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Jungfreisinnige wollen Berner Kultur-Stipendium abschaffen

Der Rapper Nativ erhält ein Stipendium der Kulturförderung Stadt Bern. Das passt den Jungfreisinnigen so gar nicht in den Kram.
Foto: Screenshot Youtube

Der Berner Rapper Nativ und der Filmemacher Tim Dürig haben den Zuschlag für ein Stipendium der Kulturförderung Stadt Bern erhalten. Auf die beiden kreativen Köpfe wartet ein sechsmonatiger Aufenthalt in New York und 15.000 Franken für Reise- und Aufenthaltskosten.

Den Jungfreisinnigen der Stadt Bern passt das aber gar nicht in den Kram: Nachdem zwei Artikel im Blick und in der 20 Minuten die Vergabe an Nativ kritisiert hatten, forderte die Jungpartei am Montag auf ihrer Webseite die Stadt Bern auf, die New-York-Stipendien ab sofort einzustellen. Sie unterstellten der Kulturförderung der Stadt, dass die Vergabe des Stipendiums intransparent und dass bei der aktuellsten Vergabe an den Rapper Nativ “Vetterliwirtschaft” betrieben worden sei. Nativ sei selbst ein Mitarbeiter der Behörde, die das Stipendium vergebe. Ausserdem sei mit Greis “einer der erfolgreichsten Schweizer Rapper aller Zeiten”, der es also gar nicht nötig hätte, in den Genuss dieses Stipendiums gekommen.

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Auf Noiseys Anfrage hin konkretisierte der Präsident der Jungfreisinnigen Stadt Bern Basil Anderau die Forderungen seiner Partei.

Basil Anderau, Foto: Screenshot YouTube

“Dieses Stipendium muss ab sofort abgeschafft werden. Wir können nicht verstehen, dass eine Stadt, die mit 3 Milliarden Franken verschuldet ist, solche Spässe mitfinanzieren kann. Die Kulturförderung an sich ist unserer Meinung nach absurd, denn ganz viele Menschen finanzieren das Hobby einiger weniger. Ich muss meine Hobbys auch selbst finanzieren. Wir haben kein persönliches Problem mit Nativ, aber wir kritisieren ganz scharf, dass mit ihm ein Mitarbeiter der Kultur Stadt Bern den Zuschlag erhalten hat. Wenn ein Unternehmen einen Wettbewerb lanciert, heisst es ja auch, dass die Mitarbeiter nicht teilnahmeberechtigt sind. Warum gilt dieser Grundsatz hier nicht auch? Wir würden zudem sehr gerne wissen, welche Kriterien bei der Vergabe eine Rolle gespielt haben und warum sich die Jury genau für ihn entschieden hat. Auch mit Greis haben wir kein persönliches Problem. Aber wir können nicht verstehen, dass einer der erfolgreichsten Rapper des Landes auf Kosten des Steuerzahlers ein Stipendium finanziert kriegt.”

Die Jungfreisinnigen und ihr Präsident werfen also der Kultur Stadt Bern Intransparenz im Vergabeprozess des Stipendiums und Bevorteilung eines Bewerbers vor. Ausserdem stellen sie die Kulturförderung an sich in Frage. Noisey hat den Leiter der Kultur Stadt Bern Peter Schranz mit diesen Vorwürfen und Fragen konfrontiert, er sagt:

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“Dieses Stipendium wird aufgrund eines Gemeinderatsentscheides und den damit verbundenen Bestimmungen seit 1983 vergeben. Wenn Herr Anderau fragt, ‘Inwiefern es Aufgabe der Stadt und damit des Staates ist, private Musiker-Karrieren zu fördern’, hat er ein fundamentales Problem damit, die Aufgabe der Kulturförderung zu verstehen. Wir helfen jungen Künstlern, die in verschiedenen Bereichen herausstechen oder auf sich aufmerksam gemacht haben, sich weiterzuentwickeln oder Projekte umzusetzen. Ich frage mich daher, ob Herr Anderau ein Problem mit der Kulturförderung an sich hat.

Thierry Gnahoré, wie Nativ mit bürgerlichem Namen heisst, arbeitet seit dem 1. Juni 2016 nicht mehr bei uns. Wir haben auf seine Arbeitskraft seitdem vereinzelt zurückgegriffen, wenn wir personelle Engpässe hatten. In diesem Punkt, kann ich die Nachfrage der Jungfreisinnigen nachvollziehen, aber auch versichern, dass Nativ während des Bewerbungsprozesses zu keinem Zeitpunkt bevorteilt wurde. Die Jury hat sich für ihn entschieden, weil er ein überzeugendes Konzept für den Aufenthalt in New York vorweisen konnte. Es war ein einstimmiger Entscheid der vier Jury-Mitglieder, die Thierry Gnahoré nicht persönlich gekannt hatten. Nativ setzte sich gegen 20 Mitbewerber durch.”

Im Zentrum der ganzen Diskussion steht der Berner Rapper Nativ, der zusammen mit Dawill das Duo S.O.S bildet und innerhalb der Rapszene gerade grosse Erfolge feiert. Noisey hat auch ihn gebeten zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.

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"Wer Wutbürger produzieren will, kann das tun, indem er ungefiltert und ohne wirkliche Recherche Informationen streut. Wer das im Zusammenhang mit der Kulturförderung tut, beziehungsweise der Vergabe des Stipendiums, soll aber doch bitte keine Konzerte mehr besuchen, nicht ins Theater gehen und keine Bücher mehr lesen. Denn ohne die Kulturförderung wäre vieles von dem, was wir heute an Kultur geniessen können, nicht möglich. Und dann kommen Argumente wie: 'Das sind meine Steuern, die da ausgegeben werden'—und zur selben Zeit werden Banken gerettet, bei denen sich CEOs Boni auszahlen lassen und da wird irgendwie alles hingenommen. Strange World."

Greis, der das Stipendium 2014 erhalten hat, reagiert folgendermassen auf die Kritik der Jungfreisinnigen.

Greis, Foto: Janosch Abel

"Ich fühle mich sehr geschmeichelt, dass die Jungfreisinnigen mich als einen der erfolgreichsten Schweizer Rapper aller Zeiten sehen. Dass weder ich, noch mein Label dabei das grosse Geld verdienen, sollte ihnen aber klar sein. Ich bin selbständigerwerbend aber könnte nicht ausschliesslich von CD-Verkäufen oder Gagen leben. Darum gebe ich zum Beispiel Rap-Workshops und jobbe immer mal wieder in ganz verschiedenen Bereichen—einen Aufenthalt in New York hätte ich mir nicht leisten können. Wie jeder andere Musiker versuche ich von meiner Musik zu leben. Dass ich dabei nicht reich werde, sollte eigentlich jedem klar sein, der sich nur ein wenig mit dem Schweizer Musikmarkt auseinandersetzt. Ich bin unglaublich dankbar eine kleine, lokale Plattenfirma im Rücken zu haben, die es mir erlaubt, Alben herauszubringen, daher sehe ich ihre Arbeit eigentlich mehr als Kulturförderung. Und dass die Stadt und der Staat mit Kulturfördergeldern Kultur fördern, ist ja ein wenig auch Sinn der Sache.”

Die Jungfreisinnigen der Stadt Bern wollen sich gemäss eigenen Aussagen mit der FDP zusammensetzen und prüfen, ob sie ihre Forderung politisch umsetzen können. Im Moment seien sie nicht im Stadtparlament vertreten und darum auf die Mutterpartei angewiesen. Gemäss Basil Anderau solle sich dies aber bald ändern, wenn in Bern am 27. November die Gemeindewahlen stattfinden.

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