digitalisierung, das Aufkommen des Internets, die Kommunikation über mannigfaltige Onlinemöglichkeiten – das ist alles erst in dieser Zeit entstanden und in einem Ausmaß, wie das sicher niemand erahnt hätte.

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Verändert man sich mit der Zeit oder war es eine mühsame Umstellung vom Handwerk zur schnellen digitalen Welt?
Es war ein andauernder Prozess, eine Entwicklung und auch abseits der Profession macht man diese ja auch persönlich mit. Die Kommunikation mit den HörerInnen ist dadurch auch anders geworden. Radio hatte keinen Rückkanal, wenn man davon absieht, dass man mit der Post etwas schickt oder ein Anrufer einmal hineingestellt wird, aber jetzt gibt es unmittelbare Reaktionen. Ich sehe das als große Bereicherung.

Ich habe FM4 schon gehört, als das Internet noch nicht so präsent war und irgendwie kommt mir vor, dass die Art, wie mit den Hörern umgegangen wird, direkter und eher auf Augenhöhe ist bei euch.
Ich hoffe, dass es immer schon so war. Es war uns immer extrem wichtig, dass wir mit unserer Community auf Augenhöhe kommunizieren. Das ist jedem einzelnen Menschen, der bei uns arbeitet, wichtig und das hat auch etwas mit Ernsthaftigkeit und Respekt zu tun.

Wie geht ihr damit um, wenn der Respekt auf Userseite nicht gegeben ist?
Wir haben wenig Anlass zur Beschwerde. Unsere HörerInnen-Community kommuniziert auf eine erfreulich direkte, korrekte, verspielte und ernsthafte Art und Weise. Verhetzende oder beschimpfende, aus dem Rahmen fallende Kommunikation findet selten statt. Die Community reagiert auch fast immer selbst darauf und sagt "Sag, was du zu sagen hast, äußere deine Kritik aber bitte nicht so". Wir lehnen es ab, dass sich jemand im Ton vergreift. Wir sind für alle Beiträge dankbar, aber bitte sachlich bleiben und keine verhetzenden oder verletzenden Dinge.

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Es wurden auch schon Kommentare gelöscht?
Ja, aber wir weisen auch darauf hin, dass wir Beiträge löschen werden, wenn sie sich im Ton zu sehr vergreifen. Das passiert aber verhältnismäßig selten. Mir gefallen unsere HörerInnen – auch in der Art, wie sie miteinander umgehen: Man achtet aufeinander.

Meinen letzten Informationen nach habt ihr kein konretes Monitoring-Tool, das Artikel, die besonders viele Reaktionen erzeugen, anzeigt. Hat sich das mittlerweile geändert?
Wir haben solche Daten erst im Nachhinein. Wir sehen, wie oft ein Artikel geteilt wird. Wenn ein Artikel 200 Mal geteilt wird, muss er etwas bewegt haben. An einem Echtzeit-Tool wird gerade gearbeitet. Ob wir das dann direkt auf die einzelnen Artikel bezogen sehen werden, weiß ich nicht, wäre aber natürlich gut. Valide Zahlen in Echtzeit haben wir nicht, diese Einschätzung stimmt.

In welcher Form wird entschieden, welche Themen bei FM4 relevant sind?
Es gibt eine wöchentliche Planungssitzung, wir setzen auch bewusste Schwerpunkte. Wir versuchen zu vermeiden, dass es zu viele Berichte zu einem Thema gibt. Natürlich ist ein Wochenplan bei einem Medium wie Radio nur ein Vorhabensbericht. Zweimal täglich gehen wir in Besprechungen auf aktuelle Ereignisse ein. Es fällt etwas heraus und etwas anderes kommt herein.

Weil man es oft hört – wie wahr ist die Aussage "Radio ist tot"?
Falsch. Komplett. Wenn ich mich recht erinnere, dann hören 80 Prozent der ÖsterreicherInnen täglich Radio. Ältere Menschen hören länger, jüngere hören kürzer – eineinhalb Stunden bis drei Stunden pro Tag. Das ist eine extrem lange Nutzungsspanne. In Österreich ist der Radiokonsum besonders ausgeprägt – auch im Rest von Europas. Radio ist live, schnell, aktuell und spricht Menschen direkt an, weshalb man dort in sehr starkem Maße zuhause ist. Man entscheidet sich für eine Heimat beim Radio oder vielleicht für zwei. Bei Fernsehsendern ist das nicht so. Ich kenne niemanden, der sagt, er hätte jetzt einen bestimmten Fernsehsender lieb.

