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Exklusive videopremiere

"Für Fremdenfeinde und Rassisten hat es in diesem Land keinen Platz" – Die Kummerbuben über ihr neues Video

Mit "Oberwil-Lieli" besingt die Berner Band die Hauptstadt eines neuen Landes innerhalb der Schweiz, das den Idealen der Rechten und Konservativen entspricht. Wir haben mit Sänger Simon Jäggi über das Musikvideo und Politik geredet.

Oberwil-Lieli hat dank den Vorstössen seines Gemeindeammanns Andreas Glarner schweizweit fragwürdigen Ruhm erlangt. Die Berner Band Kummerbuben widmet dem Städtchen im Kanton Aargau nun ein eigenes Lied. Darin schlägt Frontsänger Simon Jäggi ein neues Land innerhalb der Schweiz vor, zu dessen Hauptstadt Oberwil-Lieli ernannt wird.

Wir präsentieren den Song und das Video zu "Oberwil-Lieli" (Video: Yannick Mosimann) heute als exklusive Premiere und haben aus diesem Anlass Kummerbuben-Frontmann Simon Jäggi zu einem Gespräch getroffen, in dem er über die Motivation hinter dem Song spricht.

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Noisey: Warum habt ihr gerade jetzt genau diesen Song gemacht?
Simon Jäggi: In meinem Umfeld herrscht im Moment ein Empfinden vor, dass es langsam aber sicher nötig ist, sich zu positionieren und Farbe zu bekennen. Ich beobachte eine vermehrte Politisierung in Künstlerkreisen, was bestimmt eine Gegenreaktion auf den steigenden Druck aus dem rechten Lager ist. Die Schweiz spaltet sich immer mehr zwischen einem urbanen, toleranten und weltoffenen Lager und einem eher ländlichen, konservativen und verschlossenen Lager auf. Die Reaktionen des zweiten Lagers auf die Realitäten der Flüchtlingskrise waren für mich so schockierend, dass ich mich gefragt habe, ob ich mit solchen Menschen überhaupt noch im gleichen Land leben möchte.

Macht dir das Erstarken von rechtspopulistischen Parteien Angst?
Angst wäre mit Bestimmtheit die falsche Reaktion. Diesen Entwicklungen muss entschlossen entgegnet werden. Ich bin aber keineswegs nur pessimistisch. Ich glaube die rechtskonservative Bewegung trägt grosse Widersprüche in sich, die Leute werden mit der Zeit merken, dass sie für dumm verkauft werden. Ein Beispiel: Einerseits wird uns von diesen Kreisen erzählt, wie gefährlich der Islam sei, die selben Kreise ermöglichen es aber andererseits der Rüstungsindustrie Kriegsmaterial nach Saudi-Arabien zu verkaufen, einem Staat, der foltert und den Koran ähnlich auslegt wie der IS. Irgendwann wird auch die Jugend erwachen, da bin ich fast sicher.

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Glaubst du nicht, dass das noch zu einer stärkeren Verhärtung der Fronten führt?
Ich bin grundsätzlich als Mensch auch so eingestellt, dass ich gegen das Bilden von Fronten und für den Dialog, den Austausch und das Miteinander bin. Nur hat sich der Ton aus der  rechtskonservativen Seite extrem verschärft und ich glaube, dass es in solchen Zeiten wichtig ist, Grenzen aufzuzeigen und gegen gewisse Entwicklungen auch aufzustehen.

Aber ich möchte ehrlich gesagt keine politischen Analysen machen. Das überlasse ich gerne den Politikern und Journalisten, die das viel besser können. Ich bin Musiker und ich verstehe es als einen Teil meiner Rolle, gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen, den Menschen ein gewisses Gefühl zu geben oder sie in einem Gefühl zu bestätigen.

Findest du die grossen Schweizer Musik-Acts äussern sich genug explizit zu diesen Themen?
Nein, finde ich nicht. Es sind immer ähnliche Künstler, von denen man es auch erwartet, die sich zu diesen Themen äussern oder Stellung nehmen. Ich erachte es zwar als sehr wichtig, dass du als Künstler Bezug darauf nimmst, was um dich herum passiert. Es kommt aber leider zu oft vor, dass politische Äusserungen in der Kunst oft die Ästhetik leiden lassen. Und genau hier besteht wohl die Schwierigkeit: Es ist ein schmaler Grat Kunst zu machen, die zwar politische Relevanz hat, aber nicht lehrerhaft oder besserwisserisch rüberzukommen. Ich glaube, du solltest als Künstler auch eine gesunde Distanz zu institutioneller Politik – also zum Beispiel zu Parteien – haben. Aber um auf deine Frage zurückzukommen:Ich kann unsere Wichtigkeit ja auch einschätzen: Wenn wir Kummerbuben mal so ein Lied machen, bringt wahrscheinlich eher wenig. Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn sich die ganz grossen Acts in der Schweiz stärker positionieren würden. Ich glaube, sie könnten mit ihrer grossen Reichweite verschiedenste Menschen erreichen.

Im Lied "Oberwil-Lieli" schlägst du vor, dass die Rechtskonservativen ein eigenes Land innerhalb der Schweiz gründen könnten. Wie sähe denn der Alltag in diesem Land aus?
Naja, das Radio würde den ganzen Tag nur Trauffer und Gölä spielen. Im Fussball wäre dieses Land wahrscheinlich nicht ganz so erfolgreich, wie es die Schweizer Nationalmannschaft ist. Vielleicht könnte dieses Land im Ski-Sport das Niveau halten. Ich glaube, dieses Land wäre nicht besonders kreativ und hätte keinen wirklich interessanten künstlerischen Output. Ich glaube, es wäre ein eher eintöniges, langweiliges und graues Land. Mit Andreas Thiel hätten sie zumindest noch einen Staatskomiker. Aber hey, der Steuerfuss, der wäre bestimmt sehr tief.

Und wie sollte das Land ausserhalb von Oberwil-Lieli deiner Meinung nach aussehen?
Ich bin natürlich explizit dafür, dass es in diesem Land verschiedene Meinungen und Ansichten geben soll. Da gehören Bürgerliche, Linke, Progressive und Konservative dazu. Aber man muss das Kind beim Namen nennen: Für Fremdenfeinde und Rassisten hat es in diesem Land keinen Platz. Man muss sich klar werden: Migration ist kein Problem. Es ist ein Teil der Menschheitsgeschichte und auch ein realer Teil der schweizerischen Geschichte. Dieses Land war bis vor 100 Jahren ein Land, aus dem ganz viele Menschen in die Welt gezogen sind, um sich ein besseres Leben aufzubauen. Man muss das mal ganz explizit festhalten: Die Schweizer waren lange Zeit ein Volk von Wirtschaftsflüchtlingen. Und es ist ziemlich absurd, dass genau die Rechtskonservativen genau diese Realität komplett ausblenden und so tun, als wäre dem nicht so.


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