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Interviews

Breton sind irgendwo zwischen Demokratie und einer Gruppe von Diktatoren

Breton sind nach dem ersten Album um einiges erwachsener geworden—sie wissen nun, was sie wollen.

Die ersten beiden Monate eines neuen Jahres sind für Musikjournalisten immer wieder eine Herausforderung: Wir werden überschwemmt mit neuen Alben. Das ist zum einen schön, denn wir freuen uns natürlich über neue Musik, zum anderen ist es aber auch etwas anstrengend, denn wir haben kaum die Zeit uns durch den Berg an neuen CDs zu hören, noch den Platz, den Berg einigermaßen sinnvoll sortiert im Büro unterzukriegen. Die größte Gefahr ist, dass bei all den Neuerscheinungen etwas untergeht, das unsere vollste Aufmerksamkeit verdient hat.

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Bei Breton war es zum Beispiel so, dass wir das Album War Room Stories dank Vorab-Bemusterung schon seit geraumer Zeit besitzen und hören, aber vollkommen aus dem Blick verloren hatten, wann es regulär erscheint. Den Termin haben wir nun verpasst. Und das, obwohl Breton eigentlich alles richtig gemacht haben:

- Ankündigung schon im Oktober inklusive einer vielversprechenden Single und einem großartigen Video
- Interviewtermine lange vor dem Release, damit die Journalisten genug Zeit haben zu transkribieren
- Veröffentlichungstermin in der ersten Februarwoche
- und ein richtig interessantes Album, das auch zwei Wochen später noch genauso interessant ist.

Wir haben also das nun folgende Interview schon vor gefühlten Ewigkeiten geführt und wollten es ursprünglich am Releasetag (vorletzten Freitag) veröffentlicht haben—bevor uns der ganze CD-Berg dazwischen kam und uns ablenkte. Aber, das versprechen wir, es lohnt sich diese Woche genauso wie letzte und vorletzte, das Album käuflich zu erwerben und es wird sich auch in der kommenden Woche noch lohnen. Aber bitte:

Noisey: Zu Beginn des Interviews würde ich gern mit euch eine kleine Analyse eures Albumcovers machen. Was passiert hier?
Roman: Also, die Idee—und das bezieht sich in erster Linie auf das Album und die Musik—, ist folgende: Wir versuchen etwas sehr Eingängiges möglichst kompliziert oder schwierig darzustellen. Oder wir versehen etwas, das sehr brutal und aggressiv klingt, mit schönen oder zerbrechlichen Elementen. Wenn wir das jetzt auf das Artwork übertragen… Wir wollten ein Foto nehmen, wir wollten es aber gleichzeitig deutlich vom erstem Album abgrenzen. Damals war das Artwork sehr schlicht und sehr indie. Daher haben wir uns diesmal sehr genau überlegt, ob und wie wir ein bisschen größer auffahren können. Wir hatten die Idee, Objekte zu nehmen, die in einer Verbindung zu Orten stehen, an denen wir waren. Wir wollten gar nicht unbedingt besonders schöne oder besonders brutale Dinge nehmen, sondern haben versucht, all das in einem Element zu finden. Der Schmetterling zum Beispiel ist natürlich total schön, aber er ist auch ein Schönheits-Klischee. Er ist ein Symbol für Weiblichkeit, Zartheit, Eleganz. Andererseits ist er ganz offensichtlich tot. Er ist in Nagellack getaucht, was auch wieder ein Symbol für Schönheit ist—aber der Nagellack hat ihn eben auch ertränkt.

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Die Mehrdeutigkeit ist euch wichtig.
Ja auf jeden Fall. Ich hasse Dinge, die eindeutig sind. „Das bedeutet das“—keine Deutungsebene. Dieser Song handelt vom Krieg. Dieser Song handelt von der Liebe.

Ja, dieses Cover bietet viel Interpretationsspielraum für den Betrachter.
Was siehst du denn darin?

