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Interviews

Die Adriatique-Interview-Trilogie, Teil 1—Ein neues Label

Das Zürcher DJ-Duo Adriatique macht mit ihrem neu gegründeten Label Siamese den nächsten Schritt in ihrer bereits beeindruckenden Karriere. Wir haben sie zu einem extralangen Interview getroffen.
Foto von Jojo Schulmeister

Als ich mich vor einer Weile mit Adriatique in ihrer Wohnung, die auch ihr Studio ist, traf, hatte ich noch keine Ahnung, worauf ich mich eigentlich eingelassen habe. Ich sitze jetzt schon seit einer gefühlten Ewigkeit am Transkribieren der eineinhalb Stunden Interview und weiss, dass ich noch eine weitere Ewigkeit hätte, um das Gesagte auf eine humane Länge zu kürzen. Aber eigentlich will ich das gar nicht. Adrian Shala und Adrian Schweizer haben es verdient, dass jede Aussage so stehen bleibt und gelesen wird. Nicht nur weil Adriatique ein Aushängeschild von Diynamic sind, sie zu den gefragtesten DJs auf Ibiza und unweigerlich zu den erfolgreichsten Künstlern der Schweiz gehören. Ehre, wem Ehre gebührt—und eine Trilogie, wem eine Trilogie gebührt.

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Adriatique haben am 14. Oktober den nächsten grossen Schritt in ihrer Karriere gewagt: Mit Patterns of Eternity erschien die erste EP auf ihrem neu gegründeten Label Siamese. Im ersten Teil der Interview-Trilogie sprechen Adriatique über ihre Ziele und Vorstellungen mit dem Label.

Noisey: Ihr habt dieses Jahr an der Awakening, an der Sonar, aufm Diynamic Festival, am Tomorrowland und auf Ibiza gespielt. Es läuft bei euch.
Shala: Klar, wir sind zufrieden. Aber irgendwie doch nicht. Wir haben noch viele Ziele.

Warum so bescheiden?
Schweizer: Es wäre einfach selbstverherrlichend, wenn wir sagen würden, es läuft mega gut und es ist das Geilste, was wir je erlebt haben.
Shala: Es hat auch einfach seine Schattenseiten, wenn wir so viel unterwegs sind. Auf der einen Seite wollen wir alles auskosten, auf der anderen Seite merken wir, dass wir Einbussen haben, was die Studiozeit angeht. Darum wollen wir eher reduzieren, was wir schon angefangen haben. Wir schauen, was wir machen und auf was wir verzichten können. Sonst können die Qualität unserer Produktionen und DJ-Sets nicht steigern.

Wie wählt ihr aus, auf was ihr zukünftig verzichten möchtet?
Shala: Ein Thema ist die Logistik. Wie direkt und wie schnell kommen wir irgendwo hin? Es ist auch einfach ein Kompromiss zwischen verschiedenen Faktoren: Wie wichtig ist ein Gig vom Club, vom Festival, vom Promoter, vom Gefallen ausgehend.

Ihr müsst also selbst ausbremsen, dass Adriatique weiter grösser wird?
Shala: Vielleicht, um uns selber zu schützen. Es stellt sich für uns einfach die Frage, wohin wir wollen. Wir sind gerade an verschiedenen Kreuzungen.
Schweizer: Ich würde weniger von ausbremsen sprechen. Wir wollen einfach die Dinge machen, die für uns relevant sind und uns Spass machen, dort auftreten, wo wir unsere Musik spielen und uns präsentieren können, wie wir das wollen. Die Namen Adriatique und Diynamic sind für Booker natürlich interessant und so entsteht nicht jede Anfrage aufgrund der Musik.
Shala: Es ist auch ein Schritt, um der Verkommerzialisierung aus dem Weg zu gehen.

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Jetzt habt ihr trotzdem einen grossen Schritt gemacht und mit Siamese euer eigenes Label gestartet. Wieso geht ihr diesen Weg?
Shala: Grundsätzlich war das keine Entscheidung, die vor zwei Wochen gefallen ist.
Schweizer: Die Idee existiert sicher schon seit ein, zwei Jahren.
Shala: Ich glaube, die Frage nach dem Wieso können wir gar nicht beantworten. Es geht uns darum, uns als Künstler ein Stück weiter zu verwirklichen und darum, unsere eigene Philosophie durchzuziehen. Das können wir am besten, wenn wir die kreativen Entscheidungen von A bis Z treffen.

Selbst ein Diynamic, auf dem ihr schon seit Ewigkeiten releast, gibt euch Einschränkungen?
Shala: Nein, bei Diynamic haben wir mittlerweile alle Freiheiten. Und es ist auch schön, ein Teil eines Kollektivs zu sein, in dem verschiedene Leute gemeinsam eine Idee verfolgen. Siamese ist unsere eigene Idee. Jetzt wollen wir unsere Energie in Richtung Siamese lenken, wo wir unsere eigene Vorstellungen und Idee umsetzen können.
Schweizer: Auf deinem eigenen Label kannst du dich auch einfach auf das fokussieren, was dir gefällt. Wenn du der Herr über deine eigenen Entscheidungen bist, ist das der allergrösste Luxus.
Shala: Wenn man sich Labels wie Diynamic, InnerVisions oder Connaisseur anschaut: Die feiern gerade alle ihr zehnjähriges Bestehen, haben aber genau so angefangen wie wir—mit einem kompromisslosen A&R.

