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Das habe ich gelernt, als ich ohne Geld, Zelt und Schlafsack aufs Frequency gefahren bin

Unser Autor hasst sich wahrscheinlich selber, anders können wir uns diese Idee nicht erklären.

Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Christopher Glanzl

Alle Geschichten zum Frequency 2016 findet ihr hier—und bei unseren Kollegen von VICE.

Der erste Tag nach dem Frequency ist immer der Tag, an dem ich mir schwöre, nie wieder aufs Frequency zu fahren. Mein Körper sehnt sich nach drei oder vier Tagen Selbstzerstörung einfach nur nach Schlaf und irgendwas Gesundem. Und jedes darauffolgende Jahr leide ich anscheinend an akuter Amnesie, denn plötzlich stehe ich doch wieder mit Glitzer im Gesicht und Bier in der Hand vorm Wavebreaker und sehe mir sowas wie die Sportfreunde Stiller an.

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In diesem Jahr war mein Gedächtnisverlust besonders schwerwiegend: Ich habe mir nämlich vorgenommen, ohne Zelt, Schlafsack und vorerst auch Geld nach St. Pölten zu fahren, um zu sehen, ob ich überlebe.

Tag 1

Was ich mir da mit meinen gebrechlichen 26 Jahren vorgenommen habe, realisierte ich erst so richtig, als ich ohne Wasser und kurz vor meinem ersten Hitzeschlag in der Schlange zum Shuttlebus stand. Ich habe mir erst vor ein paar Tagen einen sechs Millimeter-Haarschnitt verpasst, erst in der Schlange fiel mir auf, wie empfindlich Kopfhaut eigentlich ist.

Foto von Hanna Herbst

Das bedeutete zwei Aufgaben für mich, die mir mit Geld in der Tasche kein Problem bereiten würden: Eine Kopfbedeckung und Wasser mussten her. Das Kahlkopfproblem löste ich mit der Weste eines Freundes, die ich mir überwarf, aber mir war klar, dass ich damit das Problem nur vor mich herschob, denn irgendwann musste ich die temporär umfunktionierte Weste ja wieder abgeben.

Trotzdem überließ ich vorerst Future-Benji dieses Problem. Das mit dem Wasser ging dann noch ein bisschen unkomplizierter: Nach einem ergebnislosen und ein bisschen beschämenden Blick in die nächste Mülltonne entdeckte ich ein alleingelassenes und noch verschlossenes 6er-Tray Mineralwasserflaschen am Boden. Normalerweise würde ich fragen, ob einer der um mich anstehenden Menschen Besitzer der Flaschen sei, aber ich hatte nur meine verdurstete Leiche vor Augen und krallte mir eine Flasche, ohne meine Manieren zu bewahren. Von da an wusste ich, dass ich vermutlich sehr viel mehr Festivalkriminalität begehen werden müsste, um zu überleben.

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So sieht wasserflaschenlose Verzweiflung aus.

Am Gelände angekommen suchte ich in weiser Voraussicht ein Versteck für meine wertvolle Wasserflasche. Zu den Bühnen darf man solche Wasserflaschen nicht mitnehmen. Entschlossen habe ich mich für ein Versteck unter einer Brücke hinter einem der Brückenpfeiler. Mein Stolz über diesen genialen Einfall hielt genau bis zum nächsten Tag, als mein verkatertes Ich die Flasche abholen wollte und nur einen Wasserflaschenlosen Pfeiler wiederfand. Zum Glück stellte sich aber recht schnell heraus, dass es das geringste meiner Probleme ist, Getränke aufzutreiben. Am Campingplatz funktioniert Wasser- und Bierbeschaffung ungefähr so:

Ich: "Hey!“
Random Festivalgast: "Hi!“
Ich: "Hast du zufällig ein Bier für mich?“
Gast: "Sicha.“

Die Essensfrage war allerdings nicht so einfach gelöst. Ja, Briochebrötchen und Cabanossi-Würste lassen sich auch recht einfach auftreiben, aber ich war mir sicher nach drei Tagen dieser Ernährung einen death by Brioche zu sterben. Ich brauchte eine Möglichkeit, an Geld zu kommen.

Um die Geschichte nicht unnötig in die Länge zu ziehen, sagen wir einfach, ich habe es durch die Kraft der Freundschaft geschafft, ein übriggebliebenes VIP-Ticket aufzutreiben, das ich für 130 Euro am Eingang verscherbelte. Es dauerte zwar etwa zwei Stunden, jemanden zu finden, der mir das Ticket um den Preis abnahm. Aber ich fand in der Zwischenzeit in einsames Kapperl mit "Flixeder Landtechnik“-Aufschrift und ich konnte mir die Zeit mit Diskussionen über Jesus mit den Menschen vom Jesus-Bus ein bisschen vertreiben. Außerdem habe ich lustige Bücher über Sex und Drogendealer bekommen, die mich wahrscheinlich zu einem besseren Liebhaber und Geschäftsmann machen werden.

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Auf jeden Fall war ich kurzzeitig glücklich. Mit 130 Euro im Geldbörsel sicherte ich zumindest die Trink- und Essenssituation ab. Das Zelt und der Schlafsack fehlten aber immer noch und nach Bilderbuch machte ich mir langsam Sorgen. Wo zur Hölle sollte ich schlafen? Ich hatte den Campingplatz gesehen und gerade erst fing es zu regnen an. Regen plus Zeltplatz triggerten in mir Erinnerungen an das Frequency 2008, als mein Zelt unter Wasser stand und ich mir nicht mehr sicher war, ob ich dort noch lebend rauskommen würde. Also gab ich nach dem Headliner klein bei, investierte einen Teil meines verdienten Essensgeldes in ein Zugticket und verbrachte die erste Nacht in Wien. Aber ich schwor mir, die nächsten Tage kein Feigling zu sein und zumindest die übrigen zwei Nächte irgendwo am Festivalgelände zu verbringen.

