"Das österreichische Musikbusiness ist eine riesengroße Burschenschaft" –
 Rapperinnen über ihre Szene
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"Das österreichische Musikbusiness ist eine riesengroße Burschenschaft" – Rapperinnen über ihre Szene

Wir haben uns mit Frauen aus dem österreichischen HipHop getroffen und über eines der leidigsten Themen ever gesprochen.

Die schlechte Nachricht zuerst: Wir sind im Jahr 2018 und dieser Artikel existiert leider noch immer. Der Weltfrauentag ist heute und aus der Mainstream-Nachrichtenwelt ist das Thema Frauenquote oder Equal-Pay-Day trotzdem nicht präsent genug. Die sagenumwobene Gleichstellung von Mann und Frau ist in vielen Bereichen immer noch genau das: ein Märchen. In der Musikwelt spiegelt sich dieses schiefe Gesellschaftsbild wider. Beispiele: Die Frauenquote auf Festivals dümpelt oft immer noch irgendwo im einstelligen Prozentbereich herum und dass beim Amadeus Award im Bereich HipHop noch nie (!) eine Frau auch nur nominiert wurde, ist symptomatisch für das ganze Genre. Dame kommt mit seinem Namen einer Frau noch am nähesten. HipHop hat einfach ein Problem mit Frauen. Das sieht man an den Texten, in denen Frauen (aka "Bitches") zu Objekten degradiert werden, oder bei den Hate-Kommentaren im Internet, die sich oft nicht auf die Skills, sondern nur das Äußere beschränken. Wir haben Mieze Medusa, Yasmo, Mag-D, Nora MC, Miss Def und Mavi Phoenix eingeladen, um darüber zu diskutieren, mit welchen Problemen man als Frau heute noch im HipHop konfrontiert wird und gefragt, ob es auch eine gute Nachricht gibt.

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Warum gibt es so wenige Frauen im österreichischen HipHop?

Warum findet man im HipHop, einem der spannendsten Musikgenres der letzten Jahre, so wenige österreichische Frauen? Mieze Medusa spricht Rap einerseits einen für Frauen unattraktiven Ruf zu. Das Genre zeichne sich für viele nur durch Frauenfeindlichkeit, Machogehabe und Gepose aus. Es ist nicht gerade einladend dort einzusteigen, wo man damit rechnen muss, nicht wie ein Mensch behandelt zu werden. Neben Autos sind Frauen in Gangster-Rap-Videos immer noch hauptsächlich Prestigeobjekte.

Andererseits werden Frauen so erzogen dass sie stets Perfektion anstreben müssen, um gut zu funktionieren, meint Mieze. Das schafft Barrieren im Kopf. Einfach mal auszuprobieren sich auf die Bühne zu stellen und sich damit für Kritik zu öffnen, wird dadurch nicht einfacher. Mag-D drückt das so aus: "Ich glaube, dass Frauen schon von der Erziehung her nicht so selbstbewusst erzogen werden, dass sie sich was trauen und ihren Traum leben sollen. Da werden heutzutage die Männer eher noch gepusht. Frauen sind eher in einer unterstützenden Rolle." Miss Def glaubt, dass viele Mädels lieber einen Rapper anhimmeln, als sich selber auf die Bühne zu stellen und damit eine untergeordnete Rolle einzunehmen.

Die Hindernisse in so ein Genre einzusteigen waren für Mavi Phoenix, der Jüngsten unter den Diskutierenden, immer schon egal: "Ich hab schon mitbekommen dass HipHop männerdominiert ist, aber für mich war das keine Barriere. Ich habe mich nicht damit auseinander gesetzt, was das politisch bedeuten könnte." Aus den Gesprächen hört man heraus, dass vor allem Beständigkeit, Selbstbewusstsein und Netzwerken letztendlich dazu führen, sich in diesem geschlechtsunabhängig harten Milieu durchzusetzen.

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Ohne Netzwerken geht nichts

Ohne Netzwerke funktioniert im HipHop genau so wenig wie in allen anderen Businessbereichen. Erfolg sieht man viel schneller, wenn man den richtigen Leuten auf die Schulter klopft und sich gegenseitig weiterempfiehlt, aka in den Arsch kriecht. Im österreichischen HipHop fehlt es vor allem an Produzentinnen, an die sich Rapperinnen wenden können, wenn sie einen Beat brauchen. Durch den Mangel an weiblichen Produzenten wendet man sich als female MC eben an Männer. Professionelle Zusammenarbeit kann sich dadurch manchmal als sehr mühsam herausstellen. "Mir ist das oft passiert, dass ich mir nicht sicher war, ob ich jetzt mit jemandem arbeite oder auf ein Date gehe. Und das ist unglaublich nervig", erzählt Yasmo. Arbeit und Flirt zu trennen fällt Männern oft schwer. Aber zum Glück sind nicht alle Männer Schweine. Tenderboy, Bacchus, Selbstlaut, Serial G und Kid Pex wurden von der Runde gelobt, falls ihr auf der Suche nach guten Produzenten und Rappern seid. Man kann es natürlich auch einfach wie Mavi Phoenix machen und entweder selber Beats bauen oder durch fast übertriebene Selbstsicherheit an Produzenten herantreten: "Beim Verkaufen war ich schon immer sehr dreist. Ich hab immer gesagt: ‚Hey wenn ihr das nicht checkt, dass das geil ist, ist das euer Pech. Ich werde sowieso jemanden finden und mein Ding machen‘."

