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„Groß zu denken ist das Wichtigste der Welt“—Gerard im Interview

Gerards Album ‚Neue Welt‘ ist endlich da. Wir waren vorab mit ihm baden und haben über eine Kollaboration mit Bilderbuch und Größenwahn gesprochen.

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Wir interviewen Gerard ja wirklich gerne. Am liebsten aber an heißen Tagen auf der Arbeiterstrandbadwiese. Leider hat er seine Badesachen vergessen, also begnügen wir uns mit zwei Radler auf einer wirklich hässlichen Picknickdecke. Die Wespen waren zwar immer noch lästig und ich bekam meinen ersten Stich diesen Sommer ab, das Gespräch war trotzdem entspannter als gedacht. So kurz vor dem Album-Release von seinem fünften Album Neue Welt würde man annehmen, dass der Stress langsam überhand nimmt. Nicht so mit Gerard, der wahrscheinlich netteste Mensch der Welt. Ich habe mit ihm über Kanyes Präsidentschaftskandidatur, einer Kollaboration mit Bilderbuch und dem aktuellen Zustand der Welt gesprochen.

Noisey: Wie sieht dein Tagesablauf so kurz vor dem Album-Release so aus? Stressig?
Gerard: Gibt da keinen bestimmten. In den letzten Tagen war ich in Berlin für einen Videodreh. Sonst war ich immer in Wien, auch für Videodrehs und Interviews. Stressig ist es eigentlich nicht so wirklich. Es macht ja alles Spaß. Sieht man ja, wir sitzen da mit einem Radler in der Sonne.

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Wenn jedes Interview so wäre, würde ich mir das auch einreden lassen.
Ja meine Interviews sind eigentlich auch meistens ganz chillig. Beim letzten Album haben wir noch mit ein paar Medien geredet, die sich so gar nicht vorbereitet haben. So „Wie bist du auf deinen Namen gekommen?“-Fragen. Dieses Mal haben wir eigentlich nur gut vorbereitete Interviewpartner. Eine hat das Album vor dem Interview nicht gehört und ich hatte an dem Tag schon fünf andere Interviews hinter mir. Hab das dann abgebrochen.

In deinem Pressetext steht dein Sound lehnt sich an Bilderbuch an. Hat sich das der Pressetext-Schreiber einfach als Namedropping ausgedacht oder ist da was dran?
Naja also der Sound ist näher an Bilderbuch als an Bushido. Aber eigentlich meinte ich, dass Bilderbuch auch nicht so wirklich stimmt. Es geht halt mehr Richtung „cooler Pop“ als Richtung Gangster-Rap. Letztlich hab ich dann gesagt „Macht's was wollt's, mir doch Wurscht!“.

Wie sieht's mit einer Kollaboration mit Bilderbuch aus?
Wir haben uns im Rausch schon ein paar Mal etwas ausgemacht. Wir wollten einen Falco-Song covern. Aber da sprachen eher die Promille aus uns heraus. Ich mache keine Features, nur weil ich mich mit jemanden gut verstehe, es muss schon auch der Song passen. Es hätte sich zwar für dieses Album schon angeboten, aber ich wollte mich auch bewusst von diesem Österreich-Hype distanzieren. Ich wollte nicht der Dritte nach Bilderbuch und Wanda sein. Ich will da nicht mitschwimmen.

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Findest du den Hype unsympathisch?
Nein überhaupt nicht, ich finde es sogar gut. Ich habe schon immer mein eigenes Süppchen gekocht und das möchte ich mir gerne beibehalten.

Deine Features sind ja alle aus Deutschland. Fühlst du dich in Deutschland mehr aufgehoben?
Also mir ist das völlig egal. Ich hab meine ersten Songs damals ins Internet gestellt und da war es jedem egal, ob ich in Wels oder in Berlin sitze. So habe ich das bis jetzt auch immer gehalten.

Dein Album wurde ja unter anderem von Patrick Pulsinger produziert. Man merkt schon, dass dadurch mehr Augenmerk auf die Elektronik gesetzt wurde…
Interessant. Ich hatte eigentlich das gegenteilige Gefühl.

Also war das nicht beabsichtigt?
Ich wollte bloß, dass es anders als mein voriges Album Blausicht wird. Es steckt da kein so richtiges Konzept dahinter. Es war mir wichtig, dass es vielseitig klingt und trotzdem aus einem Guss kommt. Durch die vielen Produzenten ist das natürlich schwierig. Ich habe dann versucht durch meine Vortragsart das Album zusammenzuhalten.

Hat sich bei den Texten dazu auch was verändert für dich?
Dieses Mal erzähle ich weniger von meinem Alltag der dann auf das Große schließt, sondern bleibe allgemeiner und weniger auf das Ich bezogen. Weil ich zwei Jahre am Album gearbeitet habe, funktionieren die Texte mehr als Ruheinsel für den Kopf in dieser chaotischen Zeit. Die sind ja nicht in diesem Sommer entstanden, in dem sich alles geändert hat auf der Welt. Beim Schreiben habe ich hauptsächlich daran gedacht, wofür uns die Leute in 100 Jahren mal auslachen werden.

