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"Ich wünschte, es gäbe ein Frequency im Iran"

Würdest du in einem Land leben wollen, in dem Musik verboten ist?

Foto von Christopher Glanzl

Aus der VICE-Kolumne "Journalisten nach der Flucht“
In dieser Reihe schreiben geflüchtete Journalisten über ihr neues Leben in Österreich.

Alle Geschichten zum Frequency 2016 findet ihr hier—und bei unseren Kollegen von VICE.

Ich hatte letztens ein Treffen mit Christoph, der die Kolumne "Journalisten nach der Flucht" betreut. Wir redeten wie zwei Journalisten, wie Kollegen. Aber ich konnte mir vorstellen, dass er mich nicht richtig versteht, ihn meine Worte nicht berühren. Manche Dinge kann man als Außenstehender einfach schwer begreifen. Mein Freund Christoph wollte wissen, warum Iraner ihr Land verlassen. Warum fliehen oder migrieren sie nach Europa? Ich sammelte eine ganze Reihe von Gründen, dachte mir dann aber: "Macht das alles das Problem besser verständlich?“ Vielleicht nicht ganz.

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Deshalb fragte ich Christoph, ob er schon mal etwas von iranischen Festivals gehört hat. Er schaute mich verwundert an. Er dachte wohl, ich lenke vom Thema ab. Ich erzählte ihm, dass in meiner Stadt alleine im vergangen Jahr zehn Mal Konzerte abgesagt wurden. Mullahs und Clergymen (religiöse Gelehrte) haben einige Veranstaltungen abgesagt, einige wurden von extremistischen islamischen Gruppen verhindert. Christoph war plötzlich sehr überrascht, er konnte sich nicht vorstellen, dass ein paar Personen ein fremdes Festival einfach absagen können.

Christoph erzählte mir von österreichischen Festivals, vom Novarock und Frequency. Eines der größten Festivals Europas, das Donauinselfest, habe ich selbst im Juni erlebt. Könnt ihr euch vorstellen, dass ein Festival, das angeblich 2 Millionen Menschen besuchen, einfach einen Tag davor abgesagt wird, weil es einem Priester nicht gefällt? Könnt ihr euch vorstellen, das einfach hinzunehmen? Im Iran hätte man in diesem Fall kein Recht zu protestieren oder darüber zu berichten.

Der Autor. Foto von Pegah Fatemi

Als ich über die Donauinsel schlenderte, konnte ich mir nicht wirklich vorstellen, dass die Österreicher das verstehen. Dafür ist die Kultur, unsere Geschichte zu unterschiedlich. Ich sprach in Wien auch mit Keyhan Kalhor, einem berühmten iranischen Musiker. Im Iran wurde eines seiner Konzerte von radikalen Muslimen abgesagt, weil diese befürchteten, Frauen würden beim Tanzen ihren Schleier ablegen. Die iranischen Gerichte bestätigten diese Entscheidung sogar und sagten der Iranian News Agency (ISNA): "Wir erlauben Männern und Frauen nicht, gemeinsam zu tanzen!“

Im Iran ist so vieles verboten. Musikinstrumente sind untersagt, ja, sie sagen, Musik ist verboten. Gleich wie Tanzen und Singen für Frauen. Christoph glaubte mir all das nicht ganz. Aber es ist noch viel mehr verboten. Etwa Partys, auf denen getanzt und gesungen werden könnte. Vor wenigen Monaten las ich eine Stellungnahme der Polizei in Teheran: "Wir haben zehn Partys in Teheran identifiziert. Über hundert Personen wurden festgenommen.“

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Fernsehsender und Zeitungen werden angehalten, nicht über Konzerte zu berichten—weder dass sie stattfinden, noch dass sie abgesagt werden. Die Leute informieren sich über Viber und Telegramm-Gruppen: "Konzert abgesagt. Nicht kommen!“. Vielleicht ist das der Grund, warum ein berühmter Religionsgelehrter einmal sagte: "Das Internet hat die Atmosphäre im Iran verunreinigt.“

Christoph konnte das noch immer nicht ganz begreifen. Was man noch nie erlebt hat und für unvorstellbar haltet, kann man eben schwer verstehen—vor allem so etwas Abstraktes wie die Gründe, das eigene Heimatland zu verlassen. Ich erzählte ihm von Maziyar Falahi, einem iranischen Popsänger. Zuletzt wollte er in Yazd, einer iranischen Stadt, auftreten. Aber er konnte nicht einmal den Flughafen verlassen. Er wurde angegriffen und ihm wurde gedroht, er solle wieder zurückfliegen. Im Iran überrascht das niemanden. Wir haben so etwas schon so oft erlebt.

Deshalb gibt es im Iran eine echte Underground-Szene. Das heißt, dass die Musiker im Geheimen texten, musizieren, aufnehmen und dann ohne Genehmigung ins Internet stellten. Alle iranischen Rapper machen das, weil sie weder aufnehmen noch auftreten dürfen. Könnt ihr Österreicher euch das vorstellen? Ich glaube nicht. In Wirklichkeit trennt uns aber nur der Geburtsort. Dieser "geografische Zwang“, sich so zu benehmen wie die Leute deiner Umgebung, führt bei manchen zur Flucht—in eine Straße weiter, in eine andere Stadt oder in ein anderes Land.

Wenn ich mich an das Donauinselfest erinnere, wünsche ich mir, ich könnte mehr solche Festivals besuchen. Ich würde gerne mal auf das Frequency gehen. Aber noch mehr wünsche ich mir, dass es solche Festivals auch bald im Iran gibt. Die meisten der 80 Millionen Iraner wollen glücklich und frei leben. Und sie müssen auch mal musizieren, singen und tanzen.

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