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Die Charts-Invasion der deutschen Rapper

Warum schaffen es plötzlich so viele Rapper auf Platz 1 der Charts? Wird da etwa getrickst?

Marteria, Bushido, Farid Bang, Cro, Kollegah, KC Rebell—sie alle waren in diesem Jahr schon auf Platz eins der Albumcharts. Das ist eine verhältnismäßig hohe Quote an deutschen Rappern in den Charts, immerhin haben es schon nach einem halben Jahr fast so viele Rapper wie im ganzen letzten Jahr an die Spitze geschafft. Und auch da waren es schon auffällig viele, von Kollegah und Farid Bang über Raf 3.0 und Alligatoah bis Casper. In den Jahren vor 2013 gab es höchstens vier deutsche HipHopper, die das innerhalb eines Jahres geschafft haben. Ansonsten sind die Charts natürlich in etwa so, wie du sie noch aus den Viva Top 100 kennst—Robbie Williams, Coldplay, Adele & Co. Rap erlebt gerade einen neuen Hype, das ist eine Entwicklung, die sich schon seit Längerem beobachten lässt, aber das alleine kann nicht der Grund dafür sein, dass Kollegah und Co. in den Verkaufscharts fast so oft vertreten sind wie Helene Fischer und Peter Maffay und HipHop nach Schlager wohl die beliebteste deutsche Musikrichtung ist.

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Wird da etwa getrickst?

Die Chartmechanismen sind eigentlich recht komplex, so dass es schwierig ist zu betrügen. Dennoch hört man öfter von kleinen Tricks oder gar richtigem Betrug in den internationalen Charts. Der Gedanke kommt vor allem auf, wenn man diverse Beefs, Tweefs, und Moves der deutschen Rapper mitbekommt. Man erinnere sich nur an die auffälligen Verschiebungen der Releasedates von Flers und Kollegahs neuen Alben vor ein paar Monaten.

@Bushidonews9 ich erkläre es dir! Kollegah verkauft:Universal-Vertrieb verdient/Universal verdient/Selfmade verdient/dann Kollegah…..

— FLER (@FLER) April 21, 2014

Offiziell war natürlich alles anders, aber es roch schon sehr nach einem Boss-Move von Kollegah. Er verschob sein Releasedatum um zwei Wochen auf den 9. Mai, welcher zufällig auch der Releasetag von Flers Album war. Wären die beiden Alben gleichzeitig erschienen, hätte Kollegah ziemlich sicher das Verkaufszahlenrennen gewonnen und wir hätten heute einen Rapper weniger auf Platz eins der Charts. Kurz darauf verschob Fler natürlich sein Release, einen möglichen ersten Platz verschenkt man schließlich nicht. Als wie aus dem Nichts dieser Tag auch als Release für neues Michael Jackson-Material auserkoren wurde, postete Fler schadenfroh ein Foto von Xscape mit der Bildunterschrift „King“. Der King der deutschen Albumcharts wurde in dieser Woche dann aber doch Kollegah, der sich sogar einen deutschen Rekord oben drauf holte: Innerhalb von 24 Stunden erreichte King Gold-Status.

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Am Releasedatum zu schrauben ist natürlich eine Gelegenheit, um auf die Nummer eins zu schießen. Die Chartpositionierungen sind relativ, es hängt also immer von den Verkäufen der Mitveröffentlicher ab. Wenn eine Helene Fischer ihr neues Album veröffentlicht, wird mit Sicherheit kein strategisch denkendes Label, deren Künstler unter anderen Umständen die Chance auf Platz eins hätte, gleichzeitig veröffentlichen. Man kann zum Beispiel davon ausgehen, dass Caspers Hinterland (VÖ 27. September 2013) bewusst vor Helene Fischers Farbenspiel veröffentlicht wurde, das seit der Veröffentlichung eine Woche später insgesamt elf Wochen ganz oben stand. In anderen Releasewochen brauchen Musiker hingegen viel weniger Einheiten, um zu charten. Chakuza verkaufte im letzten Jahr beispielsweise mit Magnolia in der ersten Woche zehnmal mehr Platten als Nazar und chartete nur auf Platz fünf, während Fakker Lifestyle sofort auf die drei kletterte.

Die Komplexität der Mechanismen macht es allerdings auch möglich, mit Ankündigungen und Worten zu spielen. Den Rekord, den Kollegah erst kürzlich aufstellte—innerhalb von 24 Stunden Gold-Status—, wurde ihm scheinbar kurz darauf wieder von dem Typen mit der Maske aberkannt. Den Schein wollte das Kollegah-Label Selfmade Records aber nicht trügen lassen und es wurde wieder getweeft.

In 24H Gold - Freunde der Sonne #melodie

— Chimperator Prod. (@Chimperator) June 11, 2014

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Auf die Verkündung von Chimperator, die Selfmade nur wenige Wochen zuvor machen durfte, reagierte das Label mit einer Klarstellung. Auch wenn die Aussage von Chimperator regelkonfom war, standen die benötigten Einheiten für Gold—100.000—nur in den Regalen, wurden bis dato aber noch nicht verkauft, wie bei Kollegah. Für den Laien, sprich jeden, der sich nicht mit Verkaufszahlen herumschlagen muss, ist das durchaus verwirrend. Dennoch sind die Real-Verkäufe von Cros Melodie natürlich auf Gold gegangen.

Ein anderer Weg, geschickt die Zahlen zu optimieren, ist es, Special Limited Fan-Boxen anzubieten. In den deutschen Charts zählen nicht etwa die tatsächlich verkauften Einheiten, sondern der Umsatz, der damit gemacht wird. Wenn also eine Fanbox für 50 anstatt einer CD für 10 Euro verkauft wird, liegt das für die Charts schwer im Gewicht: Eine Box zählt dann so viel wie fünf normale Alben. Ein Musiker, der keine Box verkauft, muss also fünfmal mehr Alben an den Mann bringen, um auf derselben Position zu charten, wie jemand, der eine Box für 50 Euro verkauft. Beobachtet man die Angebote zum Release, ist das eine sehr beliebte Methode der Rapper, aber auch eine beliebte Form unter den Fans. Und natürlich wird das in erster Linie angeboten, weil die Fans das so wollen.

Damit sind wir auch schon am wichtigsten Punkt angelangt: die Fans.

Es ist etwas blauäugig zu glauben, dass es nur immer mehr dieser Fanboxen gibt, weil die Nachfrage der Fans so groß ist. Andererseits, würde es nicht laufen und die Fans en masse davon kaufen, könnte es auch nicht so viele davon geben. Rap-Fans kaufen gerne mehr als nur die Musik, sie identifizieren sich mit der Kultur, die dahinter steckt, und wollen das auch zeigen—ob das mit dem Wissen um des limited limited Tracks, mit einem T-Shirt oder der Live-DVD, die eben da aufgenommen wurde, wo sie auch waren, ist.

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In anderen Szenen identifizieren sich die Fans mit Sicherheit ebenso stark mit der Musik oder den Künstlern (Punk, Metal), aber wahrscheinlich ist keine davon so kaufbereit wie die HipHop-Fanschaft.

Wenn man sich überlegt, wer überhaupt noch CDs kauft, anstatt ein Album aus dem Internet zu ziehen oder es beim teuflischen Spotify zu streamen, fällt der Blick einerseits auf eher ältere Leute, die sich gerne die neue CD von Helene oder Peter Maffay ins Regal stellen (weswegen das Schlager-Business auch heute zu den attraktivsten Umsatzbringern gehört), andererseits auf eher Jüngere, die ihr Taschengeld in CDs und Fan-Artikel investieren. Nun gibt es wahrscheinlich nicht nur mehr Angebot an HipHop-Künstlern, sondern auch mehr junge Leute, die HipHop hören, als noch vor ein paar Jahren. Kinder wachsen immer mehr mit Rap auf, nicht zuletzt, weil Gangsta- und Straßenrap nicht mehr die vorherrschende Abspaltung ist bzw. das Aushängeschild, das eben nirgendwo gespielt wird.

Die Jugend, die jetzt eine Kaufkraft hat, ist mit Rap aufgewachsen und identifiziert sich mehr denn je mit ihrer Musikrichtung, kauft also auch ein. Damit hat HipHop endlich etwas geschafft, was dieses Genre schon länger verdient hat und auf das viele andere Genres mit Sicherheit neidisch blicken: Für die Kunst wird bezahlt. In dieser Entwicklung steckt sicherlich jahrelange Vorarbeit einer ganzen Musikrichtung, auch wenn das bestimmt nicht beabsichtigt war—und doch war es irgendwie vorhersehbar.

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CD-Verkäufe und Charteinstiege sind natürlich keine Goldgrube, aber der Platz eins ist für viele wichtig, besonders innerhalb des Musikbusiness. Wer einmal ganz oben war, wird anders wahrgenommen. Rapper tricksen in ihrem Streben, auf die eins zu kommen sicherlich nicht mehr als andere Musiker, der Konkurrenzkampf wird einfach nur öffentlicher ausgetragen. Beef kommt schließlich nicht ohne Grund aus der Rapszene.

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