Gabber-Glatzen und Einhörner: So war es auf der Syndicate in Dortmund

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Gabber-Glatzen und Einhörner: So war es auf der Syndicate in Dortmund

Ein Besuch in der deutschen Hardcore- und Hardstyle-Szene.

Als der Redakteur mich fragt, ob ich Lust habe zur Syndicate in Deutschland zu gehen, denke ich mir erstmal: Mehr als 20.000 Leute und Hardcore-Techno? Holy shit! Ich war zwar als Jugendlicher auf einigen Hardcore-Shows. Da waren aber selten mehr als 50 Besucher—und es war vor allem Hardcore-Punk.

Von Hardcore-Techno hingegen habe ich keine Ahnung. Ich finde die Musik eigentlich etwas anstrengend, monoton, viel zu schnell. Und die Fans? Naja, die, die ich erkenne, waren mir bislang eher suspekt. Vor allem die "Gabber-Glatzen", die man im Dortmunder Hauptbahnhof sieht, wenn Festivals wie die Syndicate stattfinden. Vielleicht sind das ja größtenteils total nette Menschen. Sie sehen nur oft so aus, als kämen sie direkt von einem Nazi-Aufmarsch der 90er Jahre. Graue Camouflagehosen und Bomberjacken, du weißt schon.

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Besucher Christoph: "Ein bisschen was zum Spaß-Haben, ein bisschen zum Wachbleiben, ein bisschen zum Tanzen …"

Aber geben wir dem Ganzen doch eine faire Chance. Zusammen mit einem Freund, Bier und einer Mischung aus Zitronenlimo und Hofer-Vodka mache ich mich am Samstagabend vor einer Woche auf den Weg. Syndicate ist das größte Festival für die Stile wie Hardcore und Hardstyle, und feiert in den großen Westfalenhallen mit Acts wie Angerfist oder Hardcore-"Erfinder" Marc Acardipane das Zehnjährige. Als wir an den Hallen ankommen, hat sich schon eine riesige Schlange vor dem Eingang gebildet. Nebenan auf dem Parkplatz feiern ein paar Atzen um ihr Auto verteilt ihre eigene Privatparty. Dazwischen läuft ein Typ in grün leuchtenden Schuhen, Handschuhen und Sonnenbrille mit einem Schnuller im Mund rum. Abgefahren.

50 Meter weiter diskutiert ein junger Brite gerade lautstark mit zwei Polizisten. "You can't arrest me, you don't have shit on me!", ruft er laut. Die beiden Cops sehen das offenbar anders und geben ihm zu verstehen, dass er nun gefälligst abhauen soll—wenn er nicht in einer Ausnüchterungs-Zelle landen will. Der lallende Hardcore-Fan wollte eigentlich nur kurz draußen eine rauchen. Dass er sich drinnen ein Bändchen kaufen muss, um wieder reingelassen zu werden, wusste er offenbar nicht. Bevor er schließlich in die Dunkelheit davon taumelt, ruft er noch: "I got fucking millions in my bank account! I am the brother of Connor McGregor!" Ob er wirklich der Bruder des irischen Ultimate Fighting-Stars ist, muss an dieser Stelle ungeklärt bleiben.

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Der Welteinhornkongress macht in Dortmund Station

Kurz darauf sind wir endlich drinnen. Angekommen im Epizentrum des deutschen Hardcores. Schon im Gang, der einmal rund um die Haupthalle führt, zeigt sich, dass das Publikum deutlich durchmischter ist, als ich erwartet hatte. Ja, da sind die Männer in Camouflagehosen und Hardcore-Shirts—und die Männer mit Camouflagehosen ganz ohne Shirt. Aber auch eine Gruppe, die Einhornkostüme trägt, und am Bierstand bestellt gerade jemand im aufblasbaren Weihnachtsmann-Outfit sein Pils. Und überall dazwischen stehen Menschen, die so gar nicht in irgend eine optische Schublade passen wollen.

Nachdem wir unten eine Runde gedreht haben, versuchen wir uns einen Überblick zu verschaffen: Wir gehen auf die Sitzplatzränge, nach ganz oben. Der beste Blick auf Bühne und Publikum. Als wir uns hier hinsetzen, beginnt DJ Mad Dog gerade sein Set. "Clap your hands!", schreit er uns durch sein Mikrofon an. Als er richtig loslegt, wird auch am hintersten Ende der Halle mein Magen massiert. Basslastige auf-die-Fresse-Musik mit einer sehr ansehnlichen Lasershow. Ich kann zwar noch immer nicht viel mit dem Sound anfangen—die Faszination für das Event aber schon jetzt, nach kurzer Zeit, verstehen.

