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Thump

Die ‚DJs Complaining’-Leute haben endlich die größte Heulsuse der DJ-Welt gefunden

... und die Musik von dem Typen ist noch schlimmer als sein Twitter-Account.

DJ Chuckie Foto von RJ Schmitt | Flickr | CC BY-ND 2.0

Hallo, wir sind DJs Complaining. Vielleicht kennst du unsere Arbeit sogar. Wir haben mit unseren Retweets von jammernden DJs eine Menge Aufmerksamkeit im Internet bekommen. Wir kamen dann sogar dazu, für eine größere Musikpublikation eine intellektuell durchaus anspruchsvolle und gleichzeitig unglaublich witzige Kolumne über die DJ-Kultur zu schreiben, bis wir gefeuert wurden, weil wir uns über Ben Westbeech lustig gemacht hatten—dabei hatte er angefangen. Heutzutage werden wir nur noch für Clickbait-Listen von bescheuerten Webseiten wieder aus der Versenkung geholt.

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Aber vor den ganzen Kolumnen und tiefschürfenden Artikeln war unser Job eigentlich recht einfach: Durch ein paar Twitter-Feeds schauen, bis man einen Post findet, in dem sich jemand über den Kaffee im Backstage beschwert, und dann einfach RT klicken. Schon bald mussten wir selbst das nicht mehr tun. Die netten Leute des Internets schickten die Jammer-Posts der DJs direkt an uns und nominierten den eigenen Lieblings-DJ für 15 Minuten Schmach. Als dann aber die DJs irgendwann damit anfingen, sich selbst zu nominieren, wurde alles ziemlich kompliziert. Wir waren verwirrt. Wir wollten die doch verarschen. Die sollten keinen Spaß daran haben.

Der Retweet auf DJs Complaining wurde für manche zu einer Art Auszeichnung. In unserem Twitter-Feed aufzutauchen, hieß nicht bloß, dass du erfolgreich genug warst, ein glamouröses Leben voller Flugreisen und katerbedingter Gereiztheit zu leben. Du warst überhaupt berühmt genug, dass sich ein Retweet deiner Gefühlsergüsse lohnte. Schon bald fanden wir uns in einer sonderbaren Position wieder. Wir mussten zwischen den echten Jammerlappen und denjenigen unterscheiden, die einfach nur auf eine lukrative Erwähnung bei DJs Complaining aus waren. Das wurde noch einmal unglaublich dadurch erschwert, dass wir überhaupt keine Ahnung davon hatten, wer diese Leute eigentlich sind.

Wir würden schon sagen, dass wir mit einem durchaus anständigen Grundwissen über die Welt der Dance-Musik ausgestattet sind, wir erinnern uns auch noch an die Vengaboys, aber wir sind keine Amerikaner—dementsprechend ist diese neumodische „EDM"-Szene für uns auch ziemlich uninteressant. Klar, wir erkennen gutes Motzen, wenn wir welches sehen, aber wenn du uns fragst, was diese Leute machen, wird uns bei 80 Prozent der DJs nicht viel mehr einfallen, als „das sind DJs" und „das sind unglaubliche Jammerlappen". Wenn wir das Profil eines gemeldeten Motzkopfs anklicken, wissen wir oft vorher nicht, ob wir es mit einem pickligen 15-Jährigen mit 70 Followern oder einem etwas weniger pickligen 18-Jährigen mit 700.000 Followern zu tun haben werden.

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Auch wenn es uns jetzt nicht um den Schlaf bringt, nicht das komplette musikalische Oeuvre von R3HAB oder Alopecia Key$ zu kennen, ist uns doch mit der Zeit gedämmert, dass diese Menschen wahrscheinlich etwas mehr sind, als bloß Namen auf einer Social-Media-Webseite—dass die Unmengen von Followern sich nicht einfach nur angemeldet haben, um sich Genöle über verspätete Flüge und schlechtes WLAN durchzulesen. Der Anreiz muss anscheinend in der Musik liegen und wir wollten herausfinden, warum.

Eine kleine Auswahl von DJ Chuckies Tweets

Es war eigentlich nur logisch, mit DJ Chuckie anzufangen. Er ist wahrscheinlich öfter als jeder andere von uns nominiert worden und auf seine Kappe gehen so schöne Beschwerden wie: „Ich muss meinen Rider auf den neusten Stand bringen. Die haben mir heute tatsächlich einen Prius als Transportmittel vorbeigeschickt", oder: „Niemand schlägt mich darin, den schlechtesten Jet überhaupt zu mieten." Das ist definitiv Oberligamaterial. Außerdem hat er 579.000 Twitter-Follower. Uns hingegen war er komplett unbekannt. Wir hatten noch nie von ihm gehört. Du etwa? Das können wir uns eigentlich nicht vorstellen.

Ein schneller Blick auf seinen Twitter-Account zeigt, dass Chuckie ein in Amsterdam lebender DJ und Producer ist, der oft und gerne mit einer Käppi auf dem Kopf rumrennt. Mit 36 ist er etwas älter als die meisten Einfaltspinsel auf unserer Seite, verkörpert aber auf vielfältigte Art und Weise noch immer dieses bizarr-übertriebene Anspruchsdenken, das uns durch DJs Complaining inzwischen wohl allen bekannt ist. Wie bei eigentlich fast allen Feeds, die wir verfolgen, ist auch bei ihm absolut keine Leidenschaft oder Begeisterung für Musik zu finden—oder für sonst irgendetwas, abgesehen von sich selbst, Schnaps und Vaporiser. Vielleicht ist das Absicht. Vielleicht trennt dieser Mensch seine eigene Persönlichkeit strikt von seiner Kunst, damit das eine nicht das andere verfälscht. Vielleicht gründet sich sein Erfolg ja auf seinem Talent und vielleicht entschuldigt eben dieses auch sein pausenloses Rumgemecker. Sind am Ende nicht alle Genies wenigstens ein klein wenig dem Größenwahn verfallen?

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Um eine Idee davon zu bekommen, worum es beim selbsternannten „King of Dirty Dutch" wirklich geht, haben wir uns dazu durchgerungen, seinen beliebtesten Track auf YouTube anzuhören: „What Happens in Vegas Stays in Vegas" von 2011. Allein der Titel schreit schon EDM—es ist eine dieser hohlen Randomphrasen, die monoton und lieblos vor jedem Drop ausgespuckt werden können—etwas, das so sinnfrei ist, dass es absolut keine Existenzberechtigung hat, sich aber trotzdem derartig einprägt, dass selbst das MDMA-verkleisterte Hirn des durchschnittlichen Chuckie-Fans sich lange genug daran erinnern kann, bis dieser in die Nähe eines Laptops kommt, um dort dann bei iTunes ein paar Cent für Chucko zu lassen.

Der Track verliert sogar noch an Inhalt, wenn du dir den dazugehörigen YouTube-Clip mit anschaust. Was auch immer in Vegas passiert, scheint nämlich keinesfalls in Vegas zu bleiben, sondern wird ganz im Gegenteil mühsam von Chuckies armen Kameramann eingefangen und hastig zu einem fünfminütigen Video zusammengeschnitten, das dann auf der ganzen Welt zu sehen ist. Und nur für den Fall, dass du aufgrund des aufreizenden Titel-Teasers erotische Ausschweifungen erwartet hast: In Vegas passiert nicht viel mehr, als dass Chucky Chuck Chuck hinter den Decks steht und einen, mitunter sogar zwei Arme nach oben reckt—pausenlos und ohne irgendeinen Grund. Zwischendurch sieht man ihn allerdings auch etwas gelangweilt im Taxi sitzen.

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Der Track selber schafft es, beeindruckend seelen- und emotionslos zu klingen. Drei verschiedene GarageBand-Loops sind hier lieblos aneinandergeklatscht, zusammengehalten von einem 08/15 Trance-Crescendo. Der „Drop" wiederum macht als tiefer Fall in einen freudlosen Abgrund seinem Namen alle Ehre. Er besteht lediglich aus einem zweitönigen mit Portamento versehenen, sägenden Synthsounds und dem gleichen blutleeren Tip-Tap-Beat, der sich die ganze Zeit schon stoisch und fantasielos durch den ganzen Track zieht.

Diese Kargheit ist noch erschreckender, sobald dir auffällt, dass für diesen Song geschlagene drei Komponisten in den Credits gelistet werden. Drei! 3! Es ist beinahe unmöglich, überhaupt drei verschiedene Elemente in diesem Track auszumachen. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass hier vielleicht größere Mächte am Werk waren—ja, dass hinter diesen Kindergartenmelodien und den rudimentären Drumspuren klares Kalkül steckt; dass dieser Track, auch wenn er sich vielleicht so anhört, als hätte man ihn in 20 Minuten zwischen den Mahlzeiten auf einem Transatlantikfug hingerotzt, tatsächlich peinlich genau in einer Art von utilitaristischem EDM-Versuchslabor irgendwo in der texanischen Einöde konzipiert wurde. Wir haben alle schon von diesen Labors gehört: Lobotomisierte Kaninchen hocken dort unter ständiger Strobo-Befeuerung in Käfigen, bekommen nichts als den ROCKSTAR ENERGY DRINK™ zu trinken und müssen pausenlos eintönige DOOT DOOT DOOT Trance-Presets hören—Labors, die ausschließlich konzipiert wurden, herauszufinden, wie sich Lebewesen verhalten, denen jegliches gesundes Geschmacks- und Urteilsvermögen abhanden gekommen ist. Wenn die Kaninchen dann zu dem kleinen Repeat-Knopf rüberhoppeln und diesen betätigen, obwohl sie wissen, dass sie damit auch einen äußerst unangenehmen Starkstrom-Elektroschock auslösen, dann weiß man: Der ist es. Chukie und seine finsteren Sezier-Kollegen / Co-Composer können den Anblick der ausgezehrten und verstörten Kaninchen mit den blutenden kleinen Ohren und den wild in alle Richtungen schauenden Augen nur ertragen, weil sie wissen, dass sie hier finden werden, worauf „die Kids total abgehen".

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Vielleicht ist es auch etwas unfair, jemanden an einem vier Jahre alten Wegwerf-Elektro-House Track zu bewerten. Letzlich hat jeder Producer so ein bis zwei Leichen im Keller—selbst Butch Vig hat wahrscheinlich ein paar Skweee-Tracks veröffentlicht, von denen er hofft, dass sie niemals ihren Weg auf YouTube finden werden. Um Chuckie also an seinen jüngeren Ergüssen zu messen, haben wir mal in seine neuste Veröffentlichung reingehört, die Traphall EP. Wir wollen ergründen, welche künstlerische Richtung er mittlerweile eingeschlagen hat.

Wenn man Chuckie etwas auf keinen Fall vorwerfen kann, dann, nicht mit der Zeit zu gehen. Er legt tatsächlich eine unglaubliche Hingabe dabei an den Tag, Genres zu bedienen, die vor zwei Jahren mal angesagt waren. Wie das brillante Wortspiel schon ganz subtil suggeriert, erwartet einen auf der Traphall EP angeblich eine Melange aus Trap und Dancehall. Beim Hören wird einem aber ziemlich schnell klar, dass Chuckie keine Ahnung davon hat, was Trap eigentlich ist. Das ist auch gar nicht so verwunderlich, wenn du bedenkst, dass er 36 ist. Ein kurzer Besuch bei SoundCloud zeigt, dass der durchschnittliche Mittzwanziger im Besitz eines Samsung Galaxy die beiden fundamentalen Elemente des Trap erfolgreich nachahmen kann: eine fette 808 Kick und Hi-Hats, die klingen, als wären sie von einem Chinchilla programmiert worden, der über ein sehr heißes Midi-Keyboard rennt. Beide Elemente vermissen wir leider bei Traphall. Nein, was du hier gemacht hast, Chuckie—und diesen Fehler begeht man relativ leicht—du hast lediglich richtig beschissenen Dancehall unter Vocals gelegt, die du von irgendeiner Bashment Compilation geklaut hast.

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Unsere Nachforschungen haben also nicht ergeben, dass DJ Chuckie ein Meister seines Faches ist. Er ist nicht gerade derjenige, der einen Genre-definierenden Underground-Meilenstein nach dem anderen raushaut und ziemlich sicher wird niemand in naher Zukunft +1.500-Wörter-Artikel über ihn schreiben—abgesehen von uns gerade jetzt, in diesem Moment. Wir glauben aber andererseits auch nicht, dass das Chucky großartig stört. Er ist ein waschechter Karriere-DJ, der weiß, dass eine Menge Geld damit zu verdienen ist, von Szene zu Szene zu schlittern und immer das abzuliefern, wozu auch immer sich die anspruchsloseren Spring-Breaker dieses Jahr am liebsten eine bunte Pille einfahren. Dafür wird er gebucht und bezahlt. Dagegen gibt es auch eigentlich nichts zu sagen. Abgesehen davon muss auch einfach irgendjemand da oben hinter den CDJs stehen; jemand, der sich einen abgrinst und dabei wie ein „Ich muss mal ganz driiiingend"-Kleinkind rumhüpft—warum nicht Chucko?

Dieser Artikel ist vorab auf THUMP erschienen.

Für noch mehr spannende Ereignisse aus dem Leben von DJ Chuckie folgt ihr am besten DJs Complaining auf Twitter—@DJsComplaining

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