Wir haben diesen wunderschönen Schmetterling, aber er ist tot. Also muss ihn jemand getötet haben. Und dann der Nagellack, ein Produkt der Schönheitsindustrie, das im Grunde Eitelkeit darstellt. Vielleicht ist der Schmetterling ja erst durch den Nagellack gestorben, also durch Eitelkeit? Durch den Zwang, schön zu sein? Fazit: Die Schönheitsindustrie bringt die Schönheit um.
Ja, das passt. Wir haben das mit jeder Menge verschiedenen Dingen ausprobiert, weil wir die Vorstellung mögen, Objekte aus ihrem natürlichen Kontext zu reißen. Der Grund, dass wir beim Schmetterling gleich alle dachten, ‚Das ist das Albumcover‘, war noch ein anderer: Der Schmetterling steht wie kein zweites Symbol für Veränderung. Er lebt als etwas eher Hässliches und wird dann zu diesem schönen Lebewesen. Und das ist irgendwie auch das Thema des Albums—wenn es überhaupt ein Thema gibt.

Und Kritik an der Schönheitsindustrie, ist das ein Thema?
Ja schon, aber eher im übertragenen Sinne. Also es geht nicht um Schminke und Make-Up, sondern um die Unnatürlichkeit, den Zwang, Kosmetik benutzen zu müssen—auch bezogen auf uns als Band. Diese Unnatürlichkeit, sich als Band nach außen darstellen zu müssen, auch ein Albumcover entwerfen zu müssen. Das ist quasi unsere Schminke. Und wenn du dich dem als Band nicht stellst und damit umgehst, dann bist du nicht ehrlich zu dir selbst. Man muss bestimmte Dinge einfach tun: Videos drehen, Pressebilder und so weiter. Wir haben nun erstmals ein Video gedreht, in dem wir tatsächlich spielen. Wir haben es geschafft, dem bisher konsequent aus dem Weg zu gehen. Aber eigentlich kannst du dem nicht entkommen.

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Warum hattet ihr damit ein Problem?
Ich hatte immer das Gefühl, dass genau dieser Schritt uns zu einer Art von Produkt machen würde, etwas, das man verkaufen will. Inzwischen finde ich es aber doch ziemlich aufregend und zugleich war es heiß umstritten unter uns. Weißt du, wenn du bei einem Majorlabel unterschreibst, dann ist es gleich so: „Wir brauchen diese fünf Jungs in der Band und sie müssen richtig geile Frisuren haben!“ (lacht) Deswegen wollten wir das beim ersten Album alles nicht. Aber dann haben wir live gespielt und natürlich standen wir da für Alle ersichtlich auf der Bühne. Das ist ein sehr wichtiger Punkt für die Band—da ist nicht ein Typ mit Macbook und Ableton auf der Bühne, sondern fünf Jungs, die echte Instrumente spielen. Deshalb war es logisch, dass wir in dem Video auftauchen. Bei der ganzen Kritik an Unnatürlichkeit und Schönheitsindustrie ist es ja auch die Anerkennung, dass all dies vorhanden ist und einen Zweck hat. Schau, wir haben dieses wirklich sehr schöne Albumcover. Nicht, weil wir hoffen, auf die Art mehr zu verkaufen, sondern weil wir wollten, dass es gut aussieht und auch auf T-Shirts und Postern funktioniert. Auf die Art nutzen wir eben doch diesen vorgegebenen Mechanismus, aber wir versuchen, jede Menge andere Ideen daraus zu entwickeln.

Wie lang habt ihr an dieser ganzen Sache gearbeitet, von der Idee bis zum Cover?
Sehr, sehr lange. Es war mega zeitintensiv—wie alles, was wir machen. Mir ist das total unangenehm, ich werde richtig nervös, wenn wir nicht alles durchgesprochen haben und uns sicher sind, dass es das ist, was wir alle mögen. Beim ersten Album war es eher so: ‚Fuck it, raus damit!’ Und dann hören sich die Leute dieses seltsame Album an, mit diesem hingerotzten Cover und diesem fürchterlichen Pressebild. Auf eine Art ist das ja auch cool. Aber jetzt sind wir älter und ich finde es toll, dass das neue Album viel durchdachter und reflektierter ist. Mir gefällt auch, dass du dir deine eigenen Gedanken über das Cover gemacht hast und das nicht völlig chaotisch war!

