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Ich war mit meiner Mama in einem Wiener Underground-Club und es war trauriger als erwartet

"Sie erzählt von ihrer Fortgehzeit und schaut währenddessen dem ravenden Kerl zu, wie er vor Ekstase fast abhebt."
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Mein Gesicht hat schon immer am Meer gewohnt und meine Augen pissen deshalb wegen jeder Kleinigkeit Salzwasser. Besonders dem Alkohol frönend werde ich dann recht oft nostalgisch bis sehr, sehr sentimental. Ich denke dann an verstaubte Nerzmäntel und an die Geschwindigkeit der Zeit und dass genau die mir besonders in den Jahren der Adoleszenz meine Familie entreißt. Das ist ziemlich sicher auch gesund so, aber dennoch führt es manchmal dazu, dass ich meiner Mama eine emotionale, an Peinlichkeit grenzende Nachricht schicke, während ich gerade einem Typen dabei zuschaue, wie er sich im Club die Seele aus dem Körper reihert.

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Irgendwann war es mir zu blöd, dieser Frau um 03:00 Uhr morgens Techno-SMS zu schreiben und deshalb dachte ich mir, "Hey, warum an sie denken, wenn ich sie auch mitnehmen kann?". Natürlich dachte ich mir gleich danach "Oida, never." Aber da war es dann schon zu spät, da ich von der Idee ein bisschen besessen war. Außerdem wollte ich wissen, was meine Mama von diesem ihr (zum Glück) völlig unbekannten Etablissement hält.

Wir waren schon unzählige Male was miteinander trinken, aber immer an Orten, an denen Musik mehr Hintergrund-Berieselung als treibende Kraft war. An Orten eben, an die man mit Mütter geht, ohne danach eine ernste Miene und die Frage "Ist wirklich alles OK in deinem Leben, hm?" gestellt zu bekommen. Es war auch das erste Mal, dass sie überhaupt in einem Club – wie wir ihn definieren – war. In der Fortgeh-Zeit meiner Mama ging man in Discos, die "Tenne" oder so hießen und in der Abba und Klaus & Ferdl das waren, was für uns Techno ist. Meine Erwartung an den Abend? Dass meine Mama am Ende einen Euphemismus loslässt, der mir sagen soll, dass die Jugend von heute furchtbar ist und sich komisch benimmt.

Auf meine etwas hysterisch gestellte Frage, ob sie denn mit mir in einen Club geht, hat meine Mutter sofort "Ja" und "Was zieht man denn da so an? Bunt? Schwarz? Sowas wie du?" geantwortet. Wir haben uns auf grau geeinigt. Das Datum haben wir ausgemacht, bevor ich überhaupt nachgesehen hatte, welche Veranstaltung im Werk war. Die einzige Hoffnung, die ich hatte, war, dass es kein Goa-Festl sein würde. Das wäre auch mir um hundert Welten und ein Universum zu hart gewesen. ("Mama, das ist Goa und diese Menschen sind nur so glücklich, weil sie ihren inneren Frieden gechannelt haben.") Zu meiner Beruhigung war an diesem Freitag F*cken Plus. Mit dem Namen des Events bin ich jetzt nicht bei Mutter hausieren gegangen – muss man verstehen. Ganz unvorbereitet wollte ich sie auch nicht wissen, also habe ich ihr zumindest einen Track von einem der DJs, die an dem Abend gespielt hatten, geschickt. Der Track war harmlos und langweilig, also perfekt, um sie nicht abzuschrecken.

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"Aber ich freu mich."

Ich habe mich sehr bemüht, diesen Abend möglichst so zu gestalten, wie er auch mit Freunden aussehen würde. Natürlich habe ich es nicht auf Enterbung angelegt und darauf geachtet, mir doch noch ein kleines bisschen Würde zu behalten. Ein Clubabend ohne Vorglühen ist aber halt so unrealistisch wie Einhorn-Fohlen oder ein Tag, an dem nicht irgendein Vollpfosten einen Kebab neben dir in der vollen U6 isst. Es war Freitagabend. Freitagabend ist an einigen Wochenenden ein nobleres Synonym für "die Woche aus dem Gedächtnis saufen". Also fragte ich Mutter, was sie denn zum "vorher noch nett was Trinken" aka "Vortrinken" haben will. Das hat dann so ausgesehen:

Isabella: "Was soll ich denn zu trinken besorgen? Wichtig."
Mama: "1 Pkg Apfelsaft. Den verdünne ich dann eh."
Isabella: "Du meinst, du verdünnst ihn dann mit Wein? Ist Apfelsaft ein Synonym für Bier?"

