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Videopremiere

FJØRT schlagen uns mit ihrem neuen Video "Magnifique" gnadenlos in den Magen

Da uns die Bilder nicht losgelassen haben, mussten wir der Band und dem Director ein paar Fragen stellen. Und wollten nach ihren Antworten das Video gleich nochmal sehen.
Foto: Screenshot via YouTube aus dem Video "Fjørt 'Magnifique'" von 

"Wir alle brauchen Erinnerungen, damit wir nicht vergessen, wer wir sind" – es war vor allem dieser Satz aus Christopher Nolans Memento von 2000, der von diesem Mindfuck-Klassiker hängen blieb. Wahrscheinlich, weil er das Offensichtliche ziemlich genau auf den Punkt traf: ohne Vergangenheit auch keine Identität und keine weitere Persönlichkeitsentwicklung. Kein Wunder, dass er wieder laut nachhallte, als wir das neue Video der Post-Hardcorer FJØRT sahen, zeigt "Magnifique" doch den aussichtslosen Kampf eines jungen Paares gegen die Demenz. Wundert man sich anfangs noch, was genau denn das Problem der verzweifelt schreienden Protagonistin ist, wird langsam immer deutlicher, dass der malerische Hotelalltag trügt und irgendwas mit ihrem Partner absolut nicht stimmt. Bis die Bilder immer härter in den Magen schlagen und die Luft am Ende nur schwerfällig wieder in die Lungen findet.

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Schon Anfang des Jahres hatten FJØRT mit "Lebewohl" bewiesen, dass ihre Musikvideos so viel mehr als nur bloßes Make-up für ihre Songs sind. Stattdessen sorgten die Bilder damals eher schnell dafür, dass der eigene Kajal verlief. Für das am 17. November erscheinende Album Couleur hat sich die dreiköpfige Band in ein herrschaftliches, verlassenes Hotel zurückgezogen, um ihre Musik mit nachdrücklichen Bildern zu visualisieren. Da die gerade im Falle von "Magnifique" nicht so schnell aus unseren Köpfen verschwinden wollten, haben wir Chris von FJØRT und Regisseur Michael von Iconographic ein paar dringende Fragen gestellt. Und wollten nach ihren Antworten das Video gleich nochmal sehen.

Noisey: Wie kamt ihr darauf, den Song ausgerechnet auf diese Art und Weise visuell zu untermalen?
Chris Hell (FJØRT): Die Story für dieses Video stammt aus der Feder von Michi (Iconographic). Michi und Flora sind mit unglaublichem Feuer dabei. Man gibt ihnen eine musikalische Ebene, in die sie sich kopfüber reinstürzen und mit irren Bildern wieder auftauchen. Wir haben Michi als erstes die Musik an die Hand gegeben und ihn sprudeln lassen. Er hat den Song gehört und sofort lief bei ihm dieser Film mit zwei jungen Menschen ab, deren Leben von einem unlösbaren Problem auf den Kopf gestellt wird. Dann stand er vor uns und erzählte, wie er sich das vorstellt, in aller Detailverliebtheit. Wir haben die Münder nicht mehr zugekriegt, waren gleichzeitig betroffen und berührt von dieser Geschichte. Und es war klar, dass wir das genau so machen müssen.
Michael Winkler (Iconographic): Die stärkste Inspiration für sämtliche Videos dieses Albums ist das Hotel. Dieses Hotel steht seit einigen Jahren schon leer. Man fragt sich an so einem Ort automatisch: Was ist hier wohl passiert? Welche Menschen haben hier wohl gelebt? Es wäre eine Verschwendung gewesen, diese Location nur für Performanceszenen und ihren "Lost Place"-Vibe zu verwenden. Deswegen war eine Frage schnell klar: Wie zeigen wir den Verfall dieses Hotels möglichst metaphorisch und dennoch nachvollziehbar?

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Ich habe mich dann beim Hören des Refrains an einen Film erinnert, den ich irgendwann in der fünften Klasse mal in der Schule gesehen hatte. Reise in die Dunkelheit – Hauptdarsteller war damals Peter Simonischek, der jetzt erst als Toni Erdmann zahlreiche Filmpreise gewonnen hat. Der Film ist von 1997 und hat einen starken Fassbinder-Vibe. Ein 40-jähriger Theaterhandwerker erkrankt an Alzheimer. Die Unaufhaltbarkeit dieser Krankheit wird sehr eindringlich und erdrückend erzählt. Das war für mich definitiv die Hauptinspiration für dieses spezielle Video.

Bei Demenz denkt man eher an Alzheimer, von dem ältere Menschen betroffen sind. Warum wolltet ihr aber mal ein junges Paar zeigen, das damit zu kämpfen hat?
Chris: Das ist so eine Sache, die einem nicht oft begegnet und die sich die meisten Leute wahrscheinlich gar nicht vorstellen können. Man kann sich dort als Jungspund nicht reinfühlen, es ist weit weg vom eigenen Denken. Es erfordert viel Empathie, sich damit auseinanderzusetzen. Das Album spielt thematisch einige Szenarien durch, bei denen der Protagonist etwas mit sich alleine ausmachen muss, weil es anderen an Verständnis dafür fehlt. Die Geschichte des Videos ist somit ein Stellvertreter für all diese Situationen.
Michael: Die Wirkung ist einfach eine andere, wenn ein junger Mensch von so einer Krankheit heimgesucht wird. Das Genre und die meisten Musikvideos sind durchzogen mit Klischees und Dingen, die man schon oft gesehen hat. Damit zu brechen war uns wichtig.

