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Deine beschissene Tante ist schuld an den bünzligen Swiss Music Awards-Nominees

Wollen wir wirklich eine Generation, die Schlager, Volksmusik und schlechten Mundartpop feiert, bestimmen lassen, was auszeichnungswürdige Schweizer Musik ist?
Foto: Sonic Music

Am Freitag werden zum zehnten Mal die Swiss Music Awards verliehen. Mögliche Gewinner: Manillio, Dabu Fantastic, Nemo, Pablo Nouvelle, Anna Rossinelli, Faber, Yello und aus der Romandie Flexfab und Kadebostany. Soweit zu den erfreulichen Nachrichten. Dann sind noch ein paar Acts nominiert, denen ich neutral gegenüber eingestellt bin, und wie leider jedes Jahr der Schlager-, Volksmusik- und Pop-Filz: Trauffer, Beatrice Egli, Schluneggers Heimweh und Bligg sind allesamt zwei Mal nominiert.

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Genau diese Künstler sind Mitgrund dafür, dass die Swiss Music Awards immer wieder in der Kritik stehen und sich bei jungen Musikinteressierten nie als eine relevante Veranstaltung etablieren konnte. Schlager und Volksmusik erhalten Jahr für Jahr eine grössere Plattform, immer die gleichen Acts räumen ab und zum Teil sind die Preisträger der verschiedenen Kategorien äusserst fragwürdig: Dodo etwa räumte 2016 – nach fast 20-jähriger Karriere – einen Betonklotz als Durchstarter ("Best Breaking Act") ab.

Und daran schuld ist nur deine bünzlige Tante. Nicht etwa, weil sie in der Jury der Swiss Music Awards sitzt. Nein, deine bünzlige Tante ist heute die wichtigste Person für die Musikindustrie. Dafür gibt es ein ganz einfaches Indiz, welches jedes Jahr kräftiger wird: Die Jahres-Album-Charts. Die fünf meistverkauften Schweizer Alben 2016 waren die von Trauffer, Gölä, Bligg, Beatrice Egli und Polo Hofer. Dass sich ein junger Mensch mit gesundem MenschenverstandMusikgeschmack die Platten dieser Künstler kauft, kann ich mir bei bestem Willen nicht vorstellen. Und hier kommt eben deine Tante ins Spiel. Deine Tante mag Schlager, Volksmusik, bünzligen Mundartrock und Billo-Pop-Rap und deine Tante ist der einzige Mensch, der überhaupt noch Alben kauft.

Die meistervauften Alben 2016. (Quelle: hitparade.ch)

Die Konsumentenbefragung des Marktforschungsinstituts WEMF unterstreicht diesen Missstand. Das WEMF fragte 2016 knapp 10.000 Menschen für die "MACH Consumer", ob sie Musik in einem Laden kaufen. Die 15- bis 34-Jährigen machen dabei nur knapp 25 Prozent der Ja-Antworten aus, die 35- bis 54-Jährigen – also deine Tante – 41 Prozent und die 55- bis 99-Jährigen die weiteren 34 Prozent. Gleichzeitig sind die 15- bis 34-Jährigen mit knapp 50 Prozent der grösste Anteil der Online-Download-Nutzer. Streaming wird in der "MACH Consumer" nicht berücksichtigt und es wird auch nicht auf Single- und Album-Käufe aufgeschlüsselt. Gehen wir aber davon aus, dass online eher einzelne Songs und im Laden Alben gekauft werden und der Grossteil unserer Generation hauptsächlich Streaming nutzt, geben die Zahlen einen klaren Eindruck, wieso die Album-Charts dermassen beschissen sind.

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Was uns zum eigentlichen Problem bringt: Die Swiss Music Awards sind in erster Linie kein Popularitätswettbewerb, sondern basieren auf Verkaufszahlen. "Die Nomination der Künstler für die Kategorien 'Best Album', 'Best Hit' … wird direkt durch den Entscheidungsfaktor Verkäufe bestimmt", steht im Reglement der Swiss Music Awards. Und weiter: "Die Bestimmung der Nominationen in den Kategorien 'Best Female Solo Act', 'Best Male Solo Act', 'Best Group', 'Best Breaking Act' … erfolgt einerseits durch die eingegangenen Verkaufsmeldungen und andererseits durch die Academy."

Heisst: Bei den Künstler-Awards ("Best Female", "Best Male", "Best Group", "Best Breakthrough") wählt die Jury aus den Top-Sellern aus – wobei ein Album soviel wert ist wie zehn Singles. Bei den Werk-Awards ("Best Album", "Best Hit") hat sie kein Mitspracherecht und nur die Verkaufszahlen zählen. Da wir als junge Generation bekanntlich den CDs und Downloads abgeschworen haben, haben wir also nicht wirklich viel zu sagen. Streaming nimmt nämlich keinen Einfluss auf die Albumverkäufe eines Künstler, weil hier nur Einzelsongs gemessen werden können. Ausserdem wird, wie ich bereits in einer Analyse zum Streaming geschrieben, kaum Schweizer Musik gestreamt: "Angelina" von Dabu Fantastic, der einzige Schweizer Song in den Jahres-Single-Charts (Platz 99) und somit grösste Schweizer Hit 2016, stand selbst zu Peak-Zeiten nicht in in der nationalen Spotify-Top-100. Und da das Album der Zürcher Band gleichzeitig unterperformt hat – nicht in der Top-100 aufgeführt – sind Dabu Fantastic eben nur für den "Best Hit National" und nicht in der Kategorie "Best Group National" neben Shakra, Schluneggers Heimweh und Yello nominiert.

Diese Band himmelt deine bünzlige Tante an: Schluneggers Heimweh (Foto: Hitmill)

So, glaube ich, werden wir deine bünzlige Tante nicht so bald vom Musikkaufkraftthron stossen und sie bestimmt weiter, was in den Jahrescharts steht und dadurch die Nominationen der Swiss Music Awards – genau wie unsere politische Zukunft. Und ändert sich so bald nichts an den Reglementen der Swiss Music Awards, werden die Nominationen in Zukunft nur noch schrecklicher ausfallen. Die beste Jury der Welt (bei den SMAs sitze ich selbst drin) hilft eben auch nicht, wenn ihr nur Schrott zur Auswahl steht. So sind wir dieses Jahr zum Beispiel nur knapp an einer kompletten Katastrophe vorbeigekommen – Gölä hätte anhand seiner Verkaufszahlen durchaus für einen Award nominiert werden können. Was rein hypothetisch zur Folge gehabt haben könnte, dass wie am deutschen Musikpreis Echo gewisse Acts aus politischen Gründen boykottieren. 2013 protestierten MIA., Die Ärzte und Kraftklub auf diese Weise gegen die Nomination von Frei.Wild.

Vielleicht haben wir die Lösung aber auch – wie immer – selbst in der Hand. Wir könnten eine Anti-Establishment-Kampagne starten und ein Album ausserhalb des Pop-Filzes mit massiv vielen Käufen absichtlich in die Jahres-Hitparade führen – etwa so, wie Rage Against the Machines "Killing in the Name" in Grossbritannien der Weihnachtssong 2009 wurde. Oder wir bringen unseren bünzligen Tanten einfach guten Musikgeschmack bei, schenken ihnen zum Geburtstag eine ordentliche Rap- oder Techno-Platte, empfehlen ihnen gute alternative Radiosender, nehmen sie mal mit an ein geiles Konzert oder Festival und zwingen sie zum Noisey-Lesen. Make the SMAs great again!

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