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Gründe, warum die Street Parade scheisse ist

Du solltest dieses Jahr wirklich für einmal zu Hause bleiben.
Foto von abstrkt.ch | Flickr | CC BY 2.0

Wie jedes Jahr im August, wirst du spätestens jetzt vor die immer gleiche Frage gestellt: "Und, gehst du an die Street Parade?", schallt es unvermeidbar mit steigender Frequenz aus den Kehlen deiner Freunde. Und obwohl ihr euch alle vorgenommen habt, dieses Jahr dem Massentreiben am Zürichseebecken fernzubleiben, werdet ihr doch alle hingehen. Wie sonst soll die beeindruckende Zahl von bis zu einer Million Besuchern zustande kommen?

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Du hast also wohl nur zwei Möglichkeiten: 1. Du wohnst in der Stadt, kannst dich nicht zum glücklichen Kreis der Chaletbesitzer in den Bergen zählen und darum nicht einfach schnell mal verschwinden—und schaust eben doch kurz mal an der Parade vorbei, wo du bis in die Morgenstunden feierst. 2. Du beugst dich dem Gruppendruck deiner Street-Parade-begeisterten Freunde, weil du keine Lust hast, deinen Abend alleine in deinem Heimatdorf zu verbringen. Damit du dieses Jahr zu deinem Wort ("NIE mehr gehe ich da hin!") stehst, findest du hier gute Gründe dafür, dieses Jahr wirklich zu Hause zu bleiben.

Die Love Mobiles

Foto von abstrkt.ch | Flickr | CC BY 2.0

Lange bevor Bühnen mit grossen internationalen Acts die Route um das Seebecken schmückten, waren die Love Mobiles das Herzstück der Street Parade. Die Zeiten, als ausgelassene Raver den Truck ihrer Lieblings-DJs und -clubs folgten, sind aber leider vorbei. Die Clubs und Labels scheuen die hohen Kosten (und vielleicht auch die fehlenden Einnahmen) durch die Lastwagen. Stattdessen mieten sich unbekannte Labels mässiger Qualität ihre eigene Präsenz an der Grossveranstaltung und Sponsoren nutzen die Lastwagen, um ihren Kunden VIP-Plätze auf den Trucks mit exklusivem Blick auf den Pöbel zu bieten.

Spätestens seit 2014 der Ballermann-"DJ" Oliver Pocher auf einem der Trucks auflegte, sind die Love Mobiles höchstens noch ein Schatten ihrer selbst. Zu allem Überfluss kann es gut sein, dass genau so ein Oliver Pocher mit seinem Love Mobile hinter dir durchfährt, während du dir auf einer Bühne ein Set eines echten DJs anschaust. Im Gegensatz zu den Bühnen haben die Trucks druckvolle Musikanlagen, mit denen sie die gute Musik problemlos übertönen und dich mit der einhergehenden Beat-Überdosis zur Verzweiflung bringen.

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Der Dichtestress

Foto von abstrkt.ch | Flickr | CC BY 2.0

Wenn sich eine Million Menschen in eine Innenstadt einer 400.000-Einwohner-Stadt quetschen, wird es zwangsläufig ungemütlich. Verabschiede dich von deiner persönlichen Running Order, die du dir zu Hause vorfreudig zusammengestellt hast. Noch bevor du von Bühne zu Bühne hüpfen kannst, wird dich der Weg vom Central zum Bellevue wegen den unglaublichen Menschenmassen deine Nerven und vielleicht auch schon deine ersten Freunde kosten. Und weil während der Street Parade das Mobilfunknetz über Zürich praktisch durchgehend zusammenbricht, wirst du sowieso die Hälfte der Zeit damit beschäftigt sein, die auf dem Weg verlorenen Schäfchen wiederzufinden. Die andere Hälfte der Zeit wirst du auf dein Bier warten oder für das WC anstehen.

Die WCs

Foto von abstrkt.ch | Flickr | CC BY 2.0

Geht man davon aus, dass jeder Besucher an der Street Parade zwei Liter Urin hinterlässt, bräuchte die Street Parade 7.600 Toi Tois, um dieses Volumen aufzunehmen. Aneinandergereiht ergäbe das eine Strecke von 9 Kilometern, also drei Mal vom Zürichhorn zum Mythenquai, fand watson heraus. Tatsächlich werden jedoch nur um die 1.000 Toi Tois aufgestellt und das sorgt besonders bei Frauen zu langen Warteschlangen und Frust.

Durstige Männer sorgen dafür, dass Zürich während der Parade zu Europas grösstem Freiluftpissoir wird. Wenn es nach der Parade nicht zufälligerweise regnet, muss Entsorgung & Recycling Zürich die Strassen nach dem Umzug mit einem speziellen Antiurinmittel und Zitronenaroma reinigen, um sie nicht wochenlang wie einen Hauseingang an der Langstrasse stinken zu lassen.

