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In Manchester floriert die queere Clubszene

Gelangweilt von euren öden Partys? Wir haben uns das queere Nachtleben im Norden Englands angeschaut.

Foto: Lee Baxter

Hey Kids, wollt ihr wissen, wie die Medien in Großbritannien funktionieren? Eine ungeschriebene Regel lautet zum Beispiel: Findet etwas nicht in London statt, dann existiert es nicht. Wenn eine Szene nicht wenigstens über Ableger oder Pendants in der britischen Hauptstadt verfügt, dann kann sie natürlich auch nicht sonst irgendwo im Land existieren. Außerhalb Londons leben nur rückständige Bauernkinder, die verzweifelt versuchen, die progressiven Styles und Geschmäcker der pulsierenden Metropole zu imitieren.

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Das ist einfach bescheuert. Gerade jetzt sind die regionalen Szenen Großbritanniens so lebendig und dynamisch wie selten zuvor. Auf gewisse Weise kann man sogar London dafür danken—da alles ignoriert wird, was im Rest des Landes passiert, hatten die einzelnen Szenen die Möglichkeit, sich frei und eigenständig zu entfalten.

Ich lebe und arbeite in Manchester. Bevor ich hierher zog, lebte und arbeitete ich in Glasgow. Beide Städte haben eine unglaubliche Konzert- und Clubszene—egal ob Queer oder Hetero, DIY oder kommerziell. Im Folgenden möchte ich einige der großartigen Sachen vorstellen, die in Manchester gerade abgehen—mit besonderem Augenmerk auf die queere Szene.

DER ‚HOUSE OF SUAREZ BALL‘ UND DER ‚VOGUE BRAWL‘

Foto: Lee Baxter

Nach der Lektüre eines kürzlich erschienenen THUMP-Artikels über Londons großartige, aufkeimende queere Szene, war ich schockiert zu erfahren, dass die ebenfalls großartigen Sink The Pink den ersten regulären Drag- und Vogue-Ball der Hauptstadt veranstalten. Schockiert ganz einfach deswegen, weil es im Nordwesten Englands seit vier Jahren regelmäßig Veranstaltungen dieser Art gab.

Der House Of Suarez Ball in Liverpool startete 2010 und fand dieses Jahr zum ersten Mal in dieser Form in Manchester statt. Als erster Vogue-Off seiner Art in Großbritannien war der Suarez Ball in Manchester ein riesiger Erfolg und wird nächstes Jahr in einen wesentlich größeren Veranstaltungsort wechseln. Der in seiner vierten Ausgabe anstehende, nicht ganz so professionell aufgezogene, aber ebenso passionierte Vogue Brawl befindet sich am anderen Ende des Spektrums. Der Brawl ist der Punk unter den Drag- und House-Veranstaltungen und erfreut sich seit 2011 ungemeiner Beliebtheit. Er ist auch einer der Gründe für ‚Manchesters Drag Explosion‘.

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CHA CHA BOUDOIR, TRANARCHY, MOTHER’S RUIN, POP CURIOUS UND BOLLOX (PHEW)

Foto: Sam Golanski

Wo wir gerade beim Thema Drag sind: Manchester brennt förmlich. Die Stadt hatte schon immer eine überaus lebendige Dragszene, aber mittlerweile gehören die Künstler und Performer der Stadt zu den Besten des ganzen Landes. Von den minutiös ausgefeilten und routinierten älteren Profis bis zu einer neuen Welle ambitionierter Nachkömmlinge, die einerseits von dem unglaublichen Erfolg von RuPaul’s Drag Race bei Schwul und Hetero und andererseits von der florierenden Clublandschaft angespornt werden.

Jeder Club verfolgt eine eigene Ästhetik, dementsprechend gibt es eine Fülle an unterschiedlichsten Dragveranstaltungen: von den fehlerfreien, wettbewerbsmäßigen Performances im Cha Cha Boudier bis zu den, nunja, anarchischen Darbietungen bei Tranarchy, dem Kollektiv, das den Vogue Brawl veranstaltet; vom zuckersüßem Candypop bei Pop Curious bis zu dem alternativen Cool von Bollox; und natürlich die Mutter von allen: das Queer Kabarett von Mother’s Ruin. Durch jeden dieser Abende führt eine Drag Queen, und auch das Publikum lässt sich gerne im Drag blicken.