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Wurdet ihr in eurem persönlichen Umfeld schon einmal mit Demenz konfrontiert?
Chris: Es gab im näheren Verwandtschaftskreis einmal diese Situation. Das Schlimme an der Demenz ist, dass sich die betroffene Person mehr und mehr vom Leben abkapselt, sie nicht mehr mitbekommt, was um sie herum passiert. Die Selbstständigkeit geht verloren, man ist nicht mehr Herr dessen, was mit einem geschieht. Damit richtig umzugehen ist kein Leichtes, aber es ist umso wichtiger, genau dann da zu sein.
Michael: Ich selbst zum Glück noch nicht.

Was ist eure liebste Zeile aus dem Song?
Chris: "Ich habe dich dabei erwischt, wie du majestätisch Leinwände füllst mit diesem wunderschönen ersten Pinselstrich." Zwischen allem was passiert, finden sich immer wieder diese Momente, die vielleicht klein erscheinen, aber für dich die Welt bedeuten. Diese Dinge mit größter Aufmerksamkeit wahrzunehmen, kann manchmal unglaublich entscheidend sein.
Michael: Der Refrain. Wir haben den Song gemeinsam mit dem Label und der Band auf dem Weg zum Locationscouting gehört. Zu diesem Zeitpunkt war noch gar nicht so klar, welche Songs genau ein Video bekommen würden. Nach dem Lied gab es einen kurzen Moment Pause. Ich meinte dann sowas wie: "Zu dem Song muss aber sowas von was gedreht werden!" Malek von GhvC war sofort dabei und sagte sowas wie: "Ja genau! Hab ich doch schon die ganze Zeit gesagt." Obwohl es ein vermeintlich kryptischer Zungenbrecher ist, konnte ich den Satz direkt zitieren. "Ich habe dich dabei erwischt, wie du majestätisch Leinwände füllst mit diesen wunderschönen ersten Pinselstrich." Das war eben auch die Inspirationszeile zum Thema Demenz.

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Das Video ist durch die überzeugende Performance der Darsteller ein ziemlicher Schlag in den Magen. Wie habt ihr euch gefühlt, als ihr es zum ersten Mal gesehen habt?
Chris: Wir wussten vorab schon, dass dies ein sehr intensives Video werden wird. Der erste Durchlauf hat uns dann aber komplett die Schuhe ausgezogen. Während des Drehs haben wir den beiden mit Michi ihre Ruhe gelassen und uns möglichst ferngehalten. Bei einer Szene haben wir dann aber einen Blick erhascht und konnten nicht anders, als wie gefesselt dazustehen und heimlich zehn Minuten einfach nur zuzuschauen. Selbst aus 20 Metern Entfernung war es unglaublich bewegend, die beiden "live" mitzubekommen. Es hat uns völlig überwältigt. Wie wir dort standen und kein Wort rausbekommen haben, wird uns noch lange in Erinnerung bleiben. Marnie und Johannes haben da wirklich Überragendes geleistet.
Michael: Insbesondere die Schlussszene hat mir schon während des Drehs sehr stark zugesetzt. Wir drehen nicht – wie viele andere Produktionsfirmen – nach konkretem Muster, sondern lassen unsere Schauspieler für drei bis fünf Minuten einfach ihr Ding machen. Die Kamera agiert dementsprechend als Beobachter. Ich achte während jeder Szene sehr stark darauf, dass außer mir und den Schauspielern niemand anwesend ist, damit sich ein Gefühl entwickeln kann. Das entspricht stark der Drehweise von Werner Herzog, der am Set auch keine Menschen im Blickfeld seiner Schauspieler erlaubt und Handys im Umkreis von 100 Metern verbietet. So stehen wir also zu Dritt in diesem Korridor und leben gemeinsam für fünf Minuten diesen Moment. Ich habe danach erstmal drei Zigaretten rauchen müssen, weil mich dieses Erlebnis sehr mitgenommen hat.

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'Couleur' erscheint am 17. November. Ihr könnt es euch hier vorbestellen.

Tour Dates

18.01.2018 Münster – Gleis 22 (Zusatzshow)
19.01.2018 Münster – Gleis 22 (Ausverkauft)
20.01.2018 Hannover – Musikzentrum
21.01.2018 Berlin – Lido
22.01.2018 Dresden – Beatpol
23.01.2018 Leipzig – Werk 2
24.01.2018 Wien (AT) – Chelsea
25.01.2018 München – Strom
26.01.2018 Stuttgart – Universum
27.01.2018 Saarbrücken – JUZ Försterstraße
28.01.2018 Wiesbaden – Schlachthof/Kesselhaus
29.01.2018 Köln – Gebäude 9
30.01.2018 Hamburg – Knust

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