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Ihr seid eine Band, die über alles spricht und versucht, gemeinsam zu einer Meinung zu kommen. Was passiert, wenn einer die Idee der anderen hasst? Gibt es ein Veto-Recht?
Das ist eine verdammt gute Frage (lacht).
Daniel: Es gibt demokratische Regeln …
Roman: Wir haben ein sehr gutes Beispiel: Ein paar der Songs auf dem Album…— du erzählst die Geschichte, weil du die Person warst, die es hasste! (lacht) Wegen dir musste alles geändert und neu gemixt werden.
Daniel: (lacht) Ja, wenn jemand ein großen Problem mit irgendetwas hat, was wir machen, dann hören alle anderen zu, was er zu sagen hat. Und dann arbeiten alle daran, einen Kompromiss zu finden, bis alle glücklich sind. Vielleicht. Es kann aber auch passieren, dass sich alle anderen einig sind, dass die Kritik unangebracht ist, dann muss ich die Klappe halten (lacht). Es gab da was beim Artwork, wo ich immer rumgenörgelt habe—aber als ich es dann gesehen habe, meinte ich: Nein, es sieht super aus! Wir sind sehr demokratisch.
Roman: Wir sind irgendwo zwischen Demokratie und einer Gruppe von Diktatoren. Aber wir wechseln uns ab (lacht). Dieses eine Beispiel wollte ich erzählen: Es gab einen Song, den ich wirklich mochte. Wir nahmen ihn mit nach Berlin, wo wir das Album aufgenommen haben, aber es war eine krass cheesige Version. Ich glaube sogar, es war „Got Well Soon“. Weißt du, wovon ich rede?
Daniel: Ich glaube, es war „National Grid“.
Roman: Nein, bei „National Grid“ haben wir gar nicht so viel verändert. Es war „Got Well Soon“, allerdings in der Abba-Version (lacht). Und ich fand den richtig gut und Adam meinte, „ja ist okay”, und wir haben ihn gespielt. Aber Dan fand es überhaupt nicht gut. Und deswegen haben wir richtig viel dran gearbeitet. Das ist cool—ich hätte die Idee auch aufgeben und den Song einfach löschen können. Aber ich habe die Herausforderung angenommen, etwas zu schreiben, was Dan mag, was aber die Grundidee beibehält.

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Daniel: Wir sehen das so, dass jeder der Band 25% der Leute repräsentiert und wenn einer eine bestimmte Idee—Artwork, Sound, etc.—nicht mag, dann gehen wir davon aus, dass 25% der Hörer es nicht mögen. Und das nehmen wir sehr ernst.
Roman: Wir wollen nicht so etwas superpersönliches veröffentlichen, es sollte schon verschiedene Leute ansprechen. Eine Sache spricht jemanden total an und eine andere Sache packt jemand anderes. Ein wirklich gutes und erfolgreiches Album ist eins, bei dem sich die Leute nicht darauf einigen können, welches das beste Lied ist.

Bedeutet das im Umkehrschluss, dass ihr beim Schreiben eines Albums darauf schielt, dass es 90% der Leute mögen?
Es gibt diesen niemals endenden Zwist darüber, dass man als Künstler natürlich Leute mit seiner Kunst erreichen will und gleichzeitig nichts machen will, was den Leuten gefällt. Das ist eine riesengroße Debatte, das beinhaltet Andy Warhol und die Kritik an Konsum. Und natürlich stellst du dir als Musiker vor wie es ist, wenn 10.000 Leute deinen Song singen. Als ich angefangen habe, war Musik für mich etwas, dass ich allein vor meinem Computer gemacht habe. Das hat sich für mich komplett verändert und zwar mit dem Moment, an dem wir diese Musik vor 10.000 Leuten gespielt haben. Und diese Leute darauf reagierten. Es gibt nicht viele so verbindende Momente. Das passiert nur, wenn du religiös bist—was ich nicht bin—, oder wenn du bei einer faschistischen Kundgebung bist (lacht)—wo ich noch nie war. Ich bin diesem Gefühl von Gottesliebe und Vaterland also nie näher gekommen als bei einem Konzert. Deswegen ist das trotzdem kein Sell-Out oder der Versuch, es den Leuten möglichst einfach zu machen.
Daniel: Ja, es geht nicht darum, dass 90% der Leute es mögen. Es geht darum, dass du die Welt um dich herum versuchst zu interpretieren und in deinen Worten wiederzugeben und dass das andere Leute dann tatsächlich verstehen. Das ist doch total berührend.

