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Eine Reise durch alte Rave Videos

Diese Filme sind verschollene Kleinode des Internets.

Letztens saß ich gelangweilt an meinem Schreibtisch, als mir jemand das obige Video zusendete.

Die Wiese lehrt sich. Eine Alarmanlage löst aus. Die Drogenreste der letzten Nacht zirkulieren immer noch durch erschöpfte Körper. Tanzen. Stille. Die Freude am Ravevideo. Ich war zurück. An diesem Abend habe ich mich nach langer Zeit wieder freiwillig in das Wurmloch niemals endenden Club-Videomaterials saugen lassen.

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Meine erste Begegnung mit Clips von ravenden Leuten bestand—wie bei jedem guten Kunststudenten—auch bei mir im ‚Fiorucci Made Me Hardcore‘ von Mark Lecky. Leckys fünfzehnminütiger Film zeigt wogende, verschmelzende Körper, deren Bewegung in abgehackten Zeitlupen-Einstellungen so zusammengestellt wurde, als handele es sich um transzendentale, menschgewordene Gifs, die sich in einem letzlich leeren, hedonistischen Geheule auflösen. Das Video eröffnete mir einen nachdenklichen Moment. Ich dachte an verschwendete Abende, in denen ich Youtube durchkämmt hatte nach den lustigsten Videos; von Müttern, die die Reifen ihrer Motorräder durchdrehen ließen, um dann neben ihrem fehlzündenden Gefährt zu liegen, und ich sah mich mit einem Gefühl der Demut konfrontiert. Vergiss Vine-Compilations, vergiss alle Pannenvideo-Compilations—das hier war es, alles was ich sehen wollte waren stundenlange Videos von schweißtriefenden Horden, die höheren Energieebenen entgegenstrebten, auf Basis originaler Qualitätsdrogen.

Diese Videos fingen Momente originärer Ekstase ein, die uns inzwischen fremd geworden ist und uns daran erinnert, wie es früher war. Und dass dieses Wie nicht mehr zurückkehren wird. Diese Videos nehmen uns nicht nur mit in die Warehouses und Clubs, in denen sie gefilmt wurden—sie transportieren uns in die nasskalten Untiefen einer kulturellen Selbstwahrnehmung, die sich wie die Zukunft angefühlt hatte, aber letztlich doch feststeckte. Warum beeindrucken uns diese Videos so sehr und, vielleicht noch wichtiger, warum empfinden wir diese Aufnahmen einer verschollenen Welt als die spannendsten Artefakte die man in diesem Schiffswrack namens Internet bergen kann?

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NOSTALGIE

Nostalgie eine grausame, verstörende und bevormundende Empfindung. Sie mystifiziert und romantisiert deine eigene Unfähigkeit mit den Schwierigkeiten der Gegenwart umzugehen. Aber zugleich steckt unzweifelhaft auch eine mächtige Kraft in ihr. Nostalgie schlüpft in uns hinein. Sie kann uns überwältigen, nimm zum Beispiel diesen Clip hier:

Wir sehen uns diese Videos an und wissen, dass das unsere Eltern, unsere älteren Geschwister sind; wir wissen, dass über diese Nächte niemals wirklich gesprochen wurde, sie sind verschlossen im Museum des vergessenen Ichs. Dies ist eine Welt, die so nah an unserer eigenen ist, dass es sich irreal anfühlt. Wir haben die Mode wieder aufgewärmt, wir haben die Musik wieder aufgewärmt und wir sind gebannt vom Kontrollverlust in diesen Videos. Dennoch können oder wollen wir unsere eigene Kontrolle nicht verlieren. Stattdessen treten wir diesen Nächten mit Nostalgie entgegen, auch wenn es niemals unsere eigenen Nächte waren.

HEMMUNGSLOSE FREUDE

Die moderen Club-Erfahrung ist—natürlich mit einigen Ausnahmen—ein Trauermarsch der Anti-Höhepunkte. Clubs zeigen dir wirklich deutlich, dass Erwartungen nur sehr selten erfüllt werden. Selbstherrliche Türsteher, exorbitant hohe Getränkepreise, schlechte Drogen, abgestandener Geruch, überfüllte Raucherecken, und eine endlose Bildersammlung von Arschlöchern im Publikum lassen deine Träume einer unvergesslichen Nacht auf dem Tanzboden zerschellen. Du gehst heim und sprichst nie wieder über den Abend. Das Footage, das wir hier sehen ist die Antithese dieser Attitüde—dies ist die reine, erhabene Clubkultur, eine transzendentale und transformative Erfahrung. Schau dir nur all diese Leute an. Schau sie dir an. Dies ist ein Traumbild des Himmels untermalt von Altern-8-Remixen:

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FREIHEIT

Eine unbestimmte Traurigkeit stellt sich nach dem Konsum von zu vielen dieser Videos ein. Das liegt daran, dass wir wissen: Diese Form der Freiheit entstand aus einer gemeinschaftlichen, kulturellen Erfahrung heraus und sie wird zumindest in Großbritannien wegen der so genannten Criminal Justice Bill nicht mehr enstehen können. Raves sind in Englad verboten. Auf dieser Ebene bin ich wirklich ein Rave-Romantiker. Zum Beispiel war es sicherlich nicht so lustig, an Autobahnauffahrten nach kryptischen Spuren der verschwundenen Raver zu suchen, die das Wochenende ausgespuckt hatte. Aber wenn du zurückblickst auf Erlebnisse, die du niemals hattest—die aber großen Einfluss darauf haben, welche Freunde du auswählst und welches Leben du führst—dann ist diese Zeit immer rosarot eingefärbt. Diese riesigen Felder, diese Horden von liebestrunkenen Spinnern, die sich für nichts interessierten als für den nächsten Track. Diese niemals endenden Samstage und nicht existenten Montage … Heute bieten dir die schnuckelig eingezäunten Festival-Areas die Möglichkeit, Jeff Mills in Capri zu sehen oder Sven Väth in einem kroatischen Schloss, aber etwas fehlt: Es ist der Schlamm, die Gefahr, die Überraschung … die Freiheit.

DIE DROGEN

Wir sollten mit dem offensichtlichsten Grund schließen, der dich dazu bringen sollte, auf eine Clubnacht zu verzichten, zugunsten eines gemütlichen Abends zuhause mit ein paar Joints, in denen du diese Videos hier siehst: Sie zeigen Menschen an den Grenzen ihrer Existenz. Die Leute sind so high, dass sie höchsten Sterne vom Himmel holen und sie für immer in diesen Videos aufbewahren können. Es ist wie bei diesen Pannenshows, die immer witziger bleiben werden als alle anderen Fernsehsendungen: Wenn du einen Typen siehst, dessen Unterkiefer aufklappt und der an seinem eigenen Schwanz vorbei über den Boden schleift, während im Hintergrund ‚Let Me Be Your Fantasy‘ läuft, dann ist das sehr nah an visueller Perfektion.

Das hier ist Kunst. Das ist der Grund, warum dafür gekämpft wird, Clubs als Kultur und nicht als Wirtschaftszweig anzusehen. Also: Sag die Show von Steve Bug in der Tanzfabrik ab und auch den Gig von Jamie xx auf dem Parkplatz. Lass uns im schwarzen Retrospektiv-Youtube-Loch verschwinden. Wir werden eine großartige Nacht haben, versprochen.

Dieser Text erschien zuerst auf Thump.