Aber ist nicht genau hier das Problem—dass jeder sein eigenes Label macht? Checkt der Konsument: Hey, Adriatique machen jetzt das, dem muss ich folgen?
Shala: Ich glaube, es gibt verschiedene Gründe, warum man ein eigenes Label an den Start bringt. Viele machen das ja schon von Anfang an und dies ist dann auch ein Bestandteil des Erfolgs oder auch nicht. In unserem Fall ist es eine natürliche Entwicklung. Die meisten Schritte, welche wir gemacht haben, sind entstanden und wurden nicht herbeigeführt. Diese Philosophie wird sich auch bei Siamese nicht ändern. Für uns war es jetzt doch nach einigen Jahren in diesem Geschäft der auf der einen Seite logische Schritt und auf der anderen Seite richtige Schritt, um unserer Kreativität mehr Nährboden zu verschaffen. Was jemand Aussenstehendes für sich entscheidet, das ist sein Ding. Das können wir nur mit dem, was wir machen, beeinflussen.

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Sicher auch mit dem Image—wie wird das dann aussehen? Wird sich auch etwas an eurem Sound verändern?
Schweizer: Unsere Musik verändert sich eigentlich wöchentlich. Das ist einfach ein Prozess und wir sind nicht festgelegt auf irgendeinen Stil. Was wir mit dem Label aber sicher machen wollen: Sachen, die man nicht so von uns kennt. Vielleicht auch ein wenig zurück zum Underground, gewagtere Sachen releasen, die im Laufe der Jahre nicht möglich waren.
Shala: Man hat halt eine Gewisse Erwartungshaltung an uns. Die Labelgründung einen Restart zu nennen wäre übertrieben, aber es ist für uns wie eine Freikarte, um Sachen zu machen, die man nicht erwartet oder Künstler zu signen, die noch ungehört sind. Unter den ersten Releases wird es Tracks und Namen geben, von denen noch nie jemand etwas gehört hat, weil es die noch nicht auf dem Markt gab. Das sind nicht unbedingt Neulinge, viel mehr Leute, die noch nicht die richtige Plattform gefunden haben. Wir wollen überraschen und uns selbst überraschen.

Und obwohl ihr eigentlich zurückschrauben wollt, kommt mit dem Label sicher neue Arbeit auf euch zu.
Shala: Es ist vor allem andere Arbeit. Wir werden früher oder später Unterstützung brauchen, das ist klar. Aber für uns ist Siamese vor allem ein kreativer Spielplatz, der—das hoffe ich—eher einen Ausgleich zum Touren und Produzieren wird.

Auch ein wenig ein Hobby?
Schweizer: Auf jeden Fall. Es ist ein neue spannende Beschäftigung, auch um sich noch mehr mit der Musikindustrie auseinanderzusetzen—nicht einfach nur Tracks verschicken und warten, bis jemand OK sagt. Dem Label eine Identität zu geben ist ein interessanter Job.
Shala: Auch Verantwortung zu übernehmen, für andere Künstler, für die Musik.
Schweizer: Im Tagesgeschäft unter der Woche sind wir noch nicht komplett ausgelastet. Es sind eher die Touring-Geschichten, die voll zusetzen. Das ist hardcore, wie es dem Körper Energie raubt.
Shala: Wahrscheinlich ist es sogar gut, ein bisschen mehr daily Business zu haben. Bei den Leuten, mit denen wir zu tun haben—Vertrieben oder PR-Agenturen—, gelten normale Bürozeiten. So kommen wir auch mehr in einen "normalen" Tagesablauf.

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Freut ihr euch auf so Aufgaben wie Urheberrechte abklären—Bürokratie?
Shala: Das kann ich noch nicht sagen. Die Sachen, die bis jetzt gesignt sind, sind unseres Wissens ohne Samples. Wir kennen das Prozedere von ein, zwei Songs, die wir gemacht haben. Aber da haben es zum Glück andere für uns gemacht. Mit solchen Sachen werden wir uns aber wahrscheinlich nicht selber auseinandersetzen. Da werden Profis ans Werk gehen. Auf der anderen Seite ist es sehr spannend zu diskutieren, wie etwa die Distribution und ähnliches funktioniert. Adrian ist selbst grafisch begabt, macht die Drucksachen, die Covers et cetera. Da hat er die Kontakte. Ich habe die Kontakte, wenn es um administrative Sachen wie PR geht.