Es scheint vielleicht nicht ganz abwegig, dass eine Stadt, die über ein eigenes Gay Village verfügt, voll mit Clubs ist, die von Drag Queens geleitet werden. Es ist allerdings erwähnenswert, das keine der besagten Veranstaltungen in eben diesem Gay Village stattfindet.

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ILL, 2 KOI KARP UND GUTS FOR GARTERS

Foto: Lee Baxter

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit handelt es sich hierbei um die Speerspitze von Manchesters DIY-Noiseszene. Sowohl ILL als auch 2 Koi Karp sind aus den Überresten des All-Female-Noisekollektiv Womb hervorgegangen—und beide Bands repräsentieren jeweils eine der zwei Seiten von Womb, die das Kollektiv so erfolgreich gemacht hat.

2 Koi Karp sind experimentierfreudige Noisekünstlerinnen, die gerne mal in ihrer Kostümkiste rumwühlen und Requisiten für ihre Konzerte basteln, während ILL die angepisste-aber-Spaß-machende Girlpunkband deiner Träume sind. Guts For Garters ist eine relativ neue Veranstaltungsreihe in Manchesters legendärem Star & Gater, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein Forum für das Beste aus der Noise- und Weirdoszene der Stadt zu bieten (wie Now Wash Your Hands, Kurt Dirt, Trianglecuts und Aldous Xanderer, die vor Kurzem zusammen mit Conan Mocassin performten), während du im Keller Divine David treffen kannst, der bei der Indiekaraoke Led Zeppelin-Klassiker schmettert.

KURT DIRT, NEEDLE FACTORY UND SYD 31

Foto: Lee Baxter

An den Ausläufern der queeren Szene, wo Industrial auf ‚Flouro Rave‘ trifft, hat Manchester eine überaus lebendige Szene, für die mir kein treffender Name einfällt. ‚Candy Goth‘? ‚Happy Gloom‘? Was auch auch immer, aber das ist eine weitere tolle Sache an Manchester: Man muss nicht immer alles benennen können.

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Stell dir vor, Ministry würden zusammen mit Scooter jammen, dann bekommst du eine ungefähre Vorstellung davon, was dort abgeht. Punks mit Make-Up malträtieren Keyboards und machen Synth-Thrash. Kurt Dirt ist so etwas wie der Vater dieser Szene. Er zieht sein Ding jetzt schon einige Jahre durch und hat sich mit dem Skinny Puppy-meets-Italo Disco Sound von Needle Factory langsam nach oben gearbeitet, während die relativ neuen Syd 31 die Nichtszene mit ihrem Aqua-spielen-Misfits-Style im Sturm erobert haben. Das Label Analogue Trash sollte man im Auge behalten.

GNOD, FAT OUT FEST UND ISLINGTON MILL

Foto: Pedro Vila

Jenseits des Kanals in Salford findest du ein verstecktes Juwel von Manchesters Musik- und Kulturszene: das umgebaute Industriegelände, in dem sich ein Spielort, eine Galerie, Büroräume und Kunstateliers und ein 24 Stunden geöffneter Kiosk befindet, der Alkohol verkauft: Islington Mill. Als eines der bestgehütetsten Geheimnisse der Stadt scheint Islington Mill langsam aber sicher die Bedeutung zugesprochen zu bekommen, die es verdient hat. Gerade erst hat dort die überaus erfolgreiche zehnte Ausgabe des Sound From The Other City Festival stattgefunden und das Fat Out Fest steht mit Künstlern wie Melt Banana und Cut Hands vor der Tür. Zu guter Letzt sind in der Mill auch noch die Psychedelic Noiseafficionados von Gnod ansässig.

Die Shows von Gnod sind intensiv—also wirklich intensiv. Ernsthaft, das letzte Mal, als ich sie sah, musste ich den Raum verlassen. Mir bluteten fast die Augen und die Ohren. Islington Mill befindet sich vielleicht weit abseits der Partymeile, aber andererseits werden einem die wirklich guten Sachen im Leben nur selten auf einem Silbertablett vor die Nase serviert. Der Extraaufwand, den man betreiben muss, um auf wirklich spannende lokale Zirkel und Undergroundszenen zu stoßen und diese dann auch zu hegen und zu pflegen, ist in der heutigen Zeit von Instantinformationen einfach essentiell. Glaub mir, der Lohn für die Mühen ist es definitiv wert.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Thump.