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Ihr versteht Beck einfach nicht

Vor genau einer Woche kam Becks neue Platte raus. Schon im Vorfeld der Veröffentlichung hieß es überall: „Meisterwerk“. So ist das halt bei Becks Singer-Songwriter-Platten. Fair ist es nicht.

Musik hören ist eine passive Angelegenheit, die ein gewisses Unbehagen mit sich bringt. Man möchte nicht nur Musik hören, sich an ihr erfreuen. Man möchte sich über Musik austauschen, möchte mitreden, diskutieren können. Die Competition Wer-weiß-am-besten-Bescheid ist schnell eröffnet. Im fortgeschrittenen Alter dann die typischen Nerd-Fragen: Was ist die beste Platte von XYZ? Und wenn XYZ mehrere unterschiedliche Platten gemacht hat: Welcher Stil von XYZ ist der „wahre“?

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Schaut man auf die Plattenbesprechungen Becks—die Rezeption seiner Musik in den letzten 12 Jahren—dann kann, sollte oder muss man misstrauisch werden. Der Scientologe erschafft angeblich immer dann Meisterwerke, wenn er musikalisch in sich geht. Wenn er runterkommt, intim und traurig wird. Kurz: Wenn er zum gefühlvollen Singer-Songwriter mutiert. Auf Sea Change von 2002 war das so—und auf Morning Phase ist es nun nicht anders. Diese zwei Alben sieht man in einem Kontext. Nachvollziehbar, sogar optisch: Beide Albumcover zeigen Beck im Portrait, im Hintergrund helle Farben und weiche Aquarell-Pinselstriche. Die Analogien im Artwork sind nicht von der Hand zu weisen.

Um eine Sache vorwegzunehmen: Becks Singer-Songwriter-Platten sind super, exzellent, fantastisch—perfekt aufgenommen obendrein. Sea Change ist für viele, inklusive meiner Wenigkeit, sicherlich eine der wenigen Platten für die Insel. Und auf Morning Phase sei an dieser Stelle nur auf das von Streichern getragene „Wave“ verwiesen, in dem Beck eine beklemmend sphärische Stimmung erzeugt. Wem diese Nummer nicht ans Herz geht, der hat keins.

Gegen die Euphorie der Plattenbesprechungen von Sea Change (damals) und Morning Phase (jetzt), in denen das Wort „Meisterwerk“ gerne fällt, ist an sich nichts also einzuwenden. Aber schon gegen die Schieflage und den Irrsinn, die Meisterschaft und Brillanz eines Beck Hansen vorwiegend an zwei von insgesamt zwölf seiner LPs festzumachen. Dagegen, den „wahren“ Beck dann erkennen zu wollen, wenn sich bei diesem musikalisch die Traurigkeit ausbreitet. Zum Mitschreiben: Es gibt den „wahren“ Beck nicht! Gäbe es diesen, müsste es schließlich auch den „falschen“ geben. Wo kämen wir denn da hin?

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Highlander—es kann nur einen geben. Und es gibt auch nur einen Beck. Und dieser Beck ist alles das, was Beck Hansen in den letzten 20 Jahren musikalisch abgeliefert hat. Vom Frühwerk Mellow Gold, über die vollkommen abgedrehte Midnight Vultures und die melancholische Sea Change, hin zur vorletzten Platte Modern Guilt. Und nun Morning Phase. Von der HipHop-Hymne der 90er („Loser“), über spacigen Soul („Sexx Laws“) und höchste Singer-Songwriter-Künste („Lost Cause“), hin zur groovenden Indie-Nummer („Gamma Ray“). Beck ist die Gesamtheit von alldem. Das eine ist das viele.

Beck ist ohne Übertreibung einer der größten und kreativsten Musiker der letzten zwei Jahrzehnte, ein zu bewundernder und zu feiernder Künstler durch und durch. So ein Künstler kann und möchte nicht auf Knopfdruck Intimität und Tristesse musikalisch heraufbeschwören—genau daran scheitern die meisten, nicht depressiven Singersongwriter ja bekanntlich.

Es gibt keinen einzigen einleuchtenden Grund, das Gesamtwerk eines so vielseitigen und vielschichtigen Künstlers wie Beck in seine Einzelteile zu zerlegen. Was kann Beck denn dafür, dass er die Fähigkeit besitzt, mehrere, unterschiedliche Stile gekonnt zu bedienen? Sein Gesamtwerk ist ein in sich geschlossenes Corpus—Thesen und Antithesen formen die Synthese. Und so wie seine Diskografie ein in sich geschlossener Corpus eines Künstlers ist, so ist Beck ein in sich geschlossener Künstler. Das macht Sinn. Viel Freude also bitte mit allen (!) Platten von Beck Hansen.

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Morning Phase ist bei Caroline (Universal) erschienen. Holt es euch bei Amazon oder iTunes.

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