Auf ein Müesli und zwei Cappuccinos mit Jimi Jules
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Auf ein Müesli und zwei Cappuccinos mit Jimi Jules

Jimi Jules releast mit 'Equinox' sein Debütalbum—ein Gespräch mit einem der talentiertesten Schweizer Musikern und gleichzeitig besten Menschen überhaupt.

Nach ewigem Hin und Her haben wir es doch noch geschafft: Jimi Jules und ich konnten einfach keinen Termin für ein Interview finden—mal war er mit seinem Sohn bei seiner Grossmutter oder im Studio, und mir ist kurzfristig eine wichtige Story dazwischengekommen. Wir einigten uns schliesslich auf ein Frühstück an einem sonnigen, aber kalten Mittwochmorgen. "11:00 Uhr?", frage ich. Ich bin ein Morgenmuffel. Jimi anscheinend nicht: Er schlägt 10:00 Uhr vor. "Wenn du am Morgen arbeiten musst, hast du keine Lust aufzustehen. Wenn du aber arbeiten gehen darfst, stehst du gerne auf", sagt der 29-Jährige.

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Schlussendlich war ich trotzdem vor Jules in der Bank, einem neuen hippen Café am Zürcher Helvetiaplatz, und trank schon mal einen Kaffee mit dem Fotografen Jojo Schulmeister. Als Jules mit wuscheligen Haaren und einem Grinsen im Gesicht—so wie ich ihn kenne—eintrifft, vergeht ihm sofort wieder das Lachen: Er stellt zu seinem Entsetzen fest, dass wir heute auch Fotos von ihm machen werden. Obwohl Jimi Jules schon seit Jahren zu den erfolgreichsten Schweizer Künstlern der elektronischen Musik gehört—also durchaus exponiert lebt—und alles andere als schlecht aussieht, ist er immer noch kamerascheu. Zu Beginn seiner Karriere kannte man Jimi Jules von Fotos nur mit Tüte über dem Kopf, und bei Auftritten verdeckte er sein Gesicht mit dem nächstbesten Gegenstand—auch mal mit einem Plattenspieler—, wenn er fotografiert wurde. "Die Pressefotos für das Album sind drei Jahre alt. Die waren eigentlich für meine Masterarbeit", sagt der Berner.

Das ist auch der Anlass für unser Treffen. Also nicht neue Pressefotos—Jimi Jules hat gerade sein Debütalbum Equinox herausgebracht: 13 zeitlose Songs, die unverkennbar von einem DJ stammen, aber weniger in Clubs beheimatet sind. "Ich habe mich drei Monate lang im Studio eingeschlossen", erzählt er, "das war die bisher beste Erfahrung als Musiker. Auch wenn ich immer wieder das Gefühl hatte, dass ich nichts kann." Dass das komplette Gegenteil der Fall ist, bewies Jimi Jules jedoch schon genug oft: Mit "Pushing On" produzierte er 2014 den meistverkauften Dance-Track auf Beatport, als DJ ist er seit Jahren eine feste Grösse hierzulande, er ist im Berliner Watergate Resident und kann einen Master of Arts in Music vorweisen.

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Jimi Jules meint mit seiner Aussage vielmehr, dass er sich beim Produzieren für das Album zum Teil versteift hätte und was die wirkliche Arbeit beim Musizieren ist, für die man am Morgen ungern aufsteht: "Das Mühsame fängt an, wenn ich merke, dass ich einen Jam nochmal einspielen muss, ein Arrangement nicht funktioniert und ich etwas abschliessen muss. Gleichzeitig war mir das Bum-Bum irgendwann zu laut, zu anstrengend für die Ohren. Erst nach ein paar Wochen bin ich in den Album-Sound, in das Langsamere, gekommen." So liefert Jimi Jules kein Best-of, keine 13 neuen "Pushing Ons", sondern das allerbeste, was er zu bieten hat. "Für das Album sind 100 Songs entstanden", gibt er zu. 13 davon erzählen nun seine Geschichte: Das Album widerspiegle die letzten drei Jahre seines Lebens, behandle den Tod seines Grossvaters, der ihn in die Musikwelt eingeführt und einige Instrumente gelehrt hatte, das Vaterwerden, seine Beziehung, Berlin und Zürich. Und viele Songs klingen dabei sehr melancholisch, obwohl ich Jimi Jules als einen der fröhlichsten und positivsten Menschen kenne. "Das Album ist sehr persönlich und geht sehr in die Tiefe. In der Musik verarbeite ich Gefühle und Erlebtes. Die Musik ersetzt sozusagen ein Tagebuch."

Bevor wir mit dem eigentlichen Interview loslegten, erzählte ich Jimi von meinen aktuellen Beziehungsproblemen—am Vortag hatte er schon am Telefon gemerkt, dass es mir miserabel ging. Gleichzeitig kennen wir uns einfach schon genug lange, dass wir auch mal über andere Sachen als Musik reden können. So hätte hieraus wohl auch ein "Jimi Jules gibt Beziehungstipps" werden können. "Ein absolutes No-Go in einer Beziehung sind Lügen, inklusive Notlügen", sagt er. Und dasselbe gelte für ihn auch für seine Musik, seine längste Beziehung. So verbiegt und verrenkt sich Jimi Jules auf Equinox nicht, um irgendjemandem zu gefallen. "Ein Album sollte etwas widerspiegeln und länger überdauern. Ich hätte natürlich irgendwelche Loops kaufen und daraus einen Hit basteln können, aber solche Songs sind vergänglich. Wenn ich eine Trompete oder einen Synthesizer selbst einspiele, klingen die Instrumente natürlich nicht perfekt, aber dafür viel mehr nach mir."