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Die Eintönigkeit

Foto von niky81 | Flickr | CC BY-SA 2.0

Obwohl kein DJ, der an der Street Parade spielt, auch nur einen Rappen Gage bekommt, schaffen es die Macher jedes Jahr grosse Namen auf die Parade einzuladen. Trotzdem hat die Zürcher Clubszene kaum ein gutes Wort für die Parade übrig und wirft den Organisatoren seit Jahren fehlende Originalität und Kommerz vor. Im Gegenzug kritisiert Joel Meier, der Präsident des Street-Parade-Komitees, die Clubs gegenüber der NZZ für ihre Eintönigkeit: In der Zürcher Clubszene herrsche ein ziemlicher Einheitsbrei, den man sich vor allem in Berlin abschaue.

Obwohl auch dieses Jahr ein Mr. Da-Nos die offizielle Hymne zur Parade beisteuert, hat es Street-Parade-Booker Robin Brühlmann geschafft, sich von den unrühmlichen EDM-Jahren zu verabschieden und verbannt den "Swiss House" auf eine Bühne am Ende des Umzugs. Prompt lobt der Zürcher Szene-Promoter Alex Flach die Parade für das vielseitige und beeindruckende Programm. Doch anstatt eine Vorreiterrolle in Sachen elektronsicher Musik einzunehmen, haben sich die Organisatoren den Trends der grossen Clubs angepasst und bedienen die Wünsche des Mainstreampublikums. Auch die "Swiss Innovations Stage" kann ihren Anspruch nur in Teilen erfüllen. Willst du einen breiten und authentischen Einblick in die Szene bekommen, lässt du die Street Parade hinter dir und gehst am besten gleich nur an die Lethargy in die Rote Fabrik.

Die Afterpartys

Foto von Martin Abegglen | Wikimedia | CC BY-SA 2.0

Ist die Parade um Mitternacht vorbei, laden die Clubs und Locations der Stadt mit bunten Flyern und grossen Line-ups zum eigentlichen Höhepunkt der Street Parade: den Afterpartys. Nachdem du den Tag mit all seinen Strapazen überlebt hast, freust du dich wenigstens darauf, die Nacht in deinem Stammclub beenden zu können. Mach dir aber keine Hoffnungen, du wirst deinen Lieblingsclub nicht wieder erkennen. Nachdem du bis zu mehrere Stunden in der Schlange ausgeharrt hast, um anschliessend den doppelten Eintrittspreis wie üblich zu bezahlen, findest du dich mit den gleichen Leuten im Club wieder, die dir das Leben zuvor schon schwer gemacht hatten.

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Hinzu kommt, dass ihr alle schon den ganzen Tag in der Sonne gefeiert habt, entsprechend dehydriert oder aufgeputscht an die Party kommt—was die Stimmung schnell kippen lassen kann. Wenigstens kann es dir nicht mehr passieren, dass du auf der Energy landest, denn diese findet auch dieses Jahr nicht statt.

Die Hobbyraver

Foto von Pixabay

Böse Zungen behaupten, mit der Street Parade hätte auch Zürich seine eigene Fasnacht. Ganz Unrecht haben sie damit nicht, denn über die Jahre wichen die authentischen Raverkostüme peinlichen Morphsuits, billigen Polizistinnenkostümen oder Neonoutfits. Die sonst eher szenefremden Partygänger geben der Street Parade mehr den Charakter einer Festhütte anstatt jenen eines anständigen Strassenraves. Mit der ursprünglichen "Demonstration für Liebe, Friede, Freiheit, Grosszügigkeit und Toleranz" haben die meisten Partygänger nicht viel am Hut—sie interessieren sich nur für das Feiern. Willst du ausgerechnet an diesem Tag aus, von oder via Zürich reisen, wirst du in den Zügen unweigerlich mit der Ballermannstimmung konfrontiert, auch wenn du der Parade eigentlich entfliehen wolltest.

Die Organisatoren der Street Parade haben es geschafft, entgegen aller Widerstände in den Anfangsjahren, aus der Street Parade eine Institution zu entwickeln, die auch für die Stadt zu einem wichtigen Imagefaktor geworden ist. Die Parade trug massgeblich dazu bei, dass Zürich zu der toleranten Partystadt geworden, die es heute ist und Raver nicht mehr nur als wild zappelnde Spinner angesehen werden.

Nachdem all diese Ziele erreicht wurden, droht die Parade nun an ihrem eigenen Erfolgen zu ersticken. Wenn du jemand bist, der sich gerne mit zehntausenden anderen vor eine Bühne quetschst und das als Chance siehst, dich so freizügig zu verkleiden und ausgelassen zu benehmen, wie du dich den Rest des Jahres nicht traust, dann kannst du sicher deinen Spass an der Street Parade haben. In allen anderen Fällen solltest du dieses Jahr deinen Nerven zu Liebe wirklich für einmal zu Hause bleiben.

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