Tag 2

Tag zwei musste nach einer solchen Niederlage mit einem Knall beginnen. Also schleuste ich mich bei einem Flunkyball-Spiel ein. Ich war motiviert, ich war fit, es konnte nichts schief gehen. Mit konzentriertem Blick warf ich den Ball mehrere Male Richtung meines Zieles—der Wasserflasche—, um meinem Team die gewinnbringenden Bierschlücke zu verschaffen. Die Regeln sind etwas zu kompliziert um sie hier ausführlich zu erklären, aber lasst euch sagen, dass ich ein völliger Versager in dem Spiel bin. Wenn ihr mich nächstes Jahr—ja, natürlich werde ich nächstes Jahr wieder am Frequency sein—nach einer Runde Flunkyball fragen seht, dann lauft. Lauft schnell und weit, denn ich bin der schlechteste Flunkyball-Spieler im Land.

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Was aussieht wie ein Regentanz, ist eigentlich ein kläglicher Versuch, die Flunkyball-Wasserflasche wieder aufzustellen.

Schwitzend aber glücklich—das Bier schmeckte schon wieder—erlöste ich mein Team schließlich von den Qualen, mit mir zu spielen und entschloss mich dazu, in die kalte Traisen zu springen. Weil ich den beißenden Festivalgeruch schon etwas zu sehr angenommen hatte, fragte ich nach Duschgel und entstieg schließlich sexy wie Halle Berry aber ein bisschen betrunkener aus dem Wasser. Der Tag begann gut, er ging weiter mit noch mehr Bier, den Foals und Anderson .Paak. Recht viel mehr gab das LineUp an diesem Tag nicht für mich her und für meine Freunde auch nicht, also verschwanden sie nach dem letzten Act.

Einer meiner Leute war noch freundlich genug, mir seinen Autoschlüssel zu überlassen. Ich hatte also eine Schlafmöglichkeit, aber ich stand alleine da, vor mir der Nightpark mit irgendwelchen Dubstep- und Drum’n’Bass-Acts. Zwei Genres, die ich zutiefst verabscheue. Ich entschied mich gegen Eskalation und für ein Schläfchen am Boden des Nightparks. Es war wenig genug los, um in einer Ecke der riesigen Halle einen Platz zu finden. Leider weckten mich nach einer halben Stunde die Sanitäter und fragten, ob ich noch lebe.

Kurz vor meiner Reinkarnation.

Die restliche Nacht verbrachte ich dann noch kurz zwischen unmotivierten Jugendlichen, die versuchten, sich zu Dubstep zu bewegen und im Auto meines Freundes. Es dauerte noch ein oder zwei Stunden bis zum Sonnenaufgang und es war saukalt. Decke gab es keine, also zog ich ich mir die zwei Warnwesten über und versuchte mir einzureden, dass es schon viel wärmer sei. Am nächsten Morgen küsste mich die aufgeheizte Luft im Auto munter, ich starb aus dem Auto heraus und direkt auf die kühle Wiese.

Mein Nachbar war schon munter und in seiner Lederhose begrüßte er mich recht freundlich. Ich erwiderte nur, ob er Zahnpasta für mich übrig hätte. Während ich versuchte, den mühsam angesammelten Zahnbelag des Vortages abzukriegen, erzählte mir mein Lederhosennachbar davon, wie scheiße es nicht gestern im Nightpark gewesen sei. Ich stimmte zu und er führte weiter, dass er zum Glück noch ein bisschen Speed und MDMA dabei habe, sonst würde er das alles nicht mehr packen. Ich nickte verständnisvoll. Ich verbrachte anschließend die meiste Zeit im Auto und beim Kika am Klo, weil meine Leute erst spät am Nachmittag aufkreuzten. Bis auf einen furchtbaren Kater, ging’s mir ganz gut. Bier konnte ich auch beim Nachbarn auftreiben.

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Tag 3

Endlich ein guter Grund für die gesetzlich vorgeschriebenen Warnwesten.

Es war der letzte Tag und das Geld schon knapp, aber für die ekligsten Asia-Noodles aller Zeiten reichte es noch und es gab ja noch genug Markenstände, an denen man sich genug gratis Zeug verschaffen konnte, um noch Wochen zu überleben. Die letzte Nacht verbrachte ich bis zum Ende im Nightpark, weil ich Kaytranada, Hudson Mohawke und Alex The Flipper ziemlich gut finde und meine Beine sowieso nicht mehr spürte.

Rückblickend muss ich sagen, dass ich echt schon bessere Ideen hatte, als ohne Zelt und Geld auf ein Festival zu fahren. Vor allem, wenn wir vom Frequency sprechen. Die Leute sind hundert Jahre jünger als ich und ich verstehe ihre Sprache so gut wie nicht mehr. Ich schwöre, dass das mein letztes Frequency war. Wer mir nächstes Jahr diesen Artikel ausgedruckt am Frequency in die Hand drückt, dem gebe ich aber trotzdem ein Bier aus.

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