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Es gibt mittlerweile unendlich viele Podcasts – wie sehr spürt ihr das sehr? Habt ihr euch jemals gefragt "Wie können wir immer noch hervorstechen?".
Wir haben selbst auch Podcasts und waren ganz stolz, dass wir nicht nur in Österreich, sondern auch im deutschsprachigen Raum in den Podcast Top10 waren. Sehr aufregend. Wir haben jetzt ein Feature, das sehr gut angenommen wird – den FM4-Player. Darauf haben wir sehr gutes Feedback bekommen. Nichtsdestotrotz ist natürlich Radio im Hier und Jetzt stärker.

Natürlich gibt es unterschiedliche Varianten Radio zu hören. Diese Nebenbei-Berieselung und das aktive Hören.
Ich finde, Radio sollte beides sein.

Gibt es konkrete Pläne für die nahe Zukunft von FM4? Ich glaube die Homepage ist immer ein Thema bei euch, ein kleiner Relaunch. Gibt es den in absehbarer Zeit?
Man muss einmal "Ja" sagen. Es wird ihn geben. Die Android App wurde uns ja von einem Fan zur Verfügung gestellt und wurde auch ewig unentgeldlich betreut. Er hat mittlerweile aber andere Aufgaben. Wir arbeiten gerade an einer neuen App, die erste Stufe soll jetzt noch vor dem Sommer kommen. Dann irgendwann die Seite, weil es ja korrespondieren muss. Die Zusagen vom Online-Chef und der Geschäftsführung gibt es dafür schon. Ich gehe davon aus, dass alles bald passiert. Es ist auch dringend notwendig.

Das Thema "Frauen im Musikjournalismus" ist ja so eine Sache. Wie hast du dich damals durchgesetzt?
Ich war Redakteurin, ich war Reporterin, ich bin Musikliebhaberin, aber ich würde in meinen kühnsten Träumen nicht behaupten, dass ich die beste Musikjournalistin dieses Landes war. Mich haben eher Portraits interessiert, Geschichten interessiert. Nicht unbedingt die tiefgreifende Analyse eines interessanten, neuen musikalischen Phänomens mit Referenzen aus den letzten 50 Jahren. Der Werner Geier hat diese Gespräche unter meist männlichen Musikliebhabern damals charakterisiert: als typisch männlichen Zugang zu Musik. Dass man alles zerlegt und analysiert – das interessiert keine Frau. Das war zumindest seine Erklärung. Ich weiß nicht, ob es wirklich keine Frau interessiert, aber zumindest für mich hatte er Recht. Ich erfasse Musik zuerst emotional. Natürlich kann es dann eine Assoziation geben, die mich zum Denken anregt.

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Hattest du das Gefühl, dass du dich oft behaupten musstest?
Natürlich muss man sich behaupten, man muss Ideen haben und man muss dann für diese Ideen kämpfen. Frauen haben damals nur über klassische "Frauenthemen" wie Mode berichtet, das wollte ich aber nicht. Die Geschichten, die ich machen wollte, waren sozialpolitische Themen über Sandler, alte Menschen, junge Menschen ohne Arbeit. Das war mir inhaltlich wichtig. Als Moderatorin war es mir wichtig, dass ich möglichst viel von meiner Lieblingsmusik unterbringe. Als Redakteurin und Verantwortliche ging es mir dann darum, dass man – ich war damals bei Ö3 – ein junges Popmagazin kreiert. Die Musikbox war das Vertiefende, Analytische, aber ich wollte einfach ein junges Popmagazin machen, das lustig und schräg ist. Man sollte versuchen, möglichst viele MitstreiterInnen zu finden, die dieses Ziel auch verfolgen. Es ist wichtig, dass man dran bleibt, um ernstgenommen zu werden. Damals hatten– wenn ich es generalisiere – Machos das Sagen. Man lernt aber auch, sich Gehör zu verschaffen. Ich glaube, dass das heute genauso noch wichtig ist, obwohl ich schon hoffen möchte, dass sich in der Gesellschaft etwas verändert hat.

Wie sehr hast du den Sender geprägt?
Schon sehr. Nicht alles, denn ich habe großartige Spezialisten und Menschen, die auf unterschiedlichsten Sektoren tausend Mal mehr wissen und Dinge einbringen, auf die ich vielleicht nie gekommen wäre, sonst würde das vielleicht sehr präpotent klingen. Ich glaube aber schon, dass ich einen Anteil an diesem Gesamtprodukt FM4 habe.