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Ich habe schon immer an Jimi Jules geschätzt, dass er nicht nur ein verdammt guter Mensch, sondern auch ein Vollblutmusiker ist, und darum halte ich so grosse Stücke auf ihn: Jimi Jules hat praktisch jedes Instrument auf Equinox—egal ob Trompete, Posaune, Gitarre oder Percussions—selbst eingespielt. "Mit den meisten Instrumenten habe ich so viel Zeit verbracht, jedes hat seine eigene Geschichte: Meine Freundin hat mir einen Shaker aus Kolumbien mitgebracht, viele Instrumente habe ich seit meiner Kindheit oder von meinem Grossvater erhalten." Gleichzeitig hat Jules einfach Talent: Für seine Masterarbeit gründete er 2012 die Band Le Dompteur, die eine tanzbare Mischung aus Electro und Indie spielte. Das Projekt mit Jimi Jules als Leadsänger, Gitarrist und an den Synths entwickelte sich im Nu zum Szenetipp und landete auf diversen Festivalbühnen.

Wenn die lokalen Radiosender ein wenig mehr Geschmack beweisen würden, könnte Jimi Jules schon längst zu den ganz Grossen im kleinen Schweizer Musikbusiness gehören. Aber ja, wenn BBC 1 einen Song eines Schweizers—also "Pushing On"—hoch und runter spielt und dieser Track die britischen Charts stürmt, muss das ja nichts heissen. Deshalb ist Jimi Jules das Paradebeispiel dafür, dass Schweizer DJs und Produzenten in Mainstream-Medien nicht ernst genommen werden. "Schweizer Radio wird halt von Margrit, Ueli und Hans konsumiert, und die wollen nicht irgendeinen Szene-Dude hören, der seinen melancholischen Sound macht."

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"Für mich ist es Genugtuung, wenn sich Menschen die Zeit nehmen, um die Platte durchzuhören. Dass Equinox ein Weltalbum wird, kann ich mir nicht vorstellen", sagt Jules. Viele hätten ihn zudem für verrückt erklärt, das Album bei einem so kleinem Label wie Zukunft Recordings zu releasen. "Dieselben Personen feiern und spielen gerade jeden Song und wollten mein Album nicht releasen." Und selbst bei Zukunft Recordings war anfangs kein Album geplant. Erst als Jimi Jules Alex Dallas und Kalabrese, die das Label führen, sein Material für eine geplante EP zeigte, stellten sie fest, dass in seinem Repertoire reichlich gutes Material für ein Album schlummert.

"Ich habe mir immer vorgestellt, eine Crew um mich herum zu haben—mit coolen Leuten, die ich gerne habe. So wie Keine Musik oder Cocoon gewesen und bekannt geworden sind. Also nicht einfach ein Label mit 1000 verschiedenen Künstlern, bei dem willkürlicher Sound rauskommt." Nun habe er genau das in Zukunft Recordings gefunden: einen Freundeskreis unter Musikern, die alle die gleiche Leidenschaft und Beziehung zur Musik pflegen—Musik vor Geld. Und deshalb könnte er sich auch nicht vorstellen, das Album woanders zu releasen.

Mittlerweile haben wir unser Frühstück schon fast vertilgt: Für Jimi Jules gabs ein Birchermüesli und einen Cappuccino, für mich Gipfeli, Konfitüre und auch einen Cappuccino. Während wir uns unterhielten, nahm Jimi immer mal wieder einen Löffel und machte Faxen, wenn er bemerkte, dass da ja nicht nur ich, sondern auch der Fotograf sitzt. "Du machst mich ganz nervös", betonte Jules immer wieder und streckte Jojo seine Zunge mit Birchermüesli entgegen.

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Obwohl er immer für einen Spass oder Lacher zu haben ist, hat Jimi Jules mit seinen 28 Jahren einen überraschend erwachsenen Blick auf seine Karriere und sein Schaffen—andere DJs versinken im gleichen Alter im Hedonismus oder überstrapazieren ihre Psyche durch exorbitantes Touren. "Vater zu werden hat mir geholfen, mehr Verantwortung für mich und das Leben zu übernehmen. Ich möchte meinem Sohn das bestmögliche Vorbild sein und, im Gegensatz zu vielen anderen Vätern, fast genau so viel Zeit mit ihm verbringen, wie es seine Mutter macht", sagt Jimi Jules. So müsse er einen Ausgleich zwischen Auftritten, Studioarbeit und anderen Projekten finden, der trotzdem zulässt, dass er Zeit für seinen Sohn hat.

Den Plan, nach Berlin auszuwandern, wo es sich als Musiker sicher einfacher leben liesse als in Zürich—"das Frühstück kostet das Vierfache, und es gibt nur die Hälfte dafür"—, hat Jimi Jules auch begraben. "Nach ein paar Monaten in der Hauptstadt habe ich gemerkt, dass es doch nicht das Wahre ist." So ging es mit seiner Freundin und ihrem gemeinsamen Sohn zurück in die Schweiz, aber nicht in die Stadt, sondern eine Kommune mit vielen Freunden ausserhalb von Zürich. Ich frage, ob es nicht bünzlig sei, aufs Land zu ziehen. "Natürlich ist das nicht bünzlig, du bist der Bünzli, dass du das denkst", sagt Jules neckisch.

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