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Was ändert das für euch?
Es beendet die Herangehensweise von „Ja, wir sind in dieser Band und machen ein bisschen Musik zusammen und das ist irgendwie cool“ und wird zu der wichtigsten Sache in unserem Leben. Und zwar nicht im Sinne von, „es wird ernst und langweilig wie ein normaler Job”. Die besten Momente, die ich in meinem Leben hatte, drehten sich nicht darum, sich in ein Mädchen zu verlieben oder einen tollen Job zu bekommen. Sie hatten alle mit dieser Band und unserer Musik zu tun. Kennst du das Gefühl, wenn du im Urlaub immer wieder einen bestimmten Song hörst und wenn du ihn dann ein halbes Jahr später hörst, ist das Urlaubsgefühl sofort zurück? So ist das. Nur mit deinen eigenen Songs. Es ist echt seltsam, wenn man seinen eigenen Soundtrack zu seinem eigenen, unglaublichen Leben schreibt (lacht).

Ich denke, es macht ein Album besser, wenn die Leute, die es geschrieben haben, es nicht auf die leichte Schulter genommen haben—hier ist Leben und Tod, Blut und Schweiß, all die glücklichsten Momente, die du je erlebt hast und alles, wovor du Angst hast in einem Album vereint. Die Sicht auf Musik hat sich bei mir komplett verändert. Ich kann fast schon Leute verstehen, die religiös oder verrückte Fußballfans sind.

Daniel, was hat es aus deiner Sicht verändert, das nun beim zweiten Album die Herangehensweise ganz anders was?
Daniel: Geändert darauf bezogen, wie wir es gemacht haben?

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Ja.
Eigentlich hat sich nicht viel geändert, weil ich immer der Meinung war, dass wir das Album fertig bekommen und dass es gut wird. Mir war ja klar, dass wir ein zweites Album machen, weil das nun mal das ist, was du nach dem ersten machst (lacht).
Roman: Ja, aber hast du nicht diesen Moment gehabt, wo du dachtest: „Dieser Song wird beeindruckend klingen, wenn wir ihn vor 10.000 Leuten spielen“?
Daniel: Auf jeden Fall. Wir hatten ja dieses Mal einen Kontext, wir wussten, wo das alles hinführen würde. Die besten Konzerte sind immer die, bei denen gute Stimmung herrscht, bei denen die Leute tanzen. Und diese Erkenntnis hat definitiv eine Rolle beim Schreiben der Songs gespielt. Wir haben versucht ein paar Good Times da reinzupacken!
Roman: Wir wollten kein Album für 17-jährige Stoner machen, die einfach nur da sitzen und Gras rauchen. ABER wir wollten Momente auf dem Album haben, die perfekt dazu passen würden. Also gern, ihr könnt das machen! Aber ich will halt auch Momente für Leute dabei haben, die andere Drogen nehmen (lacht).

Breton spielen nächste Woche zwei Deutschlandkonzerte:
24.02. Hamburg, Übel & Gefährlich
26.02. Berlin, Privatclub

Das Album War Room Stories ist bei Believe Digital Gmbh (Soulfood) erschienen, kauft es bei Amazon oder iTunes.

Ayke ist übrigens auch nicht religiös, war aber schon bei diversen Nazi-Kundgebungen—allerdings als Gegendemonstrant. Folgt ihm bei Twitter: @suethoff

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