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Wie wichtig ist es, dass die Leute, die FM4 machen in einem ähnlichen Alter wie das Empfängerpublikum sind? Darüber gibt es ja diese ewige Debatte, dass bei FM4 alles Berufsjugendliche seien. Setzt ihr auf junge Leute, Expertise oder eine Mischung aus beidem?
Die ideale Form ist natürlich eine Mischung aus beidem – das ist auch, was wir anstreben. Die zweite Frage ist: Was ist jung, was ist alt? Ich kann mit Alterskategorien nur bedingt was anfangen und unsere stärkste Zielgruppe war seit dem ersten Sendetag nicht 14 bis 19-Jährige, sondern in dieser Zeit steigen sie bei uns nur ein, wenn sie FM4 entdecken. Das hat auch damit zu tun, dass wir zur Hälfte englischsprachig sind, was auch für junge Menschen eine Hürde ist. Da müssen wir uns nichts vormachen. Das Kulturprogramm für die Älteren ist Ö1 und Überschneidungen dazwischen sind durchaus erwünscht. Es ist auch nicht gesagt, dass ein Radiosender mit viel Bubblegum-Musik mehr Junge anspricht.

Wie geht ihr mit Fehlern oder Dingen um, die nicht ideal gelaufen sind? Läuft das eher auf ein größere Drama hinaus oder dürfen Fehler passieren?
Es dürfen Fehler passieren, es sollen aber keine passieren. Mir geht es nicht darum, dass man den Schuldigen oder die Schuldige hängt, sondern darum, was man daraus lernen kann. Es gibt tausende Gründe, warum ein Fehler passieren kann, wenn zum Beispiel jemand in einer Stresssituation falsch reagiert oder weil die Kommunikation nicht korrekt abläuft und man zum Beispiel vergisst, MitarbeiterInnen in einem Projekt korrekt zu informieren. Das wäre dann ein Systemfehler, den man korrigieren muss und es gibt auch kein perfektes System. An das muss ich mich manchmal selbst erinnern, wenn mir etwas auf die Nerven geht. Wie ein Ex-Chef einmal in großer Weisheit gesagt hat: "Nur wer nichts macht, macht keine Fehler."

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Hast du eine persönliche Lieblingssendung bei FM4?
Das kann ich hier jetzt nicht sagen. Habe ich dann alle anderen weniger lieb? Da möchte ich jetzt kein Lieblingskind raussuchen.

Man muss ja keine Namen nennen, aber eine, die ihnen besonders am Herzen liegt?
Mir liegt immer am Herzen, worum ich mich gerade intensiver kümmere. In Wahrheit ist es so, dass tatsächlich jede Sendung imstande ist, mich positiv zu überraschen und mich zu erfreuen. Am schönsten ist es, wenn man das Radio aufdreht und einem gefällt, was man hört. Das kann tatsächlich in jeder Sendung stattfinden und findet auch statt. Wenn die Morning Show es schafft, dass ich grantig aufstehe und nach zwei Minuten schmunzeln muss, dann hat sie meinen Tag gerettet. Wenn am Abend irgendetwas mit komplett neuen Gästen läuft, die Spaß haben und miteinander performen, dann erfreut mich das auch, weil ich etwas lerne und es spannend finde.

Was hört ihr im Büro eigentlich?
Ich höre wirklich meistens FM4, wenn ich mir nicht gerade anhöre, was die anderen Sender so machen.

Ich kann mich wirklich noch an mein erstes FM4-Erlebnis erinnern. Das war im Englisch-Unterricht.
Das war das Zuckerl im Englischunterricht, oder? Wir reden gerade über eine Kooperation mit einem Englischbuch, aber wir müssen wirklich etwas aufpassen. Ich finde es schön, dass wir der Sender der LehrerInnen sind, aber ich weiß nicht, ob das ein Wettbewerbsvorteil bei den SchülernInnen ist? Vielleicht wollen die eher etwas, mit dem sie sich abgrenzen können. Aber zum Glück gibt es die engagierten Deutsch- und EnglischlehrerInnen, die uns als Unterrichtsmittel einsetzen, weil sie auch mit uns Groß geworden sind.

Das Radiokulturhaus ist für euch ja leider bald Geschichte…
Um 2020 ziehen die Radiosender um, aber das Radiokulturhaus bleibt. Man könnte es also weiter nutzen, wenn man wollen würde. Es wird noch vier bis fünf Jahre dauern.

Wird es eine fulminante Abschiedsparty geben?
Eine Abfackelparty? Hoffentlich!

Isabella ist auf Twitter: @isaykah

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