Wieder im Foyer vor der Haupthalle angekommen, komme ich mit Anne und Anastasia ins Gespräch. Für Anne ist es ihre erste Hardcore-Party. Obendrein ist sie völlig nüchtern. "Ich habe aber trotzdem echt viel Spaß", sagt sie und ergänzt lachend: "Wir sind als Kinder in einen Drogencocktail gefallen, so wie Obelix. Darum brauchen wir heute nichts." Anastasia war zwar vorher schonmal auf einem Hardcore-Festival, ist aber sonst eigentlich eher Metal-Fan. "Aber hier ist die Stimmung auf jeden Fall freundlicher als bei Metal-Festivals", findet sie. "Da wird mehr Alkohol getrunken und die Mentalität ist viel verschlossener."

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Längst nicht alle sind hier so nüchtern, wie die beiden. Auf den hellen Gängen kann man die geweiteten Pupillen vieler Besucher sehen. Kombiniert mit einem unkontrollierten Kauen, oder leichten Zuckungen im Gesicht. Die vereinzelten Schnuller kommen nicht von ungefähr. Auf einem Pissoir auf dem Herrenklo stützt sich ein Mann Mitte 20 mit seiner Stirn ab. Um seinen Mund hat er weißen Rotz. Spucke, Tollwut, Speed? Man weiß es nicht. Als er sich gerade wieder aufraffen kann, geht er an den beiden jungen Männern vorbei, die zu zweit in der Kabine nebenan verschwinden.

Auch Besucher Christoph und seine Freunde wirken nicht unbedingt nüchtern. Sie stehen als Gruppe im im Eingangsbereich, erholen sich vom Tanzen. Als ich ganz indiskret frage, was sie so geschmissen haben, sagt er: "Ein bisschen was zum Spaß-Haben, ein bisschen zum Wachbleiben, ein bisschen zum Tanzen. Alles Mögliche eigentlich!"

Nicht nur die Polizei, die die An- und vor allem Abreisenden kontrolliert, interessiert sich für den Drogenkonsum auf dem Festival. Auch der Münsteraner Verein eve&rave hat einen Stand auf der Syndicate. Der Verein macht schon seit 20 Jahren ehrenamtliche Drogenpräventionsarbeit. Das heißt aber nicht, Partygängern ihren Drogenkonsum auszureden, wie Thorsten aus dem Team erklärt. "Es geht darum, objektiv über die Wirkweise aufzuklären", sagt der promovierte Neurobiologe. Auf Partys beantworten die Ehrenamtler, die selber aus der Techno-Szene kommen, alle möglichen Fragen. Zum Beispiel zu Dosierung, Mischkonsum und Gesundheitsrisiken.

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Am Stand von eve&rave, ist wie bei uns das checkit!

Ein paar Stunden auf der Syndicate sind um und ich bin positiv überrascht. Mit einem großen Teil der Musik kann ich zwar immer noch nichts anfangen. Dafür ist das Publikum deutlich entspannter, als ich gedacht hatte. Nicht eine Schlägerei habe ich gesehen und hatte stets das Gefühl, dass alle ziemlich friedlich und gut drauf sind. Vielleicht liegt das tatsächlich daran, dass hier weniger gesoffen und mehr geschmissen wird? Ich weiß es nicht.

Natürlich laufen auf der Syndicate jede Menge Leute rum, die mir erstmal ziemlich unsymphatisch sind. Und dass Teile der Hardcore- und Gabber-Szene ein Naziproblem haben, zeigt sich schon daran, wieviele Atzen mit Hardcore-Jacken man auf rechten Demos sieht. Aber das ist natürlich nur ein Teil der Szene—und vermutlich nicht der größte, auch wenn er mir als politisch interessiertem Journalisten am ehesten auffällt. Die Leute, mit denen ich auf der Syndicate darüber gesprochen habe, halten dieses Bild des Hardcore-Nazis auf jeden Fall für ein Vorurteil. Christoph zum Beispiel sieht ganz andere Probleme in der Szene: "Durch den ganzen Kommerz ist das alles nicht mehr so geil wie früher."

Noch mehr GIF und Fotos nachfolgend:

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Anastasia (links) und Anne: "Wir sind als Kinder in einen Drogencocktail gefallen, so wie Obelix. Darum brauchen wir nichts."

Fotos: 10 Jahre Syndicate. 10 Jahre Hardcore LIVE. Alle Fotos und Aufnahmen vom Autor. Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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