War es nicht. Den georderten Apfelsaft hat sie dann eh nicht angerührt, sondern tanzte mit Wein an, dem sie aber eigentlich auch nur beim Verdunsten zusah. Zwei Freunde, meine Schwester und ich räumten diese Ethanol-Disbalance beispielhaft aus dem Weg. Gehypt von "Party mit der Mama" und Bier, bemerkte ich zuerst nicht, dass meine Playlist im Hintergrund gerade irgendwo zwischen SHXCXCHCXSH, Youth Code und The Body herumshuffelte. Dass die Musikauswahl dem Plan, meine Mutter nicht abzuschrecken, nicht zugute kam, weiß ich im Nachhinein auch. Nach eidringlichem Anstarren meines Bieres und einem noch eindringlicheren Blick auf die Boxen meines bescheidenen Musikabspielgerätes ließ sie mich mit "Isabella, hast du auch was von Savage Garden … oder …R.E.M?" wissen, dass sie gern was Sanfteres hätte.

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Ein paar Minuten nach Mitternacht und einige "Truly, Madly, Deeply"s später, haben wir die Taxifahrt in Richtung Mummys Nightmare angetreten. Meine Schwester wollte sich die Blöße nicht geben und ist heimgefahren. Oh, thy smartness, Schwesterlein. Im Taxi machte sich in mir das angenehme Gefühl freigesetzter Stresshormone breit, das sich der unangenehmen Stille sei Dank ungestört entfalten konnte. Gerettet wurde dieses traurige Bild durch folgende Worte meiner Mutter: "Isi, nach dem Club gehen wir dann schon zum Würschtelstand, ja? Wie sich das gehört." Ja, in dem Moment war ich schon stolz – Mama weiß, wie man in Wien fortgeht.

Während ich mich nach dem Vorglühen schon bei meiner Mutter festhalten muss, sind Mutter und Schwester noch frisch wie die Leintücher in einer Waschmittelwerbung.

Am Weg vom Taxi zum Werk hab ich langsam ein richtig schlechtes Gewissen bekommen, weil meine Mutter herzerwärmend gute Laune hatte. Nicht, dass das Werk ein Ort ist, der diese erstickt. Aber meine Mutter und ich definieren "Spaß" hin und wieder doch etwas anders. Drinnen angekommen, bewegte sich meine Mutter wie ein Kätzchen, das zum allerersten Mal auf Schnee herumtappst. Zaghaft lächelnd an den Türstehern vorbei, war jeder Zentimeter Beton-Neuland. Ich ging neben ihr und grinste sie dämlich und voller Erwartung an. Meine Visage schrie nur so nach "NA?! NA?????? NAAAAAAAAA?!!!????". Mami lächelte lieb zurück. Mein Gesicht drohte auseinander zu fallen vor Mimik-Akrobatik, aber nichts.

Wir haben unsere Jacken abgegeben, der Mund meiner Mama formte was, ich hörte sie nicht, weil Musik. Der Spaß begann:

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Isabella [schreiend]: "Was?"
Mama [schreiend]: "Das heißt nicht 'Was', das heißt 'Wie bitte'."
Isabella: … ;(

Die Jungs waren Bier für uns und einen Weißen Spritzer für Mama holen und ich wagte den Versuch nochmal:

Isabella: "Was ist dein erster Eindruck?"
Mama: "Dass ich die Älteste hier bin, haha."
Isabella: "Aber auch die Schönste!"
Mama: "Ein junger Mann hat mich schon angelächelt!"
Isabella: "Fühlst du dich hier eher wohl oder eher unwohl?"
Mama: "Eher wohl."

Sie meinte dann noch, dass sie mal schaut, was auf sie zukommt. Auf sie zu kamen Dunkelheit, Techno und vor allem Bewegungen Anfang 20-Jähriger, die mehr nach Bedrohung als nach Tanz aussahen. Sie sah sehr cute aus, mit diesem 0,5-Liter-Plastikbecher in der Hand. Der große Floor war noch recht leer, es war ja auch recht früh. Also sind wir wie eine etwas von ihren Instinkten verlassene Horde auf den kleineren Floor gewandert. Ein Typ war dort schon voll in seinem Element. Mama stellte sich gleich links nach dem Eingang ins letzte Eck, die Augen so groß wie die des Element-Typen, nur anders.

Ich glaube, sie hat versucht, zu lächeln, aber es hat nicht funktioniert. Als wir im Werk waren, war es verglichen mit heute ziemlich kalt. Sie meinte, dass es nicht nur draußen kalt und abweisend war, sondern auch drinnen. Aber noch viel intensiver. Der Charme des Eingangs ist am Floor wohl ziemlich schnell verflogen, die Musik dürfte ihr den Rest gegeben haben.