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Du politisierst ja auch nicht direkt in deinen Texten. Passiert das zwischen den Zeilen?
Das stimmt, ich mach das nicht konkret. Lustige Geschichte: Ich war vor einem Interview mal nicht so gut drauf, wollte aber Optimismus vorspielen, damit ich keinen schlechten Eindruck mache. Lustigerweise war der Interviewer dann schlecht drauf. Er meinte, es komme ihm so vor, als würde sich die Welt gerade ein Stück zurückentwickeln. Den Ansatz finde ich schon ziemlich interessant. Im Song „Ein Gedanke“ geht es ja auch darum wie schnell sich die Welt gerade entwickelt und ich hoffe, dass sich das Ganze, so schnell es sich jetzt in die falsche Richtung bewegt hat, auch wieder in die richtige Richtung bewegt. Aber meine Stärke ist nicht dieses Offensichtliche, wie es zum Beispiel jetzt K.I.Z. machen. Ich mag es, wenn man sich ein bisschen mit der Materie beschäftigen muss um den tieferen Sinn zu verstehen.

Verwendest du deine Texte, um mit deinen persönlichen Problemen klar zu kommen?
Ich denke schon, dass ich das unterbewusst mache. Viele Freunde von mir sind in Therapie. Ich habe das noch nie gebraucht, weil ich ja doch ein Ventil für meine Probleme habe. Aber es ist auch nicht so romantisch wie man sich das vorstellt. Man setzt sich nicht einfach hin, schreibt einen Song und es geht einem wieder gut. Man muss sich halt als Künstler immer mit sich selber beschäftigen. Daher wahrscheinlich unterbewusst die Problembewältigung.

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Gibt's schon gute Anekdoten von der letzten großen Tour?
Also auf dieser Tour hatten wir schon großes Glück mit dem Publikum, da war echt jede Show geil. Aber in der Zeit davor hatten wir einige echt beschissene Auftritte. In der Schweiz zum Beispiel. Wir haben auf einer Art Dorffest mit Bierzelt-Bands gespielt. Die neuen Eigentümer wollten das etwas hipper gestalten und haben uns gebucht. Das hat die Leute dort natürlich überhaupt nicht interessiert, die haben sich gleich mal alle umgedreht. Nach einem Song kam dann ein Mädchen zur Bühne und fragt, ob ich „Get The Party Started“ von den Black Eyed Peas spielen kann. In solchen Momenten fragt man sich schon, warum man überhaupt noch Musik macht.

Du passt da zwar nicht wirklich rein, aber möchtest du mal auf Ö3 gespielt werden?
Ja, ich möchte überall gespielt werden. Leider ist meine Musik nicht kompatibel mit denen. Am ehesten noch „Höhe Fallen“.Wenn mal etwas von mir gespielt werden sollte, dann kommt das nicht daher, dass ich mich angepasst habe. Das kommt dann eher unverhofft.

Würdest du Kanye als Präsident wählen?
Ich würde ihn schon wählen. Auf jeden Fall. Natürlich ist er ein bisschen ein Spinner, aber ich finde seine Einstellung richtig cool. Es werden Leute, die groß oder anders denken, von der Gesellschaft meistens einfach heruntergemacht. Ich hab da so einen Satz: „Hör auf zu träumen. Menschen, die das sagen haben nichts außer später mal was zu bereuen.“ Damit war ich ja auch mehr als ein Jahrzehnt lang konfrontiert. Leute haben gemeint ich bin irre, weil ich eine Musikkarriere anstrebe. Kanye finde ich großartig, weil er einen absoluten Scheiß auf das gibt, was irgendwer redet. Sobald er etwas ausspricht, steigert er sich noch viel mehr rein, als wenn er es nur denken würde. Und sobald ihm jemand dagegen spricht, muss er beweisen, dass er das doch kann. Das respektiere ich schon sehr stark.

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Aber findest du ihn nicht auch ein bisschen größenwahnsinnig?
Größenwahn ist halt immer so negativ besetzt. Weil halt „Wahn“ da drinnen steckt. Aber groß denken ist doch das Wichtigste der Welt. Wenn es keine Leute gegeben hätte, die groß denken, dann würde die Welt ganz anders aussehen. Natürlich ist Kanye noch nicht so wichtig für die Welt wie Steve Jobs, aber er bringt halt so Alben wie 808s and Heartbreak heraus, an dem sich dann ein halbes Jahrzehnt lang die Popwelt orientiert.

Wie sieht es mit deinen Zielen aus derzeit?
Vor Blausicht war ich im Kopf immer schon zwei Jahre voraus. Die sind dann mit Tunnelblick an mir vorbeigezogen. Dadurch habe ich—so ausgelutscht das auch klingt—bemerkt, dass das Hier und Jetzt schon extrem wichtig ist. Mein jetziges Ziel ist erstmal mein Leben so weiterzuführen, das ist ja schon herausfordernd genug.

Wer auch mit Gerard baden gehen möchte (zumindest in guter Musik), der kann das an einem oder mehreren dieser Termine tun:

15.10.15 Graz, PPC
16.10.15 Linz, Posthof
17.10.15 Innsbruck, Weekender
18.10.15 Salzburg, Rockhouse
31.10.15 Dornbirn, Conrad Sohm
03.11.15 Wien, WUK

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