Aber nicht nur bei der Musikproduktion fehlen Frauen. Im österreichischen Musikbusiness – vor allem im Booking- und Veranstaltungsbereich – findet man nach wie vor fast ausschließlich Männer an den Spitzenpositionen. Dort als Frau weiterempfohlen zu werden, ohne lediglich die Quote zu bedienen, ist dementsprechend schwierig. "In Österreich sind das lauter männliche Veranstalter, die ihre männlichen Kollegen weiterempfehlen. Das ist eine riesengroße Burschenschaft im Prinzip. Das ist jetzt sehr extrem ausgedrückt, aber so funktioniert‘s", sagt Yasmo weiter.

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Wer sind die Vorbilder der Vorbilder?

"Als ich mit 15 angefangen hab HipHop zu hören, war das überhaupt kein Thema, dass es Frauen im HipHop gibt. Ich habe selber nur Sachen gehört, die zu 99 Prozent männerdominiert waren. Dann gab es einen Sampler, auf dem eine Frau drauf war, und zwar die Nora MC. Das hat mich zutiefst beeindruckt. Da dachte ich, dass ich das jetzt auch probieren muss", erinnert sich Miss Def. Auch den anderen Mitgliedern von MTS – Nora MC und Mag-D – erging es ähnlich. Es gab einfach keine Künstlerinnen, an denen sie sich orientieren konnten. Männliche Kollegen oder Internetforen wie hiphop.at haben diese Rolle teilweise übernehmen müssen. Heute wollen sie diese Personen sein. In Workshops bringen sie jungen Mädchen bei, ihre Probleme mit Hilfe von Rap-Texten Ausdruck zu verleihen, oder einfach nur an ihren Tanzskills zu arbeiten.

Für Mavi Phoenix war es schon etwas einfacher: "Jetzt gibt es schon auch weltweit Mädels, die ihr Ding machen. Ich hab bei – das ist vielleicht ein bisschen peinlich – Iggy Azalea mitbekommen, dass sie mit 16 angefangen hat ihre Sachen zu verschicken. Für mich gab es da auch einfach mehr Vorbilder, als bei euch." Hier soll noch angemerkt werden, dass sie mehr auf ihre Geschäftsmethoden steht, als auf ihre Musik.

"Du bist so scheiße, was machst du überhaupt?" – Das Internet

Ob das Internet nun mehr Träume zerstört, als es Möglichkeiten schafft, weiß niemand so genau. Unter dem Schutz der Anonymität fällt es den Hatern leicht, ihre eigenen Unsicherheiten in der Form von Beleidigungen auf andere zu übertragen. "Manchmal freut man sich ja schon wenn der Hate nicht gegen das Aussehen, sondern gegen die Skills geht", sagt Yasmo halb im Scherz. Für Mavi Phoenix war das Internet essenziell für ihren Einstieg in das Musikgeschäft: "Meine Türen haben sich nur durchs Internet geöffnet. Ich war zuhause, hab produziert und das ging alles dann ins Internet. Hab dort auch meine Co-Produzenten gefunden. Aber eben auch wahnsinnig viel Hate. Mit 16 habe ich einen Song hochgestellt und da kamen dann Sachen wie ‚Du bist so scheiße, was machst du überhaupt?‘, ‚Stirb‘ und solche Sachen. Ich hab zwar das Video gelöscht, aber ich hab trotzdem weitergemacht. Positives Feedback gab es lange keines, nur vereinzelt von Leuten. Aber man muss sowieso wahnsinnig an sich selber glauben. Jetzt ist das Feedback überwiegend positiv." Für Mavi kommt der Erfolg durch übertriebenes Selbstbewusstsein: "Ich denke, man muss sogar ein bisschen zu viel an sich glauben, damit die Leute das checken. Ihr checkt nicht, was ich mein! Ich schaff das, Oida!"

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Fazit

von links nach rechts: Mag-D, Mieze Medusa, Yasmo, Mavi Phoenix, Miss Def, Nora MC

Bevor wir die Gesprächsrunde starteten wurde ich argwöhnisch gefragt, was ich mir denn davon erwarte und wie der Artikel aussehen wird. Die schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit und der falsche Umgang mit dem Thema haben dafür gesorgt, dass die Mädels es sich zweimal überlegen, ob sie für diesem Thema ihre Stimme leihen. Zu oft werden Frauen in der Presse immer noch in die Opferrolle gedrängt, auch wenn die Absichten des Autors vielleicht gut gemeint waren. Leider ist das Gegenteil von gut eben gut gemeint.

In der Diskussion fiel mir jedoch auf, dass sich alle in so gut wie allen Punkten einig waren und Probleme oft an Ursachen festmachten, die sie nicht kontrollieren können: Erziehung, das männerdominierte Musikbusiness, gesellschaftliche Vorurteile gegen Rap. Für mich entstand dadurch der Eindruck, dass zwar Veränderung nötig ist, ein richtiger Drang nach Verbesserung sowie handfeste Vorschläge zur Änderung der präkeren Situation, fehlen aber. Weil es eben nicht in ihrer Macht liegt. Wie bringt man junge Frauen dazu sich zu trauen HipHop zu machen? Wie kann man das Image von Rap so drehen, dass es auch für Frauen attraktiv ist? Natürlich ist es wichtig erkennen zu können, welche Missstände die österreichische HipHop-Szene plagen. Sich allerdings nur darüber zu echauffieren, ohne konstruktive Ideen miteinzubringen, hilft nicht. Mavi Phoenix hatte mit ihrem selbstbestimmten Auftreten für mich die sinnvollste Herangehensweise an ein Problem das keines mehr sein sollte. Sie scheißt darauf welche Hindernisse es möglicherweise geben könnte und sagt: "Ich schaff das, Oida." Das verdient Respekt, ich werde mir das auch abschauen müssen.

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Benji rappt nicht, aber twittert: @lazy_reviews

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