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Sie erzählte dann, dass man zu "ihrer Discozeit" schön gemacht und "aufgmascherlt" in der Disco (#kleinerdrei) auftauchte. "Wir kamen uns lässig und ziemlich unwiderstehlich vor, in unseren Schlaghosen und bunten Oberteilen. Und auch ziemlich rebellisch mit unseren Walle-Löwenmähnen und der Tschick in der Hand," sagt sie und schaut dem ravenden Kerl währenddessen zu, wie er vor Ekstase fast abhebt. Mein kurzer Einwurf, dass Schlaghosen eh schon wieder die Runde machen, beeindruckte sie dann dennoch nicht.

Mittlerweile war die Tanzfläche schon voller, wir sind im Werk ein bisschen auf und ab gegangen, damit sie sich ein Bild machen konnte. Sie war richtig entsetzt davon, dass jeder für sich auf der Tanzfläche wankte und die Leute dabei auch noch "vom beißenden Odeur der naheliegenden Toiletten umwabert" waren. "Maria und Josef", haucht sie, "hier riecht es wie in Slums. Nach Pisse." Ich hab gemerkt, wie ich von Sekunde zu Sekunde trauriger werde und irgendwie Mitleid, Selbstmitleid und generelles Leid auf einmal in mir aufkamen. Exzeptioneller Partymodus. Um Mutter und mich da wieder rauszuholen, entgegnete ich, dass die Leute aber die Musik genießen. "Ja, aber da kommuniziert ja auch niemand mit dem Anderen. Und die Gesichter sind grau! Jugendliche sollten keine graue Hülle haben."

"Ich seh hier großteils Resignation. Und Einsamkeit. Und erstickte Hoffnungen. So jung und so wenig Lachen."

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Mitleid, Selbstmitleid, Leid noch einmal von vorne. Unsere Begleiter standen ein paar Meter neben uns und hatten ziemlich sicher mehr Spaß. "Das Ganze wirkte so trostlos verwahrlost. Viel innere Leere und Verwahrlosung," unterbrach Mama meine farbenfrohen Gedanken an noch ein Bier. Ich erzählte irgendwas von "Stress im Alltag", "abschalten" und "Techno mit sich selbst genießen". Warum man den Alltag nicht so wie damals mit Lachen bekämpft, fragt sie mich. Damals habe man das pralle Leben gespürt, und bunt sei nicht nur das Gewand gewesen, nein, auch "die Stimmung war farbig". In ihren Gesichtern habe sich die Hoffnung der 70er-Jahre widergespiegelt.

"Ich seh hier großteils Resignation. Und Einsamkeit. Und erstickte Hoffnungen. So jung und so wenig Lachen," – ja, es wurde nicht besser. Es war dann bald an der Zeit, die Mutter zum Würschtelstand und raus aus dem Werk zu bringen. Ihr und mir zuliebe. Wir haben meine Freunde geholt und sind in das Taxi gestiegen. Ich versuche ihr zu erklären, dass vor allem diese Veranstaltung und die Musik dort für viele ein Safe Place ist, dass das auch die ursprüngliche Idee von Techno und Clubs war. Ganz bin ich nicht durchgedrungen, aber das muss ich auch nicht.

Am nächsten Tag hab ich ihr noch geschrieben, ob sie mir nicht noch einen abschließenden Eindruck – so nach einer Nacht drüber schlafen – schicken möchte. Sie mochte: "Im Werk, wie gesagt, umklammerte mich die Kälte offener Fabrikstore und damit ist nicht die Temperatur gemeint. Die ewig gleich stampfende Maschinenmusik erinnerte mich an die Blechstanzhalle der Böhler-Stahlwerke."

Gut, Clubs sind nicht der neue Lieblingsort oder irgendein Ort für meine Mutter. Ich mag es, dass die Erinnerungen an ihre Jugend in Konfetti-Farben getaucht sind. Meine Erinnerungen werden und sind eben weniger von Farben, sondern eben viel mehr von Musik bestimmt. Und halt von Leuten, denen ich dabei zuschaue, wie sie Kiefer-Akrobatik machen. Die nächsten Male werde ich meine Mama eben wieder an bunteren Orten treffen und gehe ohne sie zu den grauen Hüllen, die ihre Jugendlichkeit den sicheren Ufern der Musik verschenken. Ich mag die nämlich.

Isabella auf Twitter: @isaykah

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