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Interviews

„Fler, wir müssen reden“—Der erste Teil

Fler hat bei TV Straßensound behauptet, er würde mit unseren Frauen schlafen. Das konnten wir so nicht auf uns sitzen lassen.

Jede gute Geschichte braucht einen Bösewicht. Wenn diese Binsenweisheit auch für Deutschrap gilt, dann braucht Deutschrap Fler. Ob er will oder nicht. Auch wenn es mit ihm nicht immer leicht ist. Ständig macht er uns alle zu seinen Feinden: die Rapper, die HipHop-Schreiber und Frédéric Schwilden. Die Liste derer, die schlecht über Fler reden oder ihn belächeln, die ist lang. Öffentlich sichtbare Bewunderer hingegen hat der 33-jährige Berliner Patrick Losensky bis heute nur wenige, trotz seiner gewaltigen Rap-Stimme und seiner routinierten Qualitätsarbeit als Musiker.

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Wenn Fler Songs wie „Hipster Hass“ veröffentlicht oder Farid Bang zu mehr Dankbarkeit rät, dann erhitzt er unsere Gemüter. Dennoch schauen wir seine Interviews, sowie mehrere hunderttausend Menschen neben uns; und mittlerweile machen junge Rapper sogar Songs über Fler, den Interview-Gott. Ob zur Belustigung, aus Sensationsgeilheit oder aus Sympathie, das ist dabei zunächst egal. Fest steht: Fler ist zur Zeit so sehr ein Gesprächsthema wie lange nicht mehr und befindet sich auch kommerziell im Aufwind: Sein zwölftes Studioalbum Weil die Straße nicht vergisst ist in der Startwoche noch mal erfolgreicher als das im Februar auf der Eins gechartete Keiner Kommt klar mit mir. Kaum einer bekommt mehr Gegenwind als Fler, kaum einer regt uns so sehr auf und ist zugleich nach einer Dekade immer noch eine so relevante öffentliche Figur. Was da los?

Ich geb's zu: Ich bin mit großen Ambitionen an dieses Interview herangetreten, an diesen Fler, für den ich trotz allem gewisse Sympathien hege. Keine Fragen sollten offen bleiben und selbst, wenn nicht damit zu rechnen war, dass der verhasste Hipsterhasser plötzlich zum handzahmen Teddybär mutiert, sollten am Ende zumindest alle endgültig verstehen, wofür dieser Fler steht, sprich: warum er so ist, wie er ist. Jetzt, nach einem Zwei-Stunden-Gespräch in einem gesichtslosen Lokal im bürgerlichen Berlin-Zehlendorf, muss ich mein Scheitern erkennen—nicht zuletzt wegen der fortlaufenden Widersprüche in allen möglichen Themenkomplexen. Trotzdem kam alles zur Sprache: Sein angeblicher Rassismus, seine Drohungen, seine Meinung zu Pegida, zur Emanzipation und zu Joko und Klaas.

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Noisey: In deinem letzten Interview mit TV Straßensound hast du die witzige Aussage getätigt, dass wir Journalisten Rapper wie dich nicht mögen, weil ihr unsere Frauen fickt. Auch deshalb sitze ich jetzt ja hier: Das konnten wir so nicht auf uns sitzen lassen. Erklär, was meinst du damit?
Fler: Guck mal: Medien bestehen nun mal aus Menschen und die sind wiederum Fans. Und die sind halt häufig nicht so professionell, dass sie mit dem, was sie schreiben das Standing eines Künstlers korrekt widerspiegeln. Mein letztes Album war auf der Eins und es war ein gutes Album. Aber hat Noisey darüber geschrieben? Nein, die pressen mich lieber in dieses oder jenes Klischee und dabei machen sie den Fehler, dass sie nicht verstehen, dass jenes Klischee einfach das eines echten Rappers ist. Ich bin zu 1000% Rapper. Ich rappe über dicke Autos, über geile Weiber, ich gehe pumpen, ich habe Ketten—das Normalste, was ein Rapper machen kann. Wenn die Redakteure Ahnung hätten von Rap, dann würden sie einfach akzeptieren: Das ist krass, was der macht, und dann würden die die Musik für sich sprechen lassen.

Und jetzt kommt das mit den Frauen: In der Realität ist es doch wirklich so, dass eine Frau, die was auf sich hält, eher mit einem 1,85m-Typen, der eher so in die männliche Richtung tendiert, als mit irgendeinem Hipster ins Bett steigt. So wie diese Typen kann halt jeder sein, weil dieser Lifestyle nur auf Konsum und nicht auf Leistung basiert. Ich kauf die Jeans, ich kauf die Brille, ich kauf die Haare und dann bin ich Teil der Szene. So wie ich kann man nicht sein, indem man sich ein teures Portemonnaie kauft. HipHop ist da anders. Du hörst HipHop nicht, du kaufst HipHop—du bist es, oder eben nicht. Im HipHop respektiert man jeden, der eine Leistung erbringt, egal, ob als DJ, Writer oder Rapper.

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Aber diese Leistung ist im HipHop erstmal nicht abhängig von irgendwelchen Statussymbolen. Du bist doch kein guter Rapper, weil du damit so erfolgreich bist, dass du dir ein teures Auto kaufen kannst.
Doch. In der heutigen Zeit ist HipHop so groß geworden, dass es Pop geworden ist. Deshalb muss man es einfach anerkennen, wenn jemand erfolgreich ist. Das mache ich ja auch. Ich erkenne an, dass Casper und Cro Erfolg haben. Aber die geben mir keine Anerkennung! Die schwächeren Glieder in der Kette dissen mich, so wie Noisey.

Du rufst gerne mal in Redaktionen an und sprichst Drohungen aus. Kann man das so stehen lassen?
Das könnt ihr so sagen. Wenn ihr das so seht, dann ist das so. Ich sage dann: Kommt gerne vorbei und ihr erklärt mir das bei nem Kaffee oder fachmännisch. Wenn ich die Erklärung dann verstehe, dann ist ja auch alles gut, aber das machen die ja nicht.

Du bist ja auch ein Typ, der auf viele einschüchternd wirkt, wenn man nicht von der Straße ist.
Dann sollte man sich von der Straße fernhalten. Wenn man sich nicht mit der Straße auskennt, sollte man über die Straße keine Scheiße schreiben. Die macht da keinen Unterschied. Ich schenke dir was, wenn ich jemandem, der nicht von der Straße ist, zugestehe, dass für ihn andere Regeln gelten. Aber warum soll ich irgendjemandem was schenken? Wer schenkt denn mir was? Die sind Täter, aber ich bin das Opfer.

Du bist das Opfer?
Na, nicht in dem Sinne als Opfer—ich kann mich ja zur Wehr setzen. Jemand probiert sich auf meine Kosten lustig zu machen, obwohl das nur darauf basiert, dass Leute ihre eigenen Komplexe ausleben, indem sie sich über welche lustig machen, die Erfolg im Musikgeschäft haben und die für etwas stehen. Wenn ich für nichts stehen würde, so wie K.I.Z., dann würde mich auch keiner verarschen. Mich kann man doch nur verarschen, weil ich für eine Sache stehe und deshalb Angriffsfläche biete. Ich respektiere jeden, der seine Meinung auch vertritt, aber wenn man mich einfach verarscht, mir dann aber nicht erklären kann, wofür man selbst steht, dann respektiere ich den halt nicht.

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Ich fand zum Beispiel deinen Brief an Farid auch scheiße—ihn als Gast zu titulieren. Du hast dort einfach Worte und eine Tonalität benutzt, die auch die Leute verwenden, die jetzt in Heidenau vorm Flüchtlingsheim stehen und „Ausländer raus“ rufen.
Aber die haben diese Worte doch nicht patentiert.

Natürlich darfst du diese Worte benutzen, wenn du willst, aber sie stellen dich trotzdem in ein schlechtes Licht.
Heutzutage schreibst du was bei Facebook und dann ist das so, egal, ob derjenige das im echten Leben genau so sagen würde oder nicht. Aber da verwechseln die Leute was. Das Leben ist kein Internet. Wenn die Journalisten nicht immer nur Copy & Paste machen würden, dann würden sie sich erstmal mit den Leuten hinsetzen, versuchen die Hintergründe zu verstehen und den Künstlern eine Chance geben, sich zu erklären. Aber das wird nicht gemacht, weil es vielen Schreibern einfach nur um Selbstdarstellung geht und nicht um den Künstler—wie in einem Blog.

Außerdem, guck mal: Leute wie Farid Bang, die sehen sich doch selber als Gäste. Der Witz an dem Brief war ja, dass Farid sich über den nicht einmal aufgeregt hat. Ich habe ihn als Gast betitelt, womit ich zeigen wollte, dass er sich selber über seine asozialer Marokkaner-Schiene identifiziert—das ist doch sogar sein Slogan!

Ist das schlimm?
Nö, das ist nicht schlimm. Aber wenn ich sage, dass ich ein asozialer Deutscher bin—dann ist das schlimm.

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Ist das so?
Natürlich. Ich hab’ Neue Deutsche Welle gemacht und Kritik dafür eingesteckt, für „Stabiler Deutscher“ auch und für Neue Deutsche Welle 2 genau so. Das ist doch der Punkt. Da herrscht kein gleiches Recht für alle. Farid darf rappen: „Fler, du bist ein deutsches Opfer“ und niemand regt sich auf. Aber wenn ich sage: „Du bist hier nur zu Gast in diesem Land“, dann reicht das, damit Leute mich verbieten wollen und mich als Nazi beschimpfen.

Na ja, das Farid ein Gast ist, das stimmt einfach nicht. Er ist ja nicht nur geduldet, sondern de facto ein Bürger dieses Landes.
Das sagst du jetzt. Mit Gast meine ich doch nur, dass er sich selbst nicht als Deutscher sieht und das nicht mal wegen seiner Herkunft, sondern wegen dem Lifestyle. Es ist nicht cool, Deutscher zu sein. Und das ist eigentlich alles, was ich mit dem Brief sagen wollte. Farid hätte ja sagen können: „Ey, Fler, was willste denn? Ich bin doch Deutscher, ich fühle mich als Deutscher!“ Aber hat er das gemacht? Nein! Und warum? Weil die Marke Deutsch peinlich ist.

Du willst also sagen: Dir geht es nicht um Nationalität, sondern um Markenbranding?
Na ja, für mich geht es um das soziale Standing. Um das, was in der Jugendkultur, in der HipHop-Kultur, die Wahrheit ist: Dass du als Ausländer mehr zu sagen hast als als Deutscher.

Trotzdem wird Farid in seiner Jugend öfter Nachteile wegen seiner Herkunft gehabt haben als du.
Ja, das ist doch eine Ausrede. Ich glaube nicht, dass Farid mehr Rassismus erlebt hat als ich als Deutscher. Tausend Prozent!

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Weil du in Berlin-Schöneberg, einer Gegend mit vielen Migranten, aufgewachsen bist?
Ja, eben. Das ist doch schon ein Statement, dass ich als Deutscher größtenteils unter Arabern und Türken aufgewachsen bin. Da musste ich mich extrem beweisen und deswegen will ich auch, dass es okay ist, wenn ich sage: Ja, ich bin Deutscher. Alle meine Ausländerfreunde haben sich nie auf ihren deutschen Wohnort berufen, sondern auf ihre Nationalität. Wenn ich das Gleiche machen will, dann bin ich direkt ein Nazi. Ich bin doch nicht bei Pegida, Alter! Wenn man nicht weiß, wie das war, in den Neunzigern in West-Berlin aufzuwachsen, wie will man mich dann einen Nazi nennen? Ich finde, ich bin der einzige deutschstämmige Rapper, der das sagen darf: Ja, ich bin Deutscher. Weil ich der einzige bin, der durch seinen sozialen Hintergrund so viel mit Ausländern zu tun hatte. Der zweite Mann meiner Oma ist Türke. 99 Prozent meiner Freunde sind Türken. Ich will einfach, dass Deutschsein cool sein darf, das ist auch nichts Politisches, aber das verstehen die Deutschen nicht. Die haben dieses Feeling für Coolness nicht in ihrer Kultur. Du hast ein Problem, wenn du ein deutscher Gangstarapper bist, weil: da musst du cool sein.

Aber zum Beispiel bei der 187 Straßenbande spielt Nationalität keine Rolle, die meisten von denen sind „Deutsche“, und die gelten trotzdem als „cool“.
Doch. Die 187 Straßenbande ist nur deshalb erfolgreich, weil die multikulturell sind. Bushido und ich, Farid und Kollegah—diese Kombos sind deshalb so authentisch, weil Multikulti halt die Gesellschaft widerspiegelt. In Großstädten hängen Deutsche nicht nur mit Deutschen. Deutsche hängen mit Ausländern. Wir Rapper haben das geringste Problem mit Rassismus. Und trotzdem spielt die Nationalität bei der Straßenbande eine Rolle, zumindest indirekt. Selbst wenn sie das nicht kommunizieren, wären sie trotzdem nicht so erfolgreich, wenn das alles Deutsche wären.

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Geht es nicht mehr darum, dass sie tatsächlich „Straße“ sind? Sein „Deutschsein“ macht Bonez MC doch nicht mehr oder weniger authentisch?
Aber der ganze Style, wie die sich anziehen, wie sie ihre Klamotten tragen und was sie für einen Slang reden—das ist alles nicht Deutsch. Die sind das Ergebnis einer multikulturellen Umgebung. Ich doch auch. Das will ich damit sagen: Ohne den Multikulti-Background würden die und ich nichts verkaufen. Aber du kannst auch gar nicht auf der Straße sein, ohne diese Einflüsse zu haben.

Wenn auf der Straße und generell in Großstädten eh alles multikulti ist, warum müssen wir dann überhaupt noch über Nationalität reden? Ich komme auch aus Berlin und habe Perser, Palästinenser und Polen in meinem Freundeskreis.
Ja, du hast dich aber bestimmt auch noch nie mit einem Araber angelegt und dann kamen plötzlich seine fünfzig Brüder an.

OK, was genau hat das mit Nationalität zu tun?
Guck mal, alleine die Frage ist richtig süß, aber ja: Blut ist dicker als Wasser, natürlich! An dem Tag, an dem du als Nicht-Rechter, als nicht-politischer deutscher Typ, genauso fünfzig Brüder holen kannst, ab dem Tag ist alles gleich. Ab dann können wir sagen: Jetzt ist Nationalität egal.

Auf der Straße.
Genau.

Für mich spielt Nationalität tatsächlich schon jetzt keine Rolle.
Weil du nicht auf der Straße rumhängst, genauso wie die Leute, die diese Artikel über mich schreiben.

Also findest du, dass das schwierige Verhältnis zwischen dir und den Medien eigentlich ein Missverständnis ist? Weil es zwei Welten gibt, die Straße und die bürgerliche Mitte, und beide Seiten zu wenig Verständnis füreinander haben?
Ja.

Teil zwei unseres Fler-Interviews erscheint am Donnerstag. Darin erzählt Fler von seiner Meinung zu Pegida und dem Flüchtlingsheim vor seiner Haustür, woran seine Familie kaputt ging, warum er so schnell verallgemeinert und warum Joko und Klaas „Macho-mäßig“ nichts drauf haben.