Euer erster Release ist auch auf Vinyl erschienen. Wieso? Und wird alles auf Vinyl kommen?
Shala: 99 Prozent von unseren Original-Tracks, die wir herausgebracht haben, sind als Vinyl erschienen. Wenn es keine ausserordentlichen Projekte gibt, bei denen es keinen Sinn macht, wird alles auf Vinyl erscheinen. Ich für meinen Teil kann so viel sagen: Wir haben das DJing von der Pike auf gelernt, also noch mit Vinyl angefangen. Wir kaufen auch immer noch fleissig Platten. Dann wärs eigentlich ziemlich heuchlerisch, darauf zu verzichten.
Schweizer: Hinter Musik, die nur digital releast wird, habe ich das Gefühl, steckt keine Wertschätzung. Wenn ich Songs nur digital release, ist es scheissegal, ob sie nicht erfolgreich ist. Dann release ich halt den nächsten. Mit einem Vinyl-Release überlegt man sich halt genau, wie viel Stück man pressen lässt. Das fordert einen strategisch, um zu entscheiden ob ein Track oder Release gut genug ist: Hat es die Qualität, die ich mir wünsche?
Shala: Ein weiterer Grund ist die Zeitlosigkeit von Platten. Gerade heutzutage, wenn ein Song nach drei Wochen alt ist.
Schweizer: Genau. Uns geht es nicht nur darum, irgendwelche Vinyl-DJs glücklich zu machen. Blöd gesagt ist es auch für uns, damit wir eine Sammlung haben. Wir sammeln selber Serien und Labels, wieso sollten wir das bei Siamese nicht genauso machen?
Shala: Das Artwork spielt sicher auch eine Rolle: Adrian macht sich tage- und wochenlang Gedanken dazu. Wenn wir es nur digital releasen würden, hätten wir auch das nicht physisch, nur ein jpg.

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Es ist also auch einfach eine Investition, in das, woran ihr glaubt und was ihr gut findet?
Shala: Genau.

Wieso heisst das Label eigentlich Siamese? Adrian und Adrian machen jetzt ein Label, das Siamese heisst—ihr treibt es schon auf die Spitze.
Schweizer: Wir sind zwei Typen, aber schlussendlich ein Brain, eine Einheit. Ohne den anderen funktioniert es einfach nicht.
Shala: Mit allen positiven und negativen Sachen, die das mit sich bringt. Manchmal sind wir einer Meinung, manchmal haben wir verschiedene. Einen Kompromiss finden wir aber immer—die einzig wahre Antwort kommt immer aus beiden.
Schweizer: Genau. Es gibt gegen aussen immer nur eine Bewegung. Wir verfolgen nur eine Vision.
Shala: Bei uns hat sich sogar eine natürliche Abhängigkeit entwickelt, weil es anders nicht geht und wir es anders nicht kennen. Wir waren Solo-DJs, haben zur selbe Zeit angefangen zu produzieren, haben das Projekt gegründet und ab dem Tag X—ob das die erste Platte oder der erste grosse Gig war—gabs kein zurück mehr. Das alles vermittelt die Idee von Siamese.
Schweizer: Ich finde den Namen auch einfach schön—er ist sehr ausdrucksstark.
Shala: Das ist zwar noch nicht spruchreif: Aber wir wollen mit Siamese auch neben der Musik andere Projekte umsetzen—also nicht irgendwelche Label-Showcases sondern ganz spezielle Events, bei denen wir verschiedene Komponenten verbinden und mit Leuten aus verschiedenen Branchen zusammenarbeiten wollen und so den Gedanken weiterspinnen, dass man aus verschiedenen Dingen eins bilden kann. Da gibts sicher auch einen Event in Zürich.

Wie finden denn die anderen Künstler Platz, wenn da schon zwei Köpfe sind?
Shala: Es wäre natürlich unglaublich selbstverliebt, wenn wir nur unsere eigene Musik herausbringen würden. Siamese ist einfach unsere Idee, unser Brain, und da ist jeder willkommen, der etwas dazu geben kann und das wollen wir natürlich auch. Wir wollen eine Plattform sein. Da werden wir auch den einen oder anderen Schweizer Künstler unterbringen. Wir haben aber noch nicht 20 Artists ready, die alle etwas für uns machen. Es soll sich viel mehr entwickeln.
Schweizer: Wir haben einen ganz eigenen Qualitätsanspruch, was Musik angeht. Wir erwarten von Künstlern, die bei uns releasen wollen, dass sie sich Gedanken machen, sich gegenüber kritisch sind und bedacht Labels wählen und ihre Produktionen nicht an 50 x-beliebige schicken.
Shala: Und wenn man die Jahre zurückschaut, waren wir nie solche Typen. Wir haben uns zum Beispiel lange Zeit genommen, bis wir unser erstes Demo verschickt haben und uns genau überlegt, an wen. Genau das werden wir reflektieren—was anderen gegenüber nicht böse gemeint ist. Es soll dir etwas wert sein, auf Siamese zu releasen. Dann werden wir es dementsprechend supporten.

Könnt und wollt ihr mit eurer internationalen Ausstrahlung auch explizit Schweizer Acts aufbauen?
Shala: Wenn sich die Chance bietet, natürlich. Wir wollen und werden Songs von Schweizer Acts releasen und haben auch schon einige im Kopf, die wir auf alle Fälle gerne bei uns sehen würden. Schweizer Acts zu supporten, ist eine Verantwortung, die wir haben.

Lest hier Teil 2 der